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222. Als der Schwarze Tod in Budißin war.
(Aus dem „Beiblatt zum Sonntagsboten für Sachsen“, Monatsbeilage zum Nachbar. Okt. 1898.)

Das waren schlimme Zeiten für Deutschland um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Kaiser und Papst lagen in Hader und Streit; Adel und Bürgertum befehdeten sich; die Bauern lebten rechtlos voll Plage und Arbeit, die Juden wucherten und betrogen. Ueberschwemmungen brachten Teuerung und Hungersnot; und zu allem Uebel kam die Pest, der gefürchtete Schwarze Tod in’s Land. Die Menschen, zum Teil durch ausschweifendes Leben zerrüttet, ergriff ein furchtbarer Schrecken, und in ihrer Angst verfielen manche auf übertriebene Buße. Es bildete sich der Bund der Geißler, die durch ihr fanatisches Wesen das geängstete Volk nur noch mehr verwirrten und an manchen Orten zu Judenverfolgungen aufreizten. So geschah es auch im Mai des Jahres 1349 in der Stadt Budißin.

Von allen Türmen läuteten die Glocken und begrüßten einen Zug von Geißlern, der sich durch das Lauentor hereinbewegte. Prächtige Banner und Fahnen wehten voran, und die Männer folgten singend. Bleich war ihr Angesicht, von wirrem Haar umflattert, die Augen blickten in fieberhaftem Glanze aus den dunkeln Höhlen. Jeder trug in der Hand eine Geißel, die mit Bleistücken und Nägeln besetzt war. In der Petrikirche stellten sie unter ernsten Gesängen ihre Fahnen an den Altar und zogen darauf nach dem Markte vor das Rathaus. Hier entkleideten sie den Oberkörper, legten lange weiße Gewänder an und fielen auf die Erde. Zuerst erhob sich der Meister, berührte seinen Nachbar mit der Geißel und sprach: „Steh’ auf um des Herrn Marter Ehr’ und hüte Dich vor Sünden mehr!“ Der Angeredete erhob sich und folgte seinem Meister, der den anderen in derselben Weise aufzustehen befahl. Als nun alle in weitem Kreise standen, schlugen sich je zwei und zwei mit der Geißel, daß das Blut auf die Steine des Marktes tropfte. Dazu sangen sie eine düstere Weise, in der sie sich und dem Volke das Sündenleben vorwarfen, Meineid und alle Laster rügten, die Juden wegen Geiz und Wucher anklagten und jedem Sünder mit Tod und Höllenpein drohten. In atemloser Spannung sah das zusammengeströmte Volk dem ergreifenden Schauspiele zu, und tief erschüttert lauschten sie dem letzten Vers:

„Nun hebet alle auf die Hände,
Daß Gott das große Sterben wende;
Nun hebet alle auf die Arme,
Daß Gott sich über uns erbarme!
Jesus, um willen deiner Namen drei,
O mach’ uns, Herr, von Sünden frei,
Jesus, durch deine Wunden rot,
Behüte uns vor jähem Tod!“

Das Volk sank ebenfalls auf die Kniee und wiederholte schaudernd: „Jesus, durch deine Wunden rot, behüte uns vor jähem Tod!“ – Eine grenzenlose Furcht war über die armen Menschen gekommen, die Pest, die täglich mehr Opfer forderte, möchte auch sie treffen und hinabstürzen in die Qualen der Hölle.

Die Geißler kleideten sich wieder an, und einige mischten sich unter die Menge, um Geld zu Kerzen einzusammeln.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_509.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)