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„Ich kann Euch nichts geben,“ sagte bitter ein junger Mann, Veit Winkler, der Krämer. „Mein Geld hat der Jude Daniel.“ –

„Bist Du auch so ein Opfer der Juden, armer Mann?“ fragte der Flagellant teilnehmend, und in seinen Augen leuchtete es tückisch auf.

„Ja freilich!“ seufzte Veit. „Die schweren Zeiten haben mich in Schulden gebracht, da wandte ich mich an Daniel, den Wucherer. – Nun bin ich ein Bettler.“

„O, was haben diese Juden auf dem Gewissen!“ sagte der Geißler in lautem Flüstertone. Die Nahestehenden drängten sich herzu. „Man sagt, sie haben Eure Brunnen vergiftet und den Schwarzen Tod hergezaubert.“

Uhyst um 1840.

„Und das ist wahr!“ riefen einige dazwischen. „Hat doch der Flurwächter um Mitternacht den Juden Daniel am Brotschenberg gesehen. Mit erhobenen Händen hat er seltsame Worte gemurmelt, darauf ist ein blauer Nebel über die Stadt geflogen, und tags darauf ist der erste an der Pest gestorben.“ –

„Irret Ihr Euch da nicht, liebe Freunde?“ sprach der Geißler sanft, „sterben doch die Juden an der Pest wie Ihr.“

„Nein!“ schrieen andre aus dem Volke. „Sie sind gefeit, sie trifft keine Not!“

„Das liegt an Euch,“ entgegnete der fromme Mann, und seine Stimme tönte immer lauter. „Ihr seid duldsam und gut. Da haben sie’s in Trier anders gemacht. Da floß Judenblut in Strömen, verbrannt wurden sie, das Geld wurde ihnen genommen. Nein, Juden sollen nicht bei frommen Christen wohnen. Spott treiben sie mit der heiligen Hostie und höhnen das Kreuz. Darum nieder mit den Juden!“

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_510.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)