Seite:Wilamowitz Geschichte der griechischen Sprache 10.jpg

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hat man die Schrift sogleich viel weiter als es im Norden mit den Runen geschehen ist, nur schrieb man auf Holz und Leder; bis auf uns konnte sich etwas erst erhalten, als man auch Stein und Erz benutzte. Bücher konnte es erst geben, als Ägypten sein Papier hergab, was nicht erst geschehen ist, nachdem griechische Faktoreien im Delta errichtet waren. Wo immer man für praktische Zwecke zu schreiben anfängt, kann man gar nicht anders als schreiben wie man spricht. Das gilt von den Dichtern unter der Beschränkung, daß die homerische Literatursprache stark einwirkt, nicht nur direkt in Entlehnungen; aber Grundlage ist doch die eigene Sprache; selbst als sich; in der Chorlyrik, weil sie nicht nur für die eigenen Landsleute geübt wird, eine gewisse allgemeine Sprache ausbildet, klingt sie doch ganz verschieden, wenn der Dichter aus Keos oder aus Rhegion, aus Böotien oder aus Rhodos stammt. Dabei lesen wir die Gedichte meist erst so, wie sie außerhalb ihrer Heimat aufgezeichnet sind, und dürfen uns keine Illusion darüber machen, daß dadurch z. B. bei Pindar manche Trübungen entstanden sind[1]. Es ist daher berechtigt, daß unsere Grammatiker sich zunächst nur auf die Inschriften verlassen, und auch das war nur recht, daß dieses Vertrauen sich zuerst auf jeden Buchstaben erstreckte. Da wird freilich einigen Vorbehalt machen, wer mit den Steinen selbst praktisch zu wirtschaften gelernt hat. Das Schreiben war eine schwere Kunst, und wer die aufgemalten Inschriften der Vasen kennt, die unsere Corpora ausschließen, weiß, wie zahlreich, besser zahllos die Schreibfehler sind. Aber auch den Steinmetzen passieren manche Menschlichkeiten. Ein kleiner Strich zu wenig, und es sieht aus, als wäre


  1. Das läßt sich mit der Umsetzung in jungböotische Orthographie vergleichen, wie sie Korinna erfahren hat, deren Gedichte wir umschreiben müssen, dann werden sie dem Pindar ähnlich, wenn auch der Unterschied bleibt, daß Korinna neben den homerischen Entlehnungen nur ihren Dialekt anwendet.