Seite:Wilhelm ChinVolksm 062.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der Eroberung des Vierstromlandes. Das Pferd, auf dem er ritt, hieß der rote Hase und konnte an einem Tage tausend Meilen weit laufen. Er hatte ein halbmondförmiges Messer, das hieß der grüne Drache. Seine Augenbrauen waren schön wie die von Seidenschmetterlingen und seine Augen lang geschlitzt wie die des Phönix. Sein Gesicht war rot wie Scharlach, und sein Bart war so lang, daß er ihm über den Bauch herabhing. Als er einst vor den Kaiser trat, nannte der ihn Herzog Schönbart und schenkte ihm eine seidene Tasche, um seinen Bart hineinzutun. Er trug ein Gewand aus grünem Brokat. Jedesmal, wenn er zur Schlacht ging, zeigte er sich von unwiderstehlicher Tapferkeit. Ob ihm tausend Heere oder zehntausend Reiter gegenüberstanden – er trat ihnen entgegen, als ob sie bloße Luft wären. Der böse Tsau Tsau führte ihn einst in Versuchung, seinem Herrn und Freunde Liu Be untreu zu werden. Als er nämlich die beiden Gemahlinnen Liu Bes in seine Gewalt bekommen hatte, da befahl er, daß Guan Yü mit ihnen zusammen in einem Zimmer über Nacht eingeschlossen werden sollte. Guan Yü ließ sich jedoch nicht irremachen, sondern verbrachte die ganze Nacht bis zur Morgendämmerung mit einem Licht in der Hand wachend auf der Schwelle des Zimmers.

Ein andermal hatte der böse Tsau Tsau die Feinde seines Herrn aufgestiftet, seine Stadt durch Verrat zu nehmen. Da eilte er auf die Nachricht davon mit einem Heere herbei, sie zu entsetzen. Er geriet aber in einen Hinterhalt und wurde, zusammen mit seinem Sohn, gefangengenommen und in die Hauptstadt des feindlichen Landes gebracht. Der Fürst dieses Landes hätte gerne gehabt, daß er zu ihm übergehe; er aber schwur, daß er bis zum Tode sich nicht beugen werde. Darauf wurde Vater und Sohn zum Tode gebracht. Als er gestorben war, da hörte sein Roß, der rote Hase, zu fressen auf und starb. Er hatte aber auch einen treuen Hauptmann, namens Dschou Dsang, der war schwarz im Gesicht und trug ein großes Messer.

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_062.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)