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der Wacholderbäume und flötete. Er nahm ihn nun mit sich auf die wolkigen Gipfel des heiligen Berges im Westen. Vierzig Meilen waren sie im Gebirge gegangen, da sah er ein Haus, das war reinlich und schön. Bunte Wolken umgaben es, Pfauen und Kraniche flogen umher. In dem Hause stand ein Kräuterofen, der war neun Fuß hoch. Das Feuer brannte in purpurner Flamme, und sein Schein hüpfte an den Wänden umher. Neun Feen standen bei dem Ofen, ein grüner Drache und ein weißer Tiger kauerten daneben. Der Abend brach herein. Der Alte war nicht mehr gekleidet wie ein gewöhnlicher Mensch, sondern trug eine gelbe Mütze und hatte weite, wallende Gewänder. Er nahm drei Kugeln von weißem Stein, tat sie in einen Becher Wein und gab sie dem Du Dsï Tschun zu trinken. Er breitete ein Tigerfell aus im inneren Zimmer an der westlichen Wand und ließ ihn mit dem Angesicht nach Osten darauf niedersitzen. Dann sprach er zu ihm: „Nun hüte dich, ein Wort zu sprechen! Was dir auch begegnet, starke Götter oder gräßliche Teufel, wilde Tiere oder Oger, alle Qualen der Hölle, und wenn du deine eigenen Verwandten in Schmerz und Leiden siehst: alles sind nur Trugbilder. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Sie können dir nichts schaden. Nur denke an mein Wort und sei ruhig im Geist!“ Als er das gesagt, verschwand der Alte.

Du Dsï Tschun sah nun nur noch einen großen Steinkrug voll klaren Wassers vor sich stehen. Feen, Drachen und Tiger waren alle verschwunden. Plötzlich hörte er einen lauten Krach, daß Himmel und Erde erbebte. Es erschien ein Mann, über zehn Fuß hoch. Der nannte sich den großen Feldherrn. Er und sein Pferd waren in goldene Panzer gehüllt. Er war umgeben von über hundert Soldaten, die spannten die Bogen und schwangen die Schwerter und machten in dem Hofe halt.

Der Riese fuhr ihn an: „Wer bist du? geh mir aus dem Wege!“

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_112.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)