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Wieder eine war die Hungerhölle. Darin schmachteten die, die hartherzig gegen die Armen nur für den eigenen Leib gesorgt hatten.

Diese Hölle war es gewesen, in die einst der Buddhistenpriester Mu Liän eingebrochen war, um seine Mutter zu erlösen. Seine Mutter nämlich saß in dieser Hölle. Mu Liän aber hatte es durch gute Werke dazu gebracht, daß er ein Buddha wurde. Dann ging er geradeswegs in die Unterwelt, um seine Mutter zu befreien. Er schlug mit seinem eisernen Stabe die Tore der Hölle entzwei und trug seine Mutter empor zum westlichen Himmel. Dabei brachen dreitausend hungrige Seelen aus dieser Hölle hervor und wurden auf der Oberwelt geboren. Die haben dann den Aufstand veranlaßt, in dem die Tang-Dynastie ihr Ende fand.

Dann kam Hu Di in die Blutschüsselhölle. Da waren große und kleine Schüsseln, mit blutigem Wasser gefüllt, und eine Anzahl von Frauen, die klagten und weinten.

In ihrer Mitte erblickte er plötzlich seine erste Frau, die weinend zu ihm sprach: „Ich habe während meines irdischen Lebens keine schweren Sünden begangen. Nur bei der Geburt meiner Kinder habe ich das reine Wasser befleckt, indem ich ihr Blut darin abwusch. Nun hat mir der Höllenfürst befohlen, dieses Wasser auszutrinken, und erst wenn ich fertig damit bin, kann ich aufs neue als Mensch geboren werden. Ich bitte dich herzlich, daß, wenn du hinaufkommst, du aus Papier und Stroh einen Wasserbüffel machst und ihn verbrennst, daß er für mich das blutige Wasser austrinkt. Auch empfehle ich dir meine Kinder an, daß sie nicht das Leid von Stiefkindern erfahren müssen.“

Sie beschwor ihn aufs inständigste, und Hu Di versprach ihr alles. Dann nahmen sie unter Tränen voneinander Abschied.

Hu Di fragte seinen Begleiter: „Und wo sind die Orte, wo die Mörder von Menschen und Haustieren sich aufhalten?“

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_124.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)