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sich in den Blumenbeeten und verschwanden. Noch lange saß der Gelehrte in traumverlorener Sehnsucht da.

Am andern Abend kamen die Mädchen alle wieder.

„Wir wohnen alle in deinem Garten“, sagten sie zu ihm. „Jedes Jahr werden wir von bösen Winden übel gequält und haben darum immer die achtzehn Tanten gebeten, uns zu beschützen. Gestern wurden sie von der Punica beleidigt, und wir fürchten, daß sie uns künftig nicht mehr helfen werden. Wir wissen aber von dir, daß du uns Schwestern schon immer freundlich zugetan warst, wofür wir dir von Herzen dankbar sind. Wir haben nun eine große Bitte, daß du jedesmal am Neujahrstag eine kleine, scharlachrote Flagge machst und darauf Sonne, Mond und die fünf Planeten malst und sie im Osten des Gartens aufstellst. Dann haben wir Schwestern Frieden und sind vor allem Leid geborgen. Da diesmal aber Neujahr schon vorüber ist, so bitten wir dich, daß du sie am einundzwanzigsten dieses Monats aufrichtest; denn da kommt der Ostwind, und durch die Flagge sind wir dann geschützt.“

Der Gelehrte versprach es ihnen bereitwillig, und die Mädchen sagten wie aus einem Munde: „Wir danken dir für deine große Güte und wollens dir vergelten.“ Damit schieden sie, und ein süßer Duft erfüllte den ganzen Garten.

Der Gelehrte aber machte eine solche rote Flagge, und als an dem genannten Tage frühmorgens tatsächlich der Ostwind zu wehen anfing, da stellte er sie schnell im Garten auf.

Plötzlich erhob sich ein wilder Sturm, der die Wälder beugte und die Bäume brach. Nur im Garten die Blumen bewegten sich nicht.

Da merkte der Gelehrte, daß Salix die Weide war, Prunophora die Pflaume, Persica der Pfirsich und die vorlaute Punica der Granatapfel, dessen kräftigen Blüten der

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_131.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)