Seite:Wilhelm ChinVolksm 211.jpg

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Trunk zu sich zu nehmen und bestellte Nachtquartier. Die Leute in der Herberge machten Einwände. Ein alter Mann hatte Mitleid mit seiner peinlichen Lage und sprach zu ihm: „Wir haben eben ein Mahl aufgetragen für Krieger, die von weither kommen, und haben keinen Wein für Euch übrig. Hier neben ist aber noch ein Zimmerchen, in dem Ihr übernachten könnt.“ Mit diesen Worten führte er ihn hinein. Der Kaufmann konnte vor Hunger und Durst nicht schlafen. Er hörte draußen Lärm von Menschen und Pferden. Da ihm die Sache nicht recht geheuer vorkam, stand er auf und sah durch den Spalt in der Tür, wie die ganze Herberge voll war von Soldaten, die auf der Erde saßen, tranken und aßen und von Kriegszügen redeten, von denen er gar nichts wußte. Nach einer Weile riefen sie einander zu: „Der Feldherr kommt!“ Und ganz in der Ferne hörte man die Rufe der Leibwache. Alle eilten hinaus, ihn zu empfangen. Er sah dann einen Zug von vielen Papierlaternen, und in ihrer Mitte ritt ein langbärtiger Mann von kriegerischem Aussehen. Er stieg vom Pferde, trat ein und setzte sich obenan. Die Soldaten standen an der Türe, seiner Befehle gewärtig; der Wirt trug Wein und Essen auf, das er schmatzend verzehrte.

Als er fertig war, traten seine Offiziere herein, und er sprach zu ihnen: „Ihr seid nun schon lange ausgerückt. Geht zu euren Leuten zurück; ich will auch ein wenig ausruhen. Es ist Zeit genug, weiterzugehen, wenn der Aufbruchsbefehl eintrifft.“

Die Offiziere nahmen den Befehl entgegen und entfernten sich. Dann rief er: „Atsi soll kommen!“ Darauf kam ein junger Offizier von links her aus dem Hause. Die Leute in der Herberge schlossen das Tor und zogen sich zurück. Atsi geleitete den Langbart zu der Türe links hinein, durch deren Spalt der Schein einer Lampe herausdrang. Der Kaufmann schlich sich aus seinem Zimmer und schaute durch die Türspalte ihnen zu. Drinnen war ein Bett aus Bambus ohne Decken und Kissen. Die Lampe

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_211.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)