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traurig seid? Wollt Ihrs nicht Eurem alten Sklaven anvertrauen?“

Da erzählte ihm der Junge, was ihm begegnet war, und erwähnte auch die geheimen Zeichen, die das Mädchen ihm gemacht.

Molo sprach: „Daß sie drei Finger ausstreckte, das bedeutet, daß sie im dritten Hofe wohnt. Daß sie dreimal die Hand umdrehte, das deutet auf die Zahl von dreimal fünf Fingern. Das gibt zusammen fünfzehn. Daß sie auf ihren kleinen Spiegel zeigte, damit sagte sie, am fünfzehnten, wenn um Mitternacht der Mond rund ist wie ein Spiegel, sollet Ihr zu ihr kommen.“

Da erwachte der junge Mann aus seinen wirren Gedanken und konnte sich vor Freuden kaum fassen.

Bald aber wurde er wieder traurig und sprach: „Der Palast des Fürsten ist abgeschlossen wie durch ein Meer. Wie sollt es möglich sein, hineinzukommen?“

„Nichts leichter als das“, sagte Molo. „Am fünfzehnten nehmen wir zwei Stücke dunkler Seide und hüllen uns darein, und ich werde Euch so hintragen. Doch ist ein wilder Hund da, der das Hoftor der Sklavin bewacht, der ist stark wie ein Tiger und wachsam wie ein Gott. Niemand kommt an ihm vorbei. Den muß man erst töten.“

Als der bestimmte Tag gekommen war, da sprach der Diener: „Außer mir ist niemand auf der Welt imstande, diesen Hund zu töten.“

Der Jüngling gab ihm hocherfreut Wein und Fleisch. Dann nahm der Alte einen Kettenhammer und war im Augenblick damit verschwunden.

Und ehe die Dauer einer Mahlzeit vorüber war, war er schon wieder da und sprach: „Der Hund ist tot, es ist kein Hindernis mehr da.“

Um Mitternacht hüllten sich beide in dunkle Seide, und der Alte trug den Jüngling über die zehnfachen Mauern hinweg, die den Palast umgaben. Sie kamen an das dritte Tor; das war nur angelehnt. Ein Lämpchen sahen sie

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_268.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)