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die Blumen blühten, da fuhr Rosenrot auf einem kleinen Wagen vor die Stadt hinaus an den Fluß. Sie ward von einem Diener des Fürsten entdeckt. Der berichtete es seinem Herrn. Der Jüngling mußte zu ihm kommen. Da er die Sache nicht verbergen konnte, so erzählte er alles der Wahrheit gemäß.

Der Fürst sprach: „Rosenrot hat die ganze Schuld. Euch mach ich keinen Vorwurf. Aber da sie nun Eure Frau ist, so will ichs ihr auch hingehen lassen. Nur Molo soll mirs büßen.“

Dann befahl er hundert gewappneten Kriegern, mit Bogen und Schwertern das Haus des Jünglings zu umstellen und unter allen Umständen des Molo habhaft zu werden. Molo nahm seinen Dolch und flog die hohe Mauer empor. Er blickte um sich wie ein Falke. Die Pfeile kamen dicht wie Regen; aber keiner traf ihn. In einem Augenblick war er verschwunden, kein Mensch wußte wohin.

Nach mehr als zehn Jahren traf ihn einer der Leute seines Herrn im Süden, wie er Medizin verkaufte. Er sah noch immer aus wie früher.


89. Die goldene Büchse.

Zur Tangzeit lebte ein Graf im Lager von Ludschou. Der hatte eine Sklavin, die konnte sehr gut die Laute spielen und war auch im Lesen und Schreiben geübt, so daß der Graf sie gebrauchte, um seine geheimen Briefe zu schreiben.

Einst war im Lager ein großes Fest. Die Sklavin sprach: „Die große Pauke klingt heut so traurig; dem Mann ist sicher ein Unglück begegnet.“

Der Graf ließ den Paukenschläger kommen und fragte ihn.

„Meine Frau ist gestorben,“ erwiderte jener, „doch wagte ich nicht, um Urlaub zu bitten; darum klang unwillkürlich meine Pauke so traurig.“

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_270.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)