Seite:Wilhelm ChinVolksm 273.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Perlen lagen darauf. Die Kerzen im Zimmer gaben einen schwachen Schein, und der Weihrauch vom Räucherbecken war eben im Verglimmen. Die Dienerinnen lagen ringsumher zusammengekrümmt und schliefen. Ich konnte ihnen die Haarpfeile herausziehen und ihnen die Kleider aufheben, ohne daß sie erwachten. Das Leben Eures Verwandten stand in meiner Hand; aber ich brachte es nicht über mich, ihn zu töten. Darum nahm ich die goldene Büchse und kehrte zurück. Die Wasseruhr zeigte die dritte Stunde an, als ich meinen Weg vollendet. Nun müßt Ihr rasch ein schnelles Pferd satteln lassen und einen Mann damit nach Webo schicken, der die goldene Büchse zurückbringt. Dann wird der Herr von Webo schon zur Besinnung kommen und seine Eroberungspläne fallen lassen.“

Der Graf von Ludschou befahl nun einem Offizier, so schnell wie möglich nach Webo zu reiten. Er ritt den ganzen Tag und die halbe Nacht, da kam er an. In Webo war jedermann in Aufregung wegen des Verlustes der goldenen Büchse. Im ganzen Lager wurde alles streng durchsucht. Da klopfte der Bote mit der Reitpeitsche an die Tür und verlangte, den Herrn von Webo zu sehen. Weil er zu so ungewöhnlicher Stunde kam, vermutete der Herr von Webo, daß er eine wichtige Nachricht habe, und kam aus seinem Zimmer, den Boten zu empfangen. Der übergab ihm einen Brief, darin stand geschrieben: „Gestern Nacht kam ein Fremder von Webo bei uns an. Er erzählte, daß er mit eigener Hand von Eurem Bette eine goldene Büchse genommen habe. Ich wage sie nicht zu behalten und sende darum diesen Boten, sie Euch schleunigst wieder zurückzuerstatten.“ Als der Herr von Webo die goldene Büchse sah, erschrak er sehr. Er nahm den Boten mit in sein eigenes Gemach, bewirtete ihn mit einem köstlichen Mahl und belohnte ihn reichlich.

Am andern Tage fertigte er den Boten wieder ab und gab ihm dreißigtausend Ballen Seide und fünfzig der besten

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_273.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)