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Sein Freund hatte es auch schon bemerkt und sprach zu ihm: „Heute ist es mir endlich gelungen, Euch eine hübsche Lebensgefährtin zu finden.“

Er fragte: „Wen?“

„Die Tochter meiner Tante, A-Sung. Sie ist siebzehn Jahre alt und gar nicht häßlich.“

„Sie ist sicher nicht so schön wie Giauna“, dachte Kung.

Dann summte er den Vers eines Liedes vor sich hin:

„Hat man das Meer einmal gesehen,
So ist der Flüsse Wasser seicht.
Sah man des Wu-Bergs Wolken ziehen,
So findt man nichts, das ihnen gleicht.“

Der Jüngling lächelte. „Mein Schwesterchen Giauna ist noch zu jung“, sagte er. „Sie ist dazu die einzige Tochter meines Vaters, und er möchte nicht, daß sie nach auswärts heiratet. Aber meine Base A-Sung ist auch nicht häßlich. Wenn Ihr’s nicht glaubt, so wartet, bis sie im Garten miteinander spazieren gehen, da könnt Ihr sie heimlich erspähen.“

Kung legte sich unter das offene Fenster auf die Lauer, und richtig sah er Giauna ein anderes Mädchen an der Hand führen, die war so schön, daß es ihresgleichen nicht gab. Sie und Giauna sahen aus wie Schwestern, nur durch das Alter verschieden.

Der junge Kung war hoch erfreut und bat seinen Freund, den Heiratsvermittler zu machen. Der sagte zu. Am andern Tag kam er auch schon und brachte unter Glückwünschen die Nachricht, daß alles in Ordnung sei. Es wurde ein besonderer Hof für das junge Paar hergerichtet und Hochzeit gefeiert. Dem jungen Kung war zumute, als habe er eine Fee geheiratet, und die Neuvermählten liebten einander unsäglich.

Eines Tages kam sein Freund aufgeregt zu Kung und sagte: „Der Eigentümer dieses Hauses kommt zurück, und mein Vater will nun wieder nach Schensi reisen. Der Abschied naht; das ist recht traurig.“

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_303.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2023)