Seite:Wilhelm ChinVolksm 343.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

er sich ein Stück aus seinem linken Bein und brachte es ihr dar.

Kaum war die Krankheit etwas besser, da kam sie Reue an, daß sie das Gebot übertreten. Sie aß nichts mehr und starb. Der Sohn in seinem bitteren Leide nahm ein scharfes Messer und schnitt sich auch ins rechte Bein, also daß man den Knochen sah. Die Diener kamen, ihn zu retten. Er ward verbunden und bekam Arznei, da ward es besser. Er gedachte in seinem Herzen an die bitteren Entbehrungen seiner Mutter und wie so töricht sie gewesen. Darum verbrannte er alle Buddhabilder, die sie angebetet, und stellte ein Täfelchen auf, seiner Mutter zu opfern. Und jedesmal, wenn er betrunken gewesen, da klagte und weinte er davor.

Mit zwanzig Jahren heiratete er. Doch da er immer keusch geblieben war, sprach er nach drei Tagen: „Daß Mann und Frau zusammen wohnen, ist etwas Häßliches und macht mir keine Freude.“ Darauf entließ er seine Frau.

Der Vater seiner Frau ließ ihn durch Verwandte bitten, sie wieder aufzunehmen, drei-, viermal. Doch er blieb fest. So wartete der Vater denn ein halbes Jahr; dann gab er seine Tochter einem andern Mann.

Yüo Dschung lebte ledig an zehn Jahre. Er war nicht wählerisch in seinem Umgange. Mit Knechten und Schauspielern trank er zusammen, und wenn ihn von den Nachbarn irgendwer um etwas bat, er konnte nichts versagen. Sprach einer: Meine Tochter hat keinen Kessel für ihre Aussteuer, so ging er flugs zu seinem Herde und gab ihm seinen eigenen. Er selbst entlehnte dann zum Kochen einen anderen in der Nachbarschaft. Alle nichtsnutzigen Leute kannten seine Art, und früh und spät ward er betrogen. Da hatte vielleicht einer im Spiel verloren und kein Geld zum Zahlen, dann kam er mit betrübten Mienen zu ihm und klagte ihm vor, er sei in äußerster Bedrängnis und müsse seinen Sohn verkaufen. Yüo Dschung

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_343.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)