Seite:Zeitschrift fuer Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd 35 072.jpg

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König. Zeigt sich schon durch das eben Gesagte das Bedenkliche der älteren Interpretation unserer Stelle, so treten noch andere Gründe hinzu, welche jene Interpretation unbedingt ausschließen.

Es fügt sich alles zu Sinn und Ordnung, wenn wir den ersten Satz so verstehen: „Ein Mann darf seinem Könige, bzw. seinem Richter helfen, gegen Unrecht Widerstand zu leisten usw.“ Jetzt ist außer dem Mann und dem König, bzw. dem Richter, noch ein Dritter im Spiele, auch wenn er nicht ausdrücklich genannt wird, zu welchem der Mann in einem Mannschafts- oder Magschaftsverhältnis stehen konnte. Der Sinn ist nunmehr vollständig klar: Erfüllt ein Mann gegenüber seinem Könige oder seinem Richter die schuldige Pflicht der Rechtshilfe, indem er ihm Beistand leistet im Widerstand gegen das Unrecht, d. h. bei der Verfolgung und Bestrafung des Unrechts, so kann er durch die Erfüllung dieser Pflicht keinen Treubruch begehen gegen den Übeltäter, wenn dieser sein Herr oder sein Mage sein sollte.

Freilich müssen wir, um zu dieser Auslegung zu gelangen, annehmen, daß Eike hier nachlässig konstruiert habe. Wir müssen das „helpen“ aus dem zweiten Teil des Satzes vorwegnehmen und bereits den ersten Teil damit konstruieren, etwa in folgender Weise: Der Mann darf wohl dem Könige helfen, dem Unrecht zu widerstehen und es abzuwehren in jeder Weise. Ganz leicht würde sich der von uns geforderte Sinn ergeben, wenn Eike geschrieben hätte: „und san weren helpen“ statt „und san helpen weren“. Ich glaube aber, daß wir dem Verfasser geringeres Unrecht tun, wenn wir ihm diese unbedeutende Nachlässigkeit in der Wortstellung zutrauen, als wenn wir ihm zumuten wollten, dem Widerspruch Ausdruck gegeben zu haben, den die Worte nach der bisherigen Deutung ergeben. Andere grammatische Schwierigkeiten gibt es für unsere Deutung nicht, wenigstens keine, die nicht auch der bisherigen Erklärung entgegenständen. Dahin gehört, daß „weren“, wenigstens nach Lexer, nicht mit dem Genitiv verbunden nachzuweisen ist. Aber diese Konstruktion müßten wir, wie gesagt, auch bei der früheren Deutung annehmen.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Zeumer: Das vermeintliche Widerstandsrecht gegen Unrecht des Königs und Richters im Sachsenspiegel. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1914, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_35_072.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)