Seite:Zerstreute Blaetter Band III 102.jpg

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wie am andern? Eine Allegorie im Trinkliede oder in einem philosophischen Gespräch des Plato, in Aeschylus Chören oder in Aristophanes Scenen, in einem Bilde Lysippus oder in einem Gemählde Apelles wird ein ganz ander Werk, wenn sie auch allenthalben denselben Gegenstand schilderte. Verfolgt man nun diese Verschiedenheit durch alle Situationen des Gedichts und Kunstwerks, durch alle Leidenschaften des Dichters und Künstlers, durch jede Veränderung der National-Denkart, der Zeit, Sprache, der veranlassenden Umstände u. f.; so sehe ich nicht, was für allgemeine Regeln jedes besondern Falles übrig blieben, außer sofern sie im Begriff der Allegorie selbst, und in der Natur des Bilder-dichtenden Verstandes durch eine innere Nothwendigkeit gegeben sind, Wahrheit, Lebhaftigkeit, Klarheit. Jedes Sylbenmaas sogar, jeder Ton des Liedes schattiert die Bilder der Phantasie auf eigne Weise,

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Dritte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1787, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_III_102.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)