Seite:Zerstreute Blaetter Band I 145.jpg

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     Sowohl alte als neue Schriftsteller haben der leichten Geschwätzigkeit der Griechen erwähnt, die sie bey allen Empfindungen des Leides und der Freude zeigten; und so waren sie eben sowohl in Schrift als in Sprache. Lucian redet von einem, der in die knidische Venus bis zur Verzweiflung verliebt, keine Mauer, keinen Baum vorbey ließ, der nicht mit ihm hätte ausrufen müssen: die schöne Aphrodite. Mehrere Dichter spielen auf die allgemeine Gewohnheit der Liebhaber an, den Namen ihrer Schöne auf Blätter und Bäume zu schreiben, ihre Thür mit Kränzen und Blumen zu schmücken, sie mit Lobliedern und Versen zu beehren. Ein Theil der Anthologie enthält dergleichen süßes Geschwätz der Liebe. Da sind feine Lobsprüche und Schmeicheleyen, Erklärungen und Geschenke in mancherley Gestalt: bald Wendungen aus der Mythologie, bald kleine Umstände aus dem Umgange oder von der Person des Geliebten. [1] Schlaf


  1. Daß ich Strato’s Muse und einen guten Theil der Kephalischen Sammlung unter diesem Lobe nicht begreife, wird jeder mir ohne Erinnerung glauben. Die erste hätte gar nicht dürfen gedruckt werden; und überhaupt ist aus jeder, selbst der Planudischen Anthologie für junge Leute, ja für jeden Verständigen ein Auszug nothwendig. Die Auszüge, die man bisher hat, wenigstens so viel ich deren kenne, sind ohne Geschmak und Wahl, ohne Zweck und Reize.


Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_145.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)