Seite:Zerstreute Blaetter Band I 176.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Werk der Kunst waren, auf die du es insonderheit in spätern Zeiten ganz ohne mich, anzulegen scheinest? Damals half ich dir. Ich unterstützte deine Töne, und du dientest nur meinem Gesange, ihn zu beleben. Ich hingegen klärte deine Sprache auf, verstärkte sie mit der Macht aller Empfindungen und Situationen der Seele; dadurch thaten wir vereint die Wirkung. Seitdem wir uns von einander getrennt haben, sind unsre Künste tausendmal feiner geworden, die Grenzen von Allem in ihnen sind sorgfältiger geschieden, die Regeln stehn bestimmt da, wie Scylla und Charybdis, oder wie die Säulen Herkuls, über die nicht hinauszuschiffen war; wo ist aber anjetzt unsre Wirkung auf der Erde, in dem Maaß, wie sie die Alten priesen? Ich werde gelsen, du wirst gehört; bey mir tadelt und gähnt man, bey dir spielt oder plaudert man, und zuletzt schläft man ein bey uns beyden. –

     Das liegt nicht an uns, antwortete die Harmonie unerschrocken, es liegt am Mißbrauch unsrer

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_176.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)