Seite:Zerstreute Blaetter Band I 183.jpg

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     Das möchte vom Natur- und Landschaftsmalen gelten, antwortete die Poesie, was aber deine historische Mahler anbetrift, höre ich, daß auch du so leidenschaftliche Leute hast, wie ich und die Tonkunst schwerlich haben. Uns beyden wirft man vor, daß wir unsere Günstlinge statt der Begeisterung oft mit Launen beschenken; und mich dünkt, auch wenn du Leidenschaften studirst und ausdrückst, mußt du doch selbst diese Leidenschaft fühlen. –

     Hier fiel ihr Apoll in die Rede, und gab zu verstehen, wie dieß alles nicht hergehöre und mit Erlaubniß zu sagen, zum Theil nicht wahr sey. Wenn man einen Wütenden schildert, sprach er, darf man nicht selbst wüten, und wenn man von einem Rasenden dichtet, nicht selbst rasen. Eben das ist das Vorrecht der Himmelgebohrnen Kunst, sprach er, daß sie durch eine Art von Allwissenheit und geheimer Vorahndung auch die Falten und Schlupfwinkel des menschlichen Herzens kennt, die der Künstler selbst nicht gefühlt

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_183.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)