Seite:Zerstreute Blaetter Band I 235.jpg

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Gefühl in sie nicht nur das Vaterland, sondern auch die Tugend zu lieben, den Neid zu verachten[1], und sich durch sein Schlangenhaar nur anreizen zu lassen zu größerer Tugend. Deshalb setzte sie das Haupt Medusens auf ihre Brust, und gab der Furie daselbst eine himmlische Schönheit. Mit ihrer schlichten Lanze, die einst die Riesen niedergeworfen hatte, schlug sie den Fels und es gieng aus ihm hervor der wohlthätige Oelbaum. Nicht Sieger der Feinde, sondern Wohlthäter der Menschen krönte sie mit seinem friedlichen Laube; am liebsten aber den, der sich selbst überwunden, und mit sich in Friede lebet. Auch sah sie bey dieser Belohnung auf keinen Stand, auf kein Geschlecht, auf kein Alter. Sie brachte sie dem Sklaven Epiktet sowohl, als dem geplagten Marc Aurel auf seinem bestürmten Throne; inwendig in ihrer Seele goß sie aus das Oel des himmlischen Friedens. Auch das weibliche Geschlecht entgieng nicht ihrer schwesterlichen Aufsicht: sie erfand, nicht für sie sondern in ihnen, alle Künste der Arbeitsamkeit und des stillen häuslichen


  1. Vorlage: zu verachen
Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_235.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)