Seite:Zerstreute Blaetter Band I 363.jpg

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wollen: so folgt, daß keins auf den alleinigen, also auch nicht auf den höchsten Genuß ausgehn müsse, oder es zerstört um sich her. Es muß geben und nehmen, leiden und thun, an sich ziehn und sanft aus sich mittheilen. Dieß macht zwar allen Genuß unvollständig, es ist aber der wahre Takt und Pulsschlag des Lebens, die Modulation und Haushaltung des Verlangens, der Liebe und aller Süßigkeiten der Sehnsucht. Hier gebe ich die schöne Weisheit der Natur zu bemerken, die alles in diesen Pulsschlag leidender und thätiger, gebender und empfangender Wesen, auch nach Geschlechtern, Augenblicken, Zeitumständen, Lebensaltern, Situationen u. f. theilte, und gleichsam einwiegte. Wie dort Zwey Lichter am Himmel, so hat Gott auf der Erde Zwey Geschlechter geschaffen, die im Schwunge der Empfindungen sich einander das Gegengewicht leisten sollen. Eins ersetzt dem andern, was dem an Zartheit, diesem an Stärke abgeht, und im Reich der Liebe ist Zartheit mächtiger als Stärke. Die Schwachheit des Weibes

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_363.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)