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„Ça devient ignoble, allons!“ sagt Mme Lampois, und verlässt den Bal de la Brasserie européenne; ein gleiches thut der Künstler selbst.

Die Frage nach der Wichtigkeit einer so geschilderten Szene gehört nicht hierher. Die litterarische Arbeit Huysmans’ kann neben die Arbeit jedes genialen Radirers gelegt werden. Wir haben die getreue Zeichnung eines ganz speziellen Ortes und eines ganz speziellen Publikums vor uns. Es kommt hier nur auf die Zeichnung, nicht auf das Modell an. Das kann man jedoch nicht von allen anderen Skizzen sagen. Huysmans’ Types de Paris, sein Conducteur d’omnibus, sein Marchand de marrons, sein Coiffeur, sind mittelmässige Stücke ohne höheren Kunstwert. Hier und da ist ihm eine Landschaft aus der Umgebung von Paris besser geglückt; unter seinen Fantaisies et petits coins sind jedoch einzelne, die beim Lesen mehr Verwunderung als Bewunderung erwecken. So verraten seine Studien über Le gousset und L’étiage entschieden Mangel an gutem Geschmack. Was hat eine Beschreibung von des odeurs suspectes, (que) certains quartiers de Paris laborieux dégagent, lorsqu’on s’approche, l’été, d’un groupe, mit der Litteratur zu schaffen? Und welcher sonderbare Einfall brachte Huysmans zur Vergleichung der bustes de femme sans têtes et sans jambes, wie sie in manchen Läden zum Ausstellen von Kleidungsstücken gebraucht werden, mit Göttinnenbildern des Altertums? Der Vorteil dieser bustes ist, dass sie ce charme subsidiaire de la femme, la gorge, besser zur Anschauung bringen, als Marmorbilder. Der Verfasser scheint an einer augenblicklichen Umdüsterung der Sinne zu leiden, wenn er ausruft: Combien supérieurs aux mornes statues des Vénus, ces mannequins si vivants des couturiers!

Der 1881 erschienene Roman En Ménage bietet ein talentvoll zusammengesetztes Ensemble. Wir brauchen nicht zu wiederholen, dass die grossen Romanschreiber früherer Perioden — zumal Georges Sand — zu wiederholten Malen den Versuch gewagt haben, den Ehebruch zu idealisieren. Französische kirchliche und gesellschaftliche Zustände, einige romantische Kühnheiten, ein gewandtes Propagandamachen für die Wiedereinführung der Ehescheidung, das alles erklärte ehemals, obgleich es auch damals keine Entschuldigung dafür gab, diese fortwährenden Schläge auf ein und denselben Ambos, — den Ehebruch.

Huysmans betritt den entgegengesetzten Weg. Er materialisiert den Ehebruch und lässt den betrogenen Ehemann mit bewundernswerter Ruhe in einer Szene auftreten, die trotz des Scheines vollkommener Richtigkeit, doch die Unwahrscheinlichkeit selbst ist. Der Held des Romans, André Jayant, Litterat und Künstler, ein Mann mit sehr reizbaren Nerven, ist so höflich, den Dieb seines Eheglücks sehr ruhig zur Thüre hinaus zu führen, und ihm die Treppe hinunter zu leuchten. Darauf verlässt der Betrogene ebenfalls seine Wohnung und lebt nun wieder als Junggesell.

Dass eine solche Handlungsweise ebenso cynisch ist, wie der Ehebruch selbst, hat noch kein französischer Kritiker zu sagen gewagt. Eine solche philosophische Ruhe beweist eine unsittliche Gleichgiltigkeit, die niemand zur Ehre gereicht. Das in der französischen Nation so äusserst fein entwickelte Gefühl persönlicher Würde und persönlicher Ehre kann eine solche Darstellung nicht billigen.

Dass sich der Held nach der Trennung einsam fühlt, vergebens anderswo Trost sucht, und sich schliesslich mit seiner Frau wieder versöhnt, war nach einem solchen Anfang nicht anders zu erwarten. Und doch wäre es unbillig, nicht einzugestehen, dass Huysmans gerade

Empfohlene Zitierweise:
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_51.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)