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anhören, er sah geringschätzig auf diesen weiss angestrichenen Clown herab.

Inbezug auf die Prosa hatte des Esseintes ebenso wenig Wohlgefallen an der bilderreichen Sprache, den unnötigen Metaphern und den wirren Auseinandersetzungen des Cicero. Er war durchaus unzufrieden mit des Mannes geschraubten Sätzen, mit dem Überfluss seiner patriotischen Überschwenglichkeit, mit dem Bombast seiner Reden, mit der Schwerfälligkeit seines Stils, in dem er weder Mark noch Bein fand; mit der unerträglich langen Reihe ebenso langer Beiwörter am Anfang der Sätze; mit dem stets wiederkehrenden Formmotiv seiner gereckten Perioden, das eine Reihe verbindender Worte nur sehr gebrechlich unter sich in Verbindung bringt. Der durch seine Kürze bekannte Cäsar flösste ihm gerade um des Gegenteils willen keine grössere Begeisterung ein; seine Sparsamkeit im Ausdruck, seine Trockenheit verletzen ihn.

Mit einem Wort, weder die genannten, noch alle übrigen Schriftsteller, die die Wonne der sogenannten Gelehrten sind, waren nach seinem Geschmack. Sallust, der vielleicht weniger farblos war als die anderen, gefiel ihm nicht; ebenso wenig der sentimentale und feierliche Livius; der bleiche, aufgedunsene Seneca; der wässerige und kränkliche Sueton; auch nicht Tacitus, der in seiner Kürze kräftigste, schärfste, energischste von allen. Auch die Dichter liessen ihn kalt; so Juvenal trotz einzelner vortrefflicher Verse, und Persius trotz seiner mysteriösen Anspielungen. Tibull und Properz, Quintilian und die beiden Plinius, Statius und Martialis von Bilbilis schob er bei Seite, und konnte sich selbst nicht mit Terenz und Plautus einverstanden erklären, trotz des netten Jargons voll Archaismen bei dem letzteren. Die lateinische Litteratur wurde für Des Esseintes erst bedeutend mit Lucan.

Lucan, der gewöhnlich wegen des übertriebenen Pathos seiner Pharsalia willen nicht besonders hoch angeschrieben steht, gefiel ihm. Der Aufputz der Lucanischen Verse und das Schillernde seiner Epitheta füllten für ihn die Leere des Inhalte aus und liessen ihn die Gedankenarmut des Dichters übersehen; aber den meisten Vorzug gab er doch Petronius. Seine feine Beobachtungsgabe, seine gewissenhafte Analyse, seine wunderbar schönen Schilderungen, ganz ohne jede Parteilichkeit, des täglichen Lebens in Rom, liessen ihn immer wieder mit neuem Genuss das Satyricon zur Hand nehmen.

Des Esseintes sah in diesem realistischen Roman etwas, woran er ebensoviel fand, wie an den wenigen französischen Romanen, die ihm zusagten. Er fand hier wie dort Schilderungen nach dem Leben ohne jede weitere Nebenabsicht, und, wie sehr man dem auch widersprechen möge, auch ohne Satire. Er fand eine Geschichte ohne Handlung, die Schilderung von den Abenteuern einiger Galgenstricke, ohne eigentlichen Schluss und ohne Moral. Er fand vollkommene Neutralität des Schriftstellers, der niemals seine Meinung äussert, ob er nun die Thaten oder Ansichten seiner Personen gutheisst oder tadelt, der uns alle Verkehrtheiten einer verjährten Civilisation, eines sich auflösenden Staates vorführt.

Er betrauerte es tief, dass Eustion und Albutia, die beiden Werke des Petronius, von denen Planciades Fulgentius spricht, verloren gegangen sind.[1] Aber er tröstete sich als Liebhaber seltener Bücher

  1. Es ist vollkommen richtig, dass der afrikanische Grammatiker Fabius Planciades Fulgentius, in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts [56] nach Christi, über zwei verloren gegangene Werke des Petronius gesprochen hat. Aber schon Lipsius hegte, um manches Rätselhaften der Sache willen, Zweifel. Bernhardy, in seiner bekannten Geschichte der lateinischen Litteratur, will nichts von Petronius wissen; er hält das Satyricon für ein Volksbuch, ohne bekannten Verfasser. Mit Sicherheit lässt sich nicht darüber entscheiden. Man sehe den Aufsatz von A. Wellauer in Jahn’s Archiv, X. Band, 1844, S. 194—229.
Empfohlene Zitierweise:
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_55.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)