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Künstlernaturen, de Nerval, Baudelaire, Hoffmann und Poe verhältnismässig so früh ihrem Wirken entrissen worden; ausser Hoffmann gingen sie alle in der Umnachtung des Wahnsinns aus der Welt. Das Dämonische ist allen eigenstes Element. In ihrem Leben ist ein Zug, der an wandernde Zigeuner mahnt. Gérard de Nerval verschleuderte ein kleines Vermögen in Blumen seltener Art, die er alle Abende einer Künstlerin, Jenny Colon, darbrachte, in Opernguckern und Stöcken, wie wunderlich dies erscheinen möge. Mit diesen Stöcken brachte er ihr klopfend allabendlich seine Huldigung dar. Baudelaire lebte in beständiger Feindschaft mit seinem Stiefvater, dem Oberst Aupick, den er einst bei einem Diner zu erwürgen gestrebt hatte, so dass ihn dieser nach Mauritius sandte. Dort lernte er Englisch. Als er später die Erbschaft seiner Mutter durchgebracht hatte, ruinierte er seine Gesundheit durch steten Opiumgenuss. Hoffmann, der anfänglich in Posen und in Warschau ein ungeregeltes Leben führte, wurde später Kapellmeister eines kleinen Orchesters, und verlor nun vollends alles Mass in seinem Leben. Er schrieb um zu trinken, und trank um zu schreiben, sagt Eichendorff. Edgar Allan Poe, der Sohn armer unglücklicher Schauspieler, die bei ihrem frühen Tode ihn im tiefen Elend zurückliessen, wurde durch die Grossmut eines reichen Kaufmanns, John Allan, aus dem Staube emporgehoben und erzogen, aber auch durch masslose Zärtlichkeit verdorben. Seine Unmässigkeit und seine Spielsucht verschlossen ihm alle amerikanischen Universitäten, kein Mittel, ihn zu bessern, half; so verlor er endlich die Gunst seines Wohlthäters und zweiten Vaters und war genötigt, seinen Unterhalt mit litterarischer Arbeit zu verdienen. Er führte, was die Engländer a hand-to-mouth life nennen, bis er schliesslich in einem Hospital zu Baltimore im Wahnsinn starb.

Viele grosse Künstler sind früh gestorben; aber in dem Leben dieser vier liegt eine ganz besondere Tragik. Grosses Talent, aussergewöhnliche Begabung, vortreffliche geistige Schöpfungen, verlorene Illusionen, und zum Schluss der Tod in der Blüte des Lebens — das war ihr Los. Das Krankhafte und Singuläre ihrer Persönlichkeit in Verbindung mit der Flamme des Genies, die ihre Seele entzündete, erzeugte jenes eigentümliche Aroma, das Des Esseintes so gerne einatmete. Huysmans ist ruhiger als seine gegenwärtigen Vorbilder, Baudelaire und Poe. Das holländische Blut in ihm spricht oft noch recht vernehmlich, wenn auch die Pariser Erziehung, die er genossen, eine gewisse Unruhe und Verzagtheit hineingebracht hat, die ihn verhindert, mit echt holländischer Ruhe zu handeln und zu denken.

Er hat mit A Rebours seine künstlerische Charakteristik am klarsten dargelegt. Da wir noch viel von seiner Feder zu erwarten haben, steht uns noch kein Endurteil über ihn zu. En Rade, sein in der Revue indépendante erschienener Roman, ist bereits A Rebours gefolgt.


(Autorisierte Übersetzung von Lina Schneider - Köln.)

JAN TEN BRINK.
Empfohlene Zitierweise:
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_64.png&oldid=- (Version vom 1.4.2019)