Seite:Zum Gedächtnis des Herrn Johannes Deinzer 09.png

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und Leichenreden den Nachklang der früheren Zeit vernehmen. Mit den Jahren bildete sich seine eigene Persönlichkeit als Prediger heraus; seine Predigten textgemäß, aber nicht bibelstundenmäßig, pflegten einen Hauptgedanken deutlich herauszustellen und denselben nachdrücklich und kräftig zu erläutern; er predigte aus dem Leben heraus in der Schule von Pfr. Löhe war ihm das Auge dafür aufgethan worden und seine Beobachtungen verwertete er in seinen Predigten zum Nutzen der Hörer. Wenn er den Pharisäer oder Zöllner oder den ungerechten Haushalter zeichnete, so wurden Gestalten daraus, die da leibten und lebten. Aus langer pastoraler Thätigkeit kannte er genau die Anschauungsweise und Redeweise des Volkes. Auf beide ging er ein, gern verwendete er markante Bezeichnungen der Volkssprache, ohne daß er die Weihe des Tons verloren hätte, seine Rede war in edlem Sinn populär. Später kam seinen Predigten auch sein theologischer Unterricht an der Missionsanstalt zu statten und erfüllte sie mit wertvollem lehrhaftem Gehalt; denn darin gab er dem † Haupt der Missourisynode P. Walther recht, daß zur Erbauung die Lehre als ein Hauptmoment gehöre. Er behandelte die schwierigsten Materien in einer allgemein verständlichen Weise, so z. B. die Prädestinationslehre im Anschluß an das Buch des Lebens und an die Bücher des Gerichts in der Offenbarung. Die abstrakte Lehre von der heil. Dreieinigkeit wußte er bei einer Predigt über Röm. 11, 33 dadurch dem Herzen näher zu bringen, daß er nachwies, daß Gott nur als der Dreieinige der Gott unsers Heils sei; oder die Lehre von der Rechtfertigung, indem er an Gal. 3, 15 anschließend dieselbe als Annahme zu Kindern und Erben darstellte. Wenn es nötig war, scheute er sich auch nicht, in die Niederungen der Sünde und des Lasters herunterzusteigen. So gab er einmal eine zu ihrer Zeit höchst nötige Belehrung über die verschiedenen Stufen und Grade der Unzucht. – Bei all seinen öffentlichen Reden in der Gemeinde hatte er den Vorteil, daß er mit der Autorität eines Zeugen der großen Vergangenheit reden konnte. Manche von denen, welche die alte Zeit mit durchlebt hatten, erbaten es sich, daß er ihnen einmal die Leichenrede halte. Ein alter Schäfer, der bei einer Gefährdung der Stellung

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Zum Gedächtnis des Herrn Johannes Deinzer. C. H. Beck, Nördlingen 1897, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zum_Ged%C3%A4chtnis_des_Herrn_Johannes_Deinzer_09.png&oldid=- (Version vom 20.7.2016)