Seite Diskussion:Die Gartenlaube (1883) 651.jpg

Seiteninhalte werden in anderen Sprachen nicht unterstützt.
aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Hohen Rätien

https://www.hohenraetien.ch

Ein Heldenlied
Da, wo der junge Rhein erzürnt und wild
Der finstern Viamalaschlucht entschiesset
Und abwärts durchs Domleschger Talgefild
In tausend Wirbeln seine Wasser giesset;

Im Schloss, das weithin in die Schlucht hinein
Den Weg nach Welschland räuberisch kann belauern,
Der letzte Zwingherr Bündens steht allein,
Geharnischt auf der Zinne seiner Mauern.

Der Bauernaufruhr schwoll zum Schloss empor,
Im Blute liegen, die es sollten schirmen,
Empörung klopft mit starker Faust ans Tor
Und rüttelt an den Mauern, an den Türmen.

Des Ritters Aug' von Berg zu Berge schweift,
Ob irgendwo noch Rettung zu erpochen;
Doch alle Burgen ringsum sind geschleift
Und alle Warten, alle Türm' gebrochen!

Mit hohlen Augen, wie aus off'nem Grab,
Grinst ihn der Tod an aus des Tales Schlunde,
Gebrochen ist des Adels Herrscherstab -
Er fühlt es tief und spricht mit stolzem Munde:

«Zum mächt'gen Riesen wuchs heran der Zwerg,
Die Ritter können ihn nicht mehr besiegen,
Die Landesherrlichkeit ist von dem Berg
Hinab zum Bauern in das Tal gestiegen.

Der Letzte bin ich und zum Tod bereit;
Allein der Feind soll meinen Leib nicht haben,
Mit ihm will ich die alte Ritterzelt,
Hinunterspringend in den Rhein, begraben!»

So sprechend, stürzt im Harnisch er beherzt
Hinunter in die Tiefe vom Castelle,
Und über seinen Leichnam spielt und scherzt
Aufschäumend im Triumpf des Stromes Welle.

Aus: Fiedrich Nessler (1806 - 1878)