Weltereignisse / Weltlage 1878 (Volksblatt)
Nr. 1. vom 6. Januar 1878.
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Weltereignisse: Der russisch-türkische Krieg nahm im November und Dezember eine für die Russen sehr günstige Wendung. Dieselben stürmten in der Nacht vom 17. auf den 18. November und an dem darauffolgenden Morgen die türkische Festung Kars, machten dabei etwa 17000 Gefangene, eroberten 300 Geschütze und kamen in den Besitz vieler Vorräthe. Das Bild von Kars, welches die folgende Seite zeigt, läßt uns ahnen, wie tapfer sie hatten sein müssen, um dieses nicht nur durch seine Lage starke, sondern auch mit den neuesten Mitteln der Vertheidigungskunst ausgerüstete Bollwerk in ihre Gewalt zu bekommen. [4]
[3] Ströme russischen und türkischen Bluts wurden um den Besitz von Plewna in Bulgarien vergossen. Im Juli hatte Osman Pascha, ein im Jahre 1832 in Kleinasien als Sohn armer Eltern geborener General, in der Nähe dieses Städtchens den Russen schwere Niederlagen beigebracht. Er erhielt den Ehrennamen „Der Siegreiche.“ Die Russen und Rumänen zogen jedoch Verstärkungen an sich und umschlossen ihn und sein Heer immer enger und enger. Am 10. Dezember machte er eine letzte Anstrengung, die feindlichen Linien zu durchbrechen; dieselbe mißlang. Er mußte sich mit seiner ganzen Mannschaft ergeben, wenn er nicht Hungers mit ihr sterben wollte. Wie tapfer da gestritten wurde, sagt eine amtliche russische Siegesnachricht mit den Worten: „Die Türken kämpften wie Löwen, fanden aber eben solchen Widerstand.“ Die Russen und Rumänen können nun ihre vor Plewna so lange festgehaltenen Truppen anderwärts verwenden.
Ungeheuer groß sind schon jetzt die beiderseitigen Verluste, die Russen allein büßten bis zum 6. Dezember etwa 75000 Mann ein. Leider ist für die Verwundeten nicht genügend gesorgt. Wenn auch von da und dort Aerzte, Pfleger und Pflegerinnen herbeieilen, so sind ihrer doch im Hinblick auf die Tausende, welche der Wartung bedürfen, viel zu wenige. Auch deutsche (sächsische) geübte Pflegerinnen sind in Konstantinopel eingetroffen und haben dort freundliche Aufnahme gefunden. Ein türkischer Würdenträger verglich sie mit Tauben des Friedens.
In Frankreich hat Mac Mahon nach langem Sträuben seine Einwilligung zur Bildung eines republikanischen Ministeriums gegeben. Vermag dasselbe dem Lande die so wünschenswerthe Ruhe zu verschaffen, so werden sich darob besonders alle diejenigen freuen, welche die diesjährige Pariser Weltausstellung beschicken oder von derselben Gewinn ziehen wollen.
Im Deutschen Reiche tagten in der letzten Zeit mehrere Volksvertretungen. Zum ersten Mal hatte der Landesausschuß von Elsaß-Lothringen, dessen Sitzungen am 8. Dezember 1877 eröffnet wurden, nicht mehr blos wie früher berathende Stimme, sondern das Recht, sich an der Gesetzgebung zu betheiligen. Es war dies „ein huldvolles Zeichen des landesväterlichen Wohlgefallens an der fortschreitenden politischen Entwicklung Elsaß-Lothringens.“
Nr. 2. vom 13. Januar 1878.
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Weltereignisse. Von dem Elende, welches in Plewna nach der Kapitulation des türkischen Heeres herrschte, gibt der Berichterstatter einer engl. Zeitung folgende erschütternde Schilderung:
„Seit den schrecklichen Pestilenzen vergangener Jahrhunderte war eine solche Fülle unbeschreiblicher Greuel u. fürchterlicher Leiden nicht auf einem so kleinen Erdenfleck zusammengedrängt. Menschliche Wesen liegen gleich dem Vieh auf der Straße; Leichname füllen die Häuser, Hunderte von Jammergestalten strecken mit Aufgebot ihrer letzten Kraft die Hand nach einem Stückchen Brod oder einem Tropfen Wasser aus, und keine Hülfe ist nahe, um diese Leiden zu mildern und die Aermsten von einem qualvollen Tode zu erretten.
„Als die Türken ihren Ausfall machten, blieben die Kranken und Verwundeten, mehrere Tausend an der Zahl, ohne Wartung zurück. Die wenigen Krankenpfleger, die überhaupt vorhanden gewesen waren, schlossen sich dem Heere an, um mit diesem wo möglich zu entkommen. Der Tag der Schlacht und die darauf folgende Nacht vergingen. Um die armen in Plewna liegenden Dulder bekümmerte sich Niemand, sie blieben ohne Speise und Trank, ihre Wunden ohne Pflege. Am nächsten Morgen rückten die Russen in die Stadt und feierten die Ankunft des Kaisers und seines Gefolges. Ihnen mag die Festfreude kurz erschienen sein. Nicht so den hilflosen Kranken und Verwundeten, welche vergebens ihre abgemagerten Hände gen Himmel streckten und um ein Stückchen Brod, einen Tropfen Wasser flehten. Weder Freund noch Feind kam, um ihre Leiden zu mildern oder ihnen das Wenige zu reichen, dessen sie bedurften, um einem schrecklichen Tode zu entgehen. Sie starben zu Hunderten, und ehe der Morgen des dritten Tages heranbrach, machten die Todten den Lebenden in jenen schmutzigen verpesteten Häusern den Raum streitig.
„Am Morgen des genannten Tages erst fanden die Russen Zeit und Gelegenheit, sich um jene armen Geschöpfe zu kümmern. Zunächst schieden sie die Todten von den Lebenden, dann sorgten sie für die letzteren. Moscheen, alle größeren u. auch viele kleineren Wohnhäuser hatten zur Unterbringung der Kranken u. Verwundeten gedient. All diese Gebäude waren überfüllt.
„Der erste Raum, den ich in einem dieser Sterbehäuser betrat, enthielt etwas über 90 Türken. Davon waren 37 schon gestorben u. viele andere dem Tode nahe. Angstvolles Stöhnen entquoll den fast erstarrten Lippen. Dazwischen tönten herzzereißende Rufe nach Wasser, und hier und da bat einer durch Zeichen um Nahrung. Ein Paar von den Armen, die sich noch einige Kraft bewahrt hatten, richteten sich auf und hefteten ihre tiefgesunkenen Augen mit solch flehentlichem Blick auf die, welche gekommen waren, sie von der Gesellschaft ihrer todten Gefährten zu befreien, daß auch das härteste Herz vor Mitleid erweicht worden wäre. Nur spärliches Licht drang durch eine hoch oben angebrachte Scheibe auf die Menge wild durcheinanderliegender, theils starrer, theils seltsam bewegter menschlicher Formen. Die Luft war mit Fäulniß gesättigt, so daß selbst kräftige Männer, die sich hinwagten, von Uebelkeit und Ohnmacht befallen wurden. Aehnlich sieht es in noch fünfzig anderen Häusern und in den Hallen der Moscheen aus.
„Es kann weiter nichts geschehen, als die Todten hinauszuschleppen, Licht und Luft hereinzulassen und Wasser und Nahrung den Ueberlebenden in der Hoffnung zu reichen, daß einige von ihnen gerettet werden können. Nur gering aber ist die Zahl der Leute, welche mit dieser schrecklichen Aufgabe betraut sind, und wie unzureichend ihre Hilfsmittel! Nur drei offene Ochsenkarren sind verfügbar, um die Todten wegzufahren, und nur fünfzig Soldaten damit beschäftigt, die Leichname aufzuladen und draußen in lange Gräben einzuscharren. So rasch wie möglich wurde Brod und Wasser vertheilt, um das die abgemagerten Jammergestalten untereinander mit ihrem letzten Lebensathem kämpften. Nur zu oft war es wirklich ihr letzter; denn der [14] Anstrengung, einen Bissen hinabzuwürgen, waren sie nicht mehr gewachsen und stürzten zusammen, während ihre noch lebenden Nachbarn zur Rechten und zur Linken dem Sterbenden den übriggelassenen Bissen aus der erstarrenden Hand rissen, um vielleicht selber zusammenzubrechen, ehe sie ihn noch hatten hinabwürgen können.
„Die drei offenen Ochsenkarren sind noch, während ich schreibe, mit der Wegschaffung der Todten beschäftigt. Die Reinigung der Spitäler indeß bewerkstelligte sich schnell, und nach den ersten beiden Tagen wurden die Bulgaren gezwungen, die Soldaten in der Arbeit des Wegschaffens und Begrabens der Leichen abzulösen. Mit welcher Rohheit sie die verhaßte Arbeit thun, ist schrecklich zu schauen. Die Gespräche, die sie bei dieser Arbeit führen, sind wo möglich noch abscheulicher, – gleichviel, ob einer der Leiber noch warm sei und der Herzschlag in ihm sich noch fühlen lasse.
„Jetzt erst wird die Krankenpflege rasch geordnet. Die wenigen dazu befehligten russischen und die zurückgebliebenen türkischen Wundärzte thun das Ihrige, aber vierfach genommen wären sie kaum hinreichend, um die vorhandene Anzahl von Kranken gehörig zu pflegen. In einigen der Hospitäler sieht es jetzt schon behaglicher aus. Die Moscheen dagegen sind noch immer finster, überfüllt und verpestet. Mitten darin thun wenige russische barmherzige Schwestern in stiller Geschäftigkeit ihr Liebeswerk von Morgen bis Abend. Mit diesen Strichen zeichnete ich blos einen schwachen Umriß der vielen traurigen Auftritte, die ich mit angesehen.
„Aber die Schrecknisse von Plewna beschränken sich nicht auf das Weichbild der Stadt. Kaum minder gräßlich sieht es draußen auf der Ebene am Widflusse aus, wo 15 bis 20.000 Gefangene halberfroren und halbverhungert um elende Brodrationen untereinander kämpfen, wo Hunderte von Todten noch unbegraben liegen.“
Kurz nach Plewna’s Falle erklärten auch die Serben den Türken auf’s Neue den Krieg. Bereits am 1. Juli 1876 hatten sie den Kampf gegen dieselben aufgenommen, mußten aber nach schweren Niederlagen im Februar 1877 Frieden schließen und froh sein, daß sie in Folge russischer Fürsprache glimpflich dabei wegkamen. Als dann die Russen und Rumänen gegen ihren Erbfeind zu Felde zogen, blieben sie so lange ruhig, als es noch unsicher war, wem der Sieg mit größerer Wahrscheinlichkeit zufallen werde. Nach Plewna’s Fall hielt ihr Fürst Milan die Zeit für gekommen, auf’s Neue loszuschlagen. Er suchte diesen Friedensbruch in einer längeren Proklamation zu rechtfertigen, worin er unter Anderm sagte: „Seitdem Serbien Frieden mit der Pforte geschlossen hatte, bereicherte die türkische Race ihre Geschichte mit neuen und unerhörten Greueln, Einkerkerungen und Verwüstungen. Heutigen Tages leiden unter allen Bewohnern des türkischen Reiches gerade diejenigen Brüder, welche den serbischen Namen tragen, am meisten von der Rache der erbitterten und fanatischen Muselmänner, welche vorwiegend gegen unsere unterjochten Brüder wüthen, die im vorigjährigen Kriege Schutz in Serbien fanden. Wir, die Kämpen der Freiheit, sind nicht verpflichtet, länger müßige Zuschauer dieser Unthaten zu bleiben, die offenbar den Zweck verfolgen, die serbische Race zu vernichten. Wir dürfen nicht länger ohne Erniedrigung unthätig zusehen. Die Nachwelt, unsere Brüder, die den Opfertod litten, die gefallenen Helden vom verflossenen Jahre, sie würden uns schmähen, wenn wir gleichgültig blieben, während an unseren Grenzen das Blut fließt im Kampf gegen einen Feind, der unser friedliches und fruchtbares Land ohne Herausforderung verwüstet hat. Laßt uns vorwärts gehen an der Seite des siegreichen Banners des Zaren, des Befreiers, mit christlichem Vertrauen in Gottes Allmacht, des Schützers dessen, was Recht ist, und der Erfolg ist uns gewiß im Namen des Befreiers unserer unterdrückten Brüder, der Wohlfahrt unseres Landes und der Unabhängigkeit Serbiens und seines heldenmüthigen Volkes. Das ist Gottes Wille.“
Es ist nicht zu verwundern, daß die Serben dies Mal schon jetzt günstigere Erfolge auszuweisen haben als in ihrem letzten Feldzuge; werden doch die Türken nunmehr von Russen, Rumänen, Montenegrinern und ihnen bedrängt.
Eine besonders schwierige Aufgabe für größere Heeresmassen ist die Ueberschreitung des Balkan-Gebirges. Schon zwei Wege haben sich die Russen über dasselbe gebahnt. Im Juli 1877 setzten sie sich in den Besitz des Schipkapasses, welcher über den mittleren Balkan führt und nach dem darin liegenden bulgarischen Dorfe Schipka benannt wird. Seine stärksten Befestigungen liegen auf steilabfallenden Klippen, welche man oft nur kriechend erklettern kann. Türken und Russen haben hier mit einer Tapferkeit gekämpft, welche ihnen beiden zur höchsten Ehre gereicht. Sie lagern zum Theil auf Klippen, auf denen bisher fast nur Vögel nisteten, und wohinauf es kaum möglich schien, Geschütze zu schaffen.
Unter den türkischen Offizieren zeichnete sich hier in hohem Grade Liman Pascha aus. Derselbe war von Geburt ein Deutscher und hieß Lehmann. Er wurde am 10. Oktober 1821 in Torgau geboren, trat in das preußische Heer ein, verließ dasselbe während des Krimkrieges und nahm türkische Dienste. Beim Ausbruch des noch dauernden Krieges riß er sich von den Seinigen, die er zärtlich liebte, los. Als ihn dieselben baten, er möchte sich doch schonen und sich nicht tollkühn der Gefahr aussetzen, erwiderte er: „Sprecht mir nicht von Schonung; ich muß mich so benehmen, daß sich meine Söhne dereinst ihres Vaters nicht zu schämen haben.“ Er eilte zur Balkan-Armee, erhielt hier das Oberkommando über die Artillerie und machte den Russen bei Schipka viel zu schaffen. Mit seinen Soldaten theilte er die Entbehrungen und Strapazen und war bei denselben sehr beliebt. Sein türkischer Adjutant sagte von ihm: „Der General hat Theilnahme für alle kleinen Leiden und Schwächen seiner Leute. Nur etwas kann ihn ernstlich böse machen, nämlich, wenn ein Kanonenschuß nicht trifft.“ Am 11. November vorigen Jahres starb er den Heldentod. – Es ist erfreulich, wenn neben den Schrecken des Krieges auch erhebende Züge berichtet werden, welche uns edle Seiten des menschlichen Herzens zeigen. Gerne fügen wir darum noch folgende kleine Erzählung bei: „Ein schwerverwundeter alter Tscherkessenhäuptling kam auf den Gedanken, von Schipka nach Konstantinopel zurückzukehren, um hier zu sterben. Fünf Leute seines Stammes begleiteten ihn, gleich ihm zu Pferde, indem sie den oft Ermüdeten unterstützten. Sie fanden die Eisenbahn durch die letzten Wolkenbrüche an vielen Stellen unfahrbar und brauchten zu Pferde gerade sechszehn Tage, um unter furchtbaren Entbehrungen an’s Marmarameer zu gelangen. Dort ließen sie ihre Pferde und bestiegen mit dem Alten das Dampfschiff, das nach Konstantinopel geht. Während der Fahrt wurde er schwächer und schwächer, und als das Schiff in den Hafen dampfte, fühlte er sein Ende rasch herannahen. Da legten seine fünf Gefährten die Hände kreuzweis zusammen, um eine Tragbahre zu bilden und hoben den Körper ihres Häuptlings hoch empor, daß das brechende Auge noch einmal den herrlichen Anblick der aufstrebenden Minarete (schlanke Thürme, von deren Zinnen herab die Türken zum Gebete aufgerufen zu werden pflegen) und Moscheen genoß; dann schloß es sich für immer, als gerade das Schiff an der Brücke anlegte. Die Mitfahrenden konnten sich des mächtigen Eindrucks, den dieser Auftritt auf sie machte, nicht erwehren.“ [15]
Westlich von Schipka hat eine russische Heeresabtheilung „nach achttägigem Kampfe mit Frost, Schnee, Sturm und dem bergigen Terrain“ – wie es in einem amtlichen russischen Drahtberichte heißt – unter Führung des Generals Gurko den Balkan überschritten, ist in die Ebene hinabgestiegen und hat die Stadt Sofia besetzt.
Diese großen Erfolge der russischen Waffen sind besonders dem in Ungarn herrschenden Volke, den Magyaren, und einem großen Theile der Engländer höchst unerwünscht – den Magyaren wegen der Stammesfeindschaft, welche sie gegen die Russen hegen, den Engländern, weil sich dieselben in ihrem Einflusse in Asien und in ihrem Handel bedroht glauben. Auch Angehörige anderer Völker sehen in einer allzugroßen Erstarkung Rußlands eine hohe Gefahr für die friedliche Entwickelung Europa’s. Dies Riesenreich ist von europäischer Bildung und Gesittung noch nicht so durchdrungen, daß man getrost hoffen könnte, es werde der großen Aufgabe genügen, den Christen im türkischen Reiche die Güter zu übermitteln, welche als Errungenschaften der neuesten Zeit gepriesen werden, nämlich jedem Einzelnen so viel Freiheit zu verschaffen, daß er alle seine Kräfte zum eigenen Nutzen und zum Besten des Volkes, dem er angehört, zu entwickeln vermöge. In launiger Weise gab eine Wiener Zeitung jener Befürchtung Ausdruck; sie schrieb:
Plewna ist in Russenhand
Pfirt (Behüt’) di Gott, du Türkenland;
Pfirt di Gott, du Heldengeist,
Den man Osman Pascha heißt;
Völker, ziehet ein das Gnack, (Genick, Nacken);
’s kommt der Kosak!
Einstweilen werden die Russen selbst im günstigsten Falle noch lange an den Wunden zu heilen haben, welche ihnen dieser Krieg schlug, und überdies ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
König Victor Emanuel von Italien (geb. den 14. März 1820) starb am 9. Januar. Näheres über ihn später.
Nr. 3. vom 20. Januar 1878.
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Weltereignisse. Der Schipka-Paß, um dessen Besitz so lange und so tapfer gekämpft wurde, ist ganz in die Gewalt der Russen gekommen. Die letzten Wochen hatten für die dort lagernden Truppen große Beschwerden gebracht. Ein Zeitungs-Berichterstatter schreibt darüber:
„Der Schneesturm hat dort so fürchterlich gewüthet, daß sich kein menschliches Wesen in freier Luft aufhalten konnte. Die Vorposten wurden auf beiden Seiten zurückgezogen und in eigens dazu gebauten Schilderhäuschen unter Dach gestellt. Aber auch diese erwiesen sich als ungenügend, da der Luftstrom so stark war, daß er mehrere solcher, aus starken Baumstämmen gebauten Hütten wegriß und die darin befindlichen Soldaten nur mit Mühe dem Tode entgingen. Zwei Tage hindurch konnte man wegen der Schneewehen nicht fünfzig Schritte weit eine menschliche Gestalt erkennen. Die äußerst fest gebauten Baracken im russischen Lager erzitterten in ihren mehrere Fuß tiefen Fundamenten, die Verbindung mit Grabowo wurde unterbrochen, man war von aller Welt abgeschnitten und inmitten der entfesselten Elemente, auf einer Höhe von mehreren tausend Fuß, auf sich allein angewiesen. Offiziere, welche in Sibirien und im nördlichen Rußland den Winter zugebracht hatten, konnten sich nicht eines solchen grausigen Winterschauspiels erinnern. Sogar Feuer half nicht erwärmen, da der Wind durch die Wände drang und den Rauch durch die höchst einfachen Schornsteine in das Innere der Baracken zurückblies, so daß es unmöglich wurde, eine nur nothdürftige Wärme zu erhalten. Große Schneewirbel durchkreuzten das Thal, welches den eigentlichen Schipkapaß bildet. Pferde, Ochsen und allerlei Lastthiere retteten sich instinktmäßig ins Lager und wurden oft von den Menschen unter dasselbe Obdach gebracht. Glücklich diejenigen, welche, mit einigen Thieren beisammen, durch die animalischen Ausdünstungen einen gewissen Grad von Wärme genießen konnten. Dazu gesellte sich noch fortwährende Unruhe wegen der Befürchtung, daß die Türken diese Lage benutzen würden, um die Stellungen anzugreifen, da es auf dem südlichen Abhange des Passes trotz der herrschenden Kälte doch noch möglich war, eine Ueberrumpelung auszuführen. Mitten im größten Sturme schossen die türkischen Batterien zeitweilig auf die russischen Stellungen, freilich nur auf’s Gerathewohl. Nach drei Tagen heiterte sich endlich das Wetter auf und bei einer eisigen Kälte trat die Sonne hervor, deren Strahlen sich tausendfach auf den Schneefeldern und an den an Wäldern, Felsen und Abgründen herabhängenden Eiszapfen brachen. Alles eilte aus den unter dem Schnee fast [22] erdrückten Baracken hervor und bewunderte das zauberhaft wirkende Schauspiel. Sogleich wurde mit Anwendung aller Kräfte an der Wiederherstellung der Verbindungen und der Vorpostenlinie gearbeitet.“
Die Ausdauer der Russen wurde mit dem Siege gekrönt. Am 9. Januar nahm General Radetzky nach hartnäckigem Kampfe die ganze türkische Schipka-Armee, bestehend aus 41 Bataillonen, 10 Batterien und einem Kavallerieregiment, unter Ressel Pascha gefangen.
Die Serben zwangen die Besatzung der Festung Nisch zur Kapitulation und rückten am 11. Januar daselbst ein.
Auch die Montenegriner errangen einen bedeutenden Erfolg, indem sich ihnen die Festung Antivari am 10. Januar bedingungslos ergab.
Es ist nicht zu verwundern, daß die Türken nach so schweren Verlusten einen Waffenstillstand und Frieden zu schließen suchen.
Nach einer Mittheilung aus St. Petersburg vom 6. Januar betrug bis dahin der russische Gesammtverlust 81.800 Mann (darunter 8 todte und 11 verwundete Generale), die Zahl der kranken und leichtverwundeten Soldaten 27.000 Mann; die Türken sollen 120.000 Gefangene verloren haben, und auf den verschiedenen Gefechtsfeldern in Europa und Asien sollen durch die russischen Truppen 96.000 todte Türken begraben worden sein.
Nach dem Tode des Königs Victor Emanuel von Italien bestieg dessen Sohn Humbert (geboren den 14. März 1844) als König Humbert I. den Thron. Er erließ folgende Proklamation an das italienische Volk:
„Das größte Unglück hat uns plötzlich getroffen: König Victor Emanuel, der Gründer des Königreichs Italien und seiner Einheit, ist uns entrissen worden. Ich war Zeuge seines letzten Athemzuges, der der Nation galt, seiner letzten Wünsche für das Glück des Volkes und seiner letzten Worte, die in meinem Herzen stets wiederhallen werden. Es fällt mir schwer, den Schmerz zu bekämpfen, was durch meine Pflicht geboten ist. In diesem Augenblicke ist nur ein einziger Trost möglich: uns seiner würdig zu zeigen; ich, indem ich in seine Fußstapfen trete; Ihr, indem Ihr in den Bürgertugenden verharrt, mit deren Hilfe er das schwierige Unternehmen zu vollbringen vermochte, Italien groß und einig zu machen. Ich werde seinen großen Beispielen der Anhänglichkeit an das Vaterland, der Liebe zum Fortschritte und der Treue zu den freien Institutionen (Einrichtungen), die der Stolz meines Hauses sind, folgen. Mein einziger Ehrgeiz wird sein, die Liebe meines Volkes zu verdienen. Italiener! Euer erster König ist todt! Sein Nachfolger wird Euch beweisen, daß die Institutionen nicht sterben. Stehen wir einig zusammen und befestigen wir in dieser Stunde des großen Schmerzes jene Eintracht, die stets das Heil Italiens war!“
Nr. 4. vom 27. Januar 1878.
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Weltereignisse. Die Russen besetzten am 20. Januar Adrianopel, die zweite Hauptstadt des türkischen Reichs. Sehr viele Türken fliehen nach Konstantinopel; die unter ihnen herrschende Noth soll ganz entsetzlich sein; Tausende derselben liegen hilflos im Schnee.
In Griechenland gährt es besonders unter der an der türkischen Grenze wohnenden Bevölkerung gewaltig. Die Griechen möchten die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, aus der Niederlage ihrer einstigen Gebieter auch für sich möglichst vielen Nutzen zu ziehen.
In Madrid wurde am 23. Januar die Trauung des Königs Alfonso XII. mit der Infantin Maria de las Mercedes vollzogen; wir gedenken in einer späteren Nummer darauf zurückzukommen und die Bildnisse der Neuvermählten zu bringen.
Nr. 5. vom 3. Februar 1878.
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Zur Weltlage: Zwischen der Türkei und Rußland sind Friedensverhandlungen eingeleitet, aus deren Ausgang man allerwärts mit gespannter Erwartung hinblickt.
Am 6. Januar wurden in ganz Frankreich (mit Ausnahme von Paris) Gemeinderäthe gewählt. Es waren ihrer 428.458 in 35.998 Gemeinden zu wählen.
Nr. 6. vom 10. Februar 1878.
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Zur Weltlage. Bis in die letzten Tage des Januar dauerte der Siegesmarsch der Russen fort. Nur noch 45 Kilometer standen die Spitzen derselben von Konstantinopel entfernt, als am 31. Januar der Waffenstillstand in Adrianopel beschlossen wurde. Es ist leicht erklärlich, daß die russischen Truppen die Kunde davon ohne ein Zeichen begeisterter Zustimmung aufnahmen. Wer aber an die entsetzlichen Leiden denkt, welche die Türken in den letzten Wochen durchmachen mußten, wird eine herzliche Freude über die Einstellung der Feindseligkeiten haben und wünschen, daß ein dauerhafter Friede nachfolge. Kaiser Alexander von Rußland sagte in einer Ansprache an Offiziere: „Ich beglückwünsche die Herren zu dem Waffenstillstande, dessen Bedingungen so befriedigend sind. Wir verdanken ihn unsern braven Truppen, welche bewiesen haben, daß ihnen nichts unmöglich ist. Aber es ist doch noch nicht das Ende. Wir müssen uns in Bereitschaft halten, bis wir einen dauerhaften und Rußlands würdigen Frieden erreicht haben, wozu uns Gott helfen möge.“ Vertreter der größten Mächte Europas sollen nun zu einer Conferenz zusammenkommen und die noch schwebenden Fragen regeln.
Griechenland ließ eine Truppenabtheilung über die Grenze in die Türkei marschiren „um die Ruhe aufrecht zu halten und dem Niedermetzeln der Christen vorzubeugen.“
Der deutsche Reichstag wurde am 6. Februar in Berlin eröffnet. Der bei dieser Feierlichkeit von Staatsminister Camphausen verlesenen Rede entnehmen wir folgende Stelle:
- „Bei der Eröffnung des vorjährigen Reichstags war die Erwartung noch nicht ausgeschlossen, daß die türkische Regierung aus eigener Entschließung zur Ausführung der Reformen schreiten werde, über welche die europäischen Mächte sich auf der Conferenz in Konstantinopel geeinigt hatten. Diese Erwartung ist nicht in Erfüllung gegangen: Seine Majestät der Kaiser hofft jedoch, daß nunmehr ein baldiger Friede die Grundsätze jener Conferenz zur Anwendung bringen und dauernd sicher stellen werde. Die verhältnißmäßig geringere Betheiligung der Interessen Deutschlands im Orient gestattet für die Politik des Reiches eine uneigennützige Mitwirkung an der Verständigung der betheiligten Mächte über künftige Garantien gegen die Wiederkehr der Wirren im Orient und zu Gunsten der christlichen Bevölkerung. Inzwischen hat die von Seiner Majestät dem Kaiser vorgezeichnete Politik ihr Ziel bereits insoweit erreichen können, als sie wesentlich dazu mitgewirkt hat, daß der Friede zwischen den europäischen Mächten erhalten worden ist und zu ihnen allen Deutschlands Beziehungen nicht nur friedliche, sondern durchaus freundschaftliche geblieben sind und mit Gottes Hilfe bleiben werden.“
Papst Pius IX. starb am 7. Februar. Näheres folgt.
Nr. 7. vom 17. Februar 1878.
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Zur Weltlage. – Die an und für sich schon verwickelten Verhältnisse in der Türkei werden dadurch noch schwieriger, daß mehrere Mächte bei deren Regelung mitzusprechen haben. Die englische Regierung trifft große Vorbereitungen, um ihrem Worte bei den Verhandlungen das nöthige Gewicht zu geben und für alle Fälle gerüstet zu sein. Griechenland steckte sein Schwert wieder in die Scheide, da es von türkischen Truppen zu Wasser und zu Land bedroht wurde und da es hofft, daß seine Beschwerden auf der zusammentretenden Conferenz gleichwohl berücksichtigt werden.
Nr. 8. vom 24. Februar 1878.
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Fürst Bismarck wurde am 19. Februar im Deutschen Reichstage über die politische Lage im Oriente und über die hierbei von der Regierung des Deutschen Reichs eingenommene und einzunehmende Haltung befragt. Er betonte in seiner Antwort, daß diese Angelegenheit das deutsche Interesse nicht in dem Maße berühre, daß wir darüber die Beziehungen zu unsern Grenznachbarn, zu unsern Freunden, auf’s Spiel setzen und uns etwa gar in einen Krieg stürzen könnten. „Für keinen andern Zweck,“ sagte er, „als für den Schutz unserer Unabhängigkeit nach außen, unserer Einigkeit unter uns und diejenigen Interessen, die so klar sind, daß, wenn wir für sie eintreten, nicht bloß das einstimmige nothwendige Votum (die Stimme) des Bundesraths, sondern auch die volle Ueberzeugung, die volle Begeisterung der deutschen Nation uns trägt – nur einen solchen Krieg bin ich bereit, dem Kaiser anzurathen.-
Unter herzlicher Theilnahme des Volkes fand am 18. Februar die Vermählung des Erbprinzen von Sachsen-Meiningen mit Prinzessin Charlotte, der ältesten Tochter des deutschen Kronprinzen, und des Erbgroßherzogs von Oldenburg mit Elisabeth, der zweiten Tochter des Prinzen Friedrich Karl, in Berlin statt. Nähere Mittheilungen darüber gedenken wir später zu geben.
Das internationale Comité zur Hilfeleistung für die nach Konstantinopel Geflüchteten hat folgenden Aufruf erlassen:
- „Das Elend unter den nach Konstantinopel Geflüchteten ist entsetzlich. Mehr als 80.000 Einwohner der verschiedenen Provinzen des Reiches jeden Glaubens und Stammes sind in den letzten 10 Tagen in der Hauptstadt angelangt, und jeder Tag bringt deren weitere Tausend. Die Mehrzahl derselben ist ohne Obdach und bei dem harten Winter ungenügend bekleidet, alle leiden Hunger. Diese Unglücklichen füllen die Moscheen, Kirchen, Schulen, Kasernen und Karavanserais. Der Sultan hat ihnen mehrere seiner Paläste überlassen. Die Reichen haben sie in ihre Häuser aufgenommen, aber an Nahrungsmitteln fehlt es fast gänzlich. Die Berichte aus Burgas Aidos, Rodosto und Tschorlou lauten herzzerreißend. So befinden sich in Tschorlou mehr als 8000 Flüchtlinge, größtentheils Frauen und Kinder. Ein Augenzeuge, der zwei Tage dort zugebracht hat, berichtet, daß während dieser Zeit mehr denn 200 vor Hunger und Kälte gestorben sind. Auf dem Hertransport sind zahlreiche Frauen und Kinder in den Eisenbahnzügen umgekommen; die Leichen sind durch die Fenster in den Schnee geworfen worden. Die Lage derer, die hier angekommen sind, ist keine bessere. Die der öffentlichen und privaten Wohlthätigkeit hierselbst zu Gebote stehenden Hilfsmittel sind sofort, nachdem sie bereit gestellt, erschöpft. Sie sind völlig unzureichend, um dies namenlose Elend, das sofortige Hilfe erheischt, zu lindern. Ein internationales Comité zur Hilfeleistung für die nach Konstantinopel Geflüchteten, bestehend aus den Konsuln der hier vertretenen Mächte, den Vertretern der fremden Gemeinden, den angesehensten Banquiers und Kaufleuten und den Zeitungskorrespondenten ist hierselbst in Wirksamkeit getreten. Ein Ausschuß ist gewählt, um in Europa und Amerika einen energischen und dringenden Aufruf an die Mildthätigkeit zu richten. Man gibt sich der lebhaften Hoffnung hin, daß er sofort erhört werden wird; denn es ist selten, sich einem so ungeheuren Elend und so geringen Hilfsmitteln gegenüber zu befinden. Das internationale Comité hat einzig und allein die Aufgabe, die Geflüchteten, ohne Unterschied des Stammes und der Religion, zu unterstützen.
- Konstantinopel, den 25. Januar 1878. Gillet, deutscher Konsul, von Haas, Direktor der osmanischen Bank, Kühlmann, Direktor der rumelischen Bahnen, Dr. Weiß, osmanischer Bergrath."
- Indem wir den vorstehenden Aufruf des internationalen Comités zur Hilfeleistung für die nach Konstantinopel Geflüchteten veröffentlichen, fordern wir sämmtliche deutsche Zeitungen im Namen der Menschlichkeit auf, demselben die größtmöglichste Verbreitung zu gewähren. Beiträge werden von Hrn. F. Martin Magnus in Berlin und von allen Korrespondenten der Kaiserlichen osmanischen Bank angenommen.
Nr. 9. vom 3. März 1878.
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Zur Lage. Die Verhandlungen zwischen Rußland und der Türkei ziehen sich in die Länge und ermöglichten nicht, daß der Congreß zu der Zeit zusammentrete, in der dies ursprünglich beabsichtigt war.
Da die Ausgaben des Deutschen Reichs durch die Einnahmen nicht gedeckt werden, beantragte die Regierung, die Steuer auf den Tabak zu erhöhen. Sie wurde hierin vom Reichstage nicht genügend unterstützt. Wahrscheinlich wird diese Frage noch zu vielen Erörterungen führen, da Fürst Bismarck dem Tabaksmonopol (dem Alleinhandel des Reichs mit Tabak) zustrebt.
Nr. 13. vom 31. März 1878.
[104]
Zur Weltlage. – Der Friedensvertrag von San Stefano, durch welchen der russisch-türkische Krieg seinen Abschluß fand, ist dieser Tage veröffentlicht worden. Er trägt das Datum des 3. März und beginnt mit den Worten: „S. Majestät der Kaiser von Rußland und S. Majestät der Kaisei der Osmanen, beseelt von dem Wunsche, ihren Ländern und ihren Völkern die Segnungen des Friedens zurückzugeben und jeglicher neuen Verwicklung, die denselben bedrohen könnten, vorzubeugen, haben zu Bevollmächtigten ernannt“ u. s. w. Auf Grund dieses Vertrages werden: 1) Montenegro, Serbien und Rumänien als unabhängig anerkannt; 2) wird die Bulgarei zu einem selbstständigen tributpflichtigen Fürstenthum gemacht mit einer christlichen Regierung und einer Volksmiliz; sie wird etwa 3500 Quadratmeilen, also ungefähr ebenso groß sein wie alle Staaten des Deutschen Reichs außer Preußen zusammengenommen und 5½ Millionen Einwohner zählen. Der Sultan wird in Europa nur noch über ein Ländergebiet von etwa 3200 Quadratmeilen Größe herrschen, jedoch auch über dieses nicht in voller Machtherrlichkeit; denn er mußte 3) versprechen, auch hier bestimmte Ordnungen einzuführen. 4) Als Kriegsentschädigung und Ersatz für die von Rußland erlittenen Verluste werden der Türkei 1410 Millionen Rubel angerechnet; davon darf sie 1100 Millionen Rubel durch Gebietsabtretungen in Europa und Asien entrichten, 5) Alle Festungen an der Donau werden geschleift werden. 6) Der Bosporus und die Dardanellen werden in Kriegs- und Friedenszeit den Handelsschiffen neutraler Staaten, die von russischen Häfen kommen oder dorthin bestimmt sind, offen bleiben. 7) Die Kriegsgefangenen werden wechselseitig ausgetauscht. 8) Besondere Bestimmungen sind noch getroffen für die osmanischen Unterthanen, welche während des Krieges den Russen Unterstützung gewährten (sie dürfen dafür nicht bestraft werden), für russische Geistliche, Pilger und Mönche, welche sich in der Türkei aufhalten (sie genießen dieselben Rechte wie die fremden Geistlichen, welche einer andern Nationalität angehören) u. A. m.
Es ist ein für die Türkei harter Vertrag, welchen ihre Friedensunterhändler unterzeichnen mußten. Das letzte Wort in diesen Fragen ist jedoch noch nicht gesprochen; mehrere europäische Mächte, besonders England und Oesterreich, müssen großen Werth darauf legen, daß Rußland nicht allzusehr erstarke, auch dauert der Kampf zwischen den Aufständischen griechischer Nationalität und den Türken noch fort; denn nachdem Rußland sich zum Hort für die slavischen Bewohner der Türkei aufwarf, möchten sich nun auch die Griechen ihre Unabhängigkeit von der osmanischen Herrschaft erkämpfen. Ob es dem Congreß, dessen Beginn immer noch nicht feststeht, gelingen wird, die verschiedenartigen Wünsche in Einklang mit einander zu bringen, wird die Zukunft lehren.
Nr. 16. vom 21. April 1878.
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Zur Weltlage. Seit Wochen heißt wieder die Frage: Krieg oder Friede? England will nicht dulden, daß Rußland eine so große Macht erlange, wie sie ihm der Friedensvertrag von San Stefano verleiht; es fordert, daß letzterer dem Congreß der europäischen Großmächte vorgelegt werde, damit ihn diese so ändern, wie es für das Gleichgewicht Europa’s nöthig sei. Auf die Stellung Oesterreichs zu dieser Frage kommt es dabei besonders an. England ist wohl die größte Seemacht der Welt, kann aber dem ungeheuren Russischen Reiche zu Lande schwer beikommen. Das würde sich natürlich ändern, wenn Oesterreich gemeinsame Sache mit ihm machte.
Die Ursache, warum gerade England Rußland’s Machtentfaltung zu verhindern sucht, liegt hauptsächlich in Asien, in Indien, Es wird die Aufgabe des Volksblattes sein, darauf in besonderen Ausführungen näher einzugehen.
Nr. 23. vom 9. Juni 1878.
[184]
Zur Weltlage. Der so sehnlich herbeigewünschte Congreß zur Berathung der orientalischen Frage soll nun doch endlich statthaben. Die Regierung des Deutschen Reichs lud die Mächte, welche den Pariser Vertrag unterzeichneten, ein, sie möchten Vertreter nach Berlin senden, die am 13. Juni dort zusammentreten sollen. Sie haben diese Einladung alle angenommen. Es ist erfreulich, daß dieser große Erfolg durch die Bemühungen der deutschen Reichs-Regierung erreicht und dadurch, wie man hofft, einem großen europäischen Kriege vorgebeugt wurde. Es war eine der letzten Handlungen des Kaisers Wilhelm vor dem an ihm verübten Mordanschlag, daß er den Befehl zu dieser Einladung ergehen ließ.
Die Weltausstellung in Paris wurde zwar am 1. Mai eröffnet, ohne daß jedoch Alles fertig war. Erst im Juni hofft man die Arbeiten vollendet zu sehen, so daß dann dieses Werk des Friedens in seinem ganzen Glanze strahlen kann.[1] Noch ehe dies der Fall ist, traf die italienische Regierung Anstalten, um eine neue Weltausstellung nach drei Jahren in Rom eröffnen zu können.
Nr. 24. vom 16. Juni 1878.
[192]
Zur Weltlage. Das Befinden des deutschen Kaisers ist ein den Verhältnissen nach sehr gutes; bereits kann derselbe längere Zeit das Bett verlassen. Am 4. Juni richtete Seine Majestät folgenden Erlaß an den Kronprinzen Friedrich Wilhelm: „Da Ich in Folge Meiner Verwundung zur Vollziehung der nöthigen Unterschriften augenblicklich nicht im Stande bin, Ich auch nach Vorschrift der Aerzte, um die Heilung der Wunden nicht aufzuhalten, Mich aller Geschäfte enthalten soll, so will Ich Eurer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit und Liebden für die Dauer meiner Behinderung Meine Vertretung in der oberen Leitung der Regierungsgeschäfte übertragen. Euere Kaiserliche und Königliche Hoheit und Liebden ersuche ich hiernach, das Erforderliche zu veranlassen.“
Der Kronprinz übernahm hierauf die Regierungsgeschäfte, wobei er erklärte: „Es ist Mein fester Wille, die Mir von des Kaisers und Königs Majestät übertragene und von Mir übernommene Stellvertretung unter gewissenhafter Beobachtung der Verfassung und der Gesetze nach den Mir bekannten Grundsätzen Sr. Majestät, Meines Kaiserlichen Vaters und Herrn, zu führen.“
Preußen stellte am 6. Juni beim Bundesrath den Antrag, den deutschen Reichstag aufzulösen. Es geschah dies im Hinblick auf den Gesetzentwurf zur Abwehr socialdemokratischer Ausschreitungen, welchen der Reichstag mit großer Stimmenmehrheit abgelehnt hatte. (Siehe Nr. 22, S. 170 f.) Die preußische Regierung war der Meinung, daß eine wiederholte derartige Vorlage keinen besseren Erfolg bei den jetzigen Vertretern des deutschen Volkes erzielen würde und stellte darum jenen Antrag. Die Regierungen stimmten demselben insgesammt bei, so daß nunmehr Neuwahlen bevorstehen.
Nr. 25. vom 23. Juni 1878.
[199]
Zur Weltlage. Ueber das Befinden Kaiser Wilhelms erstatteten die Aerzte von Lauer, von Langenbeck und Wilms am 18. Juni nachstehenden Bericht: „Die Unterzeichneten halten sich zur Ergänzung der von ihnen über das Befinden Sr. Majestät des Kaisers und Königs ausgegebenen Bulletins zu folgender Aeußerung für verpflichtet, um mancherlei umgehenden unrichtigen Auffassungen entgegen zu treten.
Durch Gottes gnädige Hilfe ist der Verlauf der Verletzungen und des gesammten durch das so tief beklagenswerthe Ereigniß hervorgerufenen Krankheitszustandes Sr. Majestät bisher ein fast über Erwarten günstiger gewesen. Die einzelnen Momente dieses Verlaufes sind in den mitgetheilten Bulletins verzeichnet. Hieraus wird nun in hoffnungsvoller Freude vielfach gefolgert, daß die völlige Genesung in nächster Nähe bevorstehe. Unter den obwaltenden Umständen ist die Erfüllung dieses gewiß in Aller Herzen lebenden Wunsches jedoch voraussichtlich leider nicht zu erwarten. Se. Majestät haben, außer zeitweisen Schmerzempfindungen, nicht nur unter der durch die Gebrauchsunfähigkeit beider Arme bedingten großen Unbehilflichkeit viel zu leiden, sondern das Ziel der gänzlichen Wiederherstellung kann auch nur nach längerer Zeit erreicht werden, und auf dem Wege zu demselben können noch manche Schwierigkeiten liegen, welche unter Gottes Beistand hoffentlich, wie die bisherigen, glücklich, aber nicht ohne Beschwerden für den Hohen Patienten, zu überwinden sein werden.“
Die Neuwahlen zum deutschen Reichstag sind auf den 30. Juli ausgeschrieben.
Am 12. Juni starb in Paris der ehemalige König von Hannover, Georg V. Am 27. Mai 1819 geboren, hatte er trotz seiner auf beiden Augen eingetretenen Erblindung vom 18. November 1851 bis in den Juni 1866 regiert. Nachdem er im Feldzuge gegen Preußen seine Krone verloren hatte, hielt er sich meist in Oesterreich, besonders in Hietzing bei Wien, bisweilen auch in Frankreich auf. Seine Gemahlin und drei Kinder, ein Sohn und zwei Töchter, haben ihn überlebt.
Unter großer Theilnahme des Volkes feierte das sächsische Königspaar, König Albert, geb. den 23. April 1828, und Carola, Tochter des Prinzen Gustav von Wasa, geb. den 5. August 1833. am 18. Juni sein fünfundzwanzigjähriges Hochzeitsjubiläum.
Der Congreß zur Lösung der orientalischen Frage wurde am 13. Juni in Berlin eröffnet. Da sich dessen Mitglieder zur Geheimhaltung der Verhandlungen verpflichtet haben, wird es erst später möglich sein, über die Beschlüsse, welche hier gefaßt werden, zu berichten.
Nr. 26. vom 30. Juni 1878.
[208]
Zur Weltlage. Das Befinden des deutschen Kaisers ist ein sehr erfreuliches. Günstigen Einfluß darauf haben die vielen Zeichen der Theilnahme, welche vom In- und Ausland Sr. Majestät dargebracht wurden und noch werden. In kaum zwei Wochen belief sich allein die Zahl der betreffenden schriftlichen Kundgebungen aus mehr als 4000. Wie der Kaiser dieselben aufnahm, zeigen nachfolgende an den Reichskanzler gerichtete Worte des Kronprinzen: „Kaum der meuchlerischen Hand eines Verblendeten durch Gottes Gnade entgangen, hat des Kaisers und Königs Majestät, Mein Herr Vater, Sich zum zweiten Male dem Geschoß eines im Versteck lauernden Verbrechers ausgesetzt gefunden. Wiederum hat Gottes gnädiger Schutz über dem theuren Haupte gewaltet. Der Frevler hat zwar leider! des Ziels nicht verfehlt, seinen verruchten Zweck aber nicht erreicht. Die Schmerzen, welche die zahlreichen Wunden verursachten, traten zurück gegen den tiefen Kummer, welcher das landesväterliche Herz des Kaisers und Königs durch die noch am Abend Seines bisher so reich gesegneten Lebens Ihm nicht ersparte Erfahrung bedrückte, daß im deutschen Volke solche Unthaten in rascher Folge reifen konnten. Die herzliche Theilnahme indeß, welche alsbald sich in der Einwohnerschaft der Residenz zu erkennen gab, die Entrüstung über das Verbrechen, verbunden mit der innigen Freude über die Errettung aus unmittelbarer Todesgefahr, die Segenswünsche, welche aus allen Kreisen und allen Theilen des deutschen Vaterlandes, ja von überall, wo im Auslande und selbst in den fernsten Welttheilen Deutsche weilen, in Adressen, in sinniger Dichtung und in Telegrammen, in Blumenspenden und ähnlichen Aufmerksamkeiten durch ständische und communale Vertretungen, weltliche und kirchliche Corporationen. Behörden, Vereine, Versammlungen, durch Würdenträger und durch Privatpersonen ohne Unterschied des Standes und Berufs, des Alters und Geschlechts in wärmster Weise Ausdruck fanden, haben jeden Zweifel des Kaiserlichen Herrn an der unveränderten Treue und Liebe des deutschen Volks verbannt und Dessen Ueberzeugung neu gekräftigt, daß die verderbliche Saat, aus welcher die Frevelthaten entsprossen sind, in dem Patriotismus der Nation keinen nachhaltigen Boden finden werde. Se. Majestät der Kaiser und König. Mein Herr Vater, ist überaus gerührt von den zahlreichen Beweisen lauterster Anhänglichkeit, welche sich noch täglich mehren, und hat Mir aufgetragen, Allen, nah und fern, welche Ihm das volle Vertrauen in die Treue und hingebende Gesinnung des Volkes wiedergewährt, Allen, welche durch sympathische Kundgebungen auf Seinem Schmerzenslager Sein Herz mit wohlthuender Freude erfüllt haben, den innigsten Dank zu sagen. Ich entledige Mich dieser Allerhöchsten Weisung, indem ich Sie veranlasse, das Vorstehende zur öffentlichen Kenntniß zu bringen.“ Berlin, 11. Juni 1878.
Aus China kommen herzbewegende Berichte über die dort herrschende Hungersnoth, welche Tausende hinwegrafft.
Nr. 27. vom 7. Juli 1878.
[215]
Zur Weltlage. Das Befinden des deutschen Kaisers ist fortwährend ein erfreuliches.
So viel von den Verhandlungen des Berliner Congresses verlautbart, nehmen dieselben einen für den Frieden günstigen Verlauf. Namentlich Oesterreich scheint einen bedeutenden Antheil an der Neugestaltung der Verhältnisse in der Türkei nehmen zu sollen, und auch Griechenland dürfte mehr zugestanden erhalten, als es nach dem Friedensvertrag von San Stefano erwarten konnte.
Am 26. Juni starb die Königin von Spanien, welche sich erst am 23. Januar d. J. vermählt und am 24. Juni das 18. Lebensjahr zurückgelegt hatte. Ihr Bild brachten wir in Nr. 5 unseres Blattes (Seite 36).
Am 30. Juni wurde zu Paris ein großes Fest zu Ehren der Weltausstellung gefeiert und bei diesem Anlaß ein Denkmal der Republik eingeweiht.
Nr. 28. vom 14. Juli 1878.
[224]
Zur Weltlage. Die Kräfte des deutschen Kaisers haben in dem Grade zugenommen, daß er am 9. Juli bereits den Versuch des Treppensteigens mit gutem Erfolg unternehmen konnte.
Noch vor Schluß des Berliner Congresses wurde die Welt durch Kundmachung eines Vertrages überrascht, den England am 4. Juni mit der Türkei abschloß. Darnach verpflichtete sich England, falls Rußland Batum, Ardahan und Kars oder einen dieser Plätze erhält, und falls Rußland irgendwie in Zukunft versuchen sollte, Besitz von einem weiteren Theile des asiatischen Gebiets des Sultans zu ergreifen, als durch den endgiltigen Friedensvertrag festgesetzt ist, – dem Sultan in der Vertheidigung seines Gebietes beizustehen. Der Sultan verpflichtete sich seinerseits, die Besetzung der Insel Cypern durch England zu gestatten. Falls Rußland je der Türkei das durch den jüngsten Krieg in Asien erworbene Gebiet zurückgibt, soll dieser Vertrag aufhören und England diese Insel wieder räumen. Da jene Voraussetzung eintraf, wird England sofort Cypern besetzen. Es hat durch diesen Vertrag einen großen Machtzuwachs im Mittelmeer erlangt, weniger im Hinblick auf diese Insel selbst (sie zählt auf 173 Quadratmeilen ungefähr 200.000 Bewohner), als durch die Unternehmungen, welche es von hier aus einleiten und ausführen kann.
Nr. 30. vom 28. Juli 1878.
[240]
Zur Weltlage. Die Wiederherstellung des deutschen Kaisers hat so viele erfreuliche Fortschritte gemacht, daß Seine Majestät am 22. Juli Berlin verlassen und in Babelsberg Wohnung nehmen konnte.
Mit großer Spannung erwartet man den Ausfall der auf den 30. Juli angesetzten Wahlen zum deutschen Reichstage. Im Hinblick auf die wichtigen Aufgaben, welche dieser zu lösen haben wird, ist es Pflicht jedes wahlberechtigten deutschen Mannes, nach bestem Wissen und Gewissen seine Stimme abzugeben; denn auch von ihr hängt das Wohl und Wehe des Vaterlandes mit ab.
Der Friede von Berlin fand im Großen und Ganzen eine freundliche Aufnahme.
Cypern wurde von den Engländern schon besetzt.
Nr. 31. vom 4. August 1878.
[247]
Zur Weltlage. Der deutsche Kaiser begab sich am 29. Juli von Schloß Babelsberg nach Teplitz in Böhmen, fuhr in offenem Wagen durch die festlich geschmückten Straßen der Stadt und zeigte sich, bald nachdem er in seiner Wohnung abgestiegen war, dem ihm begeistert zujauchzenden Volke.
Oesterreichische Truppen rückten bereits am 29. Juli in Bosnien ein. Von welcher Gesinnung sich die österreichische Regierung bei der Besitznahme dieses bisher türkischen Gebietes leiten läßt, bekundete sie in nachstehendem Aufruf, den sie an ihre neuen Unterthanen erließ:
- „Bewohner von Bosnien und der Herzegowina! Die Truppen des Kaisers von Oesterreich und Königs von Ungarn sind im Begriffe, die Grenzen Eures Landes zu überschreiten. Sie kommen nicht als Feinde, um sich dieses Landes gewaltsam [248] zu bemächtigen. Sie kommen als Freunde, um den Uebeln ein Ende zu bereiten, welche seit einer Reihe von Jahren nicht nur Bosnien und die Herzegowina, sondern auch die angrenzenden Länder von Oesterreich-Ungarn beunruhigen. Der Kaiser und König hat mit Schmerz vernommen, daß der Bürgerkrieg dies schöne Land verwüstet, daß die Bewohner desselben Landes einander bekriegen, daß Handel und Wandel unterbrochen, Eure Heerden dem Raube preisgegeben, Eure Felder unbebaut sind und das Elend heimisch geworden ist in Stadt und Land. Große und schwere Ereignisse haben es Eurer Regierung unmöglich gemacht, die Ruhe und Eintracht, auf denen die Wohlfahrt des Volkes beruht, dauernd herzustellen.
- Der Kaiser und König konnte nicht länger ansehen, wie Gewaltthätigkeit und Unfriede in der Nähe seiner Provinzen herrschten, wie Noth und Elend an die Grenzen seiner Staaten pochten. Er hat das Auge der europäischen Staaten auf Eure Lage gelenkt, und im Rathe der Völker wurde einstimmig beschlossen, daß Oesterreich-Ungarn Euch die Ruhe und Wohlfahrt wiedergebe, die Ihr so lange entbehrt.
- Se. Majestät der Sultan, von dem Wunsche für Euer Wohl beseelt, hat sich bewogen gefunden, Euch dem Schutze seines mächtigen Freundes, des Kaisers und Königs, anzuvertrauen. So werden denn die K. und K. Truppen in Eurer Mitte erscheinen. Sie bringen Euch nicht den Krieg, sondern bringen Euch den Frieden. Unsere Waffen sollen Jeden schützen und Keinen unterdrücken.
- Der Kaiser und König befiehlt, daß alle Söhne dieses Landes gleiches Recht nach dem Gesetze genießen, daß sie Alle geschützt werden in ihrem Leben, in ihrem Glauben, in ihrem Hab und Gut. Eure Gesetze und Einrichtungen sollen nicht willkürlich umgestoßen, Eure Sitten und Gebräuche sollen geschont werden. Nichts soll gewaltsam verändert werden ohne reifliche Ueberlegung dessen, was Euch notthut. Die alten Gesetze sollen gelten, bis neue erlassen werden. Von allen weltlichen und geistlichen Behörden wird erwartet, daß sie die Ordnung aufrecht erhalten und die Regierung unterstützen. Die Einkünfte dieses Landes sollen ausschließlich für die Bedürfnisse des Landes verwendet werden. Die rückständigen Steuern der letzten Jahre sollen nicht eingehoben werden.
- Die Truppen des Kaisers und Königs sollen das Land nicht drücken, noch belästigen. Sie werden mit Gelde bezahlen, was sie von den Einwohnern bedürfen. Der Kaiser und König kennt Eure Beschwerden und wünscht Euer Wohlergehen. Unter seinem mächtigen Scepter wohnen viele Völker beisammen, und jedes spricht seine Sprache. Er herrscht über die Anhänger vieler Religionen, und Jeder bekennt frei seinen Glauben.
- Bewohner von Bosnien und der Herzegowina! Begebt Euch mit Vertrauen unter den Schutz der glorreichen Fahnen von Oesterreich-Ungarn. Empfanget unsere Soldaten als Freunde, gehorchet der Obrigkeit, nehmet Eure Beschäftigung wieder auf und Ihr sollt geschützt sein in den Früchten Eurer Arbeit.“
Nr. 32. vom 11. August 1878.
[256]
Zur Weltlage. Der Aufenthalt in Teplitz übt auf das Befinden des deutschen Kaisers einen sehr wohlthätigen Einfluß aus.
Die am 30. Juli stattgehabten Wahlen zum deutschen Reichstage haben eine wesentliche Stärkung der conservativen Richtung zur Folge gehabt. Die Socialdemokraten verloren zwar die meisten ihrer früheren Sitze, aber gleichwohl vereinigten ihre Vertrauensmänner viel mehr Stimmen auf sich als das letzte Mal.
Der Einmarsch der Oesterreicher in Bosnien nimmt seinen Fortgang, aber nicht ohne daß denselben an einzelne Orten bewaffneter Widerstand entgegengesetzt würde.
Nr. 33. vom 18. August 1878.
[264]
Zur Weltlage. Das Befinden des deutschen Kaisers ist ein sehr gutes, die Besserung nimmt stetig zu. Am 7. August besuchte ihn in Teplitz Kaiser Franz Joses I. von Oesterreich. Welchen Eindruck letzterer von dem Zusammensein hatte, zeigen die Worte, welche er beim Adschiede sprach: „Es war ein freudenreicher Tag für mich, leider nur ein Tag.“
Der neugewählte deutsche Reichstag wurde auf den 9. September nach Berlin einberufen.
Zwischen dem Fürsten Bismarck, welcher sich gegenwärtig in Kissingen aufhält, und dem päpstlichen Nuntius (Gesandten) Masella fanden mehrere Besprechungen statt; wie man hofft, werden dieselben eine Verständigung zwischen dem päpstlichen Stuhle und der deutschen Reichsregierung anbahnen.
Am 1. August starb der Staatssecretär des Papstes, Franchi (derselbe ist am 25. Juni 1819 geboren). Er hatte sich viele Mühe gegeben, um den Frieden zwischen Staat und Kirche, wo er gestört war, wiederherzustellen. Leo XIII. ernannte den (im Jahre 1812 geborenen) Kardinal Nina zu Franchi’s Nachfolger. Auch dieser scheint in versöhnlichem Geiste seines verantwortungsvollen Amtes warten zu wollen.
Die Oesterreicher haben in Bosnien größeren Widerstand gefunden, als man erwartet hatte. Am 7. August kam es sogar bei Zepce zu einem blutigen Treffen, in dem sich die Oesterreicher eines über 6000 Mann starken Feindes zu erwehren hatten. Sie brachten denselben – nicht ohne eigene bedeutende Einbuße – großen Verlust an Todten, Verwundeten und Gefangenen bei, vermochten aber die Kraft des Widerstandes damit noch nicht zu brechen.
Nr. 34. vom 25. August 1878.
[272]
Zur Weltlage. Kaiser Wilhelm erfreut sich andauernder Besserung seines Befindens.
Der Klempnergeselle Max Hödel, welcher das Leben Seiner Majestät zu bedrohen gewagt hatte, wurde am 16. August hingerichtet. Von seiner Frechheit, welche er bei den Verhören und der Gerichtsverhandlung an den Tag gelegt, ließ er selbst nicht im Angesichte des Todes. Der Vollziehung des Urtheils in der neuen Strafanstalt in Berlin wohnten verhältnißmäßig nur wenige Zeugen bei.
Der Meuchelmörder Dr. Nobiling machte vor Kurzem einen Selbstmordversuch, der jedoch mißlang.
Bei den Stichwahlen zum deutschen Reichstage erlangten die Socialdemokraten noch einige Sitze, u. a. in Berlin (im 4. Wahlkreise), wo sich von 50.047 eingeschriebenen Wählern 42.362 an der Wahl betheiligten; von ihnen stimmten 22.020 für den Socialdemokraten Cigarrenfabrikanten F. W. Fritzsche.
Die Oesterreicher nahmen Serajewo, die Hauptstadt Bosniens, am 19. August nach heftigem Kampfe ein.
Nr. 35. vom 1. September 1878.
[280]
Zur Weltlage. Kaiser Wilhelm begab sich von Teplitz, wo sich sein Gesundheitszustand in sehr erfreulicher Weise gebessert hat, am 24. Aug. nach Salzburg, von da nach Gastein.
Am 24. August fand zu Potsdam die Vermählung der Prinzessin Marie von Preußen, der ältesten (den 14. September 1855 geborenen) Tochter des Prinzen Friedrich Karl, mit dem verwittweten Prinzen Heinrich der Niederlande, dem (am 13. Juni 1820 geborenen) Bruder des regierenden Königs der Niederlande, statt.
Anläßlich der am 17. August in Harburg in Hannover vollzogenen Stichwahl eines Reichstagsabgeordneten (in derselben erhielt der Partikularist Graf Grote die Mehrzahl der Stimmen; Mitbewerber war der nationalliberale Oberbürgermeister Grumbrecht) kam es zu bedauerlichen Ruhestörungen, so daß das Militär, welches mit Steinwürfen empfangen wurde, Feuer gab. Einer der Widersetzlichen wurde getödtet, 2 andere starben am folgenden Tage an ihren Verletzungen, und 19 mehr oder weniger Verwundete mußten in ärztliche Behandlung genommen werden.
In einem großen Theile von Westdeutschland wurde am 26. August ein heftiges Erdbeben verspürt. In Köln z. B. geriethen Gebäude ins Schwanken, stürzten Schornsteine herab und wurden viele Gegenstände von ihrer Stelle gerückt.
Die österreichischen Besatzungstruppen in Bosnien und der Herzegowina hatten bis zum 16. August schon etwa 1000 Mann an Todten, Verwundeten und Vermißten verloren.
Die Königin Christina von Spanien, die (am 27. April 1806 geborene) Mutter der im Jahre 1868 entthronten Königin Isabella, starb den 22. August in Havre.
Nr. 36. vom 8. September 1878.
[287]
Zur Weltlage. Die Bäder, welche Kaiser Wilhelm in Gastein nimmt, erweisen sich als so heilsam für seine Gesundheit, daß man hofft, er werde bald wieder die Zügel der Regierung ergreifen können.
Am 2. September wurde im Deutschen Reiche die Erinnerung an die Capitulation von Sedan, am 3 September in Frankreich, besonders in Paris, der Todestag des Staatsmannes Thiers festlich gefeiert.
Die Oesterreicher rücken in Bosnien und der Herzegowina wenn auch langsam, so doch stetig vor. In Serajewo läßt die neue Regierung bereits eine Zeitung erscheinen, in deren 1. Nummer es u. A. heißt:
- „Wenn auf die Bösen Eine Hand des Kaisers zerschmetternd niederfällt, so hebt desselben Kaisers andere Hand alle Guten mit väterlicher Huld aus vierhundertjähriger Knechtschaft voll Elend und Schrecken zu Freiheit, Wohlstand und menschenwürdigem Leben empor. Beben und zittern mögen die Schlechten! Sie werden ausgerottet! Heil und Segen allen Guten! Deß seid eingedenk bei Allem, was Ihr thut“.
Nr. 37. vom 15. September 1878.
[296]
Zur Weltlage. Der deutsche Reichstag wurde am 9. September mit folgender von dem Stellvertreter des Reichskanzlers, Grafen Otto zu Stolberg-Wernigerode, verlesenen Rede eröffnet:
- Geehrte Herren!
- Im Allerhöchsten Auftrage haben Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz des Deutschen Reichs und von Preußen mich zu ermächtigen geruht, im Namen der verbündeten Regierungen die Sitzungen des Reichstags zu eröffnen.
- Als die letzte Session geschlossen wurde, befand sich das deutsche Volk noch unter dem Eindruck der tiefen Erregung, welche ein gegen die Person Sr. Majestät des Kaisers gerichteter Mordversuch hervorgerufen hatte. Schon wenige Tage darauf hat sich abermals und mit unheilvollerem Erfolge die Hand eines Verbrechers gegen das Oberhaupt des Reiches erhoben. Gottes Gnade bewahrte zwar auch diesmal das Leben des Kaisers, aber die erlittenen schweren Verwundungen haben Se. Majestät genöthigt, bis zur völligen Genesung Sich der Regierungsgeschäfte zu enthalten und die Wahrnehmung derselben Sr. Kaiserlichen Hoheit dem Kronprinzen zu übertragen.
- Schon nach dem ersten Mordanfall waren die verbündeten Regierungen überzeugt, daß die Frevelthat unter dem Einflusse der Gesinnungen entstanden sei, welche durch eine auf Untergrabung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtete Agitation in weiten Kreisen erzeugt und genährt werden. Sie haben deshalb dem Reichstage den Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, welches diesen gemeingefährlichen Bestrebungen ein Ziel zu setzen bestimmt war.
- Die Vorlage wurde abgelehnt.
- Jetzt, wo der Nation ein erneutes Verbrechen die dem Reich und der ganzen bürgerlichen Gesellschaft drohende Gefahr mehr und mehr zum allgemeinen Bewußtsein gebracht hat, werden Sie, geehrte Herren, durch Neuwahlen zur Mitwirkung an der Gesetzgebung berufen, auf’s Neue zu prüfen haben, ob das bestehende Recht genügende Handhaben zur Unschädlichmachung jener Bestrebungen bietet. Die verbündeten Regierungen haben ihre Ueberzeugung nicht geändert. Sie sind nach wie vor der Ansicht, daß es außerordentlicher Maßregeln bedarf, um der weiteren Ausbreitung des eingerissenen Uebels Einhalt zu thun und den Boden für eine allmähliche Heilung zu bereiten; sie halten ebenso an der Auffassung fest, daß die zu wählenden Mittel die staatsbürgerliche Freiheit im Allgemeinen zu schonen und nur dem Mißbrauch derselben entgegenzuwirken haben, mit dem eine verderbliche Agitation die Grundlagen unseres staatlichen und Kulturlebens bedroht.
- Ein von diesen Gesichtspunkten aus aufgestellter Gesetzentwurf wird Ihnen unverzüglich vorgelegt werden.
- Die verbündeten Regierungen hegen die Zuversicht, daß die neugewählten Vertreter der Nation ihnen die Mittel nicht versagen werden, welche nothwendig sind, um die friedliche Entwickelung des Reichs gegen innere Angriffe ebenso sicher zu stellen wie gegen äußere. Sie geben sich der Hoffnung hin, daß, wenn erst der öffentlichen Ausbreitung der unheilvollen Bewegung ein Ziel gesetzt ist, die Zurückführung der Irregeleiteten auf den richtigen Weg gelingen wird.
- Auf Allerhöchsten Befehl erkläre ich im Namen der verbündeten Regierungen den Reichstag für eröffnet.
Am 10. September ist Dr. Nobiling gestorben.
Da in den türkischen Gebietstheilen, welche in Folge des Friedens von Berlin an Montenegro und Serbien abgetreten werden sollen, Unruhen ausbrachen, erhielt Mehemed Ali Pascha, von Geburt ein Preuße, den Auftrag, sich dorthin zu begeben. Er richtete jedoch Nichts aus, wurde vielmehr am 9. September von den erbitterten Aufrührern getödtet. Näheres darüber hoffen wir später mittheilen zu können.
Oesterreich hat immer noch einen sehr schweren Stand in den von ihm zu besetzenden Provinzen Bosnien und Herzegowina, besonders auch da die Verpflegung seiner Truppen immer schwieriger wird, je weiter dieselben sich von ihrer Heimath entfernen.
Die ungarische Stadt Miskolcz ist durch einen in der Nacht vom 30. auf den 31. August gefallenen Wolkenbruch schwer geschädigt worden. Viele Personen verloren dabei ihr Leben.
Schwere Heimsuchungen haben auch England und Amerika betroffen.
Noch lebt die Erinnerung an den schrecklichen Untergang des „Großen Kurfürsten“ lebhaft in unserm Gedächtniß, und schon hören wir von einem ähnlichen Unglück, welches sogar noch mehr Menschenleben kostete als jenes. Das Dampfschiff „Prinzeß Alice“, welches am 3. September eine Vergnügungsfahrt unternommen hatte und etwa 700 Menschen an Bord führte, stieß am Abend dieses Tages in der Themse mit dem „Bywell Castle“ zusammen und wurde von ihm in den Grund gebohrt, wobei die meisten darauf befindlichen Personen ertranken.
Im Missisippi-Thal in den Vereinigten Staaten Nordamerika’s ist das gelbe Fieber ausgebrochen. Dasselbe hat nicht nur viele Bewohner schnell hinweggerafft, sondern auch in jenem ganzen Gebiete einen hohen Grad von Schrecken und Muthlosigkeit erzeugt.
Nr. 38. vom 22. September 1878.
[303]
Zur Weltlage. Kaiser Wilhelm verließ Gastein, dessen gute Luft und Bäder einen günstigen Einfluß auf sein Befinden gehabt hatten, und begab sich am 15. September nach Wilhelmshöhe. Ein Augenzeuge berichtet, überall habe man bei seiner Ankunft in Kassel den Ausdruck des Erstaunens und zugleich der Freude gehört über seine stramme und soldatische Haltung und sein gesundes und kräftiges Aussehen. Außer durch die schwarze Binde, in welcher S. Majestät die verwundete Hand trug, sei man durch Nichts an die Folgen des Mordanfalls erinnert worden. Am 16. September bestieg der Kaiser zum ersten Male wieder das Pferd und machte einen 20 Minuten langen Ritt.
An der Berathung des zur Bekämpfung der Socialdemokratie eingereichten Gesetzentwurfes nahm am 17. September Fürst Bismarck Theil. Er sprach die Hoffnung aus, daß der Reichstag die Regierung unterstützen und dem Kaiser Schutz für seine Person gewähren werde.
Großes Aufsehen erregte die Mittheilung des Chefs der Admiralität von Stosch im deutschen Reichstage, daß seiner Meinung nach der „Große Kurfürst“ trotz des erhaltenen Lecks nicht hätte unterzugehen brauchen, wenn er richtig behandelt worden wäre. Wen die Schuld an diesem schweren Fehler trifft, wird wohl die im Gange befindliche Untersuchung herausstellen.
Für die „Wilhelmsspende“ gingen aus rund 75000 Ortschaften von 11.500.000 Gebern 1.800.000 M. ein. Graf Moltke überreichte am 15. September dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm einen Schein über diesen Betrag, damit derselbe nach seinem Ermessen die Verwendung dieser Summe für einnen wohlthätigen Zweck bestimme.
Die österreichischen Truppen überschritten die Save.
Die griechische Regierung wandte sich an die Mächte, welche den Berliner Frieden abschlossen, um sie zu einem Druck auf die Türkei zu veranlassen, welch letztere die von Griechenland gewünschte Grenzberichtigung freiwillig nicht zugestehen will.
Sultan Abdul Hamid gestattete, daß Midhat Pascha ein um die freiheitlichere Entwicklung der Türkei sehr verdienter Staatsmann, der sich lange in der Ungnade des Großherrn befunden hatte und sich zuletzt in Paris aufhielt, in sein Vaterland zurückkehren dürfe. Derselbe will sich mit seiner Familie nach Creta begeben, zu welchem Zwecke ihm ein Schiff zur Verfügung gestellt wurde.
In Süd-Wales in England fand am 11. September ein großes Unglück statt. In einer Grube brachen schlagende Wetter aus, denen ungefähr 280 Arbeiter zum Opfer gefallen sein sollen.
Nr. 39. vom 29. September 1878.
[311]
Zur Weltlage. Kaiser Wilhelm nahm am 20. September in erfreulichstem Wohlsein die Parade des 11.Armeecorps bei Wabern ab; er wohnte ihr zu Pferde bei. Am 24. September begab er sich mit der Kaiserin nach Koblenz, am 26. nach Köln, um in letzterer Stadt der Enthüllung des [312] Denkmals seines Vaters, des Königs Friedrich Wilhelm III., beizuwohnen.
Das viele Blutvergießen in den von Oesterreich zu besetzenden türkischen Provinzen dauert zwar noch fort, in letzter Zeit langten jedoch so viele Abordnungen von Gemeinden an, welche ihre Unterwerfung aussprachen, daß auf ein baldiges Erlöschen des Aufstandes zu hoffen ist.
Nr. 40. vom 6. Oktober 1878.
[319]
Zur Weltlage. Kaiser Wilhelm begab sich von Koblenz nach Baden-Baden, wo am 30. September im Kreise der kaiserlichen Familie das Geburtsfest Ihrer Majestät der Kaiserin gefeiert wurde.
König Wilhelm III. der Niederlande (geboren den 19. Februar 1817, Wittwer seit 3. Juni 1877) verlobte sich mit der drittältesten Tochter des Fürsten von Waldeck, Prinzessin Emma, die den 2. August 1858 geboren ist.
Der Präsident des deutschen Reichstags, Max v. Forckenbeck (geboren den 21. Oktober 1821) wurde zum Oberbürgermeister von Berlin erwählt.
Papst Leo XIII. richtete am 27. August d. J. ein längeres Schreiben an seinen Staatssekretär Nina, worin er des verstorbenen Staatssekretärs Franchi mit großer Wärme gedenkt und Andeutungen macht, wie die Beziehungen des Päpstlichen Stuhls zu den Staaten geregelt werden sollen. Bitter klagt er über Italien, das die Absicht habe, seine stets wachsende Feindseligkeit gegen die Kirche fortzusetzen. In Bezug auf das Deutsche Reich schreibt er:
- „Es ist Ihnen wohl bekannt, Herr Kardinal, daß Wir Uns an den mächtigen Kaiser der edlen deutschen Nation, welche wegen der den Katholiken geschaffenen schwierigen Lage ganz besonders Unsere Fürsorge erheischte, gewendet haben. Dieses Wort, einzig und allein von dem Wunsche eingegeben, Deutschland den religiösen Frieden wiedergegeben zu sehen, fand eine günstige Aufnahme von Seiten des erhabenen Kaisers und hatte das erfreuliche Ergebniß, daß es zu freundschaftlichen Unterhandlungen führte, bei denen es nicht unsere Absicht war zu einem einfachen Waffenstillstande zu gelangen, welcher den Weg zu neuen Konflikten offen ließe, sondern nach Entfernung der Hindernisse einen wahren, soliden und dauerhaften Frieden zu schließen. Die Wichtigkeit dieses Zieles, das von der hohen Weisheit jener, welche die Geschicke jenes Reiches in ihren Händen haben, richtig erwogen wurde, wird dieselben, wie Wir vertrauen, dahin führen, Uns die Freundeshand zu reichen, um es zu erlangen. Die Kirche würde ohne Zweifel glücklich sein, bei jener edlen Nation den Frieden wiederhergestellt zu sehen, aber auch das Reich würde darüber nicht weniger glücklich sein und würde, nachdem die [320] Gewissen beruhigt sind, in den Söhnen der katholischen Kirche wie ehedem seine treuesten und hochherzigsten Unterthanen finden.“
Im Vesuv scheint sich wieder ein großer Ausbruch vorzubereiten.
In Asien droht der englischen Regierung ein Krieg mit Afghanistan, einem Reiche, das zwischen Persien und Vorderindien liegt, etwa anderthalb Mal so groß ist als das Deutsche Reich und ungefähr 4 Millionen Einwohner zählt. Während dessen Regent (der Emir) eine russische Gesandtschaft freundlich aufnahm, verweigerte er einer englischen den Eintritt in sein Reich; darüber ist natürlich die englische Regierung erbittert, um so mehr, als sie den Einfluß Rußlands in Asien immer stärker werden und dadurch ihre Herrschaft über Indien bedroht sieht.
Einen schweren Verlust hat die Wissenschaft der Erdkunde durch den am 25. September in Gotha eingetretenen Tod des Geographen August Petermann (geboren den 18. April 1822) erlitten. Derselbe förderte mit vieler Sachkenntniß besonders die zwei großen Aufgaben, den Weg zum Nordpol zu finden und das Innere Afrikas unserer Kenntniß zu erschließen. Mit Rath und That ging er den Forschern an die Hand, welche diese Ländergebiete zu erreichen strebten, und groß war das Ansehen und dadurch auch der Einfluß, dessen er sich bei den Gelehrten aller Völker zu erfreuen hatte.
Nr. 41. vom 13. Oktober 1878.
[328]
Zur Weltlage. Obwohl in der Türkei die Schwerter noch nicht in Pflugschaaren und die Spieße noch nicht in Sicheln verwandelt sind, obwohl von dorther, namentlich aus Macedonien, immer noch schreckliche Greuelthaten berichtet werden, ist es wenigstens den Oesterreichern gelungen, den Aufstand in Bosnien und in der Herzegowina fast ganz niederzuwerfen. Die Frage, ob diese Ländergebiete dauernd oder nur zeitweilig besetzt werden sollen, sowie auch die großen für Oesterreich damit verbundenen Auslagen haben in dem Kaiserstaate viele Unzufriedenheit hervorgerufen. Die leitenden Staatsmänner sahen sich dadurch in ihrer Stellung erschüttert, u. man erwartet die Neubesetzung mehrerer Ministerposten.
Auf der in dänischem Besitze befindlichen Insel Sainte-Croix (sprich: Sängt Croa) in Westindien (dieselbe ist 218 Quadratkilometer groß und hat ungefähr 23.000 Einwohner) ist ein Negeraufstand ausgebrochen; die Aufrührer verbrannten mehrere Pflanzungen und ermordeten deren Besitzer. Die Zahl der Truppen, welche gegen sie aufgeboten werden konnten, war anfänglich eine sehr geringe.
Die Gemeinde Montefalco in Mittelitalien ist Ende September durch heftige Erdstöße schwer heimgesucht worden. Viele Häuser wurden zerstört oder doch unbewohnbar.
Die französische Regierung gibt sich viele Mühe Europäer zur Ansiedlung in Algerien zu ermuntern. Nach einem vor Kurzem von ihr erlassenen Gesetze können Franzosen, naturalisirte oder um Naturalisirung eingekommene Europäer Ländereien unentgeltlich erhalten, wenn sie genügende Bürgschaften geben und den Nachweis liefern, daß sie über eine gewisse Summe baaren Geldes verfügen (150 Franken für die Hektare Meiereiland). Die zu vertheilenden Ländereien zerfallen in Dorf- und Meiereiloose. Haben Ansiedler 5 Jahre auf dem geschenkten Grund und Boden gewohnt und gearbeitet, so ist er ihr endgültiges Eigenthum; ja sie können denselben schon nach 3 Jahren erhalten, wenn sie nachweisen, daß sie 100 Fr. auf jede Hektare zur Verbesserung verwandt haben.
Aehnliche Begünstigungen gewähren auch die Vereinigten Staaten Nordamerikas. Obgleich nun Algier für Franzosen, Deutsche etc. viel schneller zu erreichen ist als Amerika, ziehen es die Auswanderungslustigen doch meist vor, ihre neue Heimath in der „Neuen Welt“ aufzuschlagen. Die Verhältnisse in Algier – die großentheils militärische Verwaltung des Landes, die häufigen Aufstände der Eingeborenen, das Klima u. A. – machen dies erklärlich. Besonders starken Zuzug erwartete die Regierung von Elsässern u. Lothringern. Derselbe trat aber durchaus nicht in der erwünschten Weise ein.
Nr. 42. vom 20. Oktober 1878.
[336]
Zur Weltlage. Daß Oesterreich seine Stellung in Bosnien für wesentlich gebessert betrachtet, zeigt sein Entschluß, die Zahl der dort stehenden Truppen bedeutend zu vermindern.
Die katholische Kirche Frankreichs hat durch den am 11. Oktober eingetretenen Tod Dupanloup’s, Bischofs von Orleans, einen schweren Verlust erlitten. Derselbe ist den 3. Januar 1802 geboren und hat während seines langen Lebens durch seine kirchliche, politische und schriftstellerische Thätigkeit einen sehr großen Einfluß in Frankreich selbst, ja sogar über dessen Grenzen hinaus erlangt.
In Prag entstand am 9. Oktober eine große Feuersbrunst, welche die sogenannten Altstädter Mühlen verbrannte und großen Schaden anrichtete.
Nr. 43. vom 27. Oktober 1878.
[343]
Zur Weltlage. Der deutsche Reichstag nahm den „Gesetzentwurf gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ am 19. Oktober mit 221 gegen 149 Stimmen an. Da auch der Bundesrath demselben seine Zustimmung gab, ist er nunmehr zum Gesetz erhoben worden. Wir entnehmen ihm folgende Bestimmungen:
- § 1. Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken, sind zu verbieten.
- Dasselbe gilt von Vereinen, in welchen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdenden Weise zu Tage treten.
- Den Vereinen stehen gleich Verbindungen jeder Art.
- § 9. Versammlungen, in denen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen zu Tage treten, sind aufzulösen.
- Versammlungen, von denen durch Thatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sie zur Förderung der im ersten Absatze bezeichneten Bestrebungen bestimmt sind, sind zu verbieten.
- Den Versammlungen werden öffentliche Festlichkeiten und Aufzüge gleichgestellt.
- § 11. Druckschriften, in welchen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdenden Weise zu Tage treten, sind zu verbieten. Bei periodischen Druckschriften kann das Verbot sich auch auf das fernere Erscheinen erstrecken, sobald auf Grund dieses Gesetzes das Verbot einer einzelnen Nummer erfolgt.
- § 16. Das Einsammeln von Beiträgen zur Förderung von sozialdemokratischen, sozialistischen oder kommunistischen auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen, sowie die öffentliche Aufforderung zur Leistung solcher Beiträge sind polizeilich zu verbieten. Das Verbot ist öffentlich bekannt zu machen.
- § 17. Wer an einem verbotenen Vereine als Mitglied sich betheiligt, oder eine Thätigkeit im Interesse eines solchen Vereins ausübt, wird mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft. Eine gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher an einer verbotenen Versammlung sich betheiligt, oder welcher nach polizeilicher Auflösung einer Versammlung sich nicht sofort entfernt.
- Gegen diejenigen, welche sich an dem Vereine oder an der Versammlung als Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner oder Kassirer betheiligen, oder welche zu der Versammlung auffordern, ist auf Gefängniß von Einem Monat bis zu Einem Jahre zu erkennen.
- § 18. Wer für einen verbotenen Verein oder für eine verbotene Versammlung Räumlichkeiten hergibt, wird mit Gefängniß von Einem Monat bis zu Einem Jahre bestraft.
- § 30. Dies Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündigung in Kraft und gilt bis zum 31. März 1881.
Fürst Bismarck sprach dem Reichstage seine Freude über dessen Beschluß aus und äußerte sich darüber u. A. wie folgt:
- „Ich will nicht sagen, daß alle verbündeten Regierungen gleichmäßig überzeugt wären, daß die Mittel, die Sie in ihre Hand legen, vollständig ausreichen würden, um die [344] Zwecke, zu deren Erreichung das Gesetz eingebracht worden ist, überall zu erreichen, sondern nur, daß alle Regierungen entschlossen sind, den aufrichtigen Versuch zu machen, mit den Mitteln, welche dieses Gesetz ihnen gewähren wird, die Krankheit zu heilen, von der unser Gemeinwesen ergriffen ist. Sollte die Erfahrung den Beweis liefern, daß dies nicht ausreichend der Fall ist, so werden die verbündeten Regierungen in der Lage sein, sich wiederum vertrauensvoll an Ihre Unterstützung zu wenden, um da nachzuhelfen, wo die jetzigen Mittel nach der Ueberzeugung der Regierung nicht ausreichen sollten. Sie werden das thun, sei es auf dem Wege der Reform unserer allgemeinen Gesetzgebung, was das Erwünschteste sein würde, sei es durch Vervollständigung des eben votirten Gesetzes; das letztere aber wird voraussichtlich der Fall sein in Bezug auf die Dauer, für welche dieses Gesetz eben gegeben ist; denn Niemand unter uns hat sich der Hoffnung hingeben können, daß die hiermit beginnende Heilung der Schäden in dritthalb Jahren vollendet sein werde. Die verbündeten Regierungen schöpfen aber aus dem Verlaufe dieser Sitzung die Zuversicht, daß auch dann, nachdem sie durch loyale Ausführung des Gesetzes das Vertrauen des Reichstags gerechtfertigt haben werden, die Hilfe und der Beistand, die Mitwirkung des Reichstags in dem Maße des Bedürfnisses ihnen nicht fehlen wird. In diesem Vertrauen, meine Herren, bleibt mir nur noch übrig, die formale Aufgabe, welche mir die Allerhöchste Botschaft ertheilt, zu vollziehen, und erkläre ich im Namen der verbündeten Regierungen auf Befehl Sr. Majestät des Kaisers die Sitzungen des Reichstags hiermit für geschlossen.“
Die hiedurch geschlossene Sitzung des Reichstages hat vom 9. September bis 19. Oktober gewährt.
Am 21. Oktober fand in Paris die Vertheilung der Anerkennungen an die Aussteller statt. Der Marschall-Präsident Mac Mahon hielt dabei eine Rede, in der er hervorhob, welche Fortschritte Frankreich in den 7 Jahren gemacht habe, die seit seinen schmerzlichen Prüfungen verflossen sind. Er danke Gott, der dem Lande zu seinem Troste friedlichen Ruhm gab. „So konnte Frankreich zeigen, wie viel sieben Jahre der Sammlung und Arbeit vermochten, um schreckliche Unfälle wieder gut zu machen. Die Solidität seines Credits, die Reichhaltigkeit seiner Hilfsquellen und die ruhige Haltung der Bevölkerung legen Zeugniß ab für die Organisation des Landes, welche Fruchtbarkeit und Dauer verspricht“. Er schloß seine Rede mit folgenden Worten: „Wir sind voraussichtiger und arbeitsamer geworden. Die Erinnerung an unser Unglück wird unter uns auch den Geist der Eintracht, die vollkommene Achtung der Institutionen und Gesetze, die glühende und uneigennützige Liebe zum Vaterlande erhalten und entwickeln.“
Daß die äußere Lage Frankreichs eine glänzende ist, zeigt allerdings – um außer der Weltausstellung selbst nur dies Eine zu erwähnen –, daß das Gesammterträgniß der im Lande erhobenen indirekten Steuern in den ersten Monaten des laufenden Jahres um 36.400.000 Mark mehr betrug, als im Voranschlag angenommen war.
Nr. 44. vom 3. November 1878.
[351]
Zur Weltlage. Am 26. Oktober waren es 20 Jahre, daß Kaiser Wilhelm, der schon ein Jahr früher an Stelle des schwer erkrankten Königs Friedrich Wilhelm IV. die Zügel der preußischen Regierung ergriffen hatte, den Eid auf die preußische Verfassung leistete. Welch eine Fülle weltgeschichtlicher Ereignisse liegt in diesem kurzen Zeitraum von 20 Jahren!
Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, der am 18. Oktober sein 47. Geburtsfest feierte, richtete an die Berliner Stadtverordneten, welche ihm ihre Glückwünsche ausgesprochen hatten, ein Schreiben, worin es heißt: „Je schwerer die Zeit mit ihren Sorgen und Nöthen auf uns Allen lastet, um desto tröstlicher ist die Gewißheit, daß die ungeheure Mehrheit in allen Kreisen und Klassen unseres Volkes und mit ihr der Kern der Bürgerschaft Berlins sich einig fühlt in der Liebe zu Kaiser und Reich. In dieser Gewißheit liegt unsere Stärke und die Bürgschaft für unsere Zukunft, deren glückliche Gestaltung ich mit unerschüttertem Vertrauen erhoffe. Ich werde der hingebenden Theilnahme und der musterhaften Haltung, welche die Bürger der Hauptstadt in den trüben Tagen und Wochen dieses Jahres gezeigt, für alle Zeit ein dankbares Gedächtniß bewahren.“
Auf König Alfons XII. von Spanien gab ein 20 Jahre alter Böttcher am 25. Oktober einen Schuß ab, der jedoch nicht traf. Der Verbrecher erklärte, er sei ein Sozialist und habe sich ausdrücklich zur Ausführung seiner Absicht nach Madrid begeben. Die Bevölkerung der spanischen Hauptstadt gab ihren Abscheu vor dieser Schandthat und ihrer Anhänglichkeit an den jungen König beredten Ausdruck.
Große Aufregung herrscht in England wegen des Sturzes der Glasgower Stadtbank, die durch Jahre lang fortgesetzte Veruntreuungen ihrer Leiter eine unbedeckte Schuldenlast von 5.190.983 Pfund Sterling (zu je 20 Mk. 10 Pfg.) aufweist. Die Actionäre (Inhaber von Antheilscheinen der [352] Bank) müssen mit ihrem ganzen Vermögen für diesen ungeheuren Verlust haften. Da die Bank eines guten Rufes genoß, wurden Antheilscheine (Actien) derselben nicht nur von Reichen gekauft, die ja diese Einbuße am leichtesten ertragen können, sondern auch von solchen Personen, welche in ihrem Lebensunterhalt auf die jährlichen Erträgnisse der Actien angewiesen waren. „Unter rund 1300 Actionären befinden sich 206 alte Jungfern mit einer Betheiligung von 237 Pf. St. eine jede, 154 verheirathete Frauen und Wittwen mit je 355 Pf. St., 174 Beamte mit je 1897, 8 Lehrer mit je 244, 62 Handwerker mit je 331, 28 Pächter mit je 442½, 39 Geistliche mit je 622, 37 Advocaten mit je 766, 34 Aerzte mit je 1050, 24 Fabricanten mit je 1679, 4 Schiffsrheder mit je 2275, 51 Bankiers mit je 447, 29 Versicherungsagenten, Commis etc. mit je 555 und 99 Kaufleute mit einer Actien-Betheiligung von je 932½ Pf. St. auf jeden einzelnen.“ Diese verlieren nicht nur den Betrag, welchen sie für ihre Actien gaben (derselbe beläuft sich im Ganzen auf 1 Million Pfund Sterling), sondern müssen auch noch so viel nachbezahlen, bis jene 5.190.983 Pfund abgetragen sind. Es läßt sich leicht denken, in welche Noth dadurch viele bisher gut gestellte Familien kamen. – Die Leiter der Bank sind in’s Gefängniß gebracht worden.
Eine Ueberschwemmung des Nils in Aegypten hat großen Schaden angerichtet; viele Menschen kamen dabei um.
Nr. 45. vom 10. November 1878.
[360]
Zur Weltlage. Kaiser Wilhelm hat sich zur weiteren Stärkung seiner Gesundheit von Baden-Baden nach Koblenz begeben.
Ein Beweis für die Liebe, welcher sich Fürst Bismarck beim deutschen Volke erfreut, ist die herzliche Theilnahme, welche dasselbe an der am 6. November vollzogenen Vermählung der einzigen Tochter des Reichskanzlers, der Gräfin Marie, mit dem Grafen Rantzau nahm. Dieser war in letzterer Zeit im Auswärtigen Amte als Hilfsarbeiter beschäftigt.
In Ausführung des Sozialistengesetzes wurden in den letzten Wochen viele sozialdemokratische Vereine, Zeitungen und Schriften verboten.
Der Eintrittspreis zur Pariser Weltausstellung hat ein Erträgniß von mehr als 10 Millionen Mark geliefert. Eine Reihe von Ausstellern hat die von ihnen eingesandten Gegenstände schon zurückgezogen, so daß dies große Friedenswerk als im Ganzen abgeschlossen betrachtet werden kann.
In der Türkei kehrt immer die Ruhe noch nicht ein. Bulgarien und Macedonien sind der Schauplatz neuer blutiger Kämpfe geworden, und man fragt sich, ob denselben nur Raubgelüste oder die Bestrebungen derer zu Grunde liegen, welche nicht ruhen wollen, bis die ganze bisherige Türkei der Herrschaft des slavischen Volksstammes unterworfen sei.
England’s Zerwürfniß mit dem Emir von Afghanistan hat bereits eine solche Ausdehnung gewonnen, daß der Krieg so viel wie unvermeidlich erscheint; denn es ist kaum anzunehmen, daß sich der Emir zu der ihm von England zugemutheten Abbitte verstehen werde.
Nr. 46. vom 17. November 1878.
[368]
Zur Weltlage. Kaiser Wilhelm begab sich von Koblenz nach Wiesbaden. Seine Kräfte haben sich so gehoben, daß man hofft, S. Majestät werde die Regierungsgeschäfte bald wieder übernehmen.
In letzterer Zeit machten die Verhandlungen des Papstes Leo XIII. mit dem Deutschen Reiche in Betreff der Wiederherstellung des kirchlichen Friedens auf’s Neue viel von sich reden. Ein großes Hinderniß, um zu diesem von beiden Theilen ersehnten Ziele zu gelangen, sieht die deutsche Regierung in dem Wirken der „Centrumspartei“, deren Führern die „Provinzial-Correspondenz“, eine im amtlichen Auftrage herausgegebene Zeitschrift, vorwirft, „sie weisen jede Hoffnung und Aussicht auf kirchlichen Frieden möglichst von sich und thun Alles, was in ihren Kräften steht, um die Stimmungen immer aufs Neue zu verbittern und die Ausgleichung zu erschweren“. „Wenn“– heißt es in diesem Blatte – „das aufrichtige Streben der deutschen Regierung im Verein mit einem friedliebenden Papste für die Wiederherstellung des kirchlichen Friedens in Deutschland in Wahrheit und dauernd gelingen soll, so muß durch die berufenen kirchlichen Autoritäten und aus der katholischen Bevölkerung heraus dem verwirrenden und vergiftenden Treiben der Partei ein Ziel gesetzt werden, deren einflußreichsten Führern das Interesse der Kirche nur der Deckmantel für politisch unterwühlende Zwecke ist und welche der Erwartung des Papstes in Bezug auf die Treue der katholischen Unterthanen des Deutschen Reichs durch ihr ganzes Verhalten offen Hohn sprechen.“
Es ist noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, daß der auf dem Meeresgrunde ruhende „Große Kurfürst“ doch noch gehoben werden könne. Der deutschen Regierung wurden viele darauf bezügliche Anerbietungen eingereicht. Sie trat denn auch mit einem Unternehmer in Unterhandlung und stellte demselben für den Fall, daß ihm dies Werk gelinge, eine bedeutende Entschädigung in Aussicht.
Anläßlich der Pariser Weltausstellung wurde in Frankreich eine große Nationallotterie veranstaltet. Dieselbe bietet auf 12 Millionen Loose 480.000 Gewinne, welche in Ausstellungsgegenständen bestehen. Ein Theil des Erlöses aus diesen Loosen soll zur Gründung eines industriellen, landwirthschaftlichen und commerciellen Museums verwandt werden.
Nr. 47. vom 24. November 1878.
[376]
Zur Weltlage. Die jüngste Tochter des Großherzogs von Hessen, Prinzessin Marie (geboren den 24. Mai 1874), starb am 16. November an der Diphtheritis (der brandigen Bräune), einer Krankheit, von welcher zur Zeit auch noch andere Glieder der großherzoglichen Familie schwer heimgesucht werden.
Auf König Humbert I. von Italien vollführte ein Italiener, ein 29 Jahre alter Koch, am 17. November in Neapel einen Mordanschlag, indem er auf offener Straße und unter den Augen einer zahlreichen Menschenmenge mit einem Dolchmesser auf ihn losging. Er verwundete ihn wie auch den Minister Cairoli, zum Glück nur leicht. Nach seiner Festnahme erklärte er, er wolle keine Könige, weil er arm und von seinen Herren stets mißhandelt worden sei. Das Volk gab dem Könige und dessen Gemahlin seine Freude über das Mißlingen des Anschlags durch Ausrufe lauten Jubels zu erkennen.
Die Pariser Weltausstellung wurde am 10. November geschlossen.
Kaiser Franz Josef II. von Oesterreich hat für den Bereich der von den oesterreichischen Truppen besetzten türkischen Provinzen einen Gnadenerlaß gewährt.
Midhat Pascha, welcher als Haupt der Türken gilt, die ihr Vaterland durch Verbesserungen im Innern kräftigen wollen, und der erst vor Kurzem aus seiner längeren Verbannung nach Kreta zurückkehrte, wurde zum Gouverneur von Syrien ernannt.
Nach einem vor Kurzem abgeschlossenen Vertrage werden vom 1. Januar 1879 an die Telegramme, welche im Telegraphenverkehr zwischen dem Deutschen Reiche und England gewechselt werden, so berechnet, daß jedes Wort 30 Pfennige kostet. Eine besondere Grundtaxe wird dabei nicht erhoben.
Nr. 48. vom 1. Dezember 1878.
[383]
Zur Weltlage. Der preußische Landtag wurde am 19. November in Berlin eröffnet, wobei der Vize-Präsident des Staatsministeriums, Graf zu Stolberg Wernigerode, eine Rede verlas, welcher wir nachfolgende Worte entnehmen:
- „Tief schmerzliche und erschütternde Ereignisse haben seit dem Schlusse der vorigen Session das Vaterland in der Person Sr. Majestät des Kaisers und Königs betroffen; das theure Leben des Monarchen, zweimal von Frevlerhand bedroht und gefährdet, ist durch Gottes gnädiges Walten dem Volke erhalten und in fast wunderbarer Weise neu gestärkt worden.
- „Die Tage der Trübsal und Prüfung aber sind zugleich Tage vaterländischer Erhebung und Bewährung geworden: von Neuem hat sich in allseitigen lebhaften Kundgebungen offenbart, daß das Herz des Volkes in treuer Liebe und Verehrung bei seinem Könige ist.
- „Die Bethätigung dieses patriotischen Geistes, sowie der tiefe und nachhaltige Eindruck jener schweren Erfahrungen gewähren die Zuversicht, daß es gelingen werde, die traurigen Verirrungen, zu deren äußerer Einschränkung die Reichsgesetzgebung die unerläßlichen Handhaben gewährt hat, durch vertrauensvolles Zusammenwirken aller staatserhaltenden Kräfte, in ernster Fürsorge für das allseitige Gedeihen des Volkes allmählig auch innerlich zu überwinden.
- „Die Staatsregierung nimmt für die beginnende Session Ihre Mitwirkung vor Allem zur Lösung der Schwierigkeiten in Anspruch, welche auf dem Gebiete der Finanzverwaltung hervorgetreten sind.
- „Große einmalige Einnahmen, wie sie in den diesjährigen Etat eingestellt werden konnten, sind für das nächste Jahr auch nur in annähernder Höhe nicht vorhanden, die regelmäßigen Einnahmequellen des Staates aber lassen unter dem leider noch fortdauernden Druck, der so lange schon auf fast allen Gebieten der Erwerbsthätigkeit lastet, ein irgend in’s Gewicht fallendes Mehrerträgniß nicht in Aussicht nehmen. Die Einnahmen reichen daher auch zur Deckung der ordentlichen Ausgaben nicht hin.
- „Die zur nothwendigen baldigen Beseitigung dieses Mißverhältnisses erforderlichen Mittel werden auf dem dem Reiche überwiesenen Gebiete der Besteuerung zu suchen und, wie die Staatsregierung fest vertraut, zu finden sein; – bis dahin aber wird es nöthig sein, die zur Ergänzung der Einnahmen des nächsten Staatshaushalts-Etats erforderlichen Mittel im Wege der Anleihe zu beschaffen.“
Das erwähnte Mißverhältniß erhellt aus folgenden Zahlen: Die Gesammtausgaben belaufen sich auf 717.325.308 Mark und bleiben im Ganzen um 73.750.000 Mark hinter den Einnahmen zurück.
In letzter Zeit wurde der Brief bekannt, welchen Herzog Ernst August von Cumberland anläßlich des Ablebens seines Vaters, des früheren Königs Georg V. von Hannover, an Kaiser Wilhelm richtete. Derselbe lautet:
- „Durchlauchtigster, großmächtigster Fürst, freundlich lieber Bruder und Vetter! Mit tief betrübtem Herzen erfülle Ich die traurige Pflicht, Ew. Majestät die Anzeige zu machen, daß es Gott in seinem unerforschlichen Rathschlusse gefallen hat, Meinen vielgeliebten Vater, Se. Majestät Georg V., König von Hannover, königlichen Prinzen von Großbritannien und Irland, Herzog von Cumberland, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg etc., zu Paris am 19. Juni d. J. nach längerem Leiden aus diesem Leben abzurufen. In Folge dieses Mich und Mein Haus tief erschütternden Todesfalles sind alle Rechte, Prärogative und Titel, welche dem Könige, Meinem Vater, überhaupt und insbesondere in Beziehung auf das Königreich Hannover zustanden, kraft der in Meinem Hause bestehenden Erbfolgeordnung auf Mich übergegangen. Alle diese Rechte, Prärogative und Titel halte Ich voll und ganz aufrecht. Da jedoch der Ausübung derselben in Beziehung auf das Königreich Hannover thatsächliche, für Mich selbstverständlich nicht [384] rechtsverbindliche Hindernisse entgegenstehen, so habe Ich beschlossen, für die Dauer dieser Hindernisse den Titel Herzog von Cumberland, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, mit dem Prädicate Königliche Hoheit zu führen. Indem Ich auch hiervon Mittheilung mache, wird es einer besonderen Erwähnung nicht bedürfen, daß Meine und Meines in voller Selbstständigkeit verharrenden Hauses Gesammtrechte durch den zeitweiligen Nichtgebrauch der dieselben bezeichnenden Titel und Würden in keinerlei Weise aufgehoben oder eingeschränkt werden können. Gmunden, Juli 1878.
- „Ich verbleibe Ew. Majestät freundwilliger Bruder und Vetter. (gez.) Ernst August.
- „An des Königs von Preußen Majestät.“
Der Herzog hat sich mit Prinzessin Thyra, einer Tochter des Königs von Dänemark, verlobt. Die zwei Schwestern seiner Braut sind mit den Thronfolgern zweier europäischen Großmächte, dem von England und dem von Rußland, vermählt.
In Versailles fanden im französischen Abgeordnetenhause sehr erregte Verhandlungen statt. Die Wahlen einiger Mitglieder des Hauses wurden wegen dabei stattgehabter Ungesetzmäßigkeiten beanstandet. Gambetta beschuldigte bei diesem Anlaß den früheren Minister de Fourtou[2] der Lüge und wurde deshalb von diesem zum Zweikampf herausgefordert, der jedoch ein für beide Theile gefahrloses Ende nahm.
Die Kundgebungen des italienischen Volkes, durch welche dasselbe seiner Freude über das Mißlingen des Mordanschlags auf König Humbert I. Ausdruck verlieh, führten in Florenz und Pisa zur Vollführung neuer Unthaten. In beiden Städten wurden in Versammlungen, welche aus jenem Anlaß zusammengetreten waren, Bomben geworfen. Die in Florenz forderte Menschenleben. Es sind dies Anzeichen, daß es auch in Italien Leute gibt, welche mit allen Mitteln die jetzige Ordnung der Dinge umstürzen wollen.
Da der Emir von Afghanistan das an ihn gerichtete Schreiben der englisch-indischen Regierung nicht beantwortete, erklärte ihm letztere den Krieg. Bereits haben die englischen Truppen bedeutende Vortheile errungen.
Nr. 49. vom 8. Dezember 1878.
[390]
Zur Weltlage. Kaiser Wilhelm hat den 5. Dezember als Tag seiner Rückkehr in die Reichshauptstadt bestimmt. Dieselbe traf große Vorbereitungen zu seinem Empfange. Am 1. Dezember wohnte er in Karlsruhe der Confirmation einer Enkelin, der Prinzessin Viktoria, Tochter des Großherzogs von Baden, bei. Am Sonntag nach der Rückkehr Sr. Majestät wird ein allgemeiner feierlicher Dankgottesdienst in sämmtlichen Kirchen, welche dem preußischen evang. Oberkirchenrath unterordnet sind, abgehalten.
Ueber Berlin und Umgegend wurde der kleine Belagerungszustand verhängt, indem zwei Anordnungen des Sozialistengesetzes zur Anwendung kamen: das Verbot des Waffentragens [391] und die Ausweisung von Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu besorgen ist. Bis zum 1. Dezember waren schon 57 Sozialdemokraten von diesem Ausweisungsbefehl getroffen worden.
Schon wieder fand zur See ein großes Unglück statt. In der Nähe der Stelle, an welcher der „Große Kurfürst“ unterging, stieß die „Pommerania“, ein Dampfschiff der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actiengesellschaft, mit der Barke „Noel Elian“ zusammen, wodurch sie der Art beschädigt wurde, daß sie nach 20 Minuten sank. Sie hatte New-York am 14. November verlassen, und ein Theil der Reisenden war bereits in Plymouth und Cherbourg ausgestiegen. Die Zahl der Ertrunkenen steht noch nicht fest. Der Kapitän des Schiffes, Schwensen, halte mit demselben im Oktober d. J. bereits die 125. Reise glücklich beendet und war darob öffentlich beglückwünscht worden.
Nr. 50. vom 15. Dezember 1878.
[399]
Zur Weltlage. Das wichtigste Ereigniß außer der Wiederübernahme der Regierungsgeschäfte von Seiten des Kaisers Wilhelm I. ist ein im Anfang Dezember von den Engländern unter General Roberts gegen die Afghanen erfochtener glänzender Sieg. Die Kosten dieses Krieges soll –nach einer Erklärung der englischen Regierung – Indien tragen; sie werden für dieses Jahr auf höchstens 1¼ Millionen Pfund Sterling berechnet, während die Einnahmen Indiens in diesem Jahre die Ausgaben voraussichtlich um mehr als 2 Millionen Pfund übersteigen werden.
Nr. 51. vom 22. Dezember 1878.
[407]
Zur Weltlage. Die schwere Krankheit (Diphtheritis), welche schon seit längerer Zeit die großherzoglich hessische Familie heimsucht und an der bereits die jüngste Prinzessin starb, hat am 14. Dezember auch die Großherzogin Alice (geboren den 25. April 1843, vermählt seit dem 1. Juli 1862) dahingerafft. Dadurch wurde nicht nur die Mutter der Entschlafenen, die Kaiserin-Königin Victoria, sondern auch die Familie unseres deutschen Kaisers (Kronprinzessin Victoria ist die Schwester der Großherzogin) auf’s Schmerzlichste betroffen, und herzliche Theilnahme bezeugt das hessische, das deutsche und das englische Volk an diesem schweren Verluste. Das Bild der Entschlafenen gedenken wir in einer der nächsten Nummern zu bringen.
Auch in Italien hat die dem Staate von Seiten der Sozialdemokratie drohende Gefahr eine große Bewegung hervorgerufen. Das Ministerium, dessen Präsident Cairoli den König bei dem vor Kurzem an ihn versuchten Mordsanfall mit eigener Lebensgefahr schützte, genießt nicht mehr das Vertrauen der Mehrheit der Landesabgeordneten und ist darum zurückgetreten.