Denkschrift zur Eröffnung der Eisenbahn Jagstfeld–Neuenstadt a. Kocher

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Titel: Denkschrift zur Eröffnung der Eisenbahn Jagstfeld–Neuenstadt a. Kocher
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Herausgeber: Eisenbahnkomitee
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Erscheinungsdatum: 1907
Verlag: Carl Lauser, Geschäftsbücher-Fabrik und Buchdruckerei
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Denkschrift
zur Eröffnung der Eisenbahn
Jagstfeld–Neuenstadt a. Kocher
am 15. September 1907.


Herausgegeben vom Eisenbahnkomitee.


[3]
Vorwort.

Auf den Landesteil, welcher durch die heutige Eröffnung der Nebenbahn Jagstfeld–Neuenstadt mit dem Staatseisenbahnnetz verbunden wird, sollte das Motto: „Unsere Zeit steht im Zeichen des Verkehrs“ erst spät Anwendung finden. Der Postwagen war bisher die einzige öffentliche Einrichtung, welche neben den Frachtbotenwagen den Verkehr mit der Außenwelt vermittelte. Mit großer Freude und frohen Hoffnungen begrüßen wir die Bahneröffnung. Mögen unsere Erwartungen in Erfüllung gehen!

I. Entstehungsgeschichte des Bahnbaues und volkswirtschaftliche Bedeutung der Bahn.

Das untere Kochertal war schon im grauen Altertum durch regen Verkehr belebt. Die Straße zwischen Römisch-Wimpfen und der römischen Niederlassung bei Oehringen (Vicus Aurelius) führte über Neuenstadt, welches von den Altertumsforschern als ansehnliche römische Niederlassung bezeichnet ist. Späterhin bewegte sich der Verkehr der Reichsstadt Hall zum schiffbaren Neckar hier vorbei; noch mehr war der Verkehr von Heilbronn und dem unteren Neckargebiet über unsere durch Fruchtbarkeit und Lieblichkeit ausgezeichnet Gegend ins Taubertal, ins Maintal und nach Mitteldeutschland von ansehnlicher Bedeutung.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Eröffnung der Bahnlinien Heilbronn–Hall und Heilbronn–Osterburken, welche beide das untere Kochertal umgingen, für unsere Gegend namhaften Schaden brachte, insbesondere auch für das Städtchen Neuenstadt, welches für die Postroute Heilbronn–Mergentheim–Würzubrg ein Umspannort gewesen war.

Die Enttäuschung über die Hoffnungen, die man lange zu hegen sich für berechtigt hielt, nämlich die als „Kocherbahn“ bezeichnete Staatsbahn Heilbronn–Hall oder die Linie Heilbronn–Osterburken werde das untere Kochertal berühren, lähmte für lange Zeit weitere Bestrebungen. Allein der durch den Wegfall des früheren lebhaften Verkehrs entstandene Rückgang unserer Erwerbsverhältnisse, die Umständlichkeiten und Erschwerungen für den Absatz unserer landwirtschaftlichen Erzeugnisse, nicht minder auch die größere Kostspieligkeit in der Beschaffung unserer Bedürfnisse riefen das Streben nach einer unteren Kocherbahn aufs neue wach. Als im Jahre 1892 die Nebenbahnlinie Waldenburg–Künzelsau eröffnet wurde, welche in der Talsohle des Kochers endigt, gab die von Sr. Exzellenz dem Herrn Ministerpräsidenten Staatsminister Dr. Freiherrn von Mittnacht bei der Eröffnungs-Feier ausgesprochene Vermutung, die Bahn werde ihre Fortsetzung dem Flußlauf des Kocher nach finden, den Bewohnern des unteren Kochertals neue Hoffnung. Es bildete sich ein Komitee, dessen Bestrebungen auf eine Bahnverbindung Künzelsau–Kochermündung gerichtet waren. Seitens der K. Staatsregierung wurde die Vornahme von Vorarbeiten hiezu mangels verfügbaren Personals abgelehnt; auch erschien die seitens der beteiligten Gemeinden getroffenen Einleitungen insofern aussichtslos, als die K. Staatsregierung damals den weiteren Bau von Nebenbahnen vorerst nicht beabsichtigte.

Erst als das Privatkapital Verwendung im Eisenbahnbau anbot, konnten die bisher fehlgeschlagenen Hoffnungen sich wieder beleben. Einer Anregung des Vorstands der K. Generaldirektion der Staatseisenbahnen zufolge entschloß man sich, zunächst den Bau einer unteren Teilstrecke bis Neuenstadt anzustreben. Der von Neuenstadt [4] gewünschte Anschluß an die Staatsbahn in Neckarsulm wurde von der K. Staatsregierung auf die Vorstellung der unteren Kocherorte verworfen und der Anschluß in Kochendorf oder Jagstfeld empfohlen. Es konnte unterm 6. April 1898 mit der Firma Arthur Koppel in Berlin ein Vertrag über Vornahme von Vorarbeiten zum Bau einer schmalspurigen Nebenbahn Jagstfeld–Neuenstadt abgeschlossen werden. Plan und Voranschlag wurden von dieser Firma im Dezember 1898 vorgelegt und dem Anerbieten, den Bau und Betrieb einer schmalspurigen Bahn Jagstfeld–Neuenstadt zur Ausführung zu bringen, wenn ihr von den beteiligten Gemeinden der erforderliche Grund und Boden kostenlos zur Verfügung gestellt und ein barer Baubeitrag von 50 000 Mk. geleistet werde. In Bezug auf die Verteilung der Kosten kam nach manchen schwierigen Verhandlungen eine Einigung unter den beteiligten Gemeinden dahin zustande, daß Neuenstadt 42, Kochertürn 18, Degmarn 10 und Oedheim 30% an Grunderwerbskosten und an Baubeitrag zu übernehmen haben.

Nun konnte der mit der Firma Arthur Koppel abgeschlossene Vertrag im Januar 1899 an die K. Staatsregierung mit der Bitte um Konzessionierung der Bahn und um einen angemessenen Baubeitrag aus Staatsmitteln abgehen. Durch das Gesetz vom 29. Juli 1899 wurde die Genehmigung zum Bau einer schmalspurigen Bahn Jagstfeld–Neuenstadt unter Gewährung eines Staatsbeitrags von 20 000 Mk. pro km ausgesprochen.

Wir rechnen es der Württembergischen Eisenbahn-Gesellschaft, welche in die Rechte und Pflichten der Firma Arthur Koppel inzwischen eingetreten war und insbesondere dem früheren Direktor Herrn A. Köhler zum Verdienst an, in richtiger Erkenntnis der Unzulänglichkeit und Mangelhaftigkeit des Schmalspursystems die Gemeinden zum Verlassen des Schmalspurprojekts und zur Anstrebung der normalspurigen Ausführung der Bahn bewogen zu haben. In dem weiteren Vertrag vom 2. Januar 1901 erboten sich die Gemeinden, neben den Grunderwerbskosten einen kilometrischen Betrag von 5 000 Mk. zu übernehmen. Durch das Gesetz vom 21. Juli 1902 ist dann der Bau einer normalspurigen Nebenbahn Jagstfeld–Neuenstadt unter Bewilligung eines kilometrischen Beitrags von 28 000 Mk. im Höchstbetrag von 338 000 Mk. unter Anordnung einer 4-jährigen Bauzeit genehmigt worden. Die Bahn hätte somit im Jahre 1906 in Betrieb gesetzt werden sollen. Allein die vorgeschlagenen Bahnhofs-Anlagen hatten manche Weiterungen veranlaßt. In Oedheim konnte den Wünschen der Gemeinde in vollem Maße Rechnung getragen werden; in Neuenstadt dagegen fanden die westlich und östlich in Vorschlag gekommenen Projekte wenig Anklang. Das darauf vorgeschlagene südliche Projekt hätte die Mehrzahl der Gemeindemitglieder befriedigt, konnte aber die Zustimmung der K. Staatsregierung nicht erhalten. Nach langwierigen Verhandlungen, welche sich bis zum Frühjahr 1906 hinzogen, haben die bürgerlichen Kollegien in Neuenstadt dem nordöstlichen Bahnhofprojekt zugestimmt. Es konnte somit der Bau auf der oberen Strecke erst im Herbst 1906 begonnen werden, während auf dem unteren Teil der Bau der Kocherbrücke schon im Spätjahr 1904 in Angriff genommen worden ist.

Nun ist das Werk vollendet, welches lange das Ziel unserer Bestrebungen gewesen ist. Wird es die Opfer lohnen, welche sich die beteiligten Gemeinden auferlegt haben? Wer kann das sagen? Eine Belebung unseres Verkehrs und eine wesentliche Förderung aller Erwerbsverhältnisse werden wir sicherlich zu erwarten haben. Wir glauben, daß erst die kommenden Geschlechter den vollen Segen und Nutzen der Eisenbahn zu genießen haben werden, wenn die Lasten, welche die jetzige und die nächstfolgende Generation auf sich nehmen, nicht mehr empfunden werden.

     Das Eisenbahnkomitee bestand aus nachstehenden Personen:
                              Finanzrat a. D. Schickhardt, Neuenstadt, Vorsitzender,
                              Regierungsrat Haller, Neckarsulm, Ehrenvorsitzender,
                              Stadtschultheiß Obermeyer, Neuenstadt,
                              Oberförster Schöttle von da, nach dessen Abgang 1903
                              Gemeinderat Weiblen von da,
                              Schultheiß Lutz, Kochertürn,
                              Gemeinderat Lang von da,
                              Schultheiß Vogt Degmarn, nach dessen Tod
                              Schultheiß Schiemer von da,
                              Gemeinderat Köppler von da,
                              Schultheiß Barth Oedheim, nach dessen Tod
                              Schultheiß Kraus von da,
                              Gemeinderat Spohrer von da

[5]


II. Beschreibung der Bahn.

Bei Kochendorf und Jagstfeld, wo die zwei größten Nebenflüsse des Neckars einmünden, bildet das weite, schöne, romantische, durch den entwickelten Eisenbahnverkehr, durch Kettendampfer und Dampfboote belebte, mit industriellen Anlagen übersäte Neckartal ein großartiges Portal für die neue Bahn im unteren Kochertal, welch letzteres augenfällig bestrebt ist, sich eines solchen Portals würdig zu zeigen, indem es eine Reihe lieblicher, anmutiger Landschaftsbilder entfaltet, die dem unteren Kocher seinen verlockenden, malerischen Reiz geben.

[6] Die neue normalspurige Nebenbahn beginnt mit km 0 auf der nordöstlichen Seite des Staatsbahnhofes Jagstfeld gegenüber dem Verwaltungsgebäude, woselbst ein Bahnsteig für den Personenverkehr, ein Wasserkran, sowie die Uebergabe- und Uebernahmegleise hergestellt sind, deren Verbindung mit den Gleisen des Staatsbahnhofes Jagstfeld rückwärts – in westlicher Richtung – erfolgt.

Eigene Anlagen sonstiger Art waren in Jagstfeld nicht erforderlich, da der Dienst für die Nebenbahn vom Personal der Staatsbahn mitversehen wird, wie auch die Warteräume der Staatsbahn für die Reisenden der Nebenbahn zur Verfügung stehen.

Vom Bahnhof Jagstfeld aus wendet sich die Bahn östlich, sie überschreitet den Ortsweg Nr. 7 (künftig Staatsstraße Nr. 124) in Jagstfeld, durchschneidet den Kocherwald und erreicht bei km 1,1 die Station Kochendorf Nord, deren Zufahrtsstraße an den Verbindungsweg Nr. 1 anschließt.



Die Station ist für den Gesamtverkehr eingerichtet und zu diesem Zweck mit einem Nebengleis für den Wagenladungsverkehr versehen, welches zugleich ein Anschlußgleis für das Gaswerk Kochendorf bildet; für den Personen- und Stückgutverkehr ist ein kleines Empfangsgebäude mit Dienst- und Warteraum – auch für den nahe gelegenen Ort Hagenbach (375 Einwohner) – vorhanden.


Der Marktflecken Kochendorf (2141 Einwohner) hat einen Staatsbahnhof an der Linie Heilbronn–Jagstfeld; bergmännisch betriebenes Salzwerk; Schacht König Wilhelm II. Auf der Höhe: das Greckenschloß (früher Zwingenberg), jetzt im Privatbesitz; in der Nähe des Kochers: das frühere Kaiserliche Lehenschloß, jetzt Eigentum des Freiherrn Capler von Oedheim, gen. Bautz; gegenüber: das früher St. Andre’sche Schlößchen, jetzt im Privatbesitz.

Der nahe gelegene Ort Hagenbach und die weiteren an der Bahn gelegenen Orte Oedheim, Degmarn und Kochertürn – seit 1806 württembergisch – gehörten zuvor zum deutschorden’schen Neckaroberamt Horneck (Gundelsheim).


Unmittelbar hinter der Station Kochendorf kreuzt die Bahn die Nachbarstraße Nr. 1 von Kochendorf nach Heuchlingen und bei km 2,6 überschreitet sie auf einer Brücke mit eisernem Ueberbau und zwei Oeffnungen von zusammen 80 m Lichtweite den Kocher, um auf hohem Damm den großen Bogen abzuschneiden, den der [7] Kocher an Hagenbach vorbei macht, und dann – auf Stützmauern hart an das linke Kocherufer sich anschmiegend

und auf Futtermauern von dem Verbindungsweg Nr. 21 überragt – bei km 4,0 das stattliche Pfarrdorf Oedheim zu erreichen.

Oedheim, 1816 Einwohner. Parzellen: die Hofgüter Lautenbach, Willenbach, Falkenstein und Grollenhof. Prächtige Lage des idyllischen Schlößchens der Freiherren Capler von Oedheim, gen. Bautz, nachweisbar seit Anfang des 14. Jahrhunderts in Oedheim. Bedeutender Feld- und Gemüsebau für die nahe Zucker- und Cichorienfabrik und Nahrungsmittelfabriken in Heilbronn.

Die Station Oedheim ist nordwestlich vom Ort an der Stelle des früheren Mühlkanals angelegt. Für den Wagenladungsverkehr ist ein längeres Nebengleis vorhanden. Das Empfangsgebäude enthält im Erdgeschoß einen Warteraum, einen Dienstraum und mit letzterem unmittelbar verbunden einen Güterschuppen. Im ersten Stock ist eine Wohnung für den Stationsbeamten eingerichtet. Auch ist ein Nebengebäude und eine Gleiswage vorhanden.

Bei km 4,145 wird die Auffahrt zur Kocherstraßenbrücke überschritten; die Bahn liegt bis km 4,7 zwischen dem Kocher und dem Ort (Schloß) Oedheim. Zur Herstellung des Bahnkörpers mußten mehrere Wohnhäuser und landwirtschaftliche Gebäude entfernt und es mußten durchweg Trockenmauern ausgeführt werden. Um die Mühle in Oedheim zu erhalten, wurde ein Bauwerk zur Durchführung der Triebwelle unter den Schienen und Schwellen hergestellt und um die Zugänge vom Ort zum Kocher offen zu halten, wurden zwei Wegunterführungen notwendig.

[8] Von km 4,7 ab lehnt sich die Bahn an den Geländehang an und erreicht erst bei km 8,0 wieder das Kocherufer.

Bei km 8,1 wird die Station Degmarn, nördlich vom Ort (400 Einwohner) erreicht, welche dieselbe Einrichtung wie Kochendorf hat.

Von der Gemeinde mußte eine besondere Zufahrtstraße hergestellt werden, da der Ortsweg Nr. 11, welcher zur Verbindung mit dem Kocher unter der Bahn durchgeführt ist, wegen seiner ungünstigen Steigungsverhältnisse nicht als Zufahrt benutzt werden konnte.

Gegenüber dem Pfarrdorf Degmarn, dessen kühn und malerisch auf der Höhe des Steilabhangs stehende Kirche einen weithin sichtbaren Schmuck des Kochertals bildet, präsentiert sich auf dem rechten Kocherufer das schmucke Großherzoglich Badische Pfarrdorf Stein.

Von Degmarn aus liegt die Bahn ebenfalls am Hang, bis sie bei km 9,8 wieder das Kocherufer erreicht, welches sie bis zur Station Kochertürn verfolgt, wo sie den Verbindungsweg Nr. 6 zwischen der Kocherbrücke und der Ziegelhütte überschreitet.

[9] Die Station Kochertürn hat dieselbe Einrichtung wie Kochendorf.

Das stattliche, auf dem rechten Kocherufer gelegene Pfarrdorf Kochertürn (640 Einwohner samt dem Brambacherhof; fruchtbare Markung) ist durch eine Brücke mit der Station verbunden. Am Hange des linken Kocherufers zwischen Degmarn und Kochertürn wurde beim Bahnbau das wohl erhaltene Prachtstück einer römischen Urne aufgefunden, die nach sachverständigem Urteil aus der Zeit des Uebergangs vom 2. zum 3. Jahrhundert nach Chr. stammt. Die Urne ist der Staatssammlung vaterländischer Altertümer einverleibt worden.

Auf der Bahnstrecke Degmarn–Kochertürn–Neuenstadt ist das Landschaftsbild von entzückender Anmut.

Von km 10,3 ab nähert sich die Bahn dem Verbindungsweg Nr. 9 und lehnt sich an dessen nördliche Seite an. Zwischen km 11,0 und 11,4 waren zur Herstellung des Bahnkörpers sehr umfangreiche Erdarbeiten und Stützmauern notwendig, auch mußte der Verbindungsweg Nr. 11 auf eine Strecke von etwa 250 m und der Kocher auf eine Strecke von etwa 200 m verlegt werden.

Bei km 11,3 ist für Neuenstadt West ein Haltepunkt hergestellt, welcher mit einem Bahnsteig, einer offenen Wartehalle und einem

Stumpfgleis für Wagenladungsverkehr ausgerüstet ist.

Bei km 11,420 wird die Brettach mittelst einer 10 m weiten Brücke und bei km 11,475 die Auffahrt zur Kocherbrücke (Ortsweg Nr. 16) überschritten. Hierauf nimmt die Bahn durch das Wiesengelände zwischen Neuenstadt und dem Kocher nordöstliche Richtung ein und endet an der Hauptstraße Nr. 2 von Neuenstadt nach Bürg. Der Hauptbahnhof Neuenstadt,

[10] dessen Zufahrtsstraße in die oben bezeichnete Hauptstraße mündet, hat folgende Anlagen: ein Empfangsgebäude, welches im Erdgeschoß zwei Warteräume, zwei Diensträume, anschießend daran den Güterschuppen und im ersten Stockwerk zwei Dienstwohnungen enthält; ein Nebengebäude, einen Lokomotivschuppen mit Wasserstation, einen Kohlenhof, eine Gleiswage, ein Freiladegleis, ein Maschinenwechselgleis, ein Aufstellungsgleis und ein Lokomotivschuppengleis.

Die Stadt Neuenstadt

hat 1308 Einwohner, Kameralamt, Forstamt, Bezirksnotariat, ev. Dekanatamt, zwei ev. Geistliche, Postamt mit Telegraph, Lateinschule, gewerbliche Fortbildungs- und Zeichnungsschule, zwei Aerzte, Apotheke. Auf einem schmalen Rücken zwischen Brettach und Kocher Mitte des 14. Jahrhunderts in der Nähe des auf römischen Grundmauern ruhenden Schlosses der Herren von Weinsberg an Stelle des abgegangenen Ortes Helmbund erbaut, war Neuenstadt bis 1806 Sitz eines württembergischens Oberamts. Im Wappen der Stadt erinnert der darin befindliche Helm an den abgegangenen Ort Helmbund. Von 1649 bis 1781 war Neuenstadt Residenz einer Linie des herzoglichen Hauses Württemberg. Mehrere Glieder dieser Nebenlinie haben seiner Zeit als Feldherren durch hervorragende militärische Tüchtigkeit hohe Berühmtheit erlangt; sie ruhen in der herzoglichen Gruft unter der Kirche. An die frühere Residenz erinnert das 1560–1564 von Herzog Christof an Stelle des abgebrochnenen Weinsbergischen Schlosses erbaute sogenannte Türnitzgebäude, jetzt Kameralamt, ferner der an die Kirche angebaute Lindenbau, 1649 auf alten Grundmauern neu hergestellt, jetzt an Beamte vermietet, sowie das vormalige Anhör- und Kanzleigebäude mit Marstall, jetzt Forstamt.

Die ehrwürdige Linde im Osten der Stadt, ca. 1000 Jahre alt

[11] ist merkwürdig nicht allein wegen dieses hohen Alters, sondern auch durch die vielen stattlichen, steinernen Säulen, unter welchen in alten Zeiten Gericht gehalten wurde. Die ältesten Säulen erinnern an Motive des romanischen Baustils, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts und später errichteten Säulen, meist in edlem Renaissancegeschmack, sind mit Wappen und Inschriften von Aebten, hervorragenden adeligen Geschlechtern und Wappen anderer in ihrer Zeit hervorragenden Männer geschmückt. Der Haupteingang im Renaissancestil ist von Herzog Christoph von Württemberg 1558 errichtet worden.

Von dem nahen, früher reichsritterschaftlichen Orte Bürg schaut das Schloß der Freiherren von Gemmingen – ein stattlicher Steinbau – freundlich herüber und talaufwärts laden die Konturen der Kirche und der Häuser des Pfarrdorfs Gochsen zum Besuch – zur Fortsetzung der Bahn – ein.

Der kleinste Krümmungshalbmesser der neuen Bahn beträgt 180 m, die größte Neigung 1:120.

Die Betriebsmittel bestehen aus 2 dreiachsigen Tender-Lokomotiven von 30 t Dienstgewicht, 1 Post- und Gepäckwagen mit Abteil II. Klasse, 3 Personenwagen, 2 bedeckten und 4 offenen Güterwagen. Die Lokomotiven, Gepäck- und Personenwagen sind mit Westinghousebremse und Dampfheizung ausgerüstet.

Die Baukosten betragen einschließlich der Kosten für Beschaffung der Betriebsmittel rund 1 490 000 Mark.


III. Schlußwort.


Der festliche Schmuck, in welchem am Eröffnungstage sämtliche Bahnorte prangen, liefert den Beweis von der Freude über das Gelingen unserer langjährigen Bestrebungen; wir fühlen uns gehoben, daß dieses Ziel durch unser eigenes Bemühen gefördert worden ist; wir hoffen von dem gelungenen Werk einen vorteilhaften Aufschwung aller unserer Verhältnisse.

Wir danken vor allem Sr. Majestät, unserem in Ehrfurcht geliebten König Wilhelm II., welcher die Genehmigung zum Bau erteilte; wir danken Ihren Excellenzen den Herren Staatsministern des Aeußern, des Innern und der Finanzen, welche unser Unternehmen durch ihre Unterstützung möglich machten; wir danken den Landständen des Königreichs für die Zustimmung zu der reichen Subventionierung aus Staatsmitteln; wir danken der K. Generaldirektion der Staatseisenbahnen für die Förderung des Werks; wir danken der Amtsversammlung Neckarsulm und deren Vorstand für ihre ansehnliche Beihilfe; ferner danken wir für die Beiträge der im Bahnbereich gelegenen Orte, welche in richtiger Erkenntnis, daß ihre Hoffnungen auf Weiterführung der Bahn sich erst verwirklichen können, wenn einmal mit einer Kocherbahn der Anfang gemacht ist, den Bau erleichtert haben. Dank sagen wir der Württembergischen Eisenbahn-Gesellschaft, deren Aufsichtsrat und Direktion für die exakte Vollendung der Bahn, ferner dem Herrn Grunderwerbskommissär und seinen Kommissionsmitgliedern, sowie den bauausführenden Herren Baudirektoren und Ingenieuren und den Herren Bauunternehmern, Aufsehern und Arbeitern.

Der Bau ist ohne wesentlichen Unfall zu Ende geführt worden. Möge auch ferner ein gütiges Geschick über unserer Bahn walten und zum Segen und zur Wohlfahrt der ganzen Gegend beitragen! Mögen auch die Wünsche unserer östlichen Nachbarn auf Weiterführung der Bahn bald in Erfüllung gehen!

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Druck von Carl Lauser, Geschäftsbücher-Fabrik und Buchdruckerei Stuttgart.