Der Maler und das Mädchen

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Textdaten
Autor: Friedrich Overbeck
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Titel: Der Maler und das Mädchen
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aus: Der Wagen 1927, S. 30–31
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1926
Verlag: Otto Quitzow
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Erscheinungsort: Lübeck
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Quelle: Commons
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DER MALER UND DAS MÄDCHEN VON FRIEDRICH OVERBECK


 AM FRÜHEN MORGEN.
Der Künstler auf einem einsamen Spaziergange, die Bibel unter dem Arme.

Geh ich hinaus in deine Kühle, heitrer Morgen,
verscheucht dein Sonnenblick mir alle Sorgen.
Mir wird so leicht, so wohl ums Herz.
Ach! wie man doch so oft den Morgen nur verschlafen kann!

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Bei Sonnenaufgang, dünkt mich, finge man

das Leben allemal von neuem wieder an.
Ich fühle wie ein Kindlein in der Wiege,
daß ich am Herzen meiner treuen Mutter liege.
Die Flur, die fernen Berge und die Bäume,

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wie alles mich erinnert an die goldnen Träume

der jugendlichen Phantasie,
an die beglückte Kinderzeit,
wo man sich goldne Berge noch an goldne Berge reiht,
die Brust voll Sympathie.

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Jetzt deine Bibel aufgeschlagen,

um bei dem heiligen Orakel anzufragen!
Wie muß es hier im Freien an des Herzens Saiten schlagen!
Die Predigt Christi auf dem Berge will ich nehmen
und denken, daß die Worte jetzt aus seinem eignen Munde kämen:
 Er schlägt das Buch auf und liest:

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     „Und er tat seinen Mund auf, sie zu lehren,

     und ließ sie unsterbliche Weisheit hören.“
Merk auf! und den Verstand nimm jetzt gefangen
und habe Glauben wie ein Kind!
Denk, daß die Klügsten doch erst angefangen

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und daß wir alle noch der Leitung sehr bedürftig sind.

     „Selig sind die am Geiste Armen,
     denn der Herr wird sich ihrer erbarmen,
     und das Himmelreich ist ihr.
     Selig sind, die da dulden und leiden,

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     es kehrt einst Gott die Leiden in Freuden

     und wird sie trösten für und für.“
O Herr, beschränk’ du selber meinen Sinn
und lenk ihn ganz auf deine Lieb’ und Güte hin.
Laß keine eitle Ruhmbegier mein Herz betören

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und stets auf seine Stimme mich nur hören.

Und was du auch hienieden noch zu leiden hast,
nimm willig auf dich deine Last,
des Herren Joch ist sanft und seine Frucht ist süße.
Er labt uns einst durch Himmelstrost und Seligkeitsgenüsse.

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     „Selig sind die sanften Gemüter,

     ihnen gehören die irdischen Güter.
     Wahrlich ich sag’ euch, die Sanften auf Erden
     sollen aller Herren einst werden.
     Selig sind, die da hungert und begehren,

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     von Gerechtigkeit sich zu nähren,

     denn sie sollen Speise ha’n.
     Selig sind, die Barmherzigkeit üben,
     sie wird der Vater wiederum lieben,
     und werden Barmherzigkeit empfahn.“

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Du seist mir Beispiel, Herr und Meister;

du triebest aus die bösen Geister,
und wo du wandeltest, da floß Genesung auf die Kranken.
O welche Zunge kann dir, Herr, genugsam danken
für die Barmherzigkeit, die du getan?

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     „Selig sind, die im Herzen Kind,

     noch reines unschuldiges Sinnes sind;
     in ihres kindlichen Herzens Vertrauen
     werden sie Gott, den Allmächtigen, schauen.“
O welche Verheißung! ihn zu schaun!

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Ich will, jawohl, ich will auf die Verheißung baun!

     „Selig sind, die den Frieden lieben,
     niemand beleidigen, niemand betrüben,
     solche wird Gott als seine Kinder lieben.
     Selig sind, die um Wahrheit willen

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     gerne leiden und dulden im Stillen.

     Einst zum Überwinders Lohne
     schmückt sie unsterblich die Märtyrerkrone.“
 Indem er das Buch zuschlägt:
O! könnte ich doch jetzt nur eine Seele finden,
die so wie ich für heut noch rein von Sünden

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mit mir um eines zu dem Herren flehte,

daß unsichtbar sein Odem uns umwehte.
     „Wo zwei in meinem Namen sich versammeln
     und kindlich ihr Gebet mir stammeln,
     da will ich mitten unter ihnen sein.

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     Und wo sich zwei um eines zu mir nahn,

     das sollen sie vom Vater sicherlich empfahn.“
Sieh da! da kommt ein Mädchen hergegangen,
ich denke wohl, ich red’ es an,
sie sieht so kindisch aus, so unbefangen!

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O! die hat heut gewiß nichts Böses noch getan.

Ich setze mich derweil hier in den Schatten nieder
und horch so lange auf der Vögel Lieder.
 (Er setzt sich.)
Sieh! wie ein Engel sanft und rein!
Die kann gewiß nicht sündhaft sein!
 (Das Mädchen kommt und grüßt.)
Das Mädchen:

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     Gelobt sei Jesus Christus, Herr!

Der Künstler, schnell aufspringend:
     Jawohl in Ewigkeit gelobt sei der!
     Hör’, weißt auch, Kind, weß Namen du genannt?
Das Mädchen:
     Nun denn, von dem, den Gott gesandt.
     Sollt ich den Herren Jesus noch nicht kennen?
Der Künstler:

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     O liebes, gutes Kind, es tun ihn ja gar viele nennen.

     Sprich, hast du heut ihn schon um was gebeten?
     Wie? Sprich, mein Kind! Warum erröten?
     Ein Kind wie du, das ist ihm lieb und wert,
     wird alles, was es bittet, ihm gewährt.

[31]
Das Mädchen:
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     Ach Herr, ich bin ein gar zu armes Kind.

     Die Eltern nur gemeine Bauern sind.
     Und weiß gar wohl, er kann nicht stets auf alles Bitten hören.
     Wenn ich nur denk’, wieviel vornehme Leut es hat,
     von denen jedes auch doch eine Bitte tat;

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     und denen muß er sie doch erst gewähren!

     Bis da an unsereins die Reihe kommen kann,
     da mag er oft nicht viel mehr übrig ha’n,
     und doch hat er mir schon so viel zu Lieb getan.
Der Künstler:
     O Kind, er hat den Himmel dir ins Herz gelegt,

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     und wer den Gott in seinem eignen Busen trägt,

     der wird ja stets von innen schon belohnt,
     schon von dem Gott, der in ihm wohnt.
     Doch wisse, seine Gnad ist unermeßlich,
     und endiget bei denen, die ihn fürchten, nie.

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     Des Kindes Flehn, es ist ihm unvergeßlich,

     der kleinste Laut entgeht ihm nie.
     Vor ihm da gilt kein Ansehn der Person,
     vor ihm sind alle Menschen gleich –
     vom Bettler bis zum Fürsten auf dem Thron;

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     der Große kommt nicht früher in das Himmelreich.

Das Mädchen:
     Ach Herr, das kann ich doch so ganz nicht glauben.
     Tut mir des Herzens süßen Wahn nicht rauben,
     sonst könnte Stolz mein Herz berücken,
     und Demut nur tut mich beglücken.
Der Künstler:

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     O Gott im Himmel, sieh auf dieses Kind herab!

     Willst du zum zweitenmal den Sohn uns senden,
     so laß auf diese Unschuld deinen Geist herab,
     auch sie ist würdig, die Verheißung zu vollenden.
     Hör, Kind, ich weiß, es hört Gott lieber dein Gebet

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     als meins. Wenn so ein Kind voll Glauben zu ihm fleht,

     kann er sein Angesicht nicht von ihm wenden.
     Sieh, wenn wir beide ihn um etwas bitten,
     so haben wir den Herren selbst in unsrer Mitten.
     Sprich, könntest du das wohl?
Das Mädchen:

130
     Ich weiß nicht, was ich sagen soll!

Der Künstler:
     Das Sagen laß du mich nur tun,
     im Herzen aber mußt du mit mir beten!
     Versprich mir’s, Kind. Willst du das tun?
Das Mädchen:
     Ja, wenn Ihr sprechen wollt, will ich schon beten.
Der Künstler:

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     Komm, setzen wir uns unter diesen Baum,

     da hier im Grase ist für beide Raum.
 (Sie setzen sich – er betet.)
 „Herr, laß dir unser Stammeln nicht mißfallen!
 Hör gnädig, Herr, auf deiner Kinder Lallen
 Und neige uns dein Vaterohr!

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 O heilige doch, Gott, mein ganz Gemüte

 und töte jede böse Lust in dem Geblüte
 und zieh mich aus der Sünd’ hervor!
 Laß mich hinfort nicht sündigen!
 Dein Lob laß mich verkündigen,

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 dich unaufhörlich preisen wie der Engel Chor!

 In Tönen, Worten, Bildern
 kann man die Herrlichkeit des Herren schildern.
 O Herr! verleih mir auch,
 daß alles, was du mir geschenket,

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 die Kraft, die du mir in das Herz gesenket,

 zu deinem Lob ich ewig brauch’!
 Sieh, Herr, die Unschuld ihre Hände falten,
 tu ihr des Herzens Demut doch erhalten
 und wend’ nicht von ihr ab dein gnädig Aug’.

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 Sie weint, o Gott, die heil’ge Träne muß ich küssen.“

 (Er küßt sie heftig.)
Das Mädchen:
     Was macht Ihr, Herr, ihr habt mich hingerissen
     und wollt mich nun verführen gar?
     Ach Gott, was hab’ ich jetzt gemacht!
     Die Mutter hat mir’s oft gesagt:

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     Mit Männern nicht zuviel gewagt!

Der Künstler:
     Kind, glaubst du, daß man jetzo beten kann
     und gleich darauf nach Sinnlichkeit verlangen?
     Das Himmelreich fängt wie ein kleines Körnchen an,
     doch bald sieht man am Baum schon gold’ne Früchte hangen.

165
     Und alles Unkraut muß vergehn,

     in wessen Herzen dieser Baum tut stehn.
Das Mädchen:
     Ihr seid ein gar zu guter, lieber Mann.
     Wenn man Euch so zuhören kann,
     so gibt’s nichts Schön’res auf der Erden;

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     man könnte eine Heilige werden.

Der Künstler:
     O heilig, Kind? Das bist du lange schon!
     Dein Leib ist Gott geheiliget zum Tempel,
     in deinem Herzen hat er selber seinen Thron,
     auf deiner offnen Stirne trägst du seinen Stempel.

175
     Hab’ Dank, o Kind, für dein Gebet,

     ich glaub’ gewiß, daß, wie geschrieben steht,
     hat unter dem Gebet des Herren Geist um uns geweht.
     Doch geh jetzt, Kind, geh dem Geschäfte nach –
     und morgen früh, bist du so früh schon wach,

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     triffst du mich auf derselben Stelle wieder.

Das Mädchen:
     Fast kann ich mich nicht von Euch trennen,
     das Herz ist mir so voll!
     Ich weiß nicht, wie ich das Gefühl soll nennen.
     Mir ist so weh und doch so wohl.

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     Und morgen früh komm ich gewißlich wieder.

     Adje!
Der Künstler:
     Leb wohl, du liebes Kind, für heute!
     Des Tages Arbeit ruft uns beide.
 (Sie trennen sich.)