Die Paroledame von Rostock
[388] Die Paroledame von Rostock. Der strenge Ernst des militärischen Dienstes muß es sich ab und zu gefallen lassen, daß gleich dem Grasbüschel an der starren Festungsmauer das Blümlein Humor an ihm emporwuchert und ihm ein gut Theil seiner finsteren Schroffheit benimmt – ohne daß dadurch das feste Gefüge der Mauer, „Disziplin“ genannt, sich lockern würde. Einen anmuthigen Beleg zu diesem Satze hat unser Bildchen festgehalten: es stellt uns die „Paroledame von Rostock“ dar, deren Tod kürzlich von den Zeitungen gemeldet wurde.
Es war ein merkwürdiges, einzigartiges Verhältniß, welches zwischen dieser Dame, dem Fräulein Adelheid Mahn, und den in Rostock liegenden Bataillonen des mecklenburgischen Füsilierregiments Nr. 90 bestand. Kein Tag verstrich, an welchem nicht Fräulein Mahn bei der mittäglichen Paroleausgabe erschien und sich dort die für den Dienst des nächsten Tages ausgegebenen Befehle von den Feldwebeln mittheilen ließ, um dann am folgenden Morgen beim Antreten dieser oder jener Compagnie zugegen zu sein. Nicht Regen noch Sturm noch Schnee vermochten sie von diesem Gange abzubringen, und wenn irgend ein bedeutenderes militärisches Schauspiel stattfand, eine Parade oder eine Besichtigung, wenn die Truppen zum Manöver abrückten oder von demselben nach Hause zurückkehrten, — niemals fehlte Fräulein Mahn unter den Zuschauern.
Ja, als zu Anfang dieses Jahres die Garnison von Rostock die Quartierhäuser in der Stadt aufgab und die neue Kaserne bezog, da wechselte auch die „Soldatenmutter“ ihre Wohnung, um den geliebten Füsilieren nahe bleiben und an ihrem täglichen Leben und Treiben fortdauernden Antheil nehmen zu können. Die Rekruten wie die alten Mannschaften, der jüngste Lieutenant wie der gestrenge Regimentskommandeur, alle kannten die anhängliche, in ihrer Bescheidenheit niemand lästig fallende Dame und erwiesen ihr gerne jede Aufmerksamkeit; und als sie starb, da schmückte das Regiment ihren Sarg mit Kranzspenden, die Offiziere und Unteroffiziere gaben ihr das letzte Geleite nach dem Friedhof und die Militärkapelle spielte einen Choral über dem offenen Grabe der getreuen „Paroledame“.
Wie die merkwürdigen Beziehungen zwischen der Verstorbenen und ihrem Regimente allmählich entstanden, darüber fehlt uns sichere Kunde. Die geschäftige Legende aber füllt die Lücke aus und erzählt, daß einst, als die vierundsiebzigjährige Greisin noch ein hübsches junges Mädchen war, sie eine tiefe Neigung zu einem schmucken mecklenburger Krieger faßte, daß aber leider, wie so oft im Leben, „aus der Geschichte nichts wurde“. So sei es gekommen, daß sie die Liebe, welche bei dem Einen ihre Erfüllung nicht finden sollte, auf den ganzen Stand übertrug — und ihm hat sie auch die Treue gewahrt bis zum Tode.