Die unbekannten Gewerbe in Paris

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Titel: Die unbekannten Gewerbe in Paris
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 523-524 und 526-527
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die unbekannten Gewerbe in Paris.

Nachdem ich Paris in allen Richtungen studirt hatte, gelangte ich zu der festen Ueberzeugung: Wenn mir Jemand sagen würde, daß in irgend einer entlegenen Gasse ein Mensch wohne, der Messergriffe aus alten Mondscheiben mache – ich würde es ihm glauben.

Paris hat meine ganze Verwunderung abgenützt; ich staune nicht mehr, mache keine Bemerkungen mehr, ich sehe und höre nur und sage mir: Es ist möglich! Ich habe auf meinen Gängen mitten durch die Stadt des Elends Alles gesehen! Ich habe Männer angetroffen. die das Talent Columb’s haben und jeden Tag irgend ein Amerika entdecken müssen, um am Tage einen Bissen Brot und in der Nacht ein Lager zu finden.

Kennen Sie einen Menschen, der Feuer verkauft? Nein; aber ich! Monsieur Jannier ist etwa 35 Jahre alt, seine Brust ist breit, seine Haare fallen auf den Nacken nieder, wie die Mähnen eines Löwen. Sein Gesicht ist offen und freimüthig; seine Sammetjacke mit den weiten Seitenflügeln, seine pludrigen Husarenhosen dazu geben ihm das Aussehen eines Ornamentenmachers, kein Pariser würde ihn für einen Geschäftsmann halten; kurz er sieht wie ein Künstler aus und er liebt auch die Kunst. Als er noch jung war, schwärmte er manchmal in den Weinkneipen der Barrièren, seitdem aber haben die Jahre seinen Verstand gereift, er hat Satan Lebewohl gesagt und den Werken des Teufels entsagt. Er geht allerdings noch sehr gern in die Boulevardtheater, wo man die sanftrührenden Thränen- und Schauerstücke zu Dutzenden giebt, aber seine Gedanken sind auf etwas Anderes gerichtet: er will Glück machen!

Jannier träumte von behaglichem Leben, vom Mittelstande, [524] von einem Pferde, um nach Herzenslust auszufahren, um in seinem eigenen Sperrsitze seine Lieblingsschauspieler zu sehen. Sein höchster Ehrgeiz, sein Utopien bestand darin, in einem kleinen weißen Landhäuschen mit grünen Jalousien seine alten Ideale zu vereinigen. Surville, Francisque, St. Ernest und Chilly, und in Paris zuweilen Lacressonnière und Deshapes zu besuchen, vielleicht Christian und Bavasseur vom Theater des folies zu dutzen und bei hellem Tage mitten auf dem Boulevard die Damen vom Theater zu grüßen. Dies war der Beweggrund, der unsern Erfinder stachelte, der Stern, der ihn zu Entdeckungen geführt hat.

Die Marktweiber (les dames de la halle), welche den ganzen Tag der unangenehmsten Witterung ausgesetzt sind, bedienen sich sieben Monate lang kleiner viereckiger Kästchen, die inwendig mit Blech beschlagen sind und Chausserettes heißen, oder auch jener abscheulichen Thontöpfe, die man gueux, Lumpenkerls, heißt. Sie setzen dieselben zwischen die Knie, um sich die Finger zu erwärmen. Diese Damen lassen sich ihre Wärmkästchen oder gueux täglich 1–2 Mal von den nahen Kohlenhändlern herrichten, zahlen 3 Sous für beide Male und müssen oft lange warten, bis es den Herren Auvergnaten beliebt, daran zu denken oder früh aus dem Bette zu kriechen. Diese unentbehrlichen Herren schliefen bisweilen bis in den hellen Tag hinein.

Jannier war Zuläufer am Markte, d. h. er verrichtete ungefähr Alles, was man von ihm verlangte; er war Lastträger, Eckensteher, Botenläufer u. s. w. Jannier hatte also, während er in langen Nächten auf Arbeit wartete, die Nachlässigkeit der hohen Bankiers vom Kohlenhandel bemerkt und beschloß, sie auszustechen. Er hatte einen Einfall, der, wenn er gut angewendet wurde, den Erfinder unfehlbar zu jener ersehnten Behäbigkeit führen mußte – zu dem geträumten Sperrsitze.

Er sagte zu sich selbst: Ich kann zu meinem Ziele nur gelangen, wenn ich bessere und wohlfeilere Waare liefere, meinen Kunden mit Gefälligkeit zuvorkomme, [526] anstatt sie zu meinem Bette kommen zu lassen. Die Auvergnaten geben Kohlenstaub in die Chaufferetten und das kann gefährlich werden; ich muß etwas Unschädliches auftreiben, das eben so viel Wärme giebt und länger brennt. Er dachte nach, suchte, versuchte und fand endlich „den verkohlten Gerberloh.“

Er konnte nun seine Rivalen schlagen, indem er ankündigt: „Keinen Kopfschmerz mehr!“ Jannier war ein Erfinder, seine Concurrenten waren nur simple Verkäufer; er hatte Genie, hatte den Fortschritt gefunden, während jene nur ärmliche Professionisten waren.

Gegen Ende des Winters 1836, als die Marktweiber nur in der Nacht noch Feuer brauchten und nur auf den Markt kamen, wenn um Mitternacht die ersten Obst-, Fisch- und Gemüsewagen auf den Platz rollten, näherte er sich den Gruppen, sprach mit den Leuten, scherzte höflich mit den Damen, die sich die Oberherrschaft der schwarzen Kohlenhändler gefallen ließen, und als er sich endlich das Lob eines gutmüthigen Burschen erworben hatte, flocht er hinterlistig die Frage in’s Gespräch:

„Was würden Sie denken, wenn ein Mann, der weder Auvergnat noch Kohlenhändler ist, jeden Morgen Ihnen die Wärmpfanne zu Ihnen selbst auf Ihre Standplätze brächte, ohne daß Sie sich auch nur im Geringsten zu derangiren brauchten, und das sofort zu jeder Stunde, bei Tag und Nacht?“

„Wir würden sagen: das ist ein braver Kerl, er würde sich gut dabei stehen und wir auch.“

„Nun also, dieser Kerl werde ich sein, denn im nächsten Winter etablire ich mich als Feuerhändler.“

Diese neue Idee, ein Mann, der es besser zu machen versprach, als man es seither gemacht hatte, beschwor einen wahren Sturm heraus, ein allgemeines Hallali! Bevor noch Jemand wußte, wovon es sich handle, hatte schon Jeder geschrieen, das sei unmöglich und jeder Versuch unnütz; das solle Keinem einfallen. Ueber Jannier fielen alle Witze her, er ertrug sie alle mit der Ruhe des Genies. Er fühlte sich stark, denn er hatte Vertrauen auf sich selbst und er ließ den Sturm vorübergehen. „Wer sich zuletzt wärmen wird, wird sich am besten wärmen,“ dachte er bei sich selbst.

Sogleich den folgenden Tag miethete er jenseits der Seine, an dem Ufer der stinkenden Bièvre, fast auf dem Felde, in der Gasse Croulebarbe, eine Art verwitterten Gemäuers, einen Hof, der von einer zerfallenen Mauer eingeschlossen war. Hierher schleppte er vier Pflastersteine und ein altes Blechdach, einen Aufsatz, und begann sein Geschäft mitten im zwölften Arrondissement; zwischen den zahlreichen Gerbereien sitzend hatte er sein Material bei der Hand, das er mit einem kleinen Handkarren zuführte und in einem alten Kasten verschloß, den er mit Blech ausfütterte und somit zu seinem Magazine umgestaltete. Mit diesem bescheidenen Handwerkszeuge machte sich Jannier an’s Werk. Zuerst richtete er einen gehörigen Luftzug ein, die Pflastersteine stellten den Ofen vor.

Seine sämmtlichen Ersparnisse, 600 Francs, die Frucht saurer Mühen und Entsagungen, spielte er auf eine einzige Karte; wie die kühnen Seeleute, welche auf die Entdeckung unbekannter Welttheile ausziehen, wagte er seine Jugend und seine alten Tage.

Den ganzen Winter hindurch steckte er in seinem Laboratorium während des Tages, halb nackt, der Ungunst der Witterung preisgegeben, neben einer Ofenhitze wie in einer Bäckerei. Ein anderer Mensch wäre dabei umgekommen, aber er besaß Ausdauer, Muth und Unternehmungsgeist; er wollte über die Lacher triumphiren Nach diesen Tagesarbeiten ging Jannier regelmäßig des Nachts auf den Markt und setzte daselbst die alten Arbeiten fort, um das Nöthige für sein Leben zu verdienen. Er verrichtete hier die Arbeit von drei Männern, aber er hatte sich feierlich vorgenommen, sein Kapital nicht anzugreifen und seine Existenz wie früher zu fristen.

Gegen das Ende des Sommers baute er sich einen Lastwagen, den er inwendig und auswendig mit starkem Blech beschlug; sein alter Karren gab die Räder und das Gestelle dazu her, und sobald die erste Nachtkälte einbrach, Ende September, erschien er plötzlich auf dem Markte des Innocents, hinter sich ein schwarzes Ding schleppend, das ganz wie ein Trauerkasten aussah. Als man am wenigsten darauf gefaßt war, erscholl auf einmal der sonderbare Ruf, daß alle Köpfe sich umwandten:

„Feuer! Feuer zu verkaufen! Wer braucht Feuer?! Meine Damen bedienen Sie sich für Ihre Chaufferetten! Feuer zu verkaufen!“

Seine männliche und wohlklingende Stimme übertönte den Markt von der Gasse St. Denis an bis weit über den Tuchmarkt hinüber. Ein ungeheurer Lärmen antwortete; das schallende Gelächter überbot die Verwirrung der verschiedenen Rufe, von denen der Markt gewöhnlich erdröhnt. Aber er hatte die Neugierde angeregt, man kam heran, man wollte sehen und erfahren, was da geschieht. Die kühnsten Marktweiber wollten die Waare versuchen; Jannier, treu den Vorschriften der alten französischen Galanterie, zeigte seine Neuigkeit und wies das Innere seines Kastens, das ganz einem glühenden Krater glich. Die muthigen Damen kauften um 1 Sous Feuer und ihre plaudernden Zungen trugen die Mähre weiter, und ersparten ihm alle Kosten der Anschlagzettel.

Auf dem ganzen weiten Markte sprach man von nichts als von dem neuen Kaufmanne; es kam in Mode, seinen Wärmtopf und seine Wärmschachtel bei dem Feuerverkaufer zu verproviantiren und der war so lustig, so artig und hatte für Jeden seinen harmlosen Scherz.

Heut zu Tage beschäftigt Jannier 15-20 alte Weiber bei seinem Kohlofen; sie verkohlen Lohziegel das ganze Jahr hindurch, Sommer und Winter. Er hält vier kräftige Pferde, die nicht mehr bloße mit Blech beschlagene Wagen ziehen, sondern eine Art kolossaler Locomotiven aus geschmiedetem Eisen, die auf Messingtafeln stolze Namen tragen: Vulcan, Polyphem, Cyclops, Lucifer, ganz wie auf Eisenbahnen. Diese Wagen versorgen mit ihrem Feuer alle Marktweiber von Paris, von der Vorstadt St. Antoine und le temple bis zur Vorstadt St. Germain und St. Honoré. Ueberdies füllt er die Wärmkasten der alten Leute [527] mehrerer Versorgungshäuser und wenn die Verwaltung der öffentlichen Krankenhäuser diesen Artikel verlicitiren wollte, und Jannier die zwei großen Siechenhäuser la Salpetrière und le Bicêtre bekäme, so wäre sein Traum erfüllt, den er schon bis zu drei Vierteln erfüllt sieht. Dann könnte er täglich Vavasseur und Deshayes, St. Ernest und Christian zu Tische laden und von seinem Sperrsitze aus diese Herren spielen sehen; er könnte in seinem eigenen guten und weichen Wagen mit zwei schönen Mecklenburgern dahinfahren.

Ohne Zweifel giebt es ungeheure Reichthümer auf dem Pariser Markte, aber das will nicht sagen, daß man nur den Fuß auf das Pflaster des Marktes des Innocents zu setzen braucht, um sogleich seine alten Brotrinden oder seine mürben Lohziegel in Gold verwandelt zu sehen. Auch hier giebt es Leute und zwar sehr viele, die unterliegen; nicht alle Steine, die man rollt, bringen Moos mit, wie man sagt. Auf den Pariser Märkten schlägt sich um’s tägliche Brot eine ungemein große Volksmenge und benetzt mit saurem Schweiße die wenigen Sous des täglichen Erwerbs. Diese Zuläufer sind thätige, unternehmende Leute, kühn und bereit zu jeder Arbeit, zu jedem Gange, zu jeder Entbehrung. Sie schonen weder ihre Arme noch ihre Beine; sie sind treu und redlich; sie haben alle Eigenschaften, die einen ehrlichen Mann auszeichnen und dennoch tragen sie meist nur einen geringen, ungenügenden Lohn davon.