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Ein Besuch in Rendsburg

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Textdaten
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Autor: Gustav Rasch
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Titel: Ein Besuch in Rendsburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 75–76;78
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[75]
Aus den Landen des verlassenen Bruderstammes.
1. Ein Besuch in Rendsburg.


Rendsburg ist meine liebste Stadt zwischen Elbe und Königsau. Ich liebe Rendsburg in seiner Geschichte, in seiner Lage, in seiner charakteristischen Altstadt, in seinen Bürgern. Rendsburg liegt gerade in der Mitte Schleswig-Holsteins; es ist der Knoten in der Vertheidigungslinie der Eider, die natürliche Brücke von Holstein nach Schleswig. In Rendsburg und seiner Umgegend, welche keinesweges von der Natur so begünstigt ist, wie die üppigen Districte des Ostens, wohnt mit der edelste Theil der Ureinwohner des Landes, der Kern des nordalbingischen Sachsenstammes. Von diesem zwischen Eider und Stör gelegenen Theile Holsteins, welcher heute das Amt Rendsburg umfaßt, gingen die großen und historischen Ereignisse des Landes aus. Bei diesem energischen und kräftigen Menschenschlage fand Karl der Große auf seinen verheerenden Raub- und Eroberungszügen den kräftigsten Widerstand. Von hier aus wurden die Dänen nach dem Norden, die Wenden nach dem Osten zurückgeworfen; die Heldenschaar, mit der Gerhard der Große das dänische Reich unterwarf, war aus der Gegend zwischen Eider und Stör.

Seit uralter Zeit war die Eiderinsel, auf der Rendsburg liegt, befestigt. Sie führte den Namen Reinoldesburg. Als Stadt trat Rendsburg mächtig unter den Städten der Herzogthümer hervor unter dem großen Grafen Gerhard, der in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts lebte. Christian der Fünfte erweiterte den Ort auf seine heutige, doppelte Größe, und schuf ihn zu einer Festung um. Und von jeher haben sich die Bewohner von Rendsburg durch ihre kräftige Energie, durch ihre patriotische Gesinnung, durch seltenes, gesundes Urtheil, durch geistiges Leben und edle Bildung ausgezeichnet.

Rendsburg war immer und zu allen Zeiten ein Fels des Landes. An seiner kernigen und muthigen Bürgerschaft brach sich die Macht der Schweden im dreißigjährigen Kriege. Und diese Stadt wurde im Jahre 1851 mit ihren Kriegsvorräthen, welche für eine Armee von 50,000 Mann ausreichen, mit ihrem Feld- und Belagerungsgeschütz so schmählich den Dänen ohne Schwertstreich, ohne Schuß geopfert! — Sie zerstörten alle nach dem Norden gelegenen Festungswerke, bauten zwischen Altstadt und Neustadt die Forts, welche sie zum Hohn Deutschlands „Südjütlands- Brückenkopf“ nannten, und machten sie zu einem Bollwerk dänischer Herrschaft gegen die deutsche Nation. Aber auch rund um die Stadt herum wohnt ein gar gediegener und tüchtiger Bauernstand, ein Bauernstand, der sich durch aufgeweckten, gesunden Verstand, durch seltene Intelligenz, durch kräftigen Unternehmungsgeist, durch gemeinnützige Gesinnung, durch wahrhaft deutschen Sinn auszeichnet. Hier liegen die alten, großen und historischen Dörfer des Landes.

Es sind nun zwei Jahre, daß ich zum letzten Male in Rendsburg war. Die Stadt lag damals voll von dänischen Truppen; dänische Beamten und dänische Polizei unterdrückten alle bürgerliche und individuelle Freiheit. In der Presse knebelte die dänische Regierung die Freiheit des Gedankens und die öffentliche Meinung. Das nationale, deutsche Bewußtsein der Bürger sollte dem Dänenthum weichen. Aber die Energie und die Zähigkeit der Bevölkerung waren stärker, als alle Anstrengungen des dänischen Regierungsmechanismus. Wie ehemals in der Lombardei, wie heute noch in Venetien, setzten Alle einmüthig den Dänen den zähesten Widerstand entgegen. Den Dänen öffnete sich kein deutsches Haus, noch weit weniger ein deutsches Herz. In keiner Gesellschaft hatten die dänischen Beamten und Officiere Zutritt; zu keinem Feste, zu keinem Balle wurden sie geladen; man sprach nicht mit ihnen, man grüßte sie nicht, man saß nicht mit ihnen im Gasthause an demselben Tische. Sie lebten einsam, wie in einer menschenleeren Wüste, nur auf den Umgang mit sich selbst und mit ihren Familien angewiesen. Wer diesen Bann brach, den man um die Dänen gezogen, der war selbst von der ganzen Gesellschaft ausgestoßen. Verachtet ging er ebenso einsam umher. Zwölf Jahre haben die Rendsburger Bürger diesen Widerstand mit einer seltenen Consequenz und Ausdauer durchgesetzt, mit einer zähen Energie, um welche die Lombarden in Mailand und Brescia sie hätten beneiden können. Jetzt sah ich Rendsburg wieder, das von der dänischen Herrschaft befreite Rendsburg. Ich hatte die Heerstraße zu meiner Reise benutzt. Alle Häuser waren mit deutschen und schleswig-holsteinischen Fahnen geschmückt, in den Straßen erklang das Schleswig-Holsteinlied, vor der Hauptwache am Paradeplatze und auf „Südjütlands-Brückenkopf“ wehten die Fahnen Schleswig-Holsteins und des gemeinsamen, großen deutschen Vaterlandes fröhlich im Morgenwinde. Und als ich Morgens erwachte, da hörte ich auf dem Paradeplatze die Signale sächsischer Hörner und deutsche Commandoworte: „Gewehr auf, Marsch, Marsch!“ und eine sächsische Jägercompagnie zog vorüber, um die Stellung an der Schleußenbrücke und an den Schanzen zu besetzen. Und ein lieber Freund, der Advocat Fischer, trat zu mir in die Stube und sagte: „Wollen wir nicht einen Gang durch Rendsburg machen? Vor zwei Jahren habe ich Sie auch durch die Stadt geführt. Damals war es anders. Heute sollen Sie Rendsburg ohne Dänen sehen.“

„Ja,“ rief ich. „Vor zwei Jahren war es an einem warmen und heitern Sommertage, heute liegt eine dichte Schneedecke und ein grauer Nebel über der Stadt; aber das Herz ist ebenso heiter und fröhlich, wie es damals traurig war.“

Und aus der casernenhaft und regelmäßig gebauten Neustadt gingen wir durch die herrliche Allee von Ulmen und Linden über den Jungfernstieg nach der noch im mittelalterlichen Styl aufgebauten Altstadt. Zu beiden Seiten des Weges goß sich in weiter Fläche die Eider aus. Den Wasserspiegel bedeckte heute eine schimmernde Eisdecke. Auf dem Jungfernstieg waren bei einigen prächtigen Bäumen die Krone und ein Theil der Aeste abgeschlagen; manche trugen die Spuren von Axthieben auch an den Stämmen; drüben auf der anderen Seite des Wassers war eine lange Reihe herrlicher Ulmen in ähnlicher Weise verunstaltet. Eine prächtige Trauerweide, welche vor zwei Jahren weit über den Wasserspiegel hinabhing, fehlte heute ganz. „Wer hat denn diese prächtigen Bäume in so barbarischer Weise verunstaltet? wo ist denn die schöne Trauerweide geblieben, welche ich damals so bewunderte?“ fragte ich, erstaunt über diese Verwüstung, meinen Freund.

„Glauben Sie,“ erwiderte er, „daß diese Barbarei Jemand anders begangen haben kann, als die Dänen? Es fiel ihnen plötzlich ein, daß die Altstadt zu Schleswig gehöre, und sie hatten die Absicht, Rendsburg nur bis „Südjütlands-Brückenkopf“ zu räumen, der, wie Sie sehen, dort am Ende der Promenade des Jungfernstieges die Altstadt von der Neustadt trennt. Hinter den Forts dort wollten sie sich festsetzen und sämmtliche Bäume hier auf der Promenade niederhauen, um für ihre Kanonen freien Spielraum zu haben, wenn die Sachsen durch die Neustadt heranzögen. [76] Sehen Sie da und dort, zwanzig Schritte weiter die Vertiefungen im Boden quer über den Weg?“

„Ja, ich sehe sie. Woher rühren sie?“

„Die Dänen hatten zwei Palissadenreihen quer über die Straße gebaut, um hinter ihnen den Durchgang zwischen den beiden Forts nach der Altstadt zu vertheidigen.“

„Nun, und wo sind die Palissadenreihen geblieben?“

„Es war zu lächerlich,“ sagte der Advocat, „zweimal haben sie die Palissadenreihen in zwei Tagen aufgebaut, und wieder niedergerissen. Ihre Unentschlossenheit war eben so groß, wie die Lust, hier, mitten in Rendsburg Halt zu machen in ihrer Retirade.“

„Und wie war ihr Abzug?“

„Kläglich, ganz still und lautlos. Es lag ein dichter Nebel. Sie verschwanden fast ungesehen. Dann stieg die Sonne hinter den grauen Nebelvorhängen empor, feurig, glänzend, die Häuser und der Wasserspiegel erschienen wie in goldenes Licht getaucht. Und mit der Sonne zogen die Sachsen ein, von unendlichem Jubelruf begrüßt, und aus allen Fenstern flatterten in demselben Moment die schleswig-holsteinischen und die deutschen Fahnen. O, es war ein herrlicher Augenblick nach so langer, trüber Zeit!“

„Ist es denn wahr, daß die Dänen Alles fortgenommen und mitgeschleppt haben, was nicht niet- und nagelfest war?“

„O nein,“ erwiderte er lachend, „sie haben sogar das mitgenommen, was niet- und nagelfest war. Sie haben die Oefen aus den Baracken gebrochen, sie haben die Laternenpfähle dort drüben ausgerissen; in den Casernen, im Lazareth fehlt Alles, sie haben sogar die Nägel aus der Wand gerissen, an denen sie Kleidungsstücke aufgehängt hatten. Im Telegraphenamt fehlen alle telegraphischen Instrumente. Man erzählte mir, daß sie sogar die Fußböden aufgerissen und aus den Bretern Kisten gezimmert haben.“

„Und das Geld in den Cassen?“

„Glauben Sie etwa, daß die Dänen Geld liegen lassen? Nein, das wäre doch zu naiv!“

Wir waren am „Südjütlands-Brückenkopf“ angekommen. Der Name umschließt eine kolossale Frechheit, und zwar eine zweifache Frechheit, einmal, indem Schleswig „Südjütland“ genannt wird, dann, indem sie mit dieser Benennung die Grenze Schleswigs bis mitten in die Stadt Rendsburg verlegen. Aber wenn es auf dänische Anmaßung ankommt, da kann man ja über gar nichts erstaunen! Nun gingen wir links an dem Fort abwärts, immer an der Eider entlang, durch den sogenannten Schlangenweg und über die Schiffbrücke nach der Schleuße zu. Im Sommer ist dieser Weg ein sehr angenehmer Spaziergang. Links schweift das Auge über die blaue Wasserfläche des Flusses, welcher sich hier zu einem weiten Becken ausdehnt, rechts erheben sich hinter duftigen Wiesen die charakteristischen Häuser der Altstadt. Heute deckte die ganze Umgebung eine weiße Schnee- und Eisdecke. „Wohin führen Sie mich denn eigentlich hier, Freund?“ fragte ich den in schnellem Schritt neben mir gehenden Advocaten.

„Wohin? nun, nach dem Kronwerk. Sie sollen doch die Hannemänner ganz in der Nähe sehen. Sehen Sie da drüben den Danebrog? Er ist auf halben Stock aufgezogen, wegen der Trauer.“

Richtig, drüben am andern Ufer des Flusses flatterte lustig der Danebrog, das weiße Kreuz im rothen Felde auf hoher Stange. Noch einige hundert Schritt, und wir waren im Kronwerk angekommen. Die Scenerie war sehr belebt. Hier, gleich neben uns, waren eine Compagnie sächsischer Infanterie und eine Abtheilung Pioniere beschäftigt Erdschanzen aufzuwerfen. Mühsam arbeitete der Spaten in dem gefrornen Boden. Drüben am andern Ufer des Flusses standen das Zollhaus und einige andere Gebäude, welche dänische Infanterie besetzt hielt. „O,“ sagte der Advocat, „kommen Sie, Sie können die Dänen noch näher haben. Auf zehn Schritte sollen Sie Hannemann sehen.“ Wir gingen an dem Wasserbecken entlang bis dahin, wo dasselbe durch eine Schleuße mit einem zweiten, weiten Wasserbecken verbunden war. Die Schleuße hatte eine Breite von ungefähr zwanzig Schritt. Ueber derselben lag eine Brücke, welche aufgezogen werden konnte. Jenseits derselben standen zwei dänische Posten. Hier, auf der andern Seite standen ihnen zwei sächsische Posten gegenüber. Die Dänen hatten das Gebäude, welches ihnen als Wachthaus diente, durch eine hohe Palissadenreihe gegen die Brücke zu geschützt. Hier drüben hatten die Sachsen ihre Wache ebenfalls in einem hart am Ufer liegenden Gebäude eingerichtet, und eine Palissadenreihe gerade derjenigen der Dänen gegenüber erbaut. Officiere und Soldaten gingen ab und zu. Viele Soldaten standen an der Schleußenbrücke und schauten plaudernd hinüber. Vor dem sächsischen Wachthause wehten die schleswig-holsteinische und die deutsche Fahne. So nahe haben sich Deutsche und Dänen lange nicht gegenüber gestanden.

„Was meint ihr, Kinder?“ fragte ich die neben uns stehenden Unterofficiere und Soldaten, „wollen wir nicht hinüber über die Brücke und die Hannemänner aus dem Lande treiben?“

„O,“ erwiderte einer der Unterofficiere, „wenn wir nur dürften, wie wir wollten, die Dänen wären auch schon aus Schleswig. Aber da stehen wir hier und dürfen nicht vorwärts, und da drüben plündern die Dänen die schleswigschen Dörfer aus. Nie dürfen wir wieder nach Dresden kommen, wenn wir die Dänen nicht aus dem Lande getrieben haben. Man wird uns verachten. Und so denken wir Alle, die Soldaten und die Unterofficiere. Und es liegt doch nicht an uns.“

„Ja, so denken wir Alle,“ sagte ein zweiter Unterofficier, „alle Sachsen. Auch die Hannoveraner denken so. Wir gehen nicht wieder zurück nach Altona.“

Da trat ein Rendsburger Bürger heran, als er uns bemerkte. Ich kannte ihn recht gut, noch von früher her. „Schändlich,“ rief er, „ist das nicht schändlich? Sehen Sie da drüben die sechs holsteinischen Dörfer, welche zwischen Eider und Sorge liegen. Bis jetzt hat kein Mensch in der Welt bestritten, daß sie zu Holstein gehören. Und die Dänen halten sie besetzt und plündern sie aus, und wir stehen hier und sehen zu, und der Bundestag – setzt keine Sitzung an. So eben erzählt mir ein Mann aus Büdelsdorf, aus dem größten Dorfe da drüben, daß gestern bereits Execution angesagt ist wegen der eigentlich erst am 14. Januar fälligen Steuern. Es ist den Dänen plötzlich eingefallen, sie zum 5. Januar einzufordern. Und eine Requisition ist angesagt, die die Dörfer vollkommen ruiniren muß. Von Heu und Stroh soll die Hufe Landes 3–4000 Pfund liefern. Schwertfeger, der den „Megger Koog“ besitzt, soll allein eine Million Pfund Heu liefern. Und es ist so leicht, jetzt die ganze Danewerkstellung zu nehmen,“ fuhr er fort, „jetzt, wo die Treene und die Schley gefroren sind; fast ohne Verlust kann man sie nehmen, während, wenn das Wasser wieder auf ist, zehntausend Menschen dabei umkommen können. Es ist eine schändliche Geschichte.“

„Kennen Sie die Stellung so genau?“ fragte ich ihn.

„Ganz genau. Ich habe darin gearbeitet. Ich kenne jede Schanze, jedes Geschütz. Wenn Sie wollen, will ich Ihnen die Stellung ganz genau beschreiben. Aber ich muß schleunig nach der Stadt. Sie müssen mit mir zurückgehn.“

Wir gingen der Eisenbahn entlang bei der Schanze, welche dort die Hannoveraner bauen, vorüber nach der Stadt. „Unsinn,“ murmelte der Rendsburger Bürger, als wir bei den Schanzarbeitern vorüberkamen, „diese Schanze! Was soll die Schanze? Sie wird nur angelegt, um die Leute zu beschäftigen.“ Auf dem Eise liefen halberwachsene Knaben Schlittschuh. Sie hatten bunte Bänder in den schleswig-holsteinischen Farben in Händen, und wenn sie ganz in der Nähe der drüben postirten dänischen Schildwachen waren, hielten sie ihnen die Bänder hin und riefen: „Hannemann, kennst Du dat?“ oder: „Hannemann, kannst mi kriegen?“ worauf sie dann eilig zu dem andern Ufer zurückjagten.

„Unsere Lage ist wahrlich zu ernst zu solchem Kinderspiel,“ sagte der Rendsburger Bürger, als wir neben dem Flüßchen hin zur Stadt zurückgingen. „Aber hören Sie jetzt, nun will ich Ihnen die Danewerkstellung schildern, Herr Doctor; aber bringen Sie’s in Deutschland in die größte Zeitung. Die Dänen werden sich schändlich darüber ärgern. Allein können Sie nicht Schleswig-Holstein erobern, leider nicht; aber so geärgert hat die Dänen, wie Sie, bis jetzt selten Jemand. Also hören Sie: Friedrichsstadt bildet den rechten Flügel der Stellung. Es hat 3 Schanzen, eine starke Schanze und zwei Lünetten. Sie sind mit 13 Kanonen armirt, 6pfünder bis 84pfünder. Der Brückenkopf ist zerstört. Nun weiter nach links. Die nächsten Schanzen sind bei Hollingstedt. Zwischen Friedrichsstadt und Hollingstedt bildet die Treene die Überschwemmung des Treenethals. Zwischen Hollingstedt und Kurburg sind neun starke Schanzen. Sie sind armirt mit einem 84pfünder, zwei 4pfündern, zwei 18pfündern und zwei 6pfündern. Von Kurburg bis Danewerk sind fünf Schanzen. Sie sind ebenso armirt, wie die vorigen. Das Terrain ist dort flach. Von Danewerk bis Pustorf sind acht Schanzen. Davon sind drei Schanzen nicht armirt. Das Terrain ist hügelig. [78] Hier ist die Stellung am leichtesten angreifbar, weil das vorliegende Terrain aus Moorgrund und Wiesen besteht und das gegenüberliegende Terrain hügelig ist. Jetzt ist das ganze Terrain gefroren. Hier ist die Stellung also bei dem gefrorenen Terrain, und weil die Schanzen nicht armirt sind, leicht zu nehmen. Bei Friedrichsberge ist eine Schanze mit vier Geschützen, zwei 18pfündern und zwei 6pfündern. Hier beginnt nun die Schley. Jetzt ist sie gefroren und haltlos. Die nächsten Schanzen sind bei Missunde. Es sind ihrer drei, jede mit acht Geschützen armirt. Bei Missunde ist die leichteste Übergangsstelle über die Schley. Die ganze Schanzenreihe hat bis Schleswig eine Länge von sieben Meilen, von Schleswig bis Missunde dritthalb Meilen. Zu ihrer Besetzung sind wenigstens 2400 Artilleristen nöthig. Es ist gar nicht zu verantworten, daß die Stellung nicht jetzt augenblicklich angegriffen wird. Wie ich Ihnen sage, sie wäre fast ohne Blutverlust zu nehmen.“

„Aber warum armiren die Dänen die Schanzen nicht jetzt vollständig?“ mußte ich doch meinen Begleiter fragen, der sich nach und nach in eine Entrüstung hineingeredet hatte, wie sie mir bei einem Schleswig-Holsteiner noch nicht vorgekommen war.

„Das wäre ein Kunststück,“ rief er, „was selbst die Energie der dänischen Regierung nicht fertig bringen würde. Materiell ist die ganze Vertheidigungslinie noch höchst unvollständig; vor acht Tagen waren die Pulvermagazine noch nicht fertig. Die Dänen werden auch nie im Stande sein, die Linie zu besetzen. Bei der Anlage ist auf Mitwirkung einer schwedischen Armee von 40–50,000 Mann gerechnet. Leider bleibt die Armee nur aus.“

Wir waren wieder bei „Südjütlands-Brückenkopf“ am Jungfernstieg angekommen.

Am Abend wäre ich durch einen Zufall fast den Dänen in die Hände gerathen. Ich war im Begriff, vor Pahl’s Hotel am Paradeplatze in eine Droschke zu steigen, um nach dem Bahnhof zu fahren. Da sprang der Hauptmann von Kolb, der jetzige Besitzer des Gasthofes, der während der Feldzüge eine Compagnie der schleswig-holsteinschen Armee führte, hinzu und rief: „Was Teufel, wo wollen Sie denn hin?“

„Nun, ich will nach Kiel und fahre nach dem Bahnhof,“ entgegnete ich, ganz verwundert über die an dem sonst so ruhigen Hauptmann ungewohnte Hitze.

„Haben Sie denn vergessen, daß die dänische Regierung seit zwei Jahren schon befohlen hat, Sie, sowie Sie sich in den Herzogthümern betreten lassen, zu verhaften und gefangen nach Kopenhagen zu führen? Den Bahnhof haben die Dänen ja noch besetzt. Steigen Sie aus. Ich will Sie nach der Haltestelle in der Stadt fahren.“

Ich ging mit dem braven Hauptmann nach der Haltestelle.

Dort brachten wir noch eine halbe Stunde im Wartezimmer zu, bis der Zug ankam, um mich nach Kiel zu fahren. Das Wartezimmer war voll von Reisenden, mehrere Damen und Bürger aus Rendsburg, hannoversche Officiere und Fremde, welche ebenfalls nach Kiel und Altona wollten. Das „Unglück im Lande“ und „der verlassene Bruderstamm“ in Schleswig gab zu einer Menge leidenschaftlicher Ausbrüche Veranlassung. Am heftigsten traten die Damen auf, welche von den Officieren die Zurückforderung der in der dänischen Armee dienenden Schleswig-Holsteiner und die sofortige Vertreibung der Dänen aus Schleswig verlangten. Alle waren vollkommen miteinander einverstanden. Hätte es an den im Wartezimmer der Eisenbahnstation zu Rendsburg befindlichen Personen gelegen, die Dänen wären noch heute Abend aus den sechs holsteinischen Dörfern zwischen Eider und Sorge geworfen worden.

G. Rasch.