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Jehuda ben Halevy

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Textdaten
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Autor: Heinrich Heine
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Titel: Jehuda ben Halevy
Untertitel:
aus: Romanzero. Drittes Buch: Hebräische Melodien.
Seite 213–260
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[213]

     Jehuda ben Halevy. [1]

 (Fragment.)
 I.

„Lechzend klebe mir die Zunge
An dem Gaumen, und es welke
Meine rechte Hand, vergäß’ ich
Jemals dein, Jerusalem –“

5
Wort und Weise, unaufhörlich

Schwirren sie mir heut’ im Kopfe,
Und mir ist, als hört’ ich Stimmen,
Psalmodirend, Männerstimmen –

Manchmal kommen auch zum Vorschein

10
Bärte, schattig lange Bärte –

Traumgestalten, wer von euch
Ist Jehuda ben Halevy?

Doch sie huschen rasch vorüber;
Die Gespenster scheuen furchtsam

15
Der Lebend’gen plumpen Zuspruch –

Aber ihn hab’ ich erkannt –

[214]
Ich erkannt’ ihn an der bleichen

Und gedankenstolzen Stirne,
An der Augen süßer Starrheit –

20
Sah’n mich an so schmerzlich forschend –


Doch zumeist erkannt ich ihn
An dem räthselhaften Lächeln
Jener schön gereimten Lippen,
Die man nur bei Dichtern findet.

25
Jahre kommen und verfließen.

Seit Jehuda ben Halevy
Ward geboren, sind verflossen
Siebenhundert fünfzig Jahre –

Hat zuerst das Licht erblickt

30
Zu Toledo in Castilien,

Und es hat der goldne Tajo
Ihm sein Wiegenlied gelullet.

Für Entwicklung seines Geistes
Sorgte früh der strenge Vater,

35
Der den Unterricht begann

Mit dem Gottesbuch, der Thora.

[215]
Diese las er mit dem Sohne

In dem Urtext, dessen schöne,
Hieroglyphisch pittoreske,

40
Altcaldäische Quadratschrift


Herstammt aus dem Kindesalter
Unsrer Welt, und auch deswegen
Jedem kindlichen Gemüthe
So vertraut entgegenlacht.

45
Diesen echten alten Text

Rezitirte auch der Knabe
In der uralt hergebrachten
Singsang-Weise, Tropp geheißen –

Und er gurgelte gar lieblich

50
Jene fetten Gutturalen,

Und er schlug dabei den Triller,
Den Schalscheleth, wie ein Vogel.

Auch den Targum Onkelos,
Der geschrieben ist in jenem

55
Plattjudäischen Idiom,

Das wir aramäisch nennen

[216]
Und zur Sprache der Propheten

Sich verhalten mag etwa
Wie das Schwäbische zum Deutschen –

60
Dieses Gelbveiglein-Hebräisch


Lernte gleichfalls früh der Knabe,
Und es kam ihm solche Kenntniß
Bald darauf sehr gut zu Statten
Bei dem Studium des Talmuds.

65
Ja, frühzeitig hat der Vater

Ihn geleitet zu dem Talmud,
Und da hat er ihm erschlossen
Die Halacha, diese große

Fechterschule, wo die besten

70
Dialektischen Athleten

Babylons und Pumpedithas
Ihre Kämpferspiele trieben.

Lernen konnte hier der Knabe
Alle Künste der Polemik;

75
Seine Meisterschaft bezeugte

Späterhin das Buch Cosari.

[217]
Doch der Himmel gießt herunter

Zwei verschiedne Sorten Lichtes:
Grelles Tageslicht der Sonne

80
Und das mildre Mondlicht – Also,


Also leuchtet auch der Talmud
Zwiefach, und man theilt ihn ein
In Halacha und Hagada.
Erstre nannt’ ich eine Fechtschul’ –

85
Letztre aber, die Hagada,

Will ich einen Garten nennen,
Einen Garten, hochphantastisch
Und vergleichbar jenem andern,

Welcher ebenfalls dem Boden

90
Babylons entsprossen weiland –

Garten der Semiramis,
Achtes Wunderwerk der Welt.

Königin Semiramis,
Die als Kind erzogen worden

95
Von den Vögeln, und gar manche

Vögelthümlichkeit bewahrte,

[218]
Wollte nicht auf platter Erde

Promeniren wie wir andern
Säugethiere, und sie pflanzte

100
Einen Garten in der Luft –


Hoch auf colossalen Säulen
Prangten Palmen und Cypressen,
Goldorangen, Blumenbeete,
Marmorbilder, auch Springbrunnen,

105
Alles klug und fest verbunden

Durch unzähl’ge Hänge-Brücken,
Die wie Schlingepflanzen aussahn
Und worauf sich Vögel wiegten –

Große, bunte, ernste Vögel,

110
Tiefe Denker, die nicht singen,

Während sie umflattert kleines
Zeisigvolk, das lustig trillert –

Alle athmen ein, beseligt,
Einen reinen Balsamduft,

115
Welcher unvermischt mit schnödem

Erdendunst und Mißgeruche.

[219]
Die Hagada ist ein Garten

Solcher Luftkindgrillen-Art,
Und der junge Talmudschüler,

120
Wenn sein Herze war bestäubet


Und betäubet vom Gezänke
Der Halacha, vom Dispute
Ueber das fatale Ei,
Das ein Huhn gelegt am Festtag,

125
Oder über eine Frage

Gleicher Importanz – der Knabe
Floh alsdann sich zu erfrischen
In die blühende Hagada,

Wo die schönen alten Sagen,

130
Engelmährchen und Legenden,

Stille Märtyrerhistorien,
Festgesänge, Weisheitsprüche,

Auch Hyperbeln, gar possirlich,
Alles aber glaubenskräftig,

135
Glaubensglühend – O, das glänzte,

Quoll und sproß so überschwenglich –

[220]
Und des Knaben edles Herze

Ward ergriffen von der wilden,
Abenteuerlichen Süße,

140
Von der wundersamen Schmerzlust


Und den fabelhaften Schauern
Jener seligen Geheimwelt,
Jener großen Offenbarung,
Die wir nennen Poesie.

145
Auch die Kunst der Poesie,

Heitres Wissen, holdes Können,
Welches wir die Dichtkunst heißen,
That sich auf dem Sinn des Knaben.

Und Jehuda ben Halevy

150
Ward nicht blos ein Schriftgelehrter,

Sondern auch der Dichtkunst Meister,
Sondern auch ein großer Dichter.

Ja, er ward ein großer Dichter,
Stern und Fackel seiner Zeit,

155
Seines Volkes Licht und Leuchte,

Eine wunderbare, große

[221]
Feuersäule des Gesanges,

Die der Schmerzenskarawane
Israels vorangezogen

160
In der Wüste des Exils.


Rein und wahrhaft, sonder Makel
War sein Lied, wie seine Seele –
Als der Schöpfer sie erschaffen,
Diese Seele, selbstzufrieden

165
Küßte er die schöne Seele,

Und des Kusses holder Nachklang
Bebt in jedem Lied des Dichters,
Das geweiht durch diese Gnade.

Wie im Leben, so im Dichten

170
Ist das höchste Gut die Gnade –

Wer sie hat, der kann nicht sünd’gen,
Nicht in Versen, noch in Prosa.

Solchen Dichter von der Gnade
Gottes nennen wir Genie:

175
Unverantwortlicher König

Des Gedankenreiches ist er.

[222]
Nur dem Gotte steht er Rede,

Nicht dem Volke – In der Kunst,
Wie im Leben kann das Volk

180
Tödten uns, doch niemals richten. –



[223]

 II.

Bei den Wassern Babels saßen
Wir und weinten, unsre Harfen
Lehnten an den Trauerweiden –
Kennst du noch das alte Lied?

185
Kennst du noch die alte Weise,

Die im Anfang so elegisch
Greint und sumset, wie ein Kessel,
Welcher auf dem Herde kocht?

Lange schon, jahrtausendlange

190
Kocht’s in mir. Ein dunkles Wehe!

Und die Zeit leckt meine Wunde,
Wie der Hund die Schwären Hiob’s.

Dank dir, Hund, für deinen Speichel –
Doch das kann nur kühlend lindern –

195
Heilen kann mich nur der Tod,

Aber, ach, ich bin unsterblich!

[224]
Jahre kommen und vergehen –

In dem Webstuhl läuft geschäftig
Schnurrend hin und her die Spule –

200
Was er webt, das weiß kein Weber.


Jahre kommen und vergehen,
Menschenthränen träufeln, rinnen
Auf die Erde, und die Erde
Saugt sie ein mit stiller Gier –

205
Tolle Sud! Der Deckel springt –

Heil dem Manne, dessen Hand
Deine junge Brut ergreifet
Und zerschmettert an der Felswand.

Gott sei Dank! die Sud verdampfet

210
In dem Kessel, der allmählig

Ganz verstummt. Es weicht mein Spleen,
Mein westöstlich dunkler Spleen –

Auch mein Flügelrößlein wiehert
Wieder heiter, scheint den bösen

215
Nachtalp von sich abzuschütteln,

Und die klugen Augen fragen:

[225]
Reiten wir zurück nach Spanien

Zu dem kleinen Talmudisten,
Der ein großer Dichter worden,

220
Zu Jehuda ben Halevy?


Ja, er ward ein großer Dichter,
Absoluter Traumweltsherrscher
Mit der Geisterkönigskrone,
Ein Poet von Gottes Gnade,

225
Der in heiligen Sirventen,

Madrigalen und Terzinen,
Canzonetten und Ghaselen
Ausgegossen alle Flammen

Seiner gottgeküßten Seele!

230
Wahrlich ebenbürtig war

Dieser Troubadour den besten
Lautenschlägern der Provence,

Poitous und der Guienne,
Roussillons und aller andern

235
Süßen Pomeranzenlande

Der galanten Christenheit.

[226]
Der galanten Christenheit

Süße Pomeranzenlande!
Wie sie duften, glänzen, klingen

240
In dem Zwielicht der Erinnrung!


Schöne Nachtigallenwelt!
Wo man statt des wahren Gottes
Nur den falschen Gott der Liebe
Und der Musen angebeten.

245
Clerici mit Rosenkränzen

Auf der Glatze, sangen Psalmen
In der heitern Sprache d’oc;
Und die Laien, edle Ritter,

Stolz auf hohen Rossen trabend,

250
Spintisirten Vers und Reime

Zur Verherrlichung der Dame,
Der ihr Herze fröhlich diente.

Ohne Dame keine Minne,
Und es war dem Minnesänger

255
Unentbehrlich eine Dame,

Wie dem Butterbrod die Butter.

[227]
Auch der Held, den wir besingen,

Auch Jehuda ben Halevy
Hatte seine Herzensdame;

260
Doch sie war besondrer Art.


Sie war keine Laura, deren
Augen, sterbliche Gestirne,
In dem Dome am Charfreitag
Den berühmten Brand gestiftet –

265
Sie war keine Chatelaine,

Die im Blüthenschmuck der Jugend
Bei Turniren präsidirte
Und den Lorbeerkranz ertheilte –

Keine Kußrechtscasuistin

270
War sie, keine Doctrinärrin,

Die im Spruchcollegium
Eines Minnehofs dozirte –

Jene, die der Rabbi liebte,
War ein traurig armes Liebchen,

275
Der Zerstörung Jammerbildniß,

Und sie hieß Jerusalem.

[228]
Schon in frühen Kindestagen

War sie seine ganze Liebe;
Sein Gemüthe machte beben

280
Schon das Wort Jerusalem.


Purpurflamme auf der Wange
Stand der Knabe, und er horchte
Wenn ein Pilger nach Toledo
Kam aus fernem Morgenlande

285
Und erzählte: wie verödet

Und verunreint jetzt die Stätte,
Wo am Boden noch die Lichtspur
Von dem Fuße der Propheten –

Wo die Luft noch balsamiret

290
Von dem ew’gen Odem Gottes –

O des Jammeranblicks! rief
Einst ein Pilger, dessen Bart

Silberweiß hinabfloß, während
Sich das Barthaar an der Spitze

295
Wieder schwärzte und es aussah,

Als ob sich der Bart verjünge –

[229]
Ein gar wunderlicher Pilger

Mocht’ es sein, die Augen lugten
Wie aus tausendjähr’gem Trübsinn

300
Und er seufzt’: „Jerusalem!


„Sie, die volkreich heil’ge Stadt
Ist zur Wüstenei geworden,
Wo Waldteufel, Werwolf, Schakal
Ihr verruchtes Wesen treiben –

305
„Schlangen, Nachtgevögel nisten

Im verwitterten Gemäuer;
Aus des Fensters luft’gem Bogen
Schaut der Fuchs mit Wohlbehagen.

„Hier und da taucht auf zuweilen

310
Ein zerlumpter Knecht der Wüste,

Der sein höckriges Kameel
In dem hohen Grase weidet.

„Auf der edlen Höhe Zions,
Wo die goldne Veste ragte,

315
Deren Herrlichkeiten zeugten

Von der Pracht des großen Königs:

[230]
„Dort, von Unkraut überwuchert,

Liegen nur noch graue Trümmer,
Die uns ansehn schmerzhaft traurig,

320
Daß man glauben muß, sie weinten.


„Und es heißt, sie weinten wirklich
Einmal in dem Jahr, an jenem
Neunten Tag des Monats Ab –
Und mit thränend eignen Augen

325
„Schaute ich die dicken Tropfen

Aus den großen Steinen sickern,
Und ich hörte weheklagen
Die gebrochnen Tempelsäulen.“ – –

Solche fromme Pilgersagen

330
Weckten in der jungen Brust

Des Jehuda ben Halevy
Sehnsucht nach Jerusalem.

Dichtersehnsucht! ahnend, träumend
Und fatal war sie, wie jene,

335
Die auf seinem Schloß zu Blaye

Einst empfand der edle Vidam,

[231]
Messer Geoffroi Rudello,

Als die Ritter, die zurück
Aus dem Morgenlande kehrten,

340
Laut beim Becherklang betheuert.


Ausbund aller Huld und Züchten,
Perl’ und Blume aller Frauen,
Sei die schöne Melisande,
Markgräfin von Tripolis.

345
Jeder weiß, für diese Dame

Schwärmte jetzt der Troubadour;
Er besang sie, und es wurde
Ihm zu eng im Schlosse Blaye.

Und es trieb ihn fort. Zu Cette

350
Schiffte er sich ein, erkrankte

Aber auf dem Meer, und sterbend
Kam er an zu Tripolis.

Hier erblickt’ er Melisanden
Endlich auch mit Leibesaugen,

355
Die jedoch des Todes Schatten

In derselben Stunde deckten.

[232]
Seinen letzten Liebessang

Singend, starb er zu den Füßen
Seiner Dame Melisande,

360
Markgräfin von Tripolis.


Wunderbare Aehnlichkeit
In dem Schicksal beider Dichter!
Nur daß jener erst im Alter
Seine große Wallfahrt antrat.

365
Auch Jehuda ben Halevy

Starb zu Füßen seiner Liebsten,
Und sein sterbend Haupt, es ruhte
Auf den Knien Jerusalems.


[233]

 III.

Nach der Schlacht bei Arabella,

370
Hat der große Alexander

Land und Leute des Darius,
Hof und Harem, Pferde, Weiber,

Elephanten und Dariken,
Kron’ und Scepter, goldnen Plunder,

375
Eingesteckt in seine weiten

Macedon’schen Pluderhosen.

In dem Zelt des großen Königs,
Der entflohn, um nicht höchstselbst
Gleichfalls eingesteckt zu werden,

380
Fand der junge Held ein Kästchen,


Eine kleine güldne Truhe,
Mit Miniaturbildwerken
Und mit incrustirten Steinen
Und Cameen reich geschmückt –

385
[234]
Dieses Kästchen, selbst ein Kleinod

Unschätzbaren Werthes, diente
Zur Bewahrung von Kleinodien,
Des Monarchen Leibjuwelen.

Letztre schenkte Alexander

390
An die Tapfern seines Heeres,

Darob lächelnd, daß sich Männer
Kindisch freun an bunten Steinchen.

Eine kostbar schönste Gemme
Schickte er der lieben Mutter;

395
War der Siegelring des Cyrus,

Wurde jetzt zu einer Brosche.

Seinem alten Weltarschpauker
Aristoteles, dem sandt’ er
Einen Onix für sein großes

400
Naturaliencabinet.


In dem Kästchen waren Perlen,
Eine wunderbare Schnur,
Die der Königin Atossa
Einst geschenkt der falsche Smerdis –

405
[235]
Doch die Perlen waren echt –

Und der heitre Sieger gab sie
Einer schönen Tänzerin
Aus Corinth, mit Namen Thais.

Diese trug sie in den Haaren,

410
Die bacchantisch aufgelöst,

In der Brandnacht, als sie tanzte
Zu Persepolis und frech

In die Königsburg geschleudert
Ihre Fackel, daß laut prasselnd

415
Bald die Flammenlohe aufschlug,

Wie ein Feuerwerk zum Feste.

Nach dem Tod der schönen Thais,
Die an einer babylon’schen
Krankheit starb zu Babylon,

420
Wurden ihre Perlen dort


Auf dem Börsensaal vergantert.
Sie erstand ein Pfaff aus Memphis,
Der sie nach Aegypten brachte,
Wo sie später auf dem Putztisch

425
[236]
Der Cleopatra erschienen,

Die die schönste Perl’ zerstampft
Und mit Wein vermischt verschluckte,
Um Antonius zu foppen.

Mit dem letzten Omayaden

430
Kam die Perlenschnur nach Spanien,

Und sie schlängelte am Turban
Des Califen zu Corduva.

Abderam der Dritte trug sie
Als Brustschleife beim Turnier,

435
Wo er dreißig goldne Ringe

Und das Herz Zuleima’s stach.

Nach dem Fall der Mohrenherrschaft
Gingen zu den Christen über
Auch die Perlen, und geriethen

440
In den Kronschatz von Castilien.


Die kathol’schen Majestäten
Span’scher Königinnen schmückten
Sich damit bei Hoffestspielen,
Stiergefechten, Prozessionen,

445
[237]
So wie auch Autodafés,

Wo sie auf Balkonen sitzend,
Sich erquickten am Geruche
Von gebratnen alten Juden.

Späterhin gab Mendizabel,

450
Satans-Enkel, diese Perlen

In Versatz, um der Finanzen
Defizit damit zu decken.

An dem Hof der Tuilerien
Kam die Schnur zuletzt zum Vorschein,

455
Und sie schimmerte am Halse

Der Baronin Salomon.

So erging’s den schönen Perlen.
Minder abenteuerlich
Ging’s dem Kästchen, dies behielt

460
Alexander für sich selber.


Er verschloß darin die Lieder
Des ambrosischen Homeros,
Seines Lieblings, und zu Häupten
Seines Bettes in der Nacht

465
[238]
Stand das Kästchen – schlief der König,

Stiegen draus hervor der Helden
Lichte Bilder, und sie schlichen
Gaukelnd sich in seine Träume.

Andre Zeiten, andre Vögel –

470
Ich, ich liebte weiland gleichfalls

Die Gesänge von den Thaten
Des Peliden, des Odysseus.

Damals war so sonnengoldig
Und so purpurn mir zu Muthe,

475
Meine Stirn’ umkränzte Weinlaub,

Und es tönten die Fanfaren –

Still davon – gebrochen liegt
Jetzt mein stolzer Siegeswagen,
Und die Panther, die ihn zogen,

480
Sind verreckt, so wie die Weiber,


Die mit Pauk’ und Zimbelklängen
Mich umtanzten, und ich selbst
Wälze mich am Boden elend,
Krüppelelend – still davon –

485
[239]
Still davon – es ist die Rede

Von dem Kästchen des Darius,
Und ich dacht’ in meinem Sinne:
Käm’ ich in Besitz des Kästchens,

Und mich zwänge nicht Finanznoth,

490
Gleich dasselbe zu versilbern,

So verschlösse ich darin
Die Gedichte unsres Rabbi –

Des Jehuda ben Halevy
Festgesänge, Klagelieder,

495
Die Ghaselen, Reisebilder

Seiner Wallfahrt – alles ließ ich

Von dem besten Zophar schreiben
Auf der reinsten Pergamenthaut,
Und ich legte diese Handschrift

500
In das kleine goldne Kästchen.


Dieses stellt’ ich auf den Tisch
Neben meinem Bett, und kämen
Dann die Freunde und erstaunten
Ob der Pracht der kleinen Truhe,

505
[240]
Ob den seltnen Basrelièffen

Die so winzig, doch vollendet
Sind zugleich und ob den großen
Incrustirten Edelsteinen –

Lächelnd würd’ ich ihnen sagen:

510
Das ist nur die rohe Schale,

Die den bessren Schatz verschließet –
Hier in diesem Kästchen liegen

Diamanten, deren Lichter
Abglanz, Wiederschein des Himmels,

515
Herzblutglühende Rubinen,

Fleckenlose Turkoasen,

Auch Smaragde der Verheißung,
Perlen, reiner noch als jene
Die der Königin Atossa

520
Einst geschenkt der falsche Smerdis,


Und die späterhin geschmücket
Alle Notabilitäten
Dieser mondumkreisten Erde,
Thais und Cleopatra,

525
[241]
Isispriester, Mohrenfürsten,

Auch Hispaniens Königinnen.
Und zuletzt die hochverehrte
Frau Baronin Salomon –

Diese weltberühmten Perlen,

530
Sie sind nur der bleiche Schleim

Eines armen Austerthiers,
Das im Meergrund blöde kränkelt:

Doch die Perlen hier im Kästchen
Sind entquollen einer schönen

535
Menschenseele, die noch tiefer,

Abgrundtiefer als das Weltmeer –

Denn es sind die Thränenperlen
Des Jehuda ben Halevy,
Die er ob dem Untergang

540
Von Jerusalem geweinet –


Perlenthränen, die verbunden
Durch des Reimes goldnen Faden,
Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede
Als ein Lied hervorgegangen.

545
[242]
Dieses Perlenthränenlied

Ist die vielberühmte Klage,
Die gesungen wird in allen
Weltzerstreuten Zelten Jakob’s

An dem neunten Tag des Monats,

550
Der geheißen Ab, dem Jahrstag

Von Jerusalems Zerstörung
Durch den Titus Vespasianus.

Ja, das ist das Zionslied,
Das Jehuda ben Halevy

555
Sterbend auf den heil’gen Trümmern

Von Jerusalem gesungen –

Baarfuß und im Büßerkittel
Saß er dorten auf dem Bruchstück
Einer umgestürzten Säule; –

560
Bis zur Brust herunter fiel


Wie ein greiser Wald sein Haupthaar,
Abenteuerlich beschattend
Das bekümmert bleiche Antlitz
Mit den geisterhaften Augen –

565
[243]
Also saß er und er sang,

Wie ein Seher aus der Vorzeit
Anzuschaun – dem Grab entstiegen
Schien Jeremias, der Alte –

Das Gevögel der Ruinen

570
Zähmte schier der wilde Schmerzlaut

Des Gesanges, und die Geier
Nahten horchend, fast mitleidig –

Doch ein frecher Sarazene
Kam desselben Wegs geritten,

575
Hoch zu Roß, im Bug sich wiegend

Und die blanke Lanze schwingend –

In die Brust des armen Sängers
Stieß er diesen Todesspeer,
Und er jagte rasch von dannen,

580
Wie ein Schattenbild beflügelt.


Ruhig floß das Blut des Rabbi,
Ruhig seinen Sang zu Ende
Sang er, und sein sterbeletzter
Seufzer war Jerusalem! – –

585
[244]
Eine alte Sage meldet,

Jener Sarazene sei
Gar kein böser Mensch gewesen,
Sondern ein verkappter Engel,

Der vom Himmel ward gesendet,

590
Gottes Liebling zu entrücken

Dieser Erde, und zu fördern
Ohne Qual in’s Reich der Sel’gen.

Droben, heißt es, harrte seiner
Ein Empfang, der schmeichelhaft

595
Ganz besonders für den Dichter,

Eine himmlische Sürprise.

Festlich kam das Chor der Engel
Ihm entgegen mit Musik,
Und als Hymne grüßten ihn

600
Seine eignen Verse, jenes


Synagogen-Hochzeitcarmen,
Jene Sabbath-Hymenäen,
Mit den jauchzend wohlbekannten
Melodieen – welche Töne!

605
[245]
Englein bliesen auf Hauboen,

Englein spielten Violine,
Andre strichen auch die Bratsche
Oder schlugen Pauk’ und Zimbel.

Und das sang und klang so lieblich,

610
Und so lieblich in den weiten

Himmelsräumen wiederhallt es:
Lecho Daudi Likras Kalle.


[246]

 IV.

Meine Frau ist nicht zufrieden
Mit dem vorigen Capitel,

615
Ganz besonders in Bezug

Auf das Kästchen des Darius.

Fast mit Bitterkeit bemerkt sie:
Daß ein Ehemann, der wahrhaft
Religiöse sei, das Kästchen

620
Gleich zu Gelde machen würde,


Um damit für seine arme
Legitime Ehegattin
Einen Kaschemir zu kaufen,
Dessen sie so sehr bedürfe.

625
Der Jehuda ben Halevy,

Meinte sie, der sei hinlänglich
Ehrenvoll bewahrt in einem
Schönen Futteral von Pappe

[247]
Mit chinesisch eleganten
630
Arabesken, wie die hübschen

Bombonnièren von Marquis
Im Passage Panorama.

Sonderbar! – setzt sie hinzu –
Daß ich niemals nennen hörte

635
Diesen großen Dichternamen,

Den Jehuda ben Halevy.

Liebstes Kind, gab ich zur Antwort,
Solche holde Ignoranz,
Sie bekundet die Lakunen

640
Der französischen Erziehung,


Der Pariser Pensionate,
Wo die Mädchen, diese künft’gen
Mütter eines freien Volkes,
Ihren Unterricht genießen –

645
Alte Mumien, ausgestopfte

Pharaonen von Aegypten,
Merovinger Schattenkön’ge,
Ungepuderte Perücken,

[248]
Auch die Zopfmonarchen Chinas,
650
Porzellanpagodenkaiser –

Alle lernen sie auswendig,
Kluge Mädchen, aber Himmel –

Fragt man sie nach großen Namen
Aus dem großen Goldzeitalter

655
Der arabisch-althispanisch

Jüdischen Poetenschule,

Fragt man nach dem Dreigestirn,
Nach Jehuda ben Halevy,
Nach dem Salomon Gabirol

660
Und dem Moses Iben Esra –


Fragt man nach dergleichen Namen,
Dann mit großen Augen schaun
Uns die Kleinen an – alsdann
Stehn am Berge die Ochsinnen.

665
Rathen möcht’ ich dir, Geliebte,

Nachzuholen das Versäumte
Und hebräisch zu erlernen –
Laß Theater und Conzerte,

[249]
Widme ein’ge Jahre solchem
670
Studium, du kannst alsdann

Im Originale lesen
Iben Esra und Gabirol

Und versteht sich den Halevy,
Das Triumvirat der Dichtkunst,

675
Das dem Saitenspiel Davidis

Einst entlockt die schönsten Laute.

Alcharisi – der, ich wette,
Dir nicht minder unbekannt ist,
Ob er gleich, französ’scher Witzbold,

680
Den Hariri überwitzelt


Im Gebiete der Makame,
Und ein Voltairianer war
Schon sechs hundert Jahr vor Voltair’ –
Jener Alcharisi sagte:

685
„Durch Gedanken glänzt Gabirol

Und gefällt zumeist dem Denker,
Iben Esra glänzt durch Kunst
Und behagt weit mehr dem Künstler –

[250]
„Aber Beider Eigenschaften
690
Hat Jehuda ben Halevy,

Und er ist ein großer Dichter
Und ein Liebling aller Menschen.“

Iben Esra war ein Freund
Und ich glaube auch ein Vetter

695
Des Jehuda ben Halevy,

Der in seinem Wanderbuche

Schmerzlich klagt, wie er vergebens
In Granada aufgesucht hat
Seinen Freund, und nur den Bruder

700
Dorten fand, den Medicus,


Rabbi Meyer, auch ein Dichter
Und der Vater jener Schönen,
Die mit hoffnungsloser Flamme
Iben Esra’s Herz entzunden –

705
Um das Mühmchen zu vergessen,

Griff er nach dem Wanderstabe,
Wie so mancher der Collegen;
Lebte unstät, heimathlos.

[251]
Pilgernd nach Jerusalem,
710
Ueberfielen ihn Tartaren,

Die an einen Gaul gebunden
Ihn nach ihren Steppen schleppten.

Mußte Dienste dort verrichten,
Die nicht würdig eines Rabbi

715
Und noch wen’ger eines Dichters,

Mußte nämlich Kühe melken.

Einstens, als er unterm Bauche
Einer Kuh gekauert saß,
Ihre Euter hastig fingernd,

720
Daß die Milch floß in den Zuber –


Eine Position, unwürdig
Eines Rabbi’s, eines Dichters –
Da befiel ihn tiefe Wehmuth
Und er fing zu singen an,

725
Und er sang so schön und lieblich,

Daß der Chan, der Fürst der Horde,
Der vorbei ging, ward gerühret
Und die Freiheit gab dem Sclaven.

[252]
Auch Geschenke gab er ihm,
730
Einen Fuchspelz, eine lange

Sarazenenmandoline
Und das Zehrgeld für die Heimkehr.

Dichterschicksal! böser Unstern,
Der die Söhne des Apollo

735
Tödtlich nergelt, und sogar

Ihren Vater nicht verschont hat,

Als er hinter Daphnen laufend
Statt des weißen Nymphenleibes
Nur den Lorbeerbaum erfaßte,

740
Er, der göttliche Schlemihl!


Ja, der hohe Delphier ist
Ein Schlemihl, und gar der Lorbeer,
Der so stolz die Stirne krönet,
Ist ein Zeichen des Schlemihlthums.

745
Was das Wort Schlemihl bedeutet,

Wissen wir. Hat doch Chamisso
Ihm das Bürgerrecht in Deutschland
Längst verschafft, dem Worte nämlich.

[253]
Aber unbekannt geblieben,
750
Wie des heil’gen Niles Quellen,

Ist sein Ursprung; hab’ darüber
Nachgegrübelt manche Nacht.

Zu Berlin vor vielen Jahren
Wandt’ ich mich deshalb an unsern

755
Freund Chamisso, suchte Auskunft

Beim Dekane der Schlemihle.

Doch er konnt’ mich nicht befried’gen
Und verwies mich drob an Hitzig,
Der ihm den Familiennamen

760
Seines schattenlosen Peters


Einst verrathen. Alsbald nahm ich
Eine Droschke und ich rollte
Zu dem Criminalrath Hitzig,
Welcher eh’mals Itzig hieß –

765
Als er noch ein Itzig war,

Träumte ihm, er säh’ geschrieben
An dem Himmel seinen Namen
Und davor den Buchstab H.

[254]
„Was bedeutet dieses H?“
770
Frug er sich – „etwa Herr Itzig

Oder Heil’ger Itzig? Heil’ger
Ist ein schöner Titel – aber

„In Berlin nicht passend“ – Endlich
Grübelnsmüd nannt’ er sich Hitzig,

775
Und nur die Getreuen wußten

In dem Hitzig steckt ein Heil’ger.

Heil’ger Hitzig! sprach ich also,
Als ich zu ihm kam, Sie sollen
Mir die Etymologie

780
Von dem Wort Schlemihl erklären.


Viel Umschweife nahm der Heil’ge,
Konnte sich nicht recht erinnern,
Eine Ausflucht nach der andern,
Immer christlich – Bis mir endlich,

785
Endlich alle Knöpfe rissen

An der Hose der Geduld,
Und ich anfing so zu fluchen,
So gottlästerlich zu fluchen,

[255]
Daß der fromme Pietist,
790
Leichenblaß und beineschlotternd,

Unverzüglich mir willfahrte
Und mir Folgendes erzählte:

„In der Bibel ist zu lesen,
Als zur Zeit der Wüstenwandrung

795
Israel sich oft erlustigt

Mit den Töchtern Kanaans,

„Da geschah es, daß der Pinhas
Sahe wie der edle Simri
Buhlschaft trieb mit einem Weibsbild

800
Aus dem Stamm der Kananiter,


„Und alsbald ergriff er zornig
Seinen Speer und hat den Simri
Auf der Stelle todtgestochen –
Also heißt es in der Bibel.

805
„Aber mündlich überliefert

Hat im Volke sich die Sage,
Daß es nicht der Simri war,
Den des Pinhas Speer getroffen,

[256]
„Sondern daß der Blinderzürnte,
810
Statt des Sünders, unversehens

Einen ganz Unschuld’gen traf,
Den Schlemihl ben Zuri Schadday.“ –

Dieser nun, Schlemihl I,
Ist der Ahnherr des Geschlechtes

815
Derer von Schlemihl. Wir stammen

Von Schlemihl ben Zuri Schadday.

Freilich keine Heldenthaten
Meldet man von ihm, wir kennen
Nur den Namen und wir wissen

820
Daß er ein Schlemihl gewesen.


Doch geschätzet wird ein Stammbaum
Nicht ob seinen guten Früchten,
Sondern nur ob seinem Alter –
Drei Jahrtausend zählt der unsre!

825
Jahre kommen und vergehen –

Drei Jahrtausende verflossen,
Seit gestorben unser Ahnherr,
Herr Schlemihl ben Zuri Schadday.

[257]
Längst ist auch der Pinhas todt –
830
Doch sein Speer hat sich erhalten,

Und wir hören ihn beständig
Ueber unsre Häupter schwirren.

Und die besten Herzen trifft er –
Wie Jehuda ben Halevy,

835
Traf er Moses Iben Esra

Und er traf auch den Gabirol –

Den Gabirol, diesen treuen
Gottgeweihten Minnesänger,
Diese fromme Nachtigall

840
Deren Rose Gott gewesen –


Diese Nachtigall, die zärtlich
Ihre Liebeslieder sang
In der Dunkelheit der gothisch
Mittelalterlichen Nacht!

845
Unerschrocken, unbekümmert

Ob den Fratzen und Gespenstern,
Ob dem Wust von Tod und Wahnsinn,
Die gespukt in jener Nacht –

[258]
Sie, die Nachtigall, sie dachte
850
Nur an ihren göttlich Liebsten,

Dem sie ihre Liebe schluchzte,
Den ihr Lobgesang verherrlicht! –

Dreißig Lenze sah Gabirol
Hier auf Erden, aber Fama

855
Ausposaunte seines Namens

Herrlichkeit durch alle Lande.

Zu Corduba, wo er wohnte,
War ein Mohr sein nächster Nachbar,
Welcher gleichfalls Verse machte

860
Und des Dichters Ruhm beneidet’.


Hörte er den Dichter singen,
Schwoll dem Mohren gleich die Galle
Und der Lieder Süße wurde
Bittre Wermuth für den Neidhart.

865
Er verlockte den Verhaßten

Nächtlich in sein Haus, erschlug ihn
Dorten und vergrub den Leichnam
Hinterm Hause in dem Garten.

[259]
Aber siehe! aus dem Boden,
870
Wo die Leiche eingescharrt war,

Wuchs hervor ein Feigenbaum
Von der wunderbarsten Schönheit.

Seine Frucht war seltsam länglich
Und von seltsam würz’ger Süße;

875
Wer davon genoß, versank

In ein träumerisch Entzücken.

In dem Volke ging darüber
Viel Gerede und Gemunkel,
Das am End zu den erlauchten

880
Ohren des Chalifen kam.


Dieser prüfte eigenzüngig
Jenes Feigenphänomen,
Und ernannte eine strenge
Untersuchungscommission.

885
Man verfuhr summarisch. Sechzig

Bambushiebe auf die Sohlen
Gab man gleich dem Herrn des Baumes,
Welcher eingestand die Unthat.

[260]
Darauf riß man auch den Baum
890
Mit den Wurzeln aus dem Boden,

Und zum Vorschein kam die Leiche
Des erschlagenen Gabirol.

Diese ward mit Pomp bestattet
Und betrauert von den Brüdern;

895
An demselben Tage henkte

Man den Mohren zu Corduba.


Anmerkungen (Wikisource)