Jehuda ben Halevy
Jehuda ben Halevy. [1]
(Fragment.)
I.
„Lechzend klebe mir die Zunge
An dem Gaumen, und es welke
Meine rechte Hand, vergäß’ ich
Jemals dein, Jerusalem –“
Schwirren sie mir heut’ im Kopfe,
Und mir ist, als hört’ ich Stimmen,
Psalmodirend, Männerstimmen –
Manchmal kommen auch zum Vorschein
Traumgestalten, wer von euch
Ist Jehuda ben Halevy?
Doch sie huschen rasch vorüber;
Die Gespenster scheuen furchtsam
Aber ihn hab’ ich erkannt –
Und gedankenstolzen Stirne,
An der Augen süßer Starrheit –
Doch zumeist erkannt ich ihn
An dem räthselhaften Lächeln
Jener schön gereimten Lippen,
Die man nur bei Dichtern findet.
Seit Jehuda ben Halevy
Ward geboren, sind verflossen
Siebenhundert fünfzig Jahre –
Hat zuerst das Licht erblickt
Und es hat der goldne Tajo
Ihm sein Wiegenlied gelullet.
Für Entwicklung seines Geistes
Sorgte früh der strenge Vater,
Mit dem Gottesbuch, der Thora.
In dem Urtext, dessen schöne,
Hieroglyphisch pittoreske,
Herstammt aus dem Kindesalter
Unsrer Welt, und auch deswegen
Jedem kindlichen Gemüthe
So vertraut entgegenlacht.
Rezitirte auch der Knabe
In der uralt hergebrachten
Singsang-Weise, Tropp geheißen –
Und er gurgelte gar lieblich
Und er schlug dabei den Triller,
Den Schalscheleth, wie ein Vogel.
Auch den Targum Onkelos,
Der geschrieben ist in jenem
Das wir aramäisch nennen
Sich verhalten mag etwa
Wie das Schwäbische zum Deutschen –
Lernte gleichfalls früh der Knabe,
Und es kam ihm solche Kenntniß
Bald darauf sehr gut zu Statten
Bei dem Studium des Talmuds.
Ihn geleitet zu dem Talmud,
Und da hat er ihm erschlossen
Die Halacha, diese große
Fechterschule, wo die besten
Babylons und Pumpedithas
Ihre Kämpferspiele trieben.
Lernen konnte hier der Knabe
Alle Künste der Polemik;
Späterhin das Buch Cosari.
Zwei verschiedne Sorten Lichtes:
Grelles Tageslicht der Sonne
Also leuchtet auch der Talmud
Zwiefach, und man theilt ihn ein
In Halacha und Hagada.
Erstre nannt’ ich eine Fechtschul’ –
Will ich einen Garten nennen,
Einen Garten, hochphantastisch
Und vergleichbar jenem andern,
Welcher ebenfalls dem Boden
Garten der Semiramis,
Achtes Wunderwerk der Welt.
Königin Semiramis,
Die als Kind erzogen worden
Vögelthümlichkeit bewahrte,
Promeniren wie wir andern
Säugethiere, und sie pflanzte
Hoch auf colossalen Säulen
Prangten Palmen und Cypressen,
Goldorangen, Blumenbeete,
Marmorbilder, auch Springbrunnen,
Durch unzähl’ge Hänge-Brücken,
Die wie Schlingepflanzen aussahn
Und worauf sich Vögel wiegten –
Große, bunte, ernste Vögel,
Während sie umflattert kleines
Zeisigvolk, das lustig trillert –
Alle athmen ein, beseligt,
Einen reinen Balsamduft,
Erdendunst und Mißgeruche.
Solcher Luftkindgrillen-Art,
Und der junge Talmudschüler,
Und betäubet vom Gezänke
Der Halacha, vom Dispute
Ueber das fatale Ei,
Das ein Huhn gelegt am Festtag,
Gleicher Importanz – der Knabe
Floh alsdann sich zu erfrischen
In die blühende Hagada,
Wo die schönen alten Sagen,
Stille Märtyrerhistorien,
Festgesänge, Weisheitsprüche,
Auch Hyperbeln, gar possirlich,
Alles aber glaubenskräftig,
Quoll und sproß so überschwenglich –
Ward ergriffen von der wilden,
Abenteuerlichen Süße,
Und den fabelhaften Schauern
Jener seligen Geheimwelt,
Jener großen Offenbarung,
Die wir nennen Poesie.
Heitres Wissen, holdes Können,
Welches wir die Dichtkunst heißen,
That sich auf dem Sinn des Knaben.
Und Jehuda ben Halevy
Sondern auch der Dichtkunst Meister,
Sondern auch ein großer Dichter.
Ja, er ward ein großer Dichter,
Stern und Fackel seiner Zeit,
Eine wunderbare, große
Die der Schmerzenskarawane
Israels vorangezogen
Rein und wahrhaft, sonder Makel
War sein Lied, wie seine Seele –
Als der Schöpfer sie erschaffen,
Diese Seele, selbstzufrieden
Und des Kusses holder Nachklang
Bebt in jedem Lied des Dichters,
Das geweiht durch diese Gnade.
Wie im Leben, so im Dichten
Wer sie hat, der kann nicht sünd’gen,
Nicht in Versen, noch in Prosa.
Solchen Dichter von der Gnade
Gottes nennen wir Genie:
Des Gedankenreiches ist er.
Nicht dem Volke – In der Kunst,
Wie im Leben kann das Volk
II.
Bei den Wassern Babels saßen
Wir und weinten, unsre Harfen
Lehnten an den Trauerweiden –
Kennst du noch das alte Lied?
Die im Anfang so elegisch
Greint und sumset, wie ein Kessel,
Welcher auf dem Herde kocht?
Lange schon, jahrtausendlange
Und die Zeit leckt meine Wunde,
Wie der Hund die Schwären Hiob’s.
Dank dir, Hund, für deinen Speichel –
Doch das kann nur kühlend lindern –
Aber, ach, ich bin unsterblich!
In dem Webstuhl läuft geschäftig
Schnurrend hin und her die Spule –
Jahre kommen und vergehen,
Menschenthränen träufeln, rinnen
Auf die Erde, und die Erde
Saugt sie ein mit stiller Gier –
Heil dem Manne, dessen Hand
Deine junge Brut ergreifet
Und zerschmettert an der Felswand.
Gott sei Dank! die Sud verdampfet
Ganz verstummt. Es weicht mein Spleen,
Mein westöstlich dunkler Spleen –
Auch mein Flügelrößlein wiehert
Wieder heiter, scheint den bösen
Und die klugen Augen fragen:
Zu dem kleinen Talmudisten,
Der ein großer Dichter worden,
Ja, er ward ein großer Dichter,
Absoluter Traumweltsherrscher
Mit der Geisterkönigskrone,
Ein Poet von Gottes Gnade,
Madrigalen und Terzinen,
Canzonetten und Ghaselen
Ausgegossen alle Flammen
Seiner gottgeküßten Seele!
Dieser Troubadour den besten
Lautenschlägern der Provence,
Poitous und der Guienne,
Roussillons und aller andern
Der galanten Christenheit.
Süße Pomeranzenlande!
Wie sie duften, glänzen, klingen
Schöne Nachtigallenwelt!
Wo man statt des wahren Gottes
Nur den falschen Gott der Liebe
Und der Musen angebeten.
Auf der Glatze, sangen Psalmen
In der heitern Sprache d’oc;
Und die Laien, edle Ritter,
Stolz auf hohen Rossen trabend,
Zur Verherrlichung der Dame,
Der ihr Herze fröhlich diente.
Ohne Dame keine Minne,
Und es war dem Minnesänger
Wie dem Butterbrod die Butter.
Auch Jehuda ben Halevy
Hatte seine Herzensdame;
Sie war keine Laura, deren
Augen, sterbliche Gestirne,
In dem Dome am Charfreitag
Den berühmten Brand gestiftet –
Die im Blüthenschmuck der Jugend
Bei Turniren präsidirte
Und den Lorbeerkranz ertheilte –
Keine Kußrechtscasuistin
Die im Spruchcollegium
Eines Minnehofs dozirte –
Jene, die der Rabbi liebte,
War ein traurig armes Liebchen,
Und sie hieß Jerusalem.
War sie seine ganze Liebe;
Sein Gemüthe machte beben
Purpurflamme auf der Wange
Stand der Knabe, und er horchte
Wenn ein Pilger nach Toledo
Kam aus fernem Morgenlande
Und verunreint jetzt die Stätte,
Wo am Boden noch die Lichtspur
Von dem Fuße der Propheten –
Wo die Luft noch balsamiret
O des Jammeranblicks! rief
Einst ein Pilger, dessen Bart
Silberweiß hinabfloß, während
Sich das Barthaar an der Spitze
Als ob sich der Bart verjünge –
Mocht’ es sein, die Augen lugten
Wie aus tausendjähr’gem Trübsinn
„Sie, die volkreich heil’ge Stadt
Ist zur Wüstenei geworden,
Wo Waldteufel, Werwolf, Schakal
Ihr verruchtes Wesen treiben –
Im verwitterten Gemäuer;
Aus des Fensters luft’gem Bogen
Schaut der Fuchs mit Wohlbehagen.
„Hier und da taucht auf zuweilen
Der sein höckriges Kameel
In dem hohen Grase weidet.
„Auf der edlen Höhe Zions,
Wo die goldne Veste ragte,
Von der Pracht des großen Königs:
Liegen nur noch graue Trümmer,
Die uns ansehn schmerzhaft traurig,
„Und es heißt, sie weinten wirklich
Einmal in dem Jahr, an jenem
Neunten Tag des Monats Ab –
Und mit thränend eignen Augen
Aus den großen Steinen sickern,
Und ich hörte weheklagen
Die gebrochnen Tempelsäulen.“ – –
Solche fromme Pilgersagen
Des Jehuda ben Halevy
Sehnsucht nach Jerusalem.
Dichtersehnsucht! ahnend, träumend
Und fatal war sie, wie jene,
Einst empfand der edle Vidam,
Als die Ritter, die zurück
Aus dem Morgenlande kehrten,
Ausbund aller Huld und Züchten,
Perl’ und Blume aller Frauen,
Sei die schöne Melisande,
Markgräfin von Tripolis.
Schwärmte jetzt der Troubadour;
Er besang sie, und es wurde
Ihm zu eng im Schlosse Blaye.
Und es trieb ihn fort. Zu Cette
Aber auf dem Meer, und sterbend
Kam er an zu Tripolis.
Hier erblickt’ er Melisanden
Endlich auch mit Leibesaugen,
In derselben Stunde deckten.
Singend, starb er zu den Füßen
Seiner Dame Melisande,
Wunderbare Aehnlichkeit
In dem Schicksal beider Dichter!
Nur daß jener erst im Alter
Seine große Wallfahrt antrat.
Starb zu Füßen seiner Liebsten,
Und sein sterbend Haupt, es ruhte
Auf den Knien Jerusalems.
III.
Nach der Schlacht bei Arabella,
Land und Leute des Darius,
Hof und Harem, Pferde, Weiber,
Elephanten und Dariken,
Kron’ und Scepter, goldnen Plunder,
Macedon’schen Pluderhosen.
In dem Zelt des großen Königs,
Der entflohn, um nicht höchstselbst
Gleichfalls eingesteckt zu werden,
Eine kleine güldne Truhe,
Mit Miniaturbildwerken
Und mit incrustirten Steinen
Und Cameen reich geschmückt –
Unschätzbaren Werthes, diente
Zur Bewahrung von Kleinodien,
Des Monarchen Leibjuwelen.
Letztre schenkte Alexander
Darob lächelnd, daß sich Männer
Kindisch freun an bunten Steinchen.
Eine kostbar schönste Gemme
Schickte er der lieben Mutter;
Wurde jetzt zu einer Brosche.
Seinem alten Weltarschpauker
Aristoteles, dem sandt’ er
Einen Onix für sein großes
In dem Kästchen waren Perlen,
Eine wunderbare Schnur,
Die der Königin Atossa
Einst geschenkt der falsche Smerdis –
Und der heitre Sieger gab sie
Einer schönen Tänzerin
Aus Corinth, mit Namen Thais.
Diese trug sie in den Haaren,
In der Brandnacht, als sie tanzte
Zu Persepolis und frech
In die Königsburg geschleudert
Ihre Fackel, daß laut prasselnd
Wie ein Feuerwerk zum Feste.
Nach dem Tod der schönen Thais,
Die an einer babylon’schen
Krankheit starb zu Babylon,
Auf dem Börsensaal vergantert.
Sie erstand ein Pfaff aus Memphis,
Der sie nach Aegypten brachte,
Wo sie später auf dem Putztisch
Die die schönste Perl’ zerstampft
Und mit Wein vermischt verschluckte,
Um Antonius zu foppen.
Mit dem letzten Omayaden
Und sie schlängelte am Turban
Des Califen zu Corduva.
Abderam der Dritte trug sie
Als Brustschleife beim Turnier,
Und das Herz Zuleima’s stach.
Nach dem Fall der Mohrenherrschaft
Gingen zu den Christen über
Auch die Perlen, und geriethen
Die kathol’schen Majestäten
Span’scher Königinnen schmückten
Sich damit bei Hoffestspielen,
Stiergefechten, Prozessionen,
Wo sie auf Balkonen sitzend,
Sich erquickten am Geruche
Von gebratnen alten Juden.
Späterhin gab Mendizabel,
In Versatz, um der Finanzen
Defizit damit zu decken.
An dem Hof der Tuilerien
Kam die Schnur zuletzt zum Vorschein,
Der Baronin Salomon.
So erging’s den schönen Perlen.
Minder abenteuerlich
Ging’s dem Kästchen, dies behielt
Er verschloß darin die Lieder
Des ambrosischen Homeros,
Seines Lieblings, und zu Häupten
Seines Bettes in der Nacht
Stiegen draus hervor der Helden
Lichte Bilder, und sie schlichen
Gaukelnd sich in seine Träume.
Andre Zeiten, andre Vögel –
Die Gesänge von den Thaten
Des Peliden, des Odysseus.
Damals war so sonnengoldig
Und so purpurn mir zu Muthe,
Und es tönten die Fanfaren –
Still davon – gebrochen liegt
Jetzt mein stolzer Siegeswagen,
Und die Panther, die ihn zogen,
Die mit Pauk’ und Zimbelklängen
Mich umtanzten, und ich selbst
Wälze mich am Boden elend,
Krüppelelend – still davon –
Von dem Kästchen des Darius,
Und ich dacht’ in meinem Sinne:
Käm’ ich in Besitz des Kästchens,
Und mich zwänge nicht Finanznoth,
So verschlösse ich darin
Die Gedichte unsres Rabbi –
Des Jehuda ben Halevy
Festgesänge, Klagelieder,
Seiner Wallfahrt – alles ließ ich
Von dem besten Zophar schreiben
Auf der reinsten Pergamenthaut,
Und ich legte diese Handschrift
Dieses stellt’ ich auf den Tisch
Neben meinem Bett, und kämen
Dann die Freunde und erstaunten
Ob der Pracht der kleinen Truhe,
Die so winzig, doch vollendet
Sind zugleich und ob den großen
Incrustirten Edelsteinen –
Lächelnd würd’ ich ihnen sagen:
Die den bessren Schatz verschließet –
Hier in diesem Kästchen liegen
Diamanten, deren Lichter
Abglanz, Wiederschein des Himmels,
Fleckenlose Turkoasen,
Auch Smaragde der Verheißung,
Perlen, reiner noch als jene
Die der Königin Atossa
Und die späterhin geschmücket
Alle Notabilitäten
Dieser mondumkreisten Erde,
Thais und Cleopatra,
Auch Hispaniens Königinnen.
Und zuletzt die hochverehrte
Frau Baronin Salomon –
Diese weltberühmten Perlen,
Eines armen Austerthiers,
Das im Meergrund blöde kränkelt:
Doch die Perlen hier im Kästchen
Sind entquollen einer schönen
Abgrundtiefer als das Weltmeer –
Denn es sind die Thränenperlen
Des Jehuda ben Halevy,
Die er ob dem Untergang
Perlenthränen, die verbunden
Durch des Reimes goldnen Faden,
Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede
Als ein Lied hervorgegangen.
Ist die vielberühmte Klage,
Die gesungen wird in allen
Weltzerstreuten Zelten Jakob’s
An dem neunten Tag des Monats,
Von Jerusalems Zerstörung
Durch den Titus Vespasianus.
Ja, das ist das Zionslied,
Das Jehuda ben Halevy
Von Jerusalem gesungen –
Baarfuß und im Büßerkittel
Saß er dorten auf dem Bruchstück
Einer umgestürzten Säule; –
Wie ein greiser Wald sein Haupthaar,
Abenteuerlich beschattend
Das bekümmert bleiche Antlitz
Mit den geisterhaften Augen –
Wie ein Seher aus der Vorzeit
Anzuschaun – dem Grab entstiegen
Schien Jeremias, der Alte –
Das Gevögel der Ruinen
Des Gesanges, und die Geier
Nahten horchend, fast mitleidig –
Doch ein frecher Sarazene
Kam desselben Wegs geritten,
Und die blanke Lanze schwingend –
In die Brust des armen Sängers
Stieß er diesen Todesspeer,
Und er jagte rasch von dannen,
Ruhig floß das Blut des Rabbi,
Ruhig seinen Sang zu Ende
Sang er, und sein sterbeletzter
Seufzer war Jerusalem! – –
Jener Sarazene sei
Gar kein böser Mensch gewesen,
Sondern ein verkappter Engel,
Der vom Himmel ward gesendet,
Dieser Erde, und zu fördern
Ohne Qual in’s Reich der Sel’gen.
Droben, heißt es, harrte seiner
Ein Empfang, der schmeichelhaft
Eine himmlische Sürprise.
Festlich kam das Chor der Engel
Ihm entgegen mit Musik,
Und als Hymne grüßten ihn
Synagogen-Hochzeitcarmen,
Jene Sabbath-Hymenäen,
Mit den jauchzend wohlbekannten
Melodieen – welche Töne!
Englein spielten Violine,
Andre strichen auch die Bratsche
Oder schlugen Pauk’ und Zimbel.
Und das sang und klang so lieblich,
Himmelsräumen wiederhallt es:
Lecho Daudi Likras Kalle.
IV.
Meine Frau ist nicht zufrieden
Mit dem vorigen Capitel,
Auf das Kästchen des Darius.
Fast mit Bitterkeit bemerkt sie:
Daß ein Ehemann, der wahrhaft
Religiöse sei, das Kästchen
Um damit für seine arme
Legitime Ehegattin
Einen Kaschemir zu kaufen,
Dessen sie so sehr bedürfe.
Meinte sie, der sei hinlänglich
Ehrenvoll bewahrt in einem
Schönen Futteral von Pappe
Bombonnièren von Marquis
Im Passage Panorama.
Sonderbar! – setzt sie hinzu –
Daß ich niemals nennen hörte
Den Jehuda ben Halevy.
Liebstes Kind, gab ich zur Antwort,
Solche holde Ignoranz,
Sie bekundet die Lakunen
Der Pariser Pensionate,
Wo die Mädchen, diese künft’gen
Mütter eines freien Volkes,
Ihren Unterricht genießen –
Pharaonen von Aegypten,
Merovinger Schattenkön’ge,
Ungepuderte Perücken,
Alle lernen sie auswendig,
Kluge Mädchen, aber Himmel –
Fragt man sie nach großen Namen
Aus dem großen Goldzeitalter
Jüdischen Poetenschule,
Fragt man nach dem Dreigestirn,
Nach Jehuda ben Halevy,
Nach dem Salomon Gabirol
Fragt man nach dergleichen Namen,
Dann mit großen Augen schaun
Uns die Kleinen an – alsdann
Stehn am Berge die Ochsinnen.
Nachzuholen das Versäumte
Und hebräisch zu erlernen –
Laß Theater und Conzerte,
Im Originale lesen
Iben Esra und Gabirol
Und versteht sich den Halevy,
Das Triumvirat der Dichtkunst,
Einst entlockt die schönsten Laute.
Alcharisi – der, ich wette,
Dir nicht minder unbekannt ist,
Ob er gleich, französ’scher Witzbold,
Im Gebiete der Makame,
Und ein Voltairianer war
Schon sechs hundert Jahr vor Voltair’ –
Jener Alcharisi sagte:
Und gefällt zumeist dem Denker,
Iben Esra glänzt durch Kunst
Und behagt weit mehr dem Künstler –
Und er ist ein großer Dichter
Und ein Liebling aller Menschen.“
Iben Esra war ein Freund
Und ich glaube auch ein Vetter
Der in seinem Wanderbuche
Schmerzlich klagt, wie er vergebens
In Granada aufgesucht hat
Seinen Freund, und nur den Bruder
Rabbi Meyer, auch ein Dichter
Und der Vater jener Schönen,
Die mit hoffnungsloser Flamme
Iben Esra’s Herz entzunden –
Griff er nach dem Wanderstabe,
Wie so mancher der Collegen;
Lebte unstät, heimathlos.
Die an einen Gaul gebunden
Ihn nach ihren Steppen schleppten.
Mußte Dienste dort verrichten,
Die nicht würdig eines Rabbi
Mußte nämlich Kühe melken.
Einstens, als er unterm Bauche
Einer Kuh gekauert saß,
Ihre Euter hastig fingernd,
Eine Position, unwürdig
Eines Rabbi’s, eines Dichters –
Da befiel ihn tiefe Wehmuth
Und er fing zu singen an,
Daß der Chan, der Fürst der Horde,
Der vorbei ging, ward gerühret
Und die Freiheit gab dem Sclaven.
Sarazenenmandoline
Und das Zehrgeld für die Heimkehr.
Dichterschicksal! böser Unstern,
Der die Söhne des Apollo
Ihren Vater nicht verschont hat,
Als er hinter Daphnen laufend
Statt des weißen Nymphenleibes
Nur den Lorbeerbaum erfaßte,
Ja, der hohe Delphier ist
Ein Schlemihl, und gar der Lorbeer,
Der so stolz die Stirne krönet,
Ist ein Zeichen des Schlemihlthums.
Wissen wir. Hat doch Chamisso
Ihm das Bürgerrecht in Deutschland
Längst verschafft, dem Worte nämlich.
Ist sein Ursprung; hab’ darüber
Nachgegrübelt manche Nacht.
Zu Berlin vor vielen Jahren
Wandt’ ich mich deshalb an unsern
Beim Dekane der Schlemihle.
Doch er konnt’ mich nicht befried’gen
Und verwies mich drob an Hitzig,
Der ihm den Familiennamen
Einst verrathen. Alsbald nahm ich
Eine Droschke und ich rollte
Zu dem Criminalrath Hitzig,
Welcher eh’mals Itzig hieß –
Träumte ihm, er säh’ geschrieben
An dem Himmel seinen Namen
Und davor den Buchstab H.
Oder Heil’ger Itzig? Heil’ger
Ist ein schöner Titel – aber
„In Berlin nicht passend“ – Endlich
Grübelnsmüd nannt’ er sich Hitzig,
In dem Hitzig steckt ein Heil’ger.
Heil’ger Hitzig! sprach ich also,
Als ich zu ihm kam, Sie sollen
Mir die Etymologie
Viel Umschweife nahm der Heil’ge,
Konnte sich nicht recht erinnern,
Eine Ausflucht nach der andern,
Immer christlich – Bis mir endlich,
An der Hose der Geduld,
Und ich anfing so zu fluchen,
So gottlästerlich zu fluchen,
Unverzüglich mir willfahrte
Und mir Folgendes erzählte:
„In der Bibel ist zu lesen,
Als zur Zeit der Wüstenwandrung
Mit den Töchtern Kanaans,
„Da geschah es, daß der Pinhas
Sahe wie der edle Simri
Buhlschaft trieb mit einem Weibsbild
„Und alsbald ergriff er zornig
Seinen Speer und hat den Simri
Auf der Stelle todtgestochen –
Also heißt es in der Bibel.
Hat im Volke sich die Sage,
Daß es nicht der Simri war,
Den des Pinhas Speer getroffen,
Einen ganz Unschuld’gen traf,
Den Schlemihl ben Zuri Schadday.“ –
Dieser nun, Schlemihl I,
Ist der Ahnherr des Geschlechtes
Von Schlemihl ben Zuri Schadday.
Freilich keine Heldenthaten
Meldet man von ihm, wir kennen
Nur den Namen und wir wissen
Doch geschätzet wird ein Stammbaum
Nicht ob seinen guten Früchten,
Sondern nur ob seinem Alter –
Drei Jahrtausend zählt der unsre!
Drei Jahrtausende verflossen,
Seit gestorben unser Ahnherr,
Herr Schlemihl ben Zuri Schadday.
Und wir hören ihn beständig
Ueber unsre Häupter schwirren.
Und die besten Herzen trifft er –
Wie Jehuda ben Halevy,
Und er traf auch den Gabirol –
Den Gabirol, diesen treuen
Gottgeweihten Minnesänger,
Diese fromme Nachtigall
Diese Nachtigall, die zärtlich
Ihre Liebeslieder sang
In der Dunkelheit der gothisch
Mittelalterlichen Nacht!
Ob den Fratzen und Gespenstern,
Ob dem Wust von Tod und Wahnsinn,
Die gespukt in jener Nacht –
Dem sie ihre Liebe schluchzte,
Den ihr Lobgesang verherrlicht! –
Dreißig Lenze sah Gabirol
Hier auf Erden, aber Fama
Herrlichkeit durch alle Lande.
Zu Corduba, wo er wohnte,
War ein Mohr sein nächster Nachbar,
Welcher gleichfalls Verse machte
Hörte er den Dichter singen,
Schwoll dem Mohren gleich die Galle
Und der Lieder Süße wurde
Bittre Wermuth für den Neidhart.
Nächtlich in sein Haus, erschlug ihn
Dorten und vergrub den Leichnam
Hinterm Hause in dem Garten.
Wuchs hervor ein Feigenbaum
Von der wunderbarsten Schönheit.
Seine Frucht war seltsam länglich
Und von seltsam würz’ger Süße;
In ein träumerisch Entzücken.
In dem Volke ging darüber
Viel Gerede und Gemunkel,
Das am End zu den erlauchten
Dieser prüfte eigenzüngig
Jenes Feigenphänomen,
Und ernannte eine strenge
Untersuchungscommission.
Bambushiebe auf die Sohlen
Gab man gleich dem Herrn des Baumes,
Welcher eingestand die Unthat.
Und zum Vorschein kam die Leiche
Des erschlagenen Gabirol.
Diese ward mit Pomp bestattet
Und betrauert von den Brüdern;
Man den Mohren zu Corduba.