verschiedene: Die Gartenlaube (1861) | |
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rothblühenden Haide, der späten Heidelbeere vorüber, hinunter führt in das Lierbacher Thal. Die warme Herbstsonne hat sich in seinem Schooße gelagert, ihren Lebensodem noch einmal durch die hinsterbende Natur ergießend; es ist, als wollte sich in dem sonnigen Herbstmorgen Alles, Alles noch einmal an ihren Funken erfreuen und neu beleben: an dem erwärmten Felsen rollt bröckelndes Gestein herab, das dürre Laub rauscht, die Elster hüpft durch die Büsche, der schwanke Birkengipfel, das Gras wiegt sich leise träumend im Herbstwinde, die Eidechse huscht über die Baumwurzeln, der letzten Käfer einer glitzert im Sonnenstrahl, und auch um des Wanderers Herz legt sich der Sonnenglanz wonnigen, glückseligen Behagens. Das Rauschen der Wasserfälle dringt, wie aus unterirdischen, verschlossenen Kammern, in gedämpften, ahnungsvollen Tönen fernher aus dem Schooß des Berges herüber. Wir wandern, stillen Träumen nachhängend, des Weges im Thale weiter, die steilen, waldigen Berge treten hochaufstrebend heran, sie schließen unsere Straße – eine Wendung zur Linken, die Schranke öffnet sich, aber nur um uns eine neue zu zeigen. Ein mächtiges Felsenthor erhebt vor uns seine Pfeiler; auf dem linken, in schwindelnder Höhe steht ein einfaches Holzkreuz, um des rechten kahle Zacken schlingen kühne Tannen ihre Wurzeln.
Es ist der Eingang zu den Büttenschröffenfelsen und den Wasserfällen von Allerheiligen. Wir treten über eine schmale hölzerne Brücke ein. Unter vier bis fünf hohen, dichten Tannen reihen sich in dem dämmernden Dunkel ihres Schattens bequeme Rasenbänke im Halbkreise. Von da folgen wir, den Bach zur Linken, dem ebenen Fußwege und erreichen bald den ersten, nur wenige Fuß hohen Fall, dann den zweiten, der über eine etwa zwölf Fuß lange, halb flach liegende Felsenplatte herunterschießt.
Wir stehen in einem tiefen Felsenkessel; unten am Wasser sind die Steinwände mit dichtem Moose bekleidet, weiter hinauf hängen einzelne Büsche, niedrige Tannen mit grüngelben Flechten an den Felsen, und staffelförmig ansteigend schließen in schauerlicher Höhe die kahlen Zinnen den Rand des Wasserkessels, über welchen der Sage nach einst ein von Kaiserlichen verfolgter schwedischer Reiter den Sprung auf Leben und Tod wagte, doch in der Tiefe zerschellte, woher der Felsen noch jetzt den Namen „Reitersprung“ führt. Ein dritter Fall stürzt sich etwa zehn Fuß hoch über eine steile Felsenwand. Wir überschreiten eine zweite Brücke, um nach der anderen Seite zu gelangen. Dort führen uns hart an der linken Felsenwand Treppen mit sicherndem Geländer an den wildrauschenden Fällen empor. Senkrecht, wohl 400 Fuß hoch, starrt drüben die steile Steinwand empor, dürre Tannen und mageres Buschwerk klammern sich in ihre Ritzen, zu ihren Füßen stürzt sich über 20 Fuß hoch der vierte Fall schäumend in das aufgewühlte Steinbecken, über ihm rieselt der Bach in kleinern sprudelnden Fällen von Steinstufe zu Steinstufe, eine dritte schmale Brücke führt gerade über die kleinen Cascaden hinüber auf eine Felsenstaffel, auf welcher ein gar liebliches, herrliches Ruheplätzchen unter der ansteigenden Felswand angebracht ist. Unter uns schäumt der eben bewunderte vierte Fall, über uns aus der Tannenschlucht heraus stürzt dröhnend der fünfte, größte unter der Brücke vor uns vorbei, weiterem Sturze entgegeneilend. Hier, auf dem Belvedere, ist unstreitig der schönste Platz der ganzen Partie. Ringsum, über uns, unter uns, rauscht und sprudelt und schäumt es, rings thürmen sich die Berge, die Felsen, die Klüfte, der dunkelnde Wald um uns empor, und über die Fälle zu unsern Füßen hinaus senkt sich das Auge hinab durch die Tannenschlucht und streift in die duftigen, sonnig beglänzten Berge des Lierbacher Thales. Aber auch an unser traulich Plätzchen wirft die Sonne ihren erwärmenden Strahl und spiegelt sich in tausend und abertausend schäumenden Silberperlen, und spiegelt sich in der freudig verklärten Tiefe unserer eigenen Seele.
Drüben, an dem Felsen des anderen Ufers, steigt eine morsche Treppe zu einem nicht minder zerbrechlichen Gerüste empor. Ob wohl der Maler hier gesessen, als er unsere Ansicht von den Wasserfällen genommen? Wir wissen es nicht, sicher aber ist, daß sich von da aus das schönste Bild der drei größten aufeinander folgenden Fälle gewinnen läßt.
Widerstrebenden Herzens verlassen wir unser Ruheplätzchen, über die Brücke nach dem andern Ufer zurückkehrend. In einer zwanzig Fuß breiten, fünfzig Fuß tiefen Spalte, links am Wege, klafft dort die geborstene Granitwand auseinander, über eine tischförmig runde Felsenplatte stürzt etwa acht Fuß hoch der sechste Fall, und wenige Schritte über demselben strömt über die ganze Breite des Baches der siebente oder, wenn man will, der erste. Die Waldgebirge zu beiden Seiten werden niedriger, wir verfolgen in einem fast ebenen Hochthälchen den Lauf des Baches. Vor etwas mehr als zwanzig Jahren, als ein blutjunges Bürschlein, hat der Verfasser schon diese wildromantischen Gegenden besucht; aber damals war wohl hier eine wilde Bergschlucht, das schäumende Bergwasser brauste durch dieselben hinab, von oben und von unten im Thale konnte man sein Rauschen vernehmen, von einer thurmhohen Felsenspitze zur Seite konnte man da und dort hinabschauen in die schaurige Tiefe; vielleicht mochte auch ein waghalsiger Bergsteiger hinabsteigen in den tosenden Schlund; aber erst 1840 hat ein wackerer Mann, Bezirksförster Eichrodt, Hand an’s Werk gelegt, diesen einzig schönen Punkt zugänglich zu machen, und so selbst dem Fuße des zartern Geschlechtes Weg und Steg sicher zu bereiten. Seitdem ist Allerheiligen mit seinen Wasserfällen ein von Nah und Fern oft besuchter Ort geworden, und allsommerlich wandern die Badegäste von Sulzbach, Freiersbach, Petersthal, Arbogast und Grießbach einzeln ober in Gesellschaften hierher.
Das Waldthälchen, in dem wir fortschlendern, wird licht, ein freundlicher, welliger Wiesenplan breitet sich vor uns aus, und nach einer Krümmung des Weges nach links erblicken wir in dem ringsum von hohen Waldgebirgen umschlossenen Wiesenkessel die Gebäude des ehemaligen Klosters Allerheiligen. Jenseits des forellenreichen Baches stehen noch die Steinpfosten des ehemaligen sogenannten Gastgartens, zur Rechten stand vor dem Thore das Schlachthaus und das lange Werkstättengebäude, links am Thore das ehemalige Gasthaus und die Stallungen. Wir treten durch das Thor ein, von dem noch die Fundamente eines runden Thorthurmes stehen. In gerader Flucht zu unserer Rechten stand der Speisesaal, die Abtei, hinter derselben der Conventsgarten und weiter zurück das Holzhaus. An die Abtei stieß der Bau, welcher oben die Krankenzimmer, unten Kellerei und Küche enthielt, und hinter demselben befand sich, über dem großen gewölbten Keller, der geräumige, viereckige innere Klosterhof; von dem Conventshaus, dem Capitelhaus und an der westlichen Seite von der Klosterkirche eingeschlossen. Neben der Kirche lag der Friedhof, nordwestlich davon eine Sägemühle, und dem Abteigebäude und vordern Klosterhofe gegenüber befand sich südlich der große, noch jetzt in seiner Einfassung erhaltene Abteigarten, in dessen Mitte das Gymnasium stand. Jetzt stehen noch einzelne von den Neben- und Wirthschaftsgebäuden, von wenigen Tagelöhnern bewohnt, zerfallend unter dem wechselnden Einfluß der Monden und Jahre. In dem Abteigebäude hat die Regierung eine Wirthschaft errichtet.
Wir treten durch ein Vorgewölbe, in welchem rechts und links Säulenstücke aller Art, Capitäle, Schäfte, Füße umherliegen, durch das Portal, dessen Wappen die Zahl 1669 trägt, in den Raum des Hauptschiffes ein. Der Baustyl ist ein schöner altdeutscher, der Chorbogen, die Bögen zu den Seitenchören waren Rundbogen, das Hauptschiff und der Chor selbst ein Kreuzgewölbe. Von dem Langhause ist das nordwestliche Seitenschiff ganz verschwunden, 2–3 Fuß hohe Säulenfüße ragen noch aus dem moosbedeckten Boden hervor. Von der südöstlichen Seite stehen noch drei Säulen des Hauptschiffes, die Außenmauern und der Bogen einer Seitencapelle. Durch den Bogen des Chores aber blicken wir hinaus in die waldige Gebirgslandschaft. Auf den zerfallenden Mauern wächst die Dornenhecke, der wilde Brombeerstrauch und die genügsame Zwergtanne, um die Säulenfüße, über die umherliegenden Friese und Säulenschäfte, über den Deckelplatten einsinkender Grabgewölbe wuchert üppiges Moos und weiches Berggras, und unwillkürlich trägt es die Seele auf den Fittigen des Gedankens zurück in jene Tage, in welchen noch Gebet und Gesang in den heiligen Hallen des Gotteshauses ertönten und reges, emsiges, oft lärmendes und heiteres Leben waltete in den Häusern ringsumher, und Hunderte frommer Anbeter zur Wallfahrt um des Tempels Pforten sich sammelten. Die Klosterkirche, ehemals ein schönes, stattliches Gebäude, war aus Quadern erbaut, groß und reich verziert, hatte einen prachtvollen Hauptaltar und sechs Nebenaltäre und ein schönes vergoldetes Ciborium mit biblischen Darstellungen in getriebener Arbeit. Auch die Klosterbibliothek war nicht unbedeutend.
Wir blicken weiter zurück in die Tage, in welchen noch die Grabesstille des Urwaldes über Bergen, Schluchten und Thälern lag, stiller und tiefer als jetzt über diesen zerbröckelnden Trümmern, in die Tage, in welchen zuerst des Menschen Hand die Axt legte an
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_619.jpg&oldid=- (Version vom 15.10.2022)