Wie werden Moden gemacht?

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Autor: Eugen Laur
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Titel: Wie werden Moden gemacht?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 794–796
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Wie werden Moden gemacht?
Von Eugen Laur in Paris.
Die Arbeiterin-Modellistin. – Zündnadelgewehr als Tuchnadel. – Der Preuße und der deutsche Michel. – Schicksal einer Modedame auf dem Maskenball. – Die öffentlichen Bibliotheken als Modejournale. – Die Musterbureaux. – Die Ausstattungsstücke der Theater. – Die Kaiserin und die Lyoner Seidenfabrikanten. – Die Anilinfarbe. – Couleur Bismarck und Vert Metternich. – Die „sterbende Kröte“ und der „ohnmächtige Floh“. – Die Reclame.


Wer in Paris die großen und die kleinen Boulevards auf- und niederwandelt oder selbst in die Querstraßen derselben einbiegt, gewahrt überall Laden an Laden, Schaufenster an Schaufenster, und darinnen zahllose Waaren der verschiedensten Gattungen und Formen aufgestapelt. Dem aufmerkenden Beobachter entgeht nicht, daß die ausgestellten Gegenstände fast täglich wechseln und immer, freilich manchmal nur geringe, Veränderungen oder Verbesserungen zeigen. Wo bedeutendere Fabriken ihre Producte durch Detailverkäufer dem Publicum vor Augen führen, ist das Räthsel nach dem Ursprung der stetigen Abwechselung leicht gelöst. Jede Fabrik besitzt ihre Musterzeichner, die Jahr aus Jahr ein keine andere Beschäftigung haben, als neue Combinationen zusammenzustellen; ein Muster, das dem allgemeinen Geschmack entspricht und „Mode“ wird, vermag einen Fabrikanten zum reichen Manne zu machen. Denn natürlich, wie eine Melodie in den verschiedenen Tonarten sich wiederholen läßt, kann eine Zeichnung in den verschiedensten Farben und Größen gegeben werden, so daß das Probensortiment eines Musters oft mehr als einhundert Nummern umfaßt. Aber das Pulver ist nicht von den Soldaten, das Teleskop nicht von den Astronomen erfunden worden; so geschieht es, daß die glücklichsten Muster oder Modelle nicht immer von denen erdacht werden, die aus der Erfindung ihre Specialität gemacht haben. Ueberdies sind viele Händler nicht im Stande, eigene Musterzeichner zu unterhalten oder deren eine genügende Anzahl zu beschäftigen. Man ist deshalb auf eine „Theilung der Arbeit“ verfallen. In einem sogenannten Confectionsgeschäft, Wäschemagazin, in Putzhandlungen u. dgl. meldet sich eine Arbeiterin, um „Beschäftigung im Hause“ zu verlangen. „Wir sind bereit, Ihnen Aufträge zu geben,“ heißt es gewöhnlich, „aber – bringen Sie uns ein Modell, das uns gefällt.“ Gelingt es der Arbeiterin, z. B. ein Modell für einen Damenmantel zu finden, welches den Beifall des Patrons gewinnt, so hat sie Beschäftigung auf längere Zeit, denn nur sie allein ist Eigenthümerin des Modells, sämmtliche Copien dürfen nur bei ihr bestellt werden und es ist selten, daß der Auftrag auf weniger als ein paar Dutzend lautet. Das begreift sich, da der Engroshändler jedem seiner Detaillisten mindestens ein Exemplar oder zwei als Probe zusenden muß, um weitere Bestellungen aufzunehmen.

Doch was ist ein Muster! Jeder Tag sieht in jedem Zweige hundert neue auftauchen, es gilt, den Concurrenten zuvorzukommen, sie zu übertreffen, den Augenblick zu erhaschen und dabei mit einem neuen Modell hervorzutreten nicht eher, als nach Anfertigung einer größeren Collection, die dem Andrange von Aufträgen sofort zu genügen im Stande ist. Hat das Modell einmal Verbreitung und Anerkennung gefunden, flugs macht der Concurrent es nach, indem er kleine Modificationen anbringt, schlechteres und deshalb wohlfeileres Material verwendet, also zu geringerem Preise liefern kann. Nicht nur doppelt giebt, wer schnell giebt, sondern zehnmal mehr verkauft, wer schnell liefert. Nach der Schlacht von Sadowa wurden Tuchnadeln in Form von Zündnadelgewehren auf den Markt gebracht und gingen zu Hunderttausenden ab. Vier Wochen später, als man in Frankreich aufgehört hatte zu bewundern und anfing zu beneiden, wollte kein Mensch mehr eine solche Nadel tragen. Vor Beginn des Krieges hielt man an allen Straßenecken für ein paar Sous einen „deutschen Michel“ feil, der einen Preußen an den Ohren gefaßt hatte und mit Hülfe eines Gummifadens Sprünge machen ließ. Vier Wochen später tanzte der deutsche Michel und der Preuße hielt ihm die Ohren. Bei solchen Spielereien, an denen viel Geld verdient wird, wie wenig sie auch kosten mögen, zeigt sich am schnellsten die dem Verkauf nachtheilige Wirkung des Anachronismus und die tiefe Wahrheit des englischen Sprüchworts: Zeit ist Geld.

Indessen fragt sich, woher die Arbeiterin – es mag bei dem Beispiele einer „Confection“ bewenden – das neue Muster nimmt, das natürlich zuerst von weißem Mousselin (mousseline raide) gefertigt wird und dessen Aufputz und Nähte nur durch Stiche von dunkler Farbe angedeutet sind. Viele Quellen bieten sich dar, aus denen eine intelligente Näherin zu schöpfen vermag. Zunächst der eigene Kopf, aber das ist alsdann keine Besonderheit dieser Art von Arbeiterinnen, sondern allen Erfindern gemeinsam. Ferner die Kundschaft von Frauen, welche vorziehen, den selbst ausgedachten Gedanken durch eine wenig bekannte Schneiderin ausführen zu lassen, statt einem Meister sich anzuvertrauen, der nicht verabsäumen würde, das Geschmackvolle als seine Idee noch anderen Damen zu empfehlen und dadurch der Erfinderin ihr Hauptvergnügen – alleinigen Besitz – zu rauben. So hatte eine durch die hohe diplomatische Stellung ihres Gemahls wie die eigenen [795] Excentricitäten ausgezeichnete Dame für den im Januar d. J. beim Marineminister gegebenen Maskenball ein Costüm zusammengestellt, von dessen Wirkung auf Männer und Frauen sie sich Außerordentliches versprach. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß dem Schneider die tiefste Verschwiegenheit zur Pflicht gemacht worden. Die Leistung des Costumiers entsprach vollkommen den Wünschen der Auftraggeberin. Ein siegesgewisses Lächeln umspielte den stets schlagfertigen Mund, als die Dame von ihren Kammerfrauen sich ankleiden ließ; sie zögerte und zögerte jedoch mit der Abfahrt zum Balle, um erst zu erscheinen, wenn der Saal bereits gefüllt wäre, und möglichst allein einzutreten, damit die bewundernden Blicke ihr ungetheilt zufielen. Wie erstaunte sie, beim Eintreten nur mit einem heiteren Lächeln begrüßt zu werden! Anfangs schrieb sie die Zweifelhaftigkeit dieser Huldigung dem Gefühle des Neides ihrer Rivalinnen zu, bald aber sah sie – vier dem ihrigen vollkommen gleiche Costüme und zwar von jungen Männern getragen. Die Sache verhielt sich einfach so: eine Nebenbuhlerin um die Krone der ersten Modedame hatte einen Gesellen des Schneiders zu bestechen gewußt, mit Hülfe des Verrathes vier jungen Männern die Copien anfertigen lassen und, der Himmel weiß durch welche Versprechungen, die Mitglieder des starken Geschlechts zu jener Vermummung bewogen.

Sodann benutzen Arbeiterinnen die Schätze der öffentlichen Bibliotheken. Es ist durchaus nichts Seltenes in dem weiten Saale der Richelieustraße, neben alten pedantischen Gelehrten, die in einem schweren Folianten vergraben sind, junge Mädchenköpfe zu sehen, welche in alten Modejournalen oder Costümsammlungen blättern und mit flinker Hand hier einen Ausputz, dort die Form eines Gewandes abzeichnen und, was sie Schwarz auf Weiß besitzen, getrost nach Hause tragen, um es in vergrößertem Maßstabe den Patronen vorzulegen. Diese geben dann wohl Rath zu kleinen Veränderungen und Combinationen, wobei wieder ein Unterschied in der Beurtheilung sich geltend macht; die einen suchen möglichst wenig, die andern möglichst viel Stoff für das Kleidungsstück zu verwenden, denn Manches findet nur Anklang, weil es kostspielig ist, Manches wird nur angenommen, weil es wohlfeil sich herstellen läßt.

In Ermangelung selbst eines geringen Grades von Vorkenntnissen – die Mehrzahl der Arbeiterinnen verstehen weder zu schreiben noch zu lesen, geschweige denn zu zeichnen – nehmen die Arbeitsuchenden ihre Zuflucht zu den Musterbureaux d. h. Anstalten, welche einzig und allein mit der Anfertigung von Modellen in weißer Steifleinwand sich beschäftigen, zu verhältnißmäßig geringem Preise – fünf bis zehn Franken – das Stück verkaufen und streng darauf achten, niemals zwei durchaus gleiche Muster zu liefern. Die Frage liegt nahe, warum die Fabrikanten sich nicht direct an diese Bureaux wenden, statt auf die Auswahl der Arbeiterin sich zu beschränken und zu verlassen. Der Grund ist einfach – Kostenersparniß. Ein einigermaßen ausgedehntes Geschäft bringt jährlich mehre tausend „Nummern“. Die hierfür zu zahlende Summe wäre beträchtlich und wird geradezu erspart, denn der Fabrikant müßte doch eine Arbeiterin suchen, welche die Ausführung übernähme, und einmal gefunden, hätte sie bei der Anfertigung nicht dasselbe Interesse wie für das ihr zugehörige Modell. Natürlich ist nicht gesagt, daß die Fabrikanten niemals den von ihren Arbeiterinnen gewöhnlich eingeschlagenen Weg betreten, nur ist es meistentheils nicht der Fall.

Große Hülfe gewähren ferner die sogenannten Ausstattungsstücke in den Theatern, z. B. Variétés, Gymnase, Porte St. Martin, Gaîté, Châtelet und sogar Comédie française. Ueber das Glück vieler Piècen entscheidet einzig das weibliche Publicum und bei Kritikern dieser Gattung thun die Costüme außerordentlich viel. Was wäre z. B. die „Familie Benoiton“ gewesen ohne die excentrischen Costüme? Oder hätte das Gymnase den „Don Quixote“ des Moniteur-Geranten Paul Dalloz angenommen, wäre nicht bei der Aufführung ein gewisser Luxus zu entfalten gewesen? Schauspieldirectoren in Paris müssen ihr Metier und die schwachen Seiten der Menge gründlich verstehen, um bei den ungeheuern Kosten noch reichen Ueberschuß erzielen zu können. Deshalb wird von ihnen „für die würdige Ausstattung nichts gescheut“. Sie wenden sich an die talentvollsten Maler und lassen von diesen die Muster der Costüme zeichnen, die Zusammenstellung der Farben und – des Faltenwurfs wegen – die zu verwendenden Stoffe bestimmen. Ein Gustav Roux, Gustav Doré, Beaucé, Godefroy Durand weigern sich keinen Augenblick, ihren Crayon irgend welchem Theater zur Verfügung zu stellen, und die ersten Schneider beeifern sich, die Costüme für ein paar Hauptpersonen unentgeltlich herzustellen. Denn mit vollkommener Sicherheit ist darauf zu rechnen, daß, wenn das Stück Beifall findet, die in demselben vorkommenden Toiletten Mode werden und dem Schneider Kundschaft eintragen, die ihn für den Verlust zehnfach schadlos hält. Aufmerksame Arbeiterinnen versäumen daher nicht, die zu Ruf gelangten Piècen – ganz abgesehen von der allen Französinnen innewohnenden leidenschaftlichen Neigung für das Theater – sobald wie möglich zu sehen.

Daß nicht selten durchaus äußerliche Veranlassungen Annahme irgend einer Kleidungsform bewirken, darf als bekannt vorausgesetzt werden, denn die Geschichte der Crinoline, der Allongenperrücke etc. ist in Aller Gedächtniß. Die Mode beschränkt sich aber nicht allein auf den Schnitt des Kleidungsstückes, sondern sie beherrscht in gleichem Grade den Stoff und die Farbe. „Sonst war unschwer,“ schreibt ein gründlicher Beurtheiler der Universalausstellung von 1867, „die Bekleidungsgegenstände einzutheilen je nach dem Stoffe, aus dem sie hergestellt waren: Wolle, Leinen, Seide, Baumwolle. Schon seit geraumer Zeit sind die verschiedenen Mischungen (Verzeihung dem ungenauen Ausdrucke!) von Wolle und Seide, Seide und Baumwolle, Seide und Leinen etc. als gleichberechtigt aufgetreten. Die letzten Jahrzehnte sahen noch andere Fasern reichlich verwenden: die Ziegenhaare, den Manillahanf u. dgl. m., die wieder neue Verbindungen mit den älteren eingehen und so ihre Multiplication weit über die pythagoräische Tafel hinaus steigern.“ Hier tritt nun als wesentliches Moment für die Möglichkeit, einen Stoff in die Mode zu bringen, der Kostenpunkt mit ein. Spitzenkleider, wie das Marsfeld dergleichen gesehen, deren jedes zweihundert Arbeiterinnen drei Jahre lang in Anspruch nimmt, werden nie dem Mohair oder Alpacca an Absatz gleichkommen, die Foulards und Marcellines haben von den Lyoner façonnirten Lizerés Concurrenz nicht zu befürchten, denn die Mode ist durchaus demokratischer Natur, sie basirt sich auf Betheiligung der großen Masse und hierdurch wird erklärt, daß bei ihr mit Gewalt und Zwang sich nichts ausrichten läßt. Als vor Jahresfrist die schlimme Lage der arbeitenden Classen in der zweiten Hauptstadt Frankreichs zu bedrohlicher Höhe gelangt war, verkündete der Staatschef, man werde von oben herab dem Handel und Verkehr neue Impulse geben. Kaiserin Eugenie bestellte mit einem Male vierundzwanzig façonnirte Seidenkleider in Lyon und sprach ihren Hofdamen den Wunsch aus, sie künftig nicht zu selten in denselben Stoff gekleidet zu sehen. Die Frauen einiger Gesandten und den Tuilerien nahe stehenden Beamten folgten schleunigst diesem Beispiel, aber es war wie ein Tropfen Wasser auf glühendem Stein im Augenblick verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Aehnliches war schon 1852 geschehen. Das Kaiserreich begünstigte das Börsenspiel, reizte zu großartigen, aber ungesunden Handelsunternehmungen, schuf Eisenbahnen, die durch kein Bedürfniß gefordert waren, und spitzte den Stachel, der ohnedies in jedem Franzosen steckt, nämlich die Sucht schnell reich zu werden und den Reichthum durch äußeren Glanz zu zeigen. Der Luxus stieg mit jedem Tage. Bei der Wahl der Toilette, namentlich in gewissen Kreisen, wurde nicht mehr auf Geschmack, sondern auf Kostbarkeit gesehen, und die Ausstellung von 1855 erwies bereits, daß die Fabrikanten diesem unsinnigen Streben zu Hülfe kamen; sie überboten einander in Reichhaltigkeit und Größe der Dessins und in der Höhe der Preise. Aber das Gesetz der Pendelbewegung ist ein ewiges, der Rückschlag konnte nicht ausbleiben.

Der Schwindel war entlarvt, die plötzlich erworbenen Vermögen schmolzen ebenso rasch zusammen, die sogenannte grand monde wollte von der demi-mondedurch Einfachheit sich unterscheiden und überließ die auffallenden Costüme denjenigen, welche davon leben, die Augen der Menge zu reizen. Vergebens alle Anstrengungen der Fabrikanten Lyons, die öffentliche Gunst zu bewahren! England, Preußen, die Schweiz machten sich selbständig in der Seidenindustrie, lieferten wohlfeile, einfache Waaren; Nordamerikas excentrische Neigungen waren durch den Bürgerkrieg abgekühlt: so stehen die Webstühle an der Rhone still, bis ihre Inhaber sich werden entschlossen haben, dem Geschmack der Menge Gehorsam zu zeigen. Unterwirft die Mode sich nicht dem Befehl von oben, so ist ihr Verspottung und Verhöhnung gewiß gleichgültig. Beweis die aus England herübergekommene Art, die langen [796] Enden des um den Hals geschlungenen Bands auf den Rücken hinabflattern zu lassen. Die Franzosen bezeichneten bekanntlich diese Wimpel der heirathssüchtigen Canalnachbarinnen mit dem Namen „Suivez-moi, jeune homme“, doch das that der Verbreitung ebensowenig Eintrag, wie vor einigen Jahren der „letzte Versuch“ den runden Strohhüten Abbruch verursachte.

Daß auch die Farbe Modesache ist, bedarf nicht des Beweises, es genügt zu erinnern, daß selbst die Farbe des Trauergewandes, der Sargbekleidung bei verschiedenen Völkern und sogar bei dem nämlichen wechselt. Im Allgemeinen ist bei den gebildeten Völkern der Farbensinn erloschen, besonders in der Kleidung der Männer wird jede volle Farbe verachtet und nur die schmutzige gefällt. In Bezug auf den Anzug der Frauen schien Aehnliches Platz zu greifen, aus den Collectionen der Fabrikanten verschwanden mehr und mehr das Jugend athmende Rosa, das leuchtende Himmelblau, die sogenannten unbestimmten Farben bildeten den Hauptartikel für den Absatz. Da trat durch die schöne Erfindung Nicholson’s und Perkins’ mit einem Male vollkommener Umschlag ein. Die Anilinfarbe erweckte die Lust am Farbenschmucke, Rosa, Himmelblau, Violett fanden wieder lebhaften Anklang. Das Roth der „brennenden Liebe“ brach sich Bahn für Ober- und Untergewänder, ja, es erstreckte sich in Paris sogar bis auf die Haare. Jeder Tag bringt eine neue prächtige Nüance und ihrer Einbürgerung schadet nicht die Gewißheit geringer Dauerhaftigkeit: schmeckt die Pfirsich weniger, weil man in einer Minute sie verzehrt hat?

Besonders Violett errang großen und dauernden Beifall, wenn auch die Aesthetiker es zu den beunruhigenden Farben zählen; zunächst verdankt es die Gunst dem Umstande, daß es die Farbe der napoleonischen Blume ist, sodann – und das ist durchschlagend – weil es zu den kleidsamsten gehört und deshalb von Madame Eugenie bevorzugt wird. Nicht ohne Einfluß auf die Wahl bleiben Ereignisse, mögen sie nun tiefere oder nur oberflächliche Bedeutung haben. Es ist noch nicht allzulange her, daß in gewissen Ländern die grauen Calabreser verboten waren, in Rußland und Polen auf Roth, Schwarz und Grün (vergossenes Blut, Trauer, Hoffnung auf Wiederherstellung Polens) gefahndet wurde, und gegenwärtig sollen die rothen Flanellhemden an der Tiber nicht gerade wohlgelitten sein.

Andererseits pflegten auf den französischen Rennbahnen die Damen der Mitglieder des Jockey-Clubs in den Farben des Grafen von Lagrange zu erscheinen, weil man dessen Pferden Sympathien bezeigen wollte. Während des italienischen Krieges von 1859 trugen die Pariserinnen am liebsten Weiß-Grün-Roth. Augenblicklich gefallen sie sich in dunkelblauen Tuchkleidern mit gelben Knöpfen, vielleicht – wie man scherzend sagte – um die Franzosen an den Anblick der preußischen Uniformen zu gewöhnen. Und daß selbst die Bezeichnung der Farbe nichts Gleichgültiges hat, ergiebt sich aus dem Eifer, mit welchem die verschiedenen „Bismarck“ und jetzt das „Vert Metternich“ aufgenommen werden. Shakespeare meint freilich, die Rose, wie sie auch hieße, würde lieblich duften, die Farbenerfinder und Färbereibesitzer sind aber anderer Ansicht und wissen, was der Name bei der großen Menge zu bedeuten hat. Und diese Erfahrung datirt nicht von heute. In einem 1819 zu Paris erschienenen „Essai sur l’Esprit de Conversation et sur quelques moyens de l’acquérir“ (Versuch über den Geist der Conversation und über einige Mittel, ihn zu erlangen) wird ausdrücklich angerathen, die Lieblingsfarben der Damen gesprächsweise zu loben, und als diese Favoriten werden genannt: „crapaud expirant“ (sterbende Kröte) und „puce évanoui“ (ohnmächtige Floh). Räthselhaft bleibt aber in den meisten Fällen der Grund für den plötzlich allgemeinen Beifall, dessen eine Farbe oder Nüance sich erfreut; jahrelang ist sie dem Publicum vorgelegt worden, ohne Beachtung zu finden (dasselbe gilt von Stoffen); mit einem Male wirft sich der Geschmack auf das lange Unbeachtete oder gar Verachtete und kauft zu erhöhten Preisen, was als „Ladenhüter“ schon werthlos erschienen war. Vermuthlich hängt viel davon ab, mit welchem Geschick die Reclame in’s Werk gesetzt wird. Denn wenn die Mode eine Göttin, so ist die Reclame, der Iris gleich, ihre Botin, die windesschnell dahinfährt,

„Wie wenn der Schnee aus Wolken daherfliegt, oder der Hagel
Kalt und geschnellt vom Stoße des hellanwehenden Nordwinds.“

Und wie Iris speciell der Here angehört, so ist die Reclame recht eigentlich im Besitze der Pariser. Sie kennen dies Geheimniß, als ob sie alle von Vater Barnum abstammten, jedes Mittel wird durch den Zweck geheiligt, jeder Weg ist ihnen recht, wenn er nur zum Ziele – des Bekanntwerdens – führt. In ihrem Dienste stehen die Zeitungen, die Hauswände, die Bretterverschläge, die Eisenbahnhöfe, Bühnenvorhänge, Kammerfrauen, Omnibusdecken, Frachtwagen. Nur auffallen! heißt die Parole sämmtlicher Regimenter, welche im Dienste der Reclame stehen. Und wenn irgendwo das Feld günstig für ihren Sieg, so ist es wiederum Paris und Frankreich, das sogar um eines Namens willen die jetzige Regierung sich gab und – erträgt.