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Zu Deutschlands Größe auf dem Meere

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Titel: Zu Deutschlands Größe auf dem Meere
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
s. a. Noch mehr „zu Deutschlands Größe auf dem Meere“
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[168]
Zu Deutschlands Größe auf dem Meere.


Es ist eine neue Welt entdeckt worden und zwar mit vielen Millionen Einwohnern, die ihre Verfassungen, Sitten und Gebräuche für sich haben und von auswärtigen Mächten ganz unabhängig sind, wobei es Fremden aller Art ganz frei steht, beliebig aus- und einzuziehen, ohne nach Paß, Zöllen und Abgaben nur gefragt zu werden. Das neue Land besteht aus einer Art von Hoch-Plateau mit einigen besonders hervorragenden Felsenkegeln. Der Boden ist kiesig, hier und da fein sandig, buchtig, höhlig und dabei fruchtbarer, als irgend ein Stück Erde, so weit man bis jetzt urtheilen kann.

Diese neue Welt umfaßt etwa 40,000 englische Quadratmeilen oder ist auf Deutsch 20–25 geographische Meilen lang und 10–12 breit. Dies ist der Größe nach nicht viel, aber dem Inhalte nach mehr, als Europa brauchen, von dort wegschleppen kann, obgleich die unermeßlichen Schätze dieses neuen Inselreichs Jedem durchaus umsonst geboten werden.

Es liegt im nördlichen Theile des atlantischen Meeres zwischen Europa und Amerika, aber ersterem bedeutend näher, nämlich unter 57° 35’ nördlicher Breite und 13° 40’ westlicher Länge, so daß sich’s Jeder auf der Karte suchen und in allgemeinen Umrissen einzeichnen kann. Man wird dann gleich sehen, daß es entschieden zu Europa gehört und wahrscheinlich nur eine Fortsetzung der Inselgruppen ist, die sich vom Norden Schottlands nach Island hin hinter den Hebriden größtentheils unter Wasser hinstrecken, von welchen es wohl nur eine etwas höher gehobene und ausgedehntere Hauptbank sein mag.

Hier wird man billiger Weise gleich fragen: Und diese neue Welt soll erst jetzt entdeckt worden sein? Allerdings, insofern die Welt im Ganzen und Großen diese europäische Reichthumsquelle erst ganz neuerdings zu beachten angefangen hat und sie namentlich für Deutschland geradezu als Aufforderung, endlich auch mal aus dieser Quelle wahrer „Machtfülle“ zu schöpfen, erkannt wird.

[169] Diese neue Welt liegt nämlich, mit einer einzigen kleinen Ausnahme, unter Wasser und ist nach der Bank von Neufundland, wo alle Jahre über 50,000 Menschen in mehr als tausend Schiffen vom Mai bis October für Millionen Thaler Schätze fischen, der reichste Tummel-, Spiel- und Tanzplatz aller Arten von Bewohnern des atlantischen Meeres. Hier lieben und laichen, leben und leuchten des Oceans Ungeheuer, Leckerbissen, Licht-, Heiz- und Schmierlieferanten in millionenfacher, wimmelnder Fülle vom Walfische an bis zum Hering, der Dorsch und der Delphin, der Kabeljau und der Klippfisch, der Stock- und der Stichfisch, die Phocäne und des Meeres Hyäne, der Hai, und fressen sich gegenseitig auf millionenweise und pflanzen sich fort in Billionen und jagen einander in Liebes- und Mordlust und schießen durch die Massen verfolgt und verfolgend und springen empor über das grimmige Gewälze der Wogen einem gefräßigen Feinde unten aus den Zähnen, um in dem Schnabel eines der zu Tausenden über ihnen kreisenden und kreischenden geflügelten Seeräuber unterzugehen.

Diese neue unteroceanische Welt ragt mit einem einzigen Felsenkegel bei ruhiger See höchstens 25 Fuß aus dem Wasser empor, im Sturme aber oft gar nicht, da die wallenden und donnernden Wogenberge darüber hinwegrollen und das Schiff des Unerfahrenen oder Verschlagenen zerschmettern. Dieser unbedeutende feste Haufen in dem unabsehbar umher ruhelosen Elemente sieht unheimlich gespensterhaft aus und hat in seiner stummen, stumpfen Einsamkeit, weiß oder kahlköpfig, wie er in der Regel emporragt, etwas spukhaft Ungethümliches. Die weiße Perrücke oben besteht aus Guano, da die umherkreischenden Seevögel hier den einzigen Ruheplatz finden und ihn oft doppelt und dreifach, auf einander sitzend und sich gegenseitig verdrängend, besetzen. Der Kegel oben ist stumpf, doch ist es noch Niemandem gelungen, ihm nahe zu kommen, geschweige ihn zu besteigen. Die Engländer nennen ihn „Rockall“ (Felsenall, lauter Fels), und das Wort ist in dem Munde der Meeresfischer und auf der Zunge von Compagnien, die hier im Ganzen und Großen fischen wollen, bereits eins der volksthümlichsten und verheißungsvollsten geworden.

Der Rockall-Kegel steht unheimlich in der ruhelosen Wüste des atlantischen Oceans, aber er ist ein freundliches Merk- und Wahrzeichen der Natur, um auf die unermeßlichen Schätze um sich herum aufmerksam zu machen.

Die Bank von Rockall ist eine der merkwürdigsten geographischen Entdeckungen unserer Zeit genannt worden. Sie ist es aber noch mehr für Handel und Wandel Europas, besonders für die Entwickelung Deutschlands in seinen oceanischen und Flottenbestrebungen, wenn es endlich einmal einen Wink verstehen und wirklich zugreifen lernen sollte. Die Bank von Rockall ist jetzt der Europa nächste Liebes- und Laich-Platz der atlantischen Meeresbewohner. Diese haben bekanntlich keine festen Wohnsitze und ziehen, ohne Wanderbücher, ganz nach Belieben oder Instinct (ein Wort für Natur- und Willensgesetze, die wir nicht kennen) in der weiten Welt der Wasser umher, unternehmen aber alle Jahre zu bestimmten Zeiten ungeheuere, tausendmeilige Wanderungen in solchen dichten Massen, daß sie sich oft, wie z. B. die Heringe, förmlich aus dem Wasser herausdrängen. Der „Instinct“, der sie dabei treibt, führt und leitet, ist uns im Wesentlichen unbekannt. Nur so viel gilt als ausgemacht, daß sie sich bestimmte günstige Plätze für Fortpflanzung aussuchen. Dergleichen Laichbänke kamen in früheren Zeiten oft ziemlich häufig in großer Nähe der europäischen Küsten vor. Diese sind aber alle aufgegeben worden, und die Rockall-Bank ist jetzt die uns nächste und nach allen bisherigen Ermittelungen eine fabelhaft ergiebige, da sie den verschiedensten Arten kostbarer Fische als Fortpflanzungs-Asyl dient. Der kiesige, sandige Boden mit vielen Hebungen, Höhlen und Schlupfwinkeln, auch wahrscheinlich mit viel zoophytischer und sonstiger Nahrung (da sie auch von einander leben) mag ihnen so günstig und dabei so geräumig erschienen sein, daß sie diese Stätte wohl nicht so leicht wieder aufgeben werden.

Französische und besonders holländische Fischer haben die Rockall-Bank wohl schon längere Zeit als besonders reiches See-Erntefeld gekannt. In Amsterdam soll es Seekarten geben, auf denen die besonders fetten Stellen von Rockall durch feingezeichnete Buysen oder holländische Seefischerboote markirt sind. Eigentlich und amtlich entdeckt wurde die neue Reichthumsquelle erst durch einen Leitartikel der Times vom 30. Juli 1861. Da wurde erzählt, wie zwei englische Seefischboote oder „Smacks“: „Resolution“ mit dem Capitain Gardener und „Adventure“, Capitain Rhodes, am 18. Juni nach sechswöchentlichen Versuchen, zwischen Island und den Far-Inseln etwas zu fangen und zu fischen, leer auf der Nord-Insel gelandet seien. Verdrießlich über ihr Mißgeschick beriethen die beiden Capitaine, was sie nun wohl vornehmen könnten. Dabei fiel dem Gardener ein, daß er einmal vor einer Mandel Jahre Rockall rühmen gehört habe: dort gäb’ es Stockfische groß wie Esel und in solcher Menge wie Besinge oder Heidelbeeren im Walde. Er habe zwar schon früher manchmal daran gedacht, sich aber immer vor der unheimlichen Einsamkeit am Rockall gefürchtet. In Gesellschaft möcht’ er aber wohl sein Heil dort versuchen. Kurz, die beiden Capitaine unternahmen eine Rockall-Expedition in Gesellschaft, gingen am 2. Juli in See und kamen schon am 13. mit 27 Tonnen oder 59,000 Pfund der besten und größten Stockfische zurück. Sie hatten Fische bis zur Schwere eines Centners, also mächtige, starke Riesen, die zum Theil die Netze durchgerissen hatten, um, befreit, sich von kornblumenblauen Hais ganz und ungekaut verschlingen zu lassen. Man hatte die Netze blos eben auszuwerfen und wieder einzuziehen brauchen, um sie voll zu finden und die ganze Ernte auf der Nord-Insel für etwa 1000 Thaler zu verkaufen, einen Preis, der durch Zwischenhandel und auf englischen Märkten sich mindestens auf das Doppelte steigerte. Bei dem Schlachten und Zubereiten erwiesen sich die umher kreischenden Seevögel so zahm, daß sie zu den Leuten auf die Schiffe kamen und ihnen die Abfälle beinahe aus den Händen nahmen, Beweises genug, daß sie noch nichts von Menschen und ihrer Gefährlichkeit wissen und die ganze Rockall-Bank wirklich eine neue Welt für menschlichen Unternehmungsgeist ist.

Die Capitaine gingen natürlich bald zum zweiten Male und holten sich ebenso schnell ähnliche Ernten. Vielleicht sind sie, und mit ihnen Andere, seitdem öfter aus- und eingelaufen. Wenigstens sind die beiden Helden in den englischen Seefischerstädten als Entdecker eines neuen, unerschöpflichen See-Erntefeldes ebenso populär geworden, wie jemals Wellington, und in Grimsby und anderen englischen Küstenstädten umjubelte die Bevölkerung den Capitain Rhodes mit enthusiastischen Vivats und Hurrahs, so oft er sich sehen ließ. Oeffentliche Orte, Bier- und Kaffeehäuser, nach Rhodes oder Rockall getauft, wie man in Berlin Straßen und Orte mit Namen von Prinzen und Polizei-Präsidenten belegt hat, kann man an der englischen Küste entlang von Grimsby bis Gravesend finden.

Damit ist’s aber nicht abgethan. Es haben sich natürlich im praktisch-speculativen Geiste Englands, der überall sofort mit Energie, Association und großem Capital zugreift, wo etwas zu holen ist, Compagnien zur Ausbeutung der neu entdeckten Schätze des Meeres gebildet. Actien à 1 Pfd. Sterling wurden binnen weniger Tage bis weit über den Bedarf gezeichnet, so daß eine Compagnie sofort mit 300,000 Thalern an’s Werk gehen konnte, um alle Vortheile, die der Fischfang von Rockall bietet, auf das Höchste zu benutzen. Dazu gehört Arbeitstheilung in Schiffe, die blos Fische fangen, in Schiffe, welche die Fische „kuren“, d. h. zubereiten, das Fleisch einpökeln, das Oel aus den Lebern ziehen, aus Abfällen Guano-Material machen etc., in Schiffe, die Proviant, Werkzeuge etc. herbeischaffen.

In Folge einer Aufforderung des einflußreichen englischen Rheders Mr. Shimper ist das Handelsministerium eben dabei, das ganze Gebiet von Rockall genau theilen und sondiren zu lassen. Seine Aufforderung schloß mit den schlagenden Worten: „Wir Fischrheders schaffen Wohlstand, vermindern die Last der Armensteuern und machen aus Abhängigen und Schwachen productive, freie und starke Menschen, weil wir einer überschüssigen Volkszahl Erwerb verschaffen. Und dadurch, daß wir eine überschwenglich vorhandene wohlfeile und gesunde Nahrung aus dem Meere ziehen, erziehen wir zugleich einen eisenfesten Vorrath von Seemännern und verwandeln Englands Armuth in Reichthum, unsere Schwäche in Stärke.“

Wir Deutsche brauchen ja auch wohl Seemänner und Producte des Meeres? Ja wahrhaftig. Es ist neuerdings beides mit einer Sachkenntniß, einem Patriotismus und so beschämenden Thatsachen nachgewiesen, daß namentlich die Norddeutschen, wo neuerdings so viel von „allen Preußenherzen“, preußischer „Machtfülle“ gegen das Volk und dessen Vertreter loyalitätsadressirt ward, in Sack und Asche kriechen oder lieber gleich auf den hohen Seefischfang in der neuen Welt gehen sollten. Diese neue Welt gehört [170] Allen, die dort eben fischen, und muß geradezu als dringendste Mahnung für Deutschland betrachtet werden, aus dem Kasernismus, aus dem leeren, unbezahlbaren Kasernismus auf Kriegsschiffen, aus dem hohlen Flotten-Enthusiasmus zur Sache zu kommen. Das kostspielige und spielerige Seecadettenthum, die Renommage mit blauen und goldenen Uniformen, Matrosendolchen und Hemdenkragen, die Uebungsspazierfahrten in schwimmenden Kasernen – die thun’s wahrlich nicht.

Deutschland hat die Ost- und Nordsee. Letztere wird von den Engländern „deutscher Ocean“ genant. Was macht Deutschland mit seinem Meere? Dasselbe, wie mit seinen Flüssen. Es dressirt und drillt auf ebener Erde Pferde, Hunde und Menschen, wofür das Volk tüchtig bezahlen muß, und läßt seine Flüsse versanden, überschwemmen, austrocknen. Englische Fischer kommen in’s „deutsche Meer“, fangen dort unsere Fische und verkaufen sie an uns. Auch kaufen wir unsere Fische von Holländern, Schweden und sogar Dänen. Es ist nachgewiesen, daß der Zollverein während des letzten Vierteljahrhunderts bis 1861 für mehr als einhundertundfünfundachtig Millionen Thaler Producte des Meeres vom Auslande gekauft habe, während derselbe Zollverein, um den „Unterthanen“ Arbeit und Benutzung ihres Geldes zu verschaffen, Tausende von Menschen durch Schutzzölle zwang, natürlich lohnende, gesunde, see- und landtüchtig machende Arbeit aufzugeben oder liegen zu lassen, um in schwindsüchtiger Baumwollen-Industrie etc. auf Kosten eigener Gesundheit zu arbeiten und dabei doch von National-Almosen (dem Betrage der durch Schutzzölle erzwungenen Vertheuerung) zu leben. Das ist eine schöne Wirthschaft zum Wohle des „Staates“!

Die 185 Millionen Thaler wurden an das Ausland bezahlt für mehr als 6 Millionen Centner Thran und Robbenspeck, für 1,178,000 Centner gesalzene, geräucherte, getrocknete und marinirte Fische, für mehr als 7 Millionen Tonnen Heringe, 143,000 Centner Austern, außerdem für mehr als 18 Millionen Centner Salz, das als preußisches Monopol im Inlande nie in gesunder, freier Industrie gehörig gewonnen werden kann. Der Zollverein kaufte während der letzten 25 Jahre 7,000,000,000 Stück Heringe vom Auslande, die alle Jahre in größerer Zahl durch unser deutsches Meer nach Rockall etc. ziehen.

Preußen in seiner noch nicht genügenden militärischen „Machtfülle“ und mit seinen vielen patriotischen „Preußenherzen“ fängt nicht so viel Fische, als die Nordamerikaner als Dünger zu Guano verfaulen lassen.

Wir schwärmten und sammelten für eine deutsche Flotte „unter preußischer Führung“. Die preußische Staatsmacht will zu ihrer erhöhten militärischen „Machtfülle“, der es den Frieden mit dem Volke opfert, noch für etwa 40 Millionen Thaler speciell preußische Flotte mit schwimmenden Kasernen und Cadetten-Häuschen. Dabei mußten und sollen die „Unterthanen“ auch noch das Meiste von den 185 Millionen für Seeproducte an das Ausland zahlen. Diese Millionen hätten wir uns sehr gut selbst aus dem Wasser fischen und dabei noch sehr wohlfeile Fische essen und den Grund zu einer Flotten-Machtfülle legen können, wenn wir gescheidt gewesen wären. Wollen wir’s nicht endlich jetzt werden, gerufen, gleichsam bei der Nase gezogen durch die Bank von Rockall?

Es fehlte bisher den Deutschen an Unternehmungsgeist, an Capital, an Kopf und Regierungs-Unterstützung dazu. Letztere wird von Sturz und andern Patrioten für nothwendig gehalten, weil ja auch die Nordamerikaner und die Franzosen durch Napoleon III. Fischerei-Prämien erhielten, und der Deutsche ohne Regierungs-Aufmunterung am wenigsten seinem Vortheile nachgehen würde. Dies scheint sehr löblich und praktisch; aber bei Lichte besehen ist’s doch nur eine kostspielige Kinderei für Kinder. Die Regierung, die ja selber weder Geld hat noch Geldgeschäfte machen darf, ohne sich und dem Lande zu schaden, müßte doch das Prämiengeld erst andern Leuten abnehmen, um es Fischerei-Unternehmungen zuzuwenden. Dadurch verlieren letztere von vorn herein ihre gesunde, volkswirthschaftliche Grundlage, ihre Freiheit. Jedenfalls ist’s viel gescheidter, wenn Capitalisten und intelligente Köpfe sofort selbstständig sich als Compagnie verbinden und ohne Weiteres eine tüchtige, vereinte Geld- und Geistsumme in einem Seefischerei-Unternehmen mit dem Hauptsitze in Hamburg oder Bremen anlegen. Der neue preußische Jahdebusen, der dazu vorgeschlagen ward, würde nur dann vortheilhaft sein, wenn Preußen eine andere Politik zu Lande und zu Wasser angenommen haben sollte. Mit seinen jetzigen militärischen und Flotten-Bestrebungen würde es einer Seefischer-Flotte keine besondere Gunst und Förderung zuwenden.

Wenigstens sollte Niemand darauf warten und darum betteln. Deutsches Capital und deutsche Capacität, gehörig vereinigt und angelegt, erreichen selbstständig immer mehr, als unter staatlicher Führung. Man denke an den stolzen, wichtigen Kaufmann, der einmal, von einem Bourbonen gefragt, was er für den Handel thun könne, ganz treffend antwortete: „Sire, schützen Sie uns vor Regierungsschutze!“

Die Seefischerei, namentlich jetzt mit der Rockall-Bank vor uns, ist eine sehr einfache und sichere Speculation. Der Zollverein kauft jetzt jährlich für 3–4 Millionen Thaler Seeproducte vom Auslande. Ganz Deutschland braucht vielleicht jährlich für 5 Millionen und wird jedenfalls noch viel mehr dafür ausgeben, wenn der Bedarf, namentlich an frischen Seefischen, wohlfeiler, schneller und massenhafter befriedigt wird, als bisher, so daß man während der kalten Monate auch in Leipzig und Dresden frische Waare aus der Nordsee oder vom Rockall für einen civilen Preis haben kann. Ein Unternehmen oder Unternehmungen, die auf Kunden bis zur Höhe von 5 Millionen jährlich rechnen können, lassen sich leicht berechnen. Wie viel Capital kann man hineinstecken, um besserer Verzinsung sicher zu sein, als in sonstigen rentablen Capitals-Anlagen? Will man noch Patriotismus, Schule für deutsche Seetüchtigkeit, für eine das Land und den Handel schützende Flotte mit einrechnen, desto nobler. Wir müßten eine Seefisch-Flotte von wenigstens 200 Schiffen haben, um die 5 Millionen selbst zu verdienen. Neun Zehntheile davon gehen nach Nordamerika und zwar meist für Producte des Walfisches. Wir bezahlen, wie behauptet wird (ich kenne den deutsch-nordamerikanischen Verkehr zu wenig), diese Summe zum größten Theile mit Geld, nicht mit dem Ueberfluß unserer Fabrikate. Wenigstens können die durch Schutzzölle vertheuerten und verkrüppelten Fabrikate Deutschlands nicht mit den entsprechenden Englands wetteifern. Unsere Rohstoffe haben sie selbst besser und billiger, unsere Fabrikate liefern ihnen (mit wenigen Ausnahmen) andere Länder billiger und besser. Dazu kommt, daß der Schiffsbau an Deutschlands Küsten viel billiger betrieben werden kann, als irgendwo. Auch haben wir keine Colonien auf festem Boden, so daß wir allen unsern schönen Ueberfluß von Arbeits-, Geld- und schlummernden Unternehmungs-Capitalien zur vortheilhaftesten Colonisirung auf fischreichem Salzwasser verwenden könnten. Auch braucht diese Colonie weder erobert, noch beschützt, besetzt und verwaltet zu werden. Rockall gehört der ganzen Welt. Auch hat das Meer eine unschätzbare Eigenthümlichkeit:

„Das Meer, das Meer macht frei!“

Fische, Oele, Thran, Schmiere, Dünger, Kraft, Leben, Freiheit, Reichthum – Alles läßt sich in unerschöpflichen Massen aus dem Meere fischen. Und dabei drückt und drechselt man immer weiter an Budgets- und Verfassungs-Paragraphen, und dressirt unser Junkerthum Pferde und Menschen und Hunde und fischt Deutschland auf seinen Meeren mit zwei Stettiner Schiffen und einem aus Wolgast. Die 200 Hamburger und Bremer Schiffe sind blos Frachtwagen auf dem Wasser. Was man „Flotte“ nennt, das macht „Uebungsfahrten“, wobei auch noch nicht ein einziger Stockfischschwanz gefangen ward.

Nun denn, wollen wir denn nicht endlich eine flotte Nation werden und uns Geld, Fische, Freiheit, Seetüchtigkeit, die Bedingung zur Tüchtigkeit auf dem Lande, aus dem Meere fischen und dabei jährlich 5 Millionen Thaler verdienen? dadurch, den einzig sichern und tüchtigen Grund, die Elementarschule für eine deutsche Flotte gewinnen! Wie viele junge gebildete Kräfte verkümmern jetzt in hungrigem Lungern nach einer Laufbahn, Anstellung, lohnenden Beschäftigung? Wie werden sie mit ihren harrenden Bräuten alt und welk, ehe sie mal ein mageres, abhängiges Pöstchen oder Stellchen mit 300 Thalern erwischen! Denke man sich eine norddeutsche Seefischereiflotte von 200 Schifen als Vorschule zu einer flotten Flotten-Laufbahn – was für Leben, Hoffnung, Streben, Muskelkraft, Production, Beförderung, Wohlstand und Reichthum! Welch neue „Steuerkraft“, ihr Herren Finanz- und Kriegsminister, die ihr nur immer Geld und Leute zum Geldverzehren haben wollt, ohne den Leuten zu erlauben, ihre „Steuerkraft“ frei zu entwickeln! Welch neue blühende Fischerdörfer und Seestädte an unsern Küsten [171] mit markigen Mannschaften für die Flotte! Keine See-Cadettchen, dressirt in schwimmenden Kasernen! Welche Kauffahrtei-Flotte, Landwehr und Landsturm in Zeiten der Noth an den bedrohten Flußmündungen und Küsten, die tüchtigste Landwehr für die Flotten-Armee! Und die 300 000 Centner Thran und Speck, die Schiffsladungen Fische zum Einsalzen, Räuchern, Trocknen und Mariniren, die 300 Millionen Heringe und Millionen Schalthiere, welche die Seefischflotte jährlich an’s und in’s Land liefern würde, was für alte Industriezweige müßte sie beleben und neue schaffen, wie viele Verkehrsadern mit neuen Säften und Kräften füllen und Millionen von Menschen eine gesunde, leichte, angenehme, neue Nahrung zugänglich machen, die der einzelne Reiche im Binnenlande sich jetzt nur als delicate Seltenheit verschaffen kann!

Reichen diese Aussichten und Thatsachen hin, die schmachvolle Schwäche und Faulheit in selbstständiger Unternehmungslust, wodurch Deutschland allen andern Nationen und sich selbst zum Gespött geworden ist, endlich zu brechen und uns aufzurütteln zum eigenen, einigen, durch Verbindung Vieler starken und siegreichen Zugreifen? Ich dächte, sie müßten hinreichen. Nur müßte die deutsche Presse, die sich in die unerträglichste Einseitigkeit und Trockenheit hoher und hohler Politik und täglicher Aufhäufung localen Klatsches hinein verloren hat, auch lernen, praktische Dinge anzupacken und, dafür agitirend, erwärmend, begeisternd, nie wieder loszulassen, bis sie Fleisch und Blut des Volkes geworden. Capitalisten und Capacitäten sollten aber nicht darauf warten, sondern, je eher, desto besser, als Compagnie für eine deutsche Rockall-Seefischerei auftreten. Im freien constitutionellen Preußen ist zwar das Geldzeichnen nach einem Ukas des seligen Hinckeldey verboten, aber es kostet blos 5 Thaler, und dann braucht’s ja auch nicht gerade in Preußen zu sein. –