Über die Wirksamkeit des Badischen Frauenvereins
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Die 20. Nummer unseres „Volksblattes“ brachte das Bild einer deutschen Fürstin, der Großherzogin v. Baden, mit deren schönem Wahlspruche: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“
Es ist nicht ohne Werth für die Beurtheilung einer Person, ihren Wahlspruch zu lesen. Wie sich oft durch ein einziges Wort, durch eine einzelne Handlung das innerste Wesen eines Menschen offenbart, so gibt uns sein Wahlspruch einen Anhaltspunkt für dasjenige, was er sich zum Zielpunkte seines Lebens und Wirkens gemacht hat, und ohne es vielleicht selbst zu ahnen, drückt er sich durch solch ein geflügeltes Wort den Stempel eigenen Werthes auf.
Eine hohe Bedeutung jedoch gewinnt erst solch ein Wort, wenn es im innigsten Einklange mit den Handlungen steht und dasjenige, was es als Ziel des Strebens ausspricht, sich wahrhaft im Leben bethätigt.
Selten ist mir der schöne Einklang von treuem Wirken so sehr vor die Seele getreten, als bei dem Besuche der Wohlthätigkeits-Anstalten, welche das Großherzogthum Baden seiner edlen Fürstin dankt.
„Wohlthun“ ist ein sehr weiter, ein von Vielen mißverstandener Begriff. Im Allgemeinen begrenzt er sich in der Gabe, die dem Bedürftigen gereicht wird. Der wirkliche Begriff des Wohlthuns liegt aber weit tiefer, er liegt in der persönlichen eingehenden Theilnahme, in der liebevollen Fürsorge, in dem aufopfernden Wohlwollen für die Leidenden und Bedürftigen, er liegt in dem herzlichen Bestreben, jedem Nebenmenschen hilfreich zu sein.
Diese Art des Wohlthuens ist es, welche die Frau Großherzogin übt, und es dürfte wohl nicht unwichtig sein, etwas Eingehenderes über den Wirkungskreis der hohen Frau zu hören.
Ein am Ende der Amalien-Straße in Karlsruhe belegenes Schlößchen (welches ehemals S. K. Hoheit der Großherzog als Prinzregent bewohnte) umschließt das Gebiet vielseitiger Thätigkeit, dem sich die hohe Beschützerin selbst im Verein mit edlen Frauen treu und hingebend widmet. Ein prächtiger Park umfaßt die großartigen Baulichkeiten, die theils zur Aufnahme Kranker bestimmt sind, theils den Pflegeschwestern des badischen Frauenvereins eine schöne trauliche Heimath bieten und den Schülerinnen der Luisenanstalt zum Aufenthalt dienen.
Ich werde den wohlthuenden Eindruck nie vergessen, den ich an jenem Morgen empfing, als es mir durch freundliche Empfehlung vergönnt ward, einen Blick in jenen segensvollen Wirkungskreis zu werfen. Der maifrische Park mit seinem zarten Grün, in dem sich die Kranken theils von der fürsorgenden Hand pflegender Schwestern unterstützt, bewegten, theils in bequemen Stühlen an sonnigen windstillen Plätzchen ruhten und dazwischen, gleichsam als solle das frische junge Leben den Eindruck ernster Trauer mildern, die fröhlichen Schaaren der Luisenschülerinnen, die zwischen blühendem Flieder und Goldregen sorglos plaudernd und scherzend umherwanderten. – Die jungen Mädchen – etwa 80 an der Zahl – die in ihrer Uniform – blauen Kleidchen und rosa Leibschürzchen – gar niedlich aussahen, waren an jenem Morgen von einer mehrwöchentlichen Ferienreise in die Heimath zurückgekehrt, und ich wurde ungebetener Zeuge manch herzlichen Wiedersehens.
Ein wohlthätiger Hauch des Friedens schwebte über dem ganzen Bilde; man fühlte den gütigen Geist, der dies Alles so schön gestaltet und mit so vieler Liebe umgab.
Wenden wir uns jetzt dem Zwecke und der inneren Einrichtung der Anstalten zu.
Der seit dem Jahre 1859 durch die Frau Großherzogin neugegründete Frauenverein, dessen Zweige sich segenbringend über das ganze Großherzogthum Baden erstrecken, hat seinen Hauptsitz in Karlsruhe und zerfällt in 4 Abtheilungen.
Die 1., 1875 gegründete Abtheilung, welche sich wiederum in 3 Zweige gliedert, stellt sich die Aufgabe,
1. in der nach der hohen Stifterin also benannten Luisenanstalt junge Mädchen aus mittleren Ständen des In- und Auslandes und ohne Unterschied des Bekenntnisses in allen weiblichen Arbeiten derart auszubilden, daß sie nicht nur zu guten Hausfrauen erzogen, sondern auch für den gewerblichen Beruf herangebildet werden, damit sie einerseits dem Manne in seinem geschäftlichen Wirken hilfreich zur Seite stehen können und andererseits befähigt werden, auch selbstständig ihr Fortkommen im Leben zu finden.
Neben einer streng sittlichen und religiösen Erziehung wird über das leibliche Wohl der Schülerinnen mit liebevoller Fürsorge gewacht. Der Unterricht theilt sich in praktische und theoretische Fächer. Zunächst werden alle in das Gebiet der Hauswirthschaft einschlagenden Arbeiten, wie Kochen, Putzen, Waschen, Bügeln etc. etc. gründlich erlernt. In sämmtlichen weiblichen Handarbeiten, vom Stricken, Nähen, Häkeln bis zum Maschinennähen und Kleidermachen, wird vorzüglicher Unterricht ertheilt. Außerdem erhalten die Luisenschülerinnen, deren Aufnahme jedoch erst nach zurückgelegtem 14. Lebensjahre erfolgen kann, Unterricht in allen Elementarfächern. Dem Zeichnen wird eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt, hauptsächlich dem Freihandzeichnen, dem geometrischen und Musterzeichnen, welches bei einigem Geschick mit der Zeit die Fähigkeit gibt, Stickmuster, Namenszüge etc. frei zu entwerfen. Nicht weniger Werth wird auf die gründliche Erlernung des Rechnens sowie der einfachen und doppelten Buchführung verwandt. Auch verschiedene Fächer der Naturkunde mit besonderer Rücksicht auf die Haushaltung werden durchgenommen, der [286] Unterricht in fremden Sprachen jedoch nur auf besondern Wunsch ertheilt.
Die Vergütung, welche eine jede Schülerin als Beitrag zahlen muß, ist eine so geringe, gar nicht in Vergleich zu ziehende mit dem, was an körperlichem und geistigem Gewinn geboten wird, daß man Eltern, denen es am Herzen liegt, ihren Töchtern eine gute Erziehung angedeihen zu lassen, diese Anstalt nicht warm genug empfehlen kann.
2. ist das Bestreben dahin gerichtet, Mädchen, welche mit guten Schulzeugnissen versehen sind und das achtzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, in einem fünfmonatlichen Unterrichtskurs zu Arbeitslehrerinnen heranzubilden; der Unterricht erstreckt sich auf folgende Fächer:
Weibliche Handarbeiten, Stricken, Häkeln, Nähen in wöchentlich 30 Stunden. Zeichnen und Rechnen 4 Stunden. Deutsche Sprache 6 Stunden. Erziehung und Gesundheitslehre 2 Stunden.
Die Vergütung für diesen Unterrichtskurs beträgt einschließlich Kost und Wohnung 150 Mark. Für Stadtschülerinnen wird ein Lehrgeld von 20 Mark entrichtet. Bei befriedigenden Leistungen wird den Theilnehmenden am Schlusse des Kurses von Seiten des großherzoglichen Oberschulraths ein Zeugniß der Reife ausgestellt, welches den Eintritt als Lehrerin in Elementar-Mädchenschulen ermöglicht.
3. hat die Schule einen kunstgewerblichen Kurs für Mädchen und Frauen, um den Geschmack sowie die technische Fertigkeit für die Kunstindustrie zu heben und eine nutzbringende Thätigkeit für das weibliche Geschlecht zu erzielen.
Der kunstgewerbliche Unterricht, für welchen der Großherzog Räumlichkeiten des Academiegebäudes zur Verfügung stellte, zerfällt in zwei Kurse, einen Zeichnen- und einen Nadelkurs.
In ersterem wird von dem Freihandzeichnen nach flachen und plastischen Vorbildern bis zu den feinsten Gemälden auf Holz, Porzellan, Leinwand, Stein und Metall jeder einzelne Zweig der Mal- und Zeichenkunst geübt. Die theilweise wahrhaft künstlerisch ausgeführten Gegenstände liefern einen erfreulichen Beweis für die glückliche Methode der Lehrenden sowohl als auch für die sich in kürzester Zeit kundgebenden Fortschritte der Lernenden.
In dem zweiten Kurs werden feine Nadelarbeiten, besonders Buntstickereien, Soutache- sowie Applicationsarbeiten zur Ausführung gebracht, ja sogar Point lace, diese beliebte Nachbildung echter Spitzen, wird hier fein und kunstgerecht angefertigt.
Solche Schülerinnen, welche sich nach einer viermonatlichen Lehrzeit zur tadellosen Ausführung eines Zweiges der vorerwähnten Arbeiten befähigt zeigen, erhalten von Seiten des Vereins das Material zu Arbeiten geliefert, für deren Herstellung eine angemessene Zahlung geleistet wird. – Auf solche Weise wird es einer großen Anzahl von Mädchen und Frauen ermöglicht, ihre freie Zeit einer lohnenden Thätigkeit zu widmen. In mehreren Städten Badens (sowie neuerdings auch in Frankfurt a. M.) sind Verkaufsläden für die in dem kunstgewerblichen Vereine angefertigten Arbeiten eingerichtet, welche durch geschmackvolle und gute Ausführung den Vergleich mit den Leistungen der großartigsten Geschäfte dieser Art aushalten können.
Wer bedenkt, wie viel gesellschaftliches Elend dadurch entsteht, daß die Hausfrau meist unvertraut mit allen Erfordernissen eines Haushaltes ihren Beruf antritt und so dem Manne nicht zur Stütze auf seinem Lebenswege wird, im Gegentheil das mühsam Erworbene desselben oft durch schlechte Verwaltung und Unkenntniß zu Grunde richtet und statt des gehofften Aufblühens das Verderben der Familie herbeiführt, und wer wiederum den Blick auf diejenige Zahl der Frauen richtet, die auf eigne Kraft gestützt durch′s Leben wandern müssen und denen es leider nur zu oft an den nöthigen Kenntnissen fehlt, um sich durch ehrliche Arbeit eine ehrenhafte und unabhängige Existenz zu gründen, der wird einer Anstalt, die es sich zur Aufgabe gestellt hat, weibliche Wesen auf allen Gebieten ihres Berufes heranzubilden und ihnen dadurch eine dauernde und segensreiche Mitgift für′s Leben zu bieten, seine volle Anerkennung zuwenden.
Die 2. Abtheilung umfaßt die Armenpflege. Zunächst besteht ihre Aufgabe in der Beaufsichtigung der städtischen Armenkinder. Diese sind, wenn elternlos, in Familien untergebracht, welche dafür angemessene Verpflegungsgelder erhalten; solche Kinder, welche nur halbverwaist sind, werden zum größeren Theil unter besonderer Ueberwachung und auf Kosten der Vereinskasse bei ihren Müttern erzogen.
Die mit der Beaufsichtigung der Kinder betrauten Frauen stellen sich wöchentlich zur Prüfung bei den Pflegeeltern ein, und wird letzteren, falls sie sich durch besonders gewissenhafte Verpflegung ihrer Schutzbefohlenen auszeichnen, eine besondere geldliche Vergünstigung von Seiten des Vereins gewährt.
Aus dieser Einrichtung geht hervor, daß auch die Frau Großherzogin sich der jetzt sehr verbreiteten Ansicht angeschlossen hat, daß die Erziehung von Armen- und Waisenkindern in braven Familien im Allgemeinen derjenigen in Anstalten und Waisenhäusern vorzuziehen ist, und es kann nicht rühmlich genug hervorgehoben werden, mit welch eingehender Theilnahme die hohe Frau über das Wohl und Wehe der einzelnen Kinder persönlich wacht.
Außer der Kinderpflege gehört die Armenunterstützung im Allgemeinen sowie die Gewährung von Hilfe und Unterstützungen bei besonderer Noth einzelner Personen sowie ganzer Familien etc. auch in das Gebiet dieser Abtheilung.
Es würde eine schwierige, ja unmögliche Aufgabe sein, hier Einzelnes beweisführend hervorheben zu wollen. Die Erfolge einer treuen, still gepflegten Wirksamkeit, die schon manch drückender Noth, manch schwerem Elende eine erfreuliche Linderung gewährte, die leibliche, geistige und sittliche Hebung einer Reihe hilfloser und [287] schlecht versorgter Kinder sprechen deutlich genug für die segensreiche Wirksamkeit dieser Abtheilung.
Die 3. Abtheilung beschäftigt sich mit der Krankenpflege, insonderheit mit der Ausbildung von Krankenwärterinnen, und mit deren zweckmäßiger Verwendung in Karlsruhe selbst sowie in verschiedenen auswärtigen zum Badischen Frauenvereine gehörenden Krankenstationen und Privatkrankenhäusern wie Heidelberg, Mannheim, Pforzheim, Konstanz, Freiburg, Erbach u. A. m.
Die in dem Bereiche vorerwähnter Baulichkeiten belegen „Vereinsklinik“, welche „chirurgische“ und Augenkranke aus allen Ständen aufnimmt und Unbemittelten freie Aufnahme gewährt, beschäftigt auch 12–14 Wärterinnen des Badischen Frauenvereins. Die hübschen geräumigen Krankenzimmer, in denen musterhafte Ordnung und Reinlichkeit neben der dem Kranken so wohlthuenden Ruhe herrscht, üben auf den Besucher einen äußerst günstigen Eindruck aus.
Die Vereinsklinik ist auch zugleich die Heimath für die Wärterinnen des Badischen Frauenvereins. Hier finden die von anstrengender Berufsthätigkeit Erschöpften stets liebevolle Aufnahme und in Krankheitsfällen sorgsame Pflege. Die vortrefflichen Leistungen dieser Wärterinnen haben während des deutsch-französischen Krieges eine so rühmliche Anerkennung im Lande selbst sowie weit über dessen Grenzen hinaus gefunden, daß ein näheres Eingehen auf deren vielbekannte Wirksamkeit hier überflüssig erscheinen dürfte.
Die Aufgabe der 4. Abtheilung, auch „Sophien-Frauenverein“ genannt – nach der verstorbenen Großherzogin Sophie, welche demselben vom Jahre 1831 bis zu ihrem Tode als Beschützerin vorstand, und welcher später durch die Frau Großherzogin Luise dem allgemeinen Badischen Frauenvereine eingereiht wurde – , besteht:
a) in der Unterstützung arbeitsunfähiger und alter Leute,
b) in der Veranstaltung von Sammlungen bei außerordentlichen Unglücksfällen im Lande oder Reiche,
c) in der Sorge für eine nahrhafte Kost durch Errichtung und Unterhaltung einer Suppenanstalt, aus welcher Kranke und Bedürftige unentgeltlich, sowie Arbeitsfähige gegen geringe Vergütung täglich gespeist werden können,
d) in der Beförderung der Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechtes durch die Errichtung eines Vereinsladens,
e) in der Sorge, Arbeitsfähigen beiderlei Geschlechts die Möglichkeit eines redlichen Verdienstes zu eröffnen, und
f) in der Unterstützung invalide gewordener badischer Soldaten und deren Familien sowie in der Bestrebung, das Loos verwundeter und erkrankter Krieger des In- und Auslandes zu bessern.
Aus vorstehender kurzer Zusammenfassung läßt sich ermessen, wie vielseitig die Werke der Nächstenliebe sind, denen sich die Frau Großherzogin mit Treue und Hingebung widmet.
Staunen aber muß man, wenn man bedenkt, daß ihre Wirksamkeit sich nicht nur auf ihre nächste Umgebung, auf die Hauptstadt ihres Landes beschränkt, sondern daß unter ihrer Leitung sich ein wohlgegliedertes Netz von Zweigvereinen segenbringend über das ganze Land hin erstreckt, über das Land, das sich wahrlich glücklich preisen muß, eine Fürstin zu besitzen, deren Herz so warm und liebevoll für die leidende Menschheit schlägt, und die mit so viel praktischem Verständniß Noth und Jammer lindert.