„Es schickt sich nicht!“

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: „Es schickt sich nicht!“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 532
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[532] „Es schickt sich nicht!“ So lautet die Losung einer strengen Geheimpolizei, deren unerbittliches Urtheil unser Thun und Lassen richtet. Ob von eigenem Gefühl oder von der Meinung Anderer diktirt, ob den Anforderungen des Jetzt oder alten Ueberlieferungen des Einst entstammend: es tönt uns abmahnend und verweisend entgegen, wenn wir im Begriff sind, einen Verstoß gegen die Gebote der Schicklichkeit, gegen die Begriffe von Recht und Pflicht zu begehen.

Eine unsichtbare Macht leitet uns, wir folgen einem unausgesprochenen Gesetze, wenn wir im entscheidenden Augenblicke ohne die Wahl langen Besinnens und Erwägens das Richtige treffen.

Je höheren sittlichen Werth der Mensch besitzt, um so schärfer ausgeprägt wird die Beurtheilung der Grenze sein, welche dies „bis hierher und nicht weiter“ erheischt. Aber gerade diese Beurtheilung wird für manche althergebrachte Grenze des Schicklichen andere Kreise ziehen, um den Anforderungen der Zeit und zugleich dessen, was sich schickt, gerecht zu werden.

Denn das „es schickt sich nicht“ will ja nicht bloß bei dem Unterscheiden von Recht und Unrecht seine Macht erproben; es fällt auch da einen harten Richterspruch, wo seine Unantastbarkeit nicht recht am Platze ist, wo es mit gutem Gewissen auch vom Edelstdenkenden mit dem Namen „veraltetes Vorurtheil“ bezeichnet werden kann.

So manches junge Mädchen aus den „besseren Ständen“ arbeitet am Stickrahmen bis spät in die Nacht hinein, um ein kleines Taschengeld zur Befriedigung der hochgeschraubten Wünsche der Tyrannin „Mode“ zu erringen. Aber Niemand aus der Gesellschaft, der sie angehört, darf von dieser heimlichen Arbeit etwas ahnen – „es schickt sich nicht.“

In großen Städten ist das Geheimhalten leicht zu ermöglichen; es finden sich gefällige Hände, die den Verkauf der Arbeiten übernehmen; jedoch in kleineren Orten, wo eines Jeden Thun beobachtet wird, da übt das „es schickt sich nicht“ für den sich zaghaft Beugenden eine grausame Tyrannei.

Lieber entbehren, dürftige Mahlzeiten einnehmen, in jeder Weise auf Kosten der Gesundheit und des Wohlbehagens in der Familie leben, als nach außen zeigen, wie schwer es wird, Anderen, Begüterten, ihre Gebräuche nachzuahmen.

Das „es schickt sich nicht“ läßt es nimmer zu, die Wahrheit einzugestehen; ehrliche Arbeit wird in Acht und Bann gethan – man schämt sich ihrer. Hier sind Eitelkeit und Eigendünkel die Gewalten, welche das böse „es schickt sich nicht“ diktiren.

Und wollen wir gar noch der Tausende gedenken, die in lächerlicher Nachahmungssucht vor dem goldenen Kalbe, der „Mode“, opfern!

Der überspanntesten Geschmacksverirrung muß gehuldigt werden; Trachten, die den Schönheitssinn beleidigen, jedem guten Geschmack und besserer Einsicht Hohn sprechen, müssen angenommen werden, denn gegen den Strom kann man nicht schwimmen – „es schickt sich nicht.“

Unsere Zeit schreibt „Freiheit“ auf ihre Fahnen, und hier werden ewig neu die beengendsten Fesseln geschmiedet; aber da hilft weder Wort noch Beispiel; nur Wenige treten bescheiden zur Seite und belächeln die unschönen Thorheiten – andere Wenige möchten diesen wohl gerne folgen, aber ach: „es schickt sich nicht!“