ADB:Reuter, Christian

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Artikel „Reuter, Christian“ von Georg Ellinger, Theodor Distel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 314–318, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reuter,_Christian&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 16:24 Uhr UTC)
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Reuter: Christian R., deutscher Dichter, getauft am 9. October 1665 zu Kütten bei Zörbig, Sohn eines wohlhabenden Bauern, Steffen R. Von seiner früheren Jugend weiß man nichts Bestimmtes. Seit 1688 studirte er in Leipzig und zwar zunächst Theologie, später Jurisprudenz. Mit einem Freunde wohnte er bei einer Wittwe Müller in dem Gasthaus „zum rothen Löwen“. Da die „Hausbursche“ indessen die Miethe nicht bezahlten, entfernte die Wittwe Müller dieselben aus dem Hause. R. rächte sich dadurch, daß er in einer Komödie die Wittwe Müller und ihre Kinder dem allgemeinen Gelächter preisgab. War mit dieser einmaligen Verhöhnung Reuter’s Rachedurst noch nicht genügt, oder hatte, was wahrscheinlicher ist, der satirische Dichter in dem Leben und Treiben der Familie Müller einen ungemein dankbaren und ergiebigen Stoff gefunden – genug, er ließ sich durch Strafen, die von der Universität über ihn verhängt wurden, nicht abhalten, noch einige andere Schriften zu verfassen, die mehr oder weniger ihre Spitze gegen die Familie Müller kehrten. Wegen dieser satirischen Dichtungen wurde er endlich 1697 auf sechs Jahre relegirt. Indessen gelang es ihm, in hochadligen Kreisen einflußreiche Gönner zu finden; die Relegation wurde zwar nicht ausdrücklich aufgehoben, aber R. durfte sich ungescheut in Leipzig sehen lassen. Er trat als Secretär in den Dienst des angesehenen Kammerherrn v. Seyfferditz und vermochte in dieser Stellung allen Wühlereien seiner persönlichen Feinde, unter denen der Advocat Mauritius Volkmar Götze damals der erbitterste war, Trotz zu bieten. – Wann R. diese Stellung aufgegeben, wissen wir nicht. Im J. 1703 finden wir ihn plötzlich in Berlin; der Glanz des Hofes Friedrich’s I. und die Vorliebe der Königin Sophie Charlotte für Theater und Singspiele mögen R. veranlaßt haben, sich hierher zu wenden. Als Textdichter von Festspielen hatte er bei Hofe zuerst entschiedenes Glück; indessen scheint dieser erste Erfolg nicht vorgehalten zu haben. Dichtungen Reuter’s – meist [315] Festspieltexte und Gelegenheitsgedichte, auch ein Passionstext – lassen sich noch bis zum Jahre 1710 nachweisen. Ueber seine persönlichen Verhältnisse während dieser Zeit ist nichts Sicheres bekannt; eine Notiz des Taufbuches der Schloßgemeinde aus dem Jahre 1712 scheint zu beweisen, daß er in recht dürftigen, gedrückten Verhältnissen lebte. Sein Todesjahr ist unbekannt.

Der Pasquillant hat in R. den Dichter geweckt. Die Komödie, in der seine Wirthin und ihre Familie verhöhnt werden sollten, ist das erste Werk von ihm, das wir kennen. Sie führt den Titel: „L’Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissine“ (entstanden 1695). Die Hauptintrike, auf welcher die zweite Hälfte des Stückes sich aufbaut, ist aus Molière’s Les précieuses ridicules entlehnt, welche auch in Einzelheiten Reuter’s Komödie vielfach beeinflußt haben. Bei der Bearbeitung dieser aus Molière entlehnten Motive verräth sich noch die unsichere Hand des Anfängers; auch die in dem Stück auftretenden Nebenfiguren sind recht dürftig und schablonenhaft ausgestattet. Dagegen sind die Hauptgestalten mit einer für die Zeit ganz ungewöhnlichen Gabe der Charakteristik gezeichnet: man erkennt, daß der Dichter hier unmittelbar aus dem Leben schöpft, wenn er auch natürlich die bezeichnenden Züge caricaturmäßig gehäuft hat. Eine wohlhabende Bürgerfamilie, die über ihren Stand hinausstrebt, wird uns vorgeführt; und der wunderliche Contrast zwischen dem Bestreben der einzelnen Familienmitglieder, möglichst vornehm zu erscheinen und ihrem plumpen und rohen Benehmen, ist mit großer Kraft herausgearbeitet und zu den mannichfaltigsten komischen Wirkungen gesteigert. Zunächst die Mutter, eine beschränkte und rohe Frau, die aber trotz ihrer wüsten Sitten die lächerlichsten Prätensionen macht; dann die beiden Töchter, bei denen derselbe Gegensatz so grell als möglich hervortritt. Schließlich die Söhne: der Landstreicher Schelmuffsky, der zerlumpt von seinen weiten Reisen zurückkommt und von seinen Reiseerlebnissen unglaublich aufschneidet und das verhätschelte Muttersöhnchen, der altkluge und naseweise Däfftle, der die Aufschneidereien seines Bruders nicht glauben will und dadurch mit diesem fortwährend in Streit geräth. Vortrefflich ist es, wie Schelmuffsky und seine Mutter beständig dieselben Redensarten im Munde führen und sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit anwenden. In diesen Partien erhebt sich R. über die ganze gleichzeitige dramatische Production in Deutschland, auch über Christian Weise, von dem er für die scenische Technik manches gelernt hat.

In dieser Kunst der Charakteristik weist das folgende Lustspiel: „Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod“ (1696) keinen sichtbaren Fortschritt auf. Dagegen spürt man, daß der Dichter in der Handhabung der dramatischen Technik bei weitem sicherer geworden ist. Auch in diesem Stück können wir beobachten, wie R. im einzelnen an Molière anknüpft; neben dieser Einwirkung des Kunstdramas macht sich aber auch der Einfluß des deutschen Volksdramas geltend. Ebenso können wir in den beiden Harlekinsspielen (Harlekins Hochzeitsschmaus und Harlekins Kind-Betterin-Schmaus), welche der Ausgabe der „Ehrlichen Frau“ angefügt sind, verfolgen, wie R. unter dem Bann des Volksdramas steht.

Auch einen Text für die Hamburger Oper: „Der anmuthige Jüngling Schelmuffsky und die ehrliche Frau Schlampampe“ hat R. in dieser Zeit verfaßt. Die Oper hat im wesentlichen den gleichen Inhalt wie die „Ehrliche Frau“, die meist wörtlich benutzt ist; außerdem hat R. einzelnes aus der Reisebeschreibung hineingearbeitet und sich in der Ausführung mehrfach an die Technik der Hamburger Operntexte angelehnt. Reuter’s glückliches Talent, sich in Versen von ungleicher Länge zu bewegen, das man schon in den beiden Nachspielen beobachten konnte, kam ihm hier sehr gut zu statten und gibt der Darstellung [316] etwas Natürliches und Ungezwungenes. Dazu kommt, daß einige Situationen, wie namentlich die Eingangsscenen, von großer komischer Wirkung sind.

Noch bevor R. den Operntext verfaßt, hatte er bereits die Dichtung entworfen, die ihm für immer einen ehrenvollen Platz unter den bedeutendsten Humoristen sichern sollte: „Schelmuffskys Reisebeschreibung“. Unter dem Namen Schelmuffsky war, wie bereits erwähnt, der Sohn der Wittwe Müller, Eustachius, in den Kömödien vorgeführt und als lächerlicher Aufschneider verhöhnt worden. Schon in dieser episodischen Verwendung hatte die Gestalt ihre komische Kraft bewährt; kein Wunder, daß R. dieselbe zum Mittelpunkt einer selbständigen Dichtung machte. – Auch hier sind die Grundlagen die gleichen, wie in den Komödien. Die Familie Müller wird, allerdings mit größerer Vorsicht, in ihren einzelnen Mitgliedern eingeführt; auch für andere Gestalten des Romans, so z. B. für den Bruder Graf, Schelmuffsky’s Reisebegleiter, haben stadtbekannte Persönlichkeiten Leipzigs Modell gesessen. Aber die Kenntniß dieser persönlichen Beziehungen ist zu einer Würdigung des Romans durchaus nicht nothwendig – ein Beweis, wie es dem Dichter gelungen ist, die rein persönliche Satire zu vermeiden oder wenigsten einzuschränken und dergestalt das Pasquill zum reinen Kunstwerk auszugestalten.

Wir besitzen den Schelmuffsky in zwei Fassungen, die eine (1696, nur den ersten Theil enthaltend) vor, die andere unmittelbar nach der Oper entstanden (1696/97). Die erste ist kurz und skizzenhaft, manche derjenigen Situationen der zweiten Bearbeitung, die noch heute mit unmittelbarer Kraft auf uns wirken, sind hier erst im Keime vorhanden. Allerdings läßt sich andererseits auch nicht bestreiten, daß bei dem sichtlichen Bestreben Reuter’s, in der zweiten Fassung die Farben etwas stärker aufzutragen, manche gute Einzelheiten der ersten Bearbeitung verwischt und durch minder passende Züge ersetzt worden sind. Auch die aus der soeben entstandenen Oper in die zweite Fassung herüber genommenen Züge zur näheren Ausmalung der Gefangenschaft Schelmuffsky’s stimmen doch nicht so gut zu der niederen Sphäre, in welcher der Roman spielt, wie der in der ersten Bearbeitung berichtete Fluchtversuch Schelmuffsky’s und sein Aufenthalt im Hundestall.

Die nächste Absicht Reuter’s war wol, in dem Roman die lügenhaften Reiseschilderungen zu verspotten; das ergibt sich aus der Art, in der Schelmuffsky in den Komödien und in der Oper behandelt ist. Die Lügenmärchen, wie wir sie im 16. Jahrhundert verfolgen können, die lächerlichen Aufschneidereien und Schwänke, wie sie etwa Vincentius Ladislaus in dem Lustspiel des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig erzählt, haben offenbar auf R. großen Eindruck gemacht, da er sie in seinem Grafen Ehrenfried nachbildete. Auch der Finkenritter scheint den Schelmuffsky im Einzelnen beeinflußt zu haben; und diese Gattung der Lügendichtung hat R. in der Reisebeschreibung Schelmuffsky’s zu einer Art classischer Vollendung gebracht.

Indeß ist mit dieser Satire gegen die lügenhaften Reiseschilderungen der Inhalt des Schelmuffsky noch keineswegs erschöpft. R. hat etwas von der Tendenz der „Ehrlichen Frau“ in den Stoff hineingetragen. Schelmuffsky erzählt nicht bloß von den gefährlichen Reisen zu Wasser und zu Lande, die er gemacht hat, sondern er will während dieser Reisen auch in der feinsten Gesellschaft verkehrt und überall durch sein cavaliermäßiges Benehmen Aufsehen und Erstaunen hervorgerufen haben. Von allen Männern will er gefürchtet, von allen Damen geliebt worden sein. Zu diesen seinen angeblichen Erfolgen in der besten Gesellschaft steht aber die einfältige Art, in der er davon erzählt, sowie das unglaublich unfläthige Wesen, welches er dabei unbefangen hervorkehrt, in dem lächerlichsten Contrast, ebenso wie die Aufschneidereien von seinen Reiseerlebnissen zu seiner Unkenntniß der angeblich von ihm bereisten Länder. Wie [317] die Komödien, so richtet sich also auch die Spitze des Romans zum Theil gegen das über seinen Stand hinausstrebende Bürgerthum; und das Bild eines aus diesen Kreisen stammenden Menschen, der es in klugem und galantem Wesen dem Adel gleichthun möchte, dabei aber auf Schritt und Tritt seine Dummheit und seine wüsten Sitten verräth, ist im Schelmuffsky mit vollendeter Meisterschaft gezeichnet.

Vortrefflich ist es R. gelungen, in dem Roman Schelmuffsky zu einer durchaus lebenswahren Gestalt heraus zu arbeiten. Die Mittel, durch welche er das erreicht hat, liegen einmal in dem oben erwähnten Gegensatz zwischen Schelmuffsky’s Erzählungen und ihren realen Grundlagen und andererseits in der ausgedehnten Benutzung und glücklichen Weiterbildung der Züge, durch die Schelmuffsky bereits in den Komödien charakterisirt worden war. Schelmuffsky wiederholt nämlich bei der Erzählung beständig dieselben Redensarten und die gleichen Erfindungen kehren fortwährend wieder; aber der Dichter fällt mit diesen Wiederholungen dem Leser keineswegs lästig, sondern er weiß dieselben vielmehr in ausgezeichneter Weise zur Charakterisirung seines Helden zu benutzen. Dahin gehört vor allem Schelmuffsky’s Fluch: „Der Tebel hohl mer“, weiter seine regelmäßig wiederkehrende Betheuerung, daß er ein brav Kerl wäre, „dem was rechts aus den Augen sähe“ oder „der sich was rechts auf der Welt versucht hätte und noch versuchen wollte“. Ebenso kehren die typischen Züge in der Erfindung immer wieder. Von jeder Dame, mit der Schelmuffsky zusammenkommt, erzählt er: „sie gab Freyens bei mir vor“; sein Glück bei den Damen erweckt ihm dann regelmäßig Nebenbuhler, mit denen es zu Reibereien kommt. –

Ist im Schelmuffsky die persönliche Satire fast völlig zurückgedrängt, so tritt sie in dem Lustspiel „Graf Ehrenfried“ (1700) wieder entschiedner hervor. Doch nicht mehr der Familie Müller, gegen die R. außer den bereits erwähnten Dichtungen noch das scharfe Pasquill: „Letztes Denk- und Ehrenmahl der Frau Schlampampe“ (1697) geschleudert hatte, galten die Pfeile seiner Satire; vielmehr empfängt die Hauptschläge jener Götze, der als boshafter und nichtswürdiger Rabulist hingestellt wird. Auch andere Leipziger Persönlichkeiten sind in dem Stück abgeschildert worden und der Hauptfigur hat ein am sächsischen Hofe lebender Adliger zum Vorbild gedient. Aber über diese Züge rein persönlicher Satire hinaus richtete R. seine Aufmerksamkeit auf eine Frage, die damals ganz Sachsen in Aufregung erhielt: auf den Religionswechsel des sächsischen Herrscherhauses, den R. mit ungemeiner Kühnheit parodirt. Der Held des Stückes, Graf Ehrenfried, tritt nämlich, um seine Verhältnisse zu verbessern, zum Katholicismus über: kein Zweifel, daß diese Anspielung von Jedermann verstanden wurde.[1] – Seinem sonstigen Inhalt nach bildet der Graf Ehrenfried gewissermaßen das Gegenstück zu dem Stoffkreise, aus dem R. bis jetzt seine Dichtungen geschöpft hatte: der Held ist ein bettelarmer Graf, der sich aber mit guter Laune über seine Armuth hinwegsetzt und durch allerhand phantastische Mittel den Schein einer gräflichen Hofhaltung aufrecht zu erhalten sucht. Die Eulenspiegeleien dieses wunderlichen Heiligen und seiner Umgebung sind mit frischem Humor geschildert, der dramatische Aufbau läßt dagegen viel zu wünschen übrig und das Stück zerbröckelt in eine Reihe nur lose mit einander verbundener Scenen.

Graf Ehrenfried ist das letzte Lustspiel Reuter’s; seit seiner Uebersiedlung nach Berlin scheint sich seine dichterische Production im Wesentlichen auf Gelegenheitspoesie beschränkt zu haben. Seine ersten Dichtungen aus dieser Zeit, die beiden cantatenartigen Festspieltexte: „Die frohlockende Spree“ und „Mars und Irene“ (beide aus dem Jahre 1703) haben noch die frische und flotte Art, welche Reuter’s Oper und seine Nachspiele auszeichnet. Dagegen überragen die Gelegenheitsgedichte, die wir aus den Jahren 1705 und 1708 von ihm besitzen, [318] weder im Inhalt noch in der Form die Durchschnittsproducte der damaligen Gelegenheitspoesie; auch die Cantate „Das frohlockende Charlottenburg“ (1710), in welcher R. im Gegensatz zu dem Alexandrinerschritt der Gelegenheitsgedichte, wieder seine Kunst, sich in Versen von ungleicher Länge und in mannichfaltigen Rhythmen frei zu bewegen, zeigen konnte, weist nicht mehr die glückliche Freiheit auf, mit der R. in seinen früheren Dichtungen diese Formen handhabte. – Von einer besseren Seite lernen wir Reuter’s damalige dichterische Thätigkeit in den „Passionsgedanken“ (1708) kennen, einem wohlgelungenen Passionstext, der im Wesentlichen eine Umschreibung der Bibelworte in freien Versen gibt. Gegenüber der opernhaften Behandlung der Passionstexte, wie sie namentlich in Hamburg unter dem Einfluß der Oper üblich geworden war, führt R. die Passionsdichtung wieder zu größerer Einfachheit zurück – ein Verdienst, das man bisher für Brockes in Anspruch genommen hat, dessen 1712 entstandener Passionstext aber vielmehr durch R. beeinflußt zu sein scheint. –

Was wir von Reuter’s Leben wissen und was wir aus seinen Dichtungen schließen können, scheint darzuthun, daß es ihm an moralischem Halt und innerer Festigung des Charakters gefehlt hat. Wol daraus ist es zu erklären, daß trotz seiner reichen Begabung sein Talent nicht zu der vollsten Reife sich zu entwickeln vermochte; daraus erklärt es sich auch, daß der Dichter so schnell von der erreichten Höhe herabsinkt und wir den glücklichen Schöpfungen seiner Leipziger Periode etwas auch nur annähernd Ebenbürtiges aus seiner späteren Lebenszeit nicht gegenüberstellen können. – Reuter’s Komödien haben eine nicht unbedeutende Wirkung ausgeübt. Die Lustspiellitteratur des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts ist von ihnen beeinflußt worden; und wie das Volksdrama auf R. eingewirkt, so wirkt er wieder auf das Volksdrama zurück und der Hauptvertreter desselben, Joseph Stranitzky, versäumte nicht, von ihm zu lernen. Das Nachspiel: „Hannswurst’s Hochzeitsschmauß“ erhielt sich lange auf der Bühne und gab noch Goethe die Anregung zu seinem mikrokosmischen Drama: Hanswursts Hochzeit. Der Schelmuffsky war wol niemals ganz vergessen. Seine wirkliche Auferstehung aber erlebte er erst in den Tagen Arnim’s, Brentano’s und der Brüder Grimm; seitdem wird er immer allgemeiner als eine der glänzendsten Schöpfungen des deutschen Humors anerkannt.

Der Name des Dichters des Schelmuffsky galt lange als unbekannt. Zwar wurde derselbe gelegentlich von Weller genannt, der auch die persönlichen Beziehungen andeutete, die den ersten Komödien und dem Schelmuffsky zu Grunde lagen; indessen fand die Notiz keine Beachtung. Uns mit einer der interessantesten und individuellsten Gestalten der deutschen Litteraturgeschichte im 17. Jahrhundert wieder bekannt gemacht zu haben, ist das Verdienst Zarncke’s, der auf Grund eines glücklichen Fundes des Buchhändlers Kirchhoff und eigener sorgfältiger Nachforschungen Reuter’s Leben und Dichten dargestellt hat in dem Buch: Christian Reuter, der Verfasser des Schelmuffsky, sein Leben und seine Werke. Leipzig 1884. Nachträge dazu hat Zarncke gegeben in den Berichten der königlich sächs. Gesellsch. der Wissensch. 1887, S. 44 ff., 253 ff., 306 ff.; ferner Jahrgang 1888, S. 71 ff., 201 f. Weiter vgl. Creizenach im Archiv für Litteraturgesch. Bd. XIII, S. 434 ff. und Ellinger in der Zeitschr. für deutsche Philol. Bd. XX, S. 290–324; ebendaselbst Bd. XVIII, S. 256 f. Neudrucke der beiden Fassungen des Schelmuffsky von Schullerus in Braune’s Neudrucken (Halle 1885), der drei Singspiele von Ellinger in den Berliner Neudrucken, Bd. III. – Für freundliche Unterstützung bei der Beschaffung des Materials bin ich Zarncke, Reinhold Köhler und Herrn Prof. Lamprecht vom Grauen Kloster in Berlin zu Dank verpflichtet.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 317. Z. 15 v. u.: Friedrich Zarncke hat (Berichte der philol.-histor. Cl. d. Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wiss. zu Leipzig, Sitzg. v. 8. Dec. 1894) den Helden des Lustspiels „Graf Ehrenfried“ von Christian Reuter (1700) nachgewiesen, auch aus einem Spottgedichte der Gräfin Aurora v. Königsmarck („Der Name pranget an der Stirn“) über Georg Ehrenfried v. Lüttichau auf denselben geschlossen und dessen Geburtsjahr ins Jahr 1667 gesetzt. Aus dem Willkommenregister des königlichen Schlosses Moritzburg ergibt sich zu dem Gesagten Folgendes: Am 1. Januar 1694 war Kurfürst Johann Georg IV. zu Sachsen in fideler Gesellschaft, auch mit seiner „Gräfin von Rochlitz“, dort. Unser Pseudograf trug damals seinen Namen eigenhändig in das erhaltene Zechbuch ein, und der Kurfürst zeichnete daneben einen Ochsenkopf, an dem die Worte stehen:

    „So war gestalt an seinen [!] bart und haren
    her Litig als er war bey 26 Jaren.“

    [Bd. 55, S. 893]