ADB:Sachs, Hans
Sachs: Hans S., der bedeutendste Dichter des Reformationszeitalters. Sein Leben ist sehr einfach verlaufen und daher für seine Dichtungen beinahe ohne Einfluß gewesen.
S. war fast auf den Tag elf Jahre jünger als Luther. Er wurde am 5. November 1494 in Nürnberg geboren und blieb das einzige Kind des Bürgers und Schneidermeisters Jorg Sachs, der ein Eingewanderter in der Stadt war, und seiner Frau Christina, die ihn als Wittwe des Hans Prunner, wahrscheinlich auch eines Schneiders, Anfang der neunziger Jahre geheirathet hatte. Von der Pest, die gerade zur Zeit von unseres S. Geburt in Nürnberg wüthete, blieb der Neugeborene ganz verschont, obgleich beide Eltern von ihr heimgesucht wurden. Die Verhältnisse des Vaters waren gleich denen der meisten Handwerksmeister in der reichen Handelsstadt auskömmlich. Wie es bei allen Bürgern Brauch war, schickte er seinen Sohn in die Lateinschule (nicht gleichzuachten unserem Gymnasium), und zwar Ostern 1501. Aus der Schulzeit wissen wir nur, daß ungefähr Ende 1503 den kleinen Hans „das heiße Fieber“ längere Zeit am Besuche der Schule hinderte. Von den sogenannten höheren Kenntnissen, die er sich dort aneignete, mag er vieles, ja alles, also auch Lateinisch und Griechisch wieder vergessen haben, – sein eigenes Geständniß wird durch mancherlei Beweise bestätigt – doch war der Nutzen des Unterrichts für die Regsamkeit seines Geistes ihm unverloren; er behielt sie zeitlebens, und sie zeigte sich in einem unermüdlichen Wissenstriebe.
[114] In seinem fünfzehnten Jahre, 1509, kam S. bei einem Nürnberger Schuhmacher in die Lehre. Während der zwei Jahre dauernden Lehrzeit unterrichtete ihn der Weber und Meistersänger Leonhard Nunnenpeck in seiner Kunst, so daß er auf der Wanderschaft gern die Stätten aufsuchte, wo die Meister des Gesanges pflegten. Sein Weg führte ihn über Regensburg, Passau nach Braunau am Inn und den in der Nähe gelegenen Orten Oetting (nicht Oettingen), Burghausen an der Salzach und Ried, wo er bis 1513 sich aufhielt. Dann ging er weiter nach Wels, Salzburg und dem nahen reichen Hall (Reichenhall). Alle die Orte nennt er selbst, in allen wird er als Gesell gearbeitet haben. 1514 finden wir ihn in München und Landshut. Später wendete er sich nach Norden: Würzburg, Frankfurt a. M., wo er bestimmt im J. 1516 war, nach Koblenz, Köln und Aachen. Es ist erklärlich, daß der strenge Katholik auch einmal diese geweihten Orte sehen wollte.
In Innsbruck dagegen und in Lübeck ist S. nie gewesen. Wenn er an einzelnen Stellen seiner Gedichte sagt, er habe diese Städte besucht, so ist das nichts weiter als dichterische Freiheit, die dadurch eindringlich wirken will, daß der Verfasser gleichsam Augen- und Ohrenzeuge der Begebenheiten gewesen ist, die er dahin verlegt. Auch aus den in Fischart’s Dichtungen verstreuten Andeutungen hat man mit Unrecht große Reisen herausconstruirt. Man überblicke nur den Weg von H. Sachsens Gesellenzeit, den er uns selbst in seinem „Valete“ (Nürnb. Ausg. V, 3, 413b bis 414d) beschreibt und den ich darnach vorher angegeben habe: die Orte liegen alle verhältnißmäßig nahe bei einander; die zuletzt genannten Städte jedoch, Innsbruck und Lübeck, liegen weit von denen entfernt, die er namentlich aufführt. Daß S. sie aber etwa in dieser seiner Lebensbeschreibung in die Worte: „Fünf jar ich wandern dett in diese (die wirklich aufgeführten) vnd in andre stett“ eingeschlossen haben sollte, ist deshalb nicht wahrscheinlich, weil er nach ausdrücklicher Nennung von Burghausen und Oetting kaum die gleichgültige Abschlußformel „und andre“ gebraucht haben würde für die Stadt, in der sein geliebter Kaiser Maximilian oftmals Hof gehalten hatte, oder für die Handelsstadt, auf der noch der Glanz der alten Hansaherrlichkeit leuchtete. Wollte man anderseits den Dichter wegen jedes Ausdruckes beim Worte nehmen, dann müßte S. England und Frankreich vorher besucht haben, ehe er nach Salzburg kam; denn in seinem „Lobspruche der stat Salzpurg“ sagt er: „ich zog auch hin in Engelant, der gleich in Franckreich an vertries, gen Leon (Lyon) vnd auch gen Paris“. Nach Rom lassen ihn auch manche Biographen wallfahrten, und das gibt ihnen natürlich Gelegenheit, Luther’s Besuch in der Hauptstadt des Papstes und die Wandlung seiner Denkweise an dieser Stätte in Vergleich zu ziehen. Klingt alles recht schön, ist trotzdem aber nicht minder willkürlich, als die Annahme, S. habe von seinem Handwerke gelassen, sei Weidmann des Kaisers oder gar Landsknecht geworden, habe Buchdruckerei gelernt oder später einen Kramladen in einer der Vorstädte Nürnbergs gehalten. Alle darauf bezüglichen Stellen in den Gedichten erklären sich durch die Einkleidung, die S. mit sicherem Blicke wählte, von selbst und sind einem phantasievollen Dichter recht wohl zuzutrauen. Kurz, S. hatte von seinem Vaterlande einen großen Theil des Südens gesehen, die Schneehäupter der Alpen begrüßt und die reichsten und blühendsten Lande damaliger Zeit besucht, die der Vater Rhein durchfließt. Bei seiner klaren Auffassungsgabe hatte er einen großen Schatz von Kenntnissen und Lebenserfahrungen in sich aufgenommen. Gegen Ende 1516 kehrte er in die Heimath zurück, wo er gleich im nächsten Jahre den Kaiser, umgeben von den Kurfürsten, Herzogen und Markgrafen des Reiches Hof halten sah. Nur auf kurzen Reisen hat er seine Vaterstadt wieder verlassen. Und diese unternahm er nach den Bedürfnissen seines Gewerbes, z. B. auf die Messe in [115] Frankfurt a. M., oder um für die Singschulen zu wirken, z. B. nach Landshut. Sonst bot Nürnberg, die handelsgewaltige, sich bürgerlich regierende freie Reichsstadt, in ihren Mauern ihm Anregung genug. Sie war so reich an geistigen Kräften, sie sah und hörte, wie Luther sagt, alles, was in andere Gegenden erst später oder gar nicht zu dringen vermochte, daß S. gewiß gar kein Verlangen mehr trug, andere Orte zu sehen.
Vor der Hand galt es, sich daheim eine bürgerliche Stellung zu gewinnen. Nachdem er sein Meisterstück gemacht hatte, wurde er in die Zunft der Schuhmachermeister aufgenommen. Aufs lebhafteste aber betheiligte er sich an den Uebungen der Meistersänger, in deren Kunst er es auch bis zum Meister gebracht hatte gewiß zur großen Freude seines früheren Lehrers: er dichtete ein Bar „In Hans Saxen silberweis“. Dem Hans S. war es zu danken, daß die Freude an dem Gesange in Nürnberg wieder erstarkte; denn es scheint, als wenn die Singschule zur Zeit, da S. heimkehrte, sehr im Niedergang begriffen gewesen wäre. Schon 1513 war ihm ein selbständiges Lied gelungen, die Silberweise hatte er in Braunau, den güldenen Ton in Ried erfunden. Aber noch am 1. Mai 1514 benutzte er für seinen ersten Meistergesang eine ältere Weise, genannt des Marners langer Ton, und behielt ihn auch in den nächsten Liedern bei. Bald indessen versuchte er sich an Spruchgedichten, in denen er Größeres leisten sollte, als in den Meistergesängen, und mit denen er auf eine zahlreichere Hörerschaft wirkte, als nur auf den beschränkten Kreis, der Sonntags sich in der Predigerkirche, der Frauenkirche oder im Spital in der Singschule zusammenfand. Die Verdeutschung des Decameron, deren Titel im Augsburger Drucke von 1490 mit den Worten „Cento nouelle“ beginnt, war ihm auf der Wanderschaft in die Hände gekommen, ihr entnahm er den Stoff zu seinem ersten spruchweis zugerichteten Gedichte: Der ermördt Lorenz (mit dem Anfange „In cento nouella ich las“). Wo er es vollendet hat, ist ungewiß, wahrscheinlich noch in München, wo auch das „Gloria patri“ im langen Marner entstanden war. Der reiche Schatz von Erzählungen in dem Buche des Boccaccio zog ihn lebhaft an: noch in demselben J. 1515 und während seines Aufenthaltes in Frankfurt a. M. kam er auch in Meistergesängen darauf zurück. Der Inhalt gerade dieser Dichtungen war freilich bis dahin ein streng religiöser gewesen. S. erweiterte also den Stoffkreis in der Weise, daß er weltliche Gegenstände in den alten Formen behandelte. Zwar nicht, als ob er von dem Leichtfertigen, Schlüpfrigen seiner Quelle angezogen worden wäre, nein, sein Dichten blieb wie sein Streben ernst, seine Theilnahme erregte nur die Schürzung des Knotens oder die durchbrechende Gewalt der Leidenschaft und reizte ihn zur Nachdichtung in seiner Weise „ohn alle vnzucht“. Die bürgerliche Nutzanwendung, die der Dichter von der ersten Erzählung macht, klingt fast in allen seinen Dichtungen aus damaliger Zeit wieder. Wir gehen sicher nicht fehl, wenn wir aus der wiederholten Mahnung fremde Liebe zu meiden – schließen, daß er selbst bittere Erfahrungen durchgemacht, schlimme Anfechtungen aber vermöge seines wachsamen Gewissens überwunden hatte. Auch in dem (2.) Fastnachtspiele, das Hofgesind der Venus, das er kurz nach seiner Heimkehr, im Februar 1517 schuf, begegnen wir jenem Gedanken: der getreue Eckart tritt auf als Warner vor der Liebe Pfeilen, die einzige Rettung vor ihr ist eilige Flucht wie vor der grausen Charybdis.
Zu Hause ließ es sich aber S. angelegen sein, zu sammeln und zu ordnen, was auf der Wanderschaft ihn bewegt hatte. Noch ist eine von ihm Mitte 1517 begonnene Sammlung von Meistergesängen vorhanden: denen älterer Meister schloß er die seinigen an. Treulich arbeitete er an seiner Vervollkommnung; schon das nächste Fastnachtspiel von 1518: Von der Eygenschafft der Lieb zeigt insofern einen Fortschritt, als darin die Reimbrechung durchaus angewendet ist.
[116] Im J. 1519 gründete er einen eigenen Herd. Am Aegidientage, am 1. September, verheirathete er sich mit der siebzehnjährigen Kunigunde Creutzerin. Sie war die einzige hinterlassene Tochter des Peter Creutzer und seiner Ehewirthin Kunigunde, die am Berg in Wendelstein gewohnt hatten, einem südlich von Nürnberg gelegenen Flecken. Die Hochzeit wurde nach damaliger Sitte über eine Woche lang gefeiert; denn befand sich schon S. von seiner Eltern Seite her in behaglichen Verhältnissen, so waren die der Braut gewiß noch besser. Die Ehe bestand nahezu 41 Jahre und war eine sehr glückliche, wenn auch S. die fünfundzwanzigjährige Wiederkehr des Hochzeitstages, gewiß ein feines Lächeln auf dem beredten Munde, mit dem Spruche feierte: Ein liebzanck (4, 322), den er in dankbarer Erinnerung mit den Worten schließt: „Das vnser lieb grün, plüe vnd wachs in zucht vnd eren, wünscht Hans Sachs“. Wenige Tage nach der Verheirathung, am 20. September, übergaben die Eltern dem Hans S. als versprochenes Heirathsgut das Haus in der Kotgasse (jetzt Brunnengasse), in dem wahrscheinlich der Dichter geboren war. Dort hat er bis zum J. 1542 gewohnt und treulich seines Handwerkes gewartet. Den Gesang aber zu pflegen fand er vorerst wenig Lust und Behagen.
Nach 1520 hat er drei Jahre lang kein einziges Gedicht gesungen. Gewiß vertiefte er sich währenddem in allen seinen Mußestunden in die Lehre Luther’s. Schon war eine Menge von Flugschriften zu Gunsten der reformatorischen Bewegung erschienen, die das Feuer des allgemeinen Kampfes schürten. Denn hoch und niedrig, Laien und Priester, die Gemüther des gesammten Volkes waren aufs tiefste ergriffen. Schon predigten in Nürnberg Hector Pömer, bald Andreas Osiander und Dominicus Schleupner im evangelischen Sinne. S. wollte sich klipp und klar mit der neuen Lehre auseinandersetzen. In seinem Wesen war er zu ernst angelegt, als daß er etwa seine bisherigen religiösen Anschauungen wie ein abgetragenes Kleid ablegen und mit einem neuen hätte vertauschen können. Er hatte innig und treu geglaubt und verehrt, was jetzt der Augustinermönch mit heiliger Entrüstung tadelte und verurtheilte. Um zur Klarheit zu gelangen, bedurfte es bei S. langen inneren Ringens. Nachdem er sich aber entschieden hatte, war seine Begeisterung für Luther und die Reformation um so nachhaltiger.
1522 besaß S. schon 40 sermon vnd tractetlein Luther’s. Wie sehr er sich mit ihnen und mit der Verdeutschung des neuen Testaments vertraut gemacht hatte, zeigt sein Verfechten der neuen Lehre.
Im Anfange des Jahres 1523 tagte in Nürnberg der Reichstag, auf welchem Papst Hadrian VI. die Unterdrückung der Lutherischen Ketzerei hatte verlangen lassen: Das Mönchlein sei neulich vom christlichen Glauben abgetreten und gegen Gott lügenhaftig geworden. Aber der Gang der Verhandlungen hob die Stimmung der evangelisch Gesinnten in Nürnberg. Ihre Empfindungen sprach S. wenige Wochen nach dem Fronleichnamsfeste, das wegen der Anwesenheit des Reichstages mit ganz besonderer Pracht gefeiert worden war, in seiner „Wittenbergischen Nachtigall“ aus, einer Dichtung, die nicht als Meistergesang, sondern als Spruchgedicht zu bezeichnen ist. Wohl behandelte S. denselben Stoff auch in seiner Morgenweise. Dies Lied aber ist bis heute noch nicht veröffentlicht worden. Das Spruchgedicht dagegen, die zwölf Quartblätter mit dem kräftigen Holzschnitte auf dem Titel, die dichterische Verherrlichung des Mannes, der die Sätze gegen den Ablaß geschrieben hatte, lief wie diese wenige Jahre vorher in kurzer Zeit durch ganz Deutschland; bald hörte man allerorten im Reiche den Sang des jungen Handwerksmeisters von Nürnberg, der mit der Bezeichnung für Luther als Wittenbergische Nachtigall „thatsächlich ein geflügeltes [117] Wort geschaffen hatte, das in Rede und Schrift vielfältig wiederklang“. In Anlehnung daran heißt es bei ihm selbst (1, 377) im J. 1524:
Die nachtigal singt gen dem tag:
Also ein Christ nicht schweigen mag,
Verkündt’ Christum, das ewig licht,
Das sein yedermon werdt bericht. (Einzeldruck.)
Selbst einer von der Zunft der Eoban Hesse, die auf den Schuster und seine Gedichte in barbarischer, d. h. deutscher Sprache mit unverhohlener Verachtung blickten, Adam Siber, der erste Rector der Fürstenschule von Grimma, ahmte die Allegorie des S. in einem seiner Gedichte nach.
Nachdem S. mit diesem offenen Bekenntniß seiner Ansichten sein gut Theil zur Verbreitung der Lutherischen Lehre beigetragen hatte – Luther wußte den Einfluß des poetischen Wortes und der Bilder wohl zu schätzen –, galt es, sich gegen die Angriffe, die man deshalb gegen ihn richtete, zu vertheidigen. Ganz offen hatte sich schon 1524 wieder ein Theil der Nürnberger Geistlichkeit auf Luther’s Seite gestellt, und Tausende von Bürgern hatten das Abendmahl in beiderlei Gestalt genommen. Um so heftiger zeterte man in Beichtstühlen und auf der Kanzel gegen den, der es gewagt hatte, dem Abfall das Wort zu reden. Und S. blieb die Antwort nicht schuldig, er gab sie in ungereimtem gutem Deutsch. Schon in der prosaischen Vorrede zur Wittenbergischen Nachtigall hatte er schlicht und klar die Streitfrage zwischen dem Papstthum und den Evangelischen erörtert. Jetzt wählte er die Form des Gespräches. Zur Klärung der Anschauungen war dieses Mittel vorzüglich geeignet. Aus der ganzen Scenerie der Dialoge erhellt schon die Absicht, weshalb sie abgefaßt sind. Da sprach der gemeine Mann frisch von der Leber weg, und der gemeine Mann verstand ihn. „Disputation zwischen einem Chorherrn vnd Schuchmacher darinn das wort gottes vnnd ein recht Christlich wesen verfochten wurt.“ Dies der Titel des 1524 gedruckten ersten Gesprächs Hans Sachsens. In ungekünstelter Weise kommt es auf den tollen Schuster, der, so klagt der Chorherr, den Papst, die heiligen Väter und die Geistlichkeit geschmäht habe. Dagegen erklärt der Schuhmacher der Disputation, hinter dem S. für die eigene Sache kämpft, es für christliche Pflicht, den fehlenden Bruder auf seine Sünden aufmerksam zu machen. Die Beweise dafür entnimmt er der Bibel und zeigt dabei eine staunenswerthe Belesenheit. Als er die Berufung des Geistlichen auf das canonische Recht als nichtig, weil im Widerstreit mit der Bibel, zurückweist, erhält er die Abfertigung, einem Schuster gezieme mit Leder und Schwärze umzugehen, nicht mit der heiligen Schrift. Aus ihr selbst aber nimmt er die Waffen, mit denen er für die Freiheit der Laien eintritt, in der heiligen Schrift zu forschen. Besonders hervorzuheben ist bei dem Gespräche, daß es immer maßvoll, wenn schon mit Eifer geführt wird. Ist dieser Dialog wie alle anderen des 16. Jahrhunderts für uns die Stimme eines einzelnen Mannes, so war er damals die Stimme einer Gesammtheit, aus ihrem innersten evangelischen Bewußtsein heraus geboren. In dem gleichen Geiste wurden auch in England, als dort die Reformation Eingang gefunden hatte, Dialoge geschaffen, und Anthony Scoloker hat 1548, unter der Regierung der blutigen Maria, eine Uebersetzung von Hans Sachsens erstem Gespräche geliefert oder wenigstens erscheinen lassen, die zwar roh und fehlerhaft sein soll, die aber doch als Zeichen der Zeit und vor allem als ein neuer Beweis dafür gelten kann, daß diese Disputation in Deutschland eine nachhaltige Wirkung ausgeübt hatte. Sie war noch im Jahre ihres Erscheinens und in dem darauf Folgenden in zehnerlei Nachdrucken aus verschiedenen Städten verbreitet worden, eine niederdeutsche Uebertragung brachte diese Frucht der protestantischen Begeisterung des S. auch in die Häuser [118] Norddeutschlands. In einem zweiten Gespräche (Ein gesprech von den Scheinwercken der Gaystlichen, vnd jren gelübdten) mit Barfüßermönchen wendet sich S. gegen deren Gelübde, die Gott nicht geboten habe; er möchte, daß alle Mönche ihn hörten und in sich gingen, damit sie nicht länger nutzlos ihre Zeit im Kloster verbrächten, sondern durch ehrliche Arbeit ihr Brot verdienten, wie auch Luther durch sein Büchlein von den Klostergelübden (1522) Mönche und Nonnen wiederum wollte weltlich machen. So kräftig S. aber gegen wirkliche Mißbräuche auftrat, so wenig gefiel ihm die anmaßliche Art derjenigen, die wähnten, in Aeußerlichkeiten spräche sich am deutlichsten evangelische Gesinnung aus. In einem dritten Gespräche (Ain gesprech eins Ewangelischen christen, mit einem Lutherischen), das auch im J. 1524 erschien und, wie das erste und zweite, durch Nachdrucke weite Verbreitung fand, räth er solchen Eiferern, alte liebgewordene Gebräuche nicht zu verlästern und mit rauher Hand auszurotten. Ein solches Vorgehen könne nur erbittern. Lieber sollte man durch Milde Anhänger zu gewinnen suchen. Und als der Gescholtene auf das Vorbild Luther’s sich beruft, da vertheidigt Hans, welchen Namen S. dem evangelischen Christen beigelegt hat, den Gottesmann; der müsse freilich mit gewaltigen Worten seine Gegner niederschmettern; ihnen müsse geschehen wie dem Saulus vor Damascus. Auch in dem vierten Gespräche (Ein Dialogus, den Geytz, auch ander offenlich laster betreffend) wirkt S. als getreuer Apostel im Sinne des reformatorischen Auftretens Luther’s. Wie dieser gegen den Wucher gepredigt hatte (1519), so geht hier S. den Fürkäufern zu Leibe, die die Waaren vertheuerten, und denen, die schlechte Waaren verkauften, die falsches Maaß verwendeten, und solchen, die wohl Reichthümer aufhäuften, aber keine Almosen gäben, wie es doch das Evangelium geböte. Ueberhaupt verspüre man an dem Verhalten der Evangelischen noch lange nicht genug den reinigenden Einfluß der neuen Lehre. Das innere wie auch das äußere Leben müßte durch sie erneuert werden. So ging der junge Handwerker hoffnungsfroh gegen Mißstände vor, die er trotz der Evangeliums noch vorfand, während der alternde Wilibald Pirkheimer durch die religiösen Wirrnisse abgeschreckt wurde und nicht mehr offen für Luther Partei ergriff, ja sogar für die aufgehobenen Klöster eintrat. Sind also die Flugschriften des S. Aeußerungen evangelischer Ueberzeugungstreue und freien Mannesmuthes, so zeigen sie anderseits ihren Verfasser in voller Herrschaft über die Sprache. Die Schranken des Zwiegespräches durchbrach freilich der dramatisch hochbeanlagte Dichter; in jedem treten mehrere Personen auf. Aber darin bewährt sich S. geradezu als Künstler, daß er nicht etwa nur eine Person reden und die anderen bloß kurze Bestätigung geben oder Aufklärung heischende Zwischenfragen stellen läßt, sondern er hat wirkliche Gespräche geschaffen, an denen jeder nach seinem eigensten Wesen theilnimmt. Daher schätzte Lessing diese prosaischen Aufsätze als ein sonderbares Monument der Reformationsgeschichte sehr hoch, und Herder wollte, daß sie neu herausgegeben würden: „sie sinds werth“.
Außerdem entstanden in demselben Jahre – es war, als ob die Kraft des S. sich verdoppelt habe, – mehrere geistliche Lieder; Luther hatte einen Aufruf erlassen, ihm für das erste deutsche Gesangbuch Beiträge zu liefern. Auch 1525 und 26 ließ S. Gesänge, die meistens den Psalmen nachgedichtet waren, ausgehen. Der ganze Ernst der kirchlichen Entwicklung nimmt ihn ein, sodaß das Spruchgedicht von zweyerley lieb (4,325) gar nicht nach 1526 zu gehören scheint. Daß es Goedeke unter 1536 aufführt, ist freilich nur ein Versehen.
In den ersten Monaten des J. 1527 erschien in Nürnberg „Eyn wunderliche Weyssagung von dem Bapstumb“ mit Holzschnitten. Zu diesen hatte S. auf Osiander’s Ersuchen vierzeilige erklärende Reime gedichtet. In der Weyssagung [119] wurde der Fall des Papstthumes prophezeit, und S. pries den Kampf des Helden Martinus Luther gegen die Liste des Papstes und seiner Knechte. Der sich rühme, der rechte Erbe zum römischen Reiche zu sein, besitze die Grundsuppe aller Büberei. Die Gegensätze hatten sich schon sehr zugespitzt. Und wie Luther kräftig sich wehren mußte gegen seine Widersacher, die eben auch nicht wählerisch in ihren Ausdrücken und Mitteln zur Unterdrückung der Evangelischen waren, so gebrauchte jetzt S. auch scharfe Worte. Reformatoren müssen aus hartem Holze geschnitzt sein; Christus griff ebenfalls zur Geißel, als er in Jerusalem zum Tempel kam.
Da indeß der Rath von Nürnberg, der ebenso wie der aller freien Städte die Censur übte, sich noch nicht förmlich der Lutherischen Lehre angeschlossen hatte und alles Aergerniß vermeiden wollte, so meinte er auch hier den Beschluß des Wormser Reichstages vom 8. Mai 1521 getreulich befolgen zu müssen. Darnach war der Verkauf der Schriften Luther’s wie seiner Anhänger verboten. Man erachtete also, daß die Weyssagung mehr eine Anzündung und Verbitterung des gemeinen Mannes denn etwas anderes verursachen und allerlei Nachtheil und Grämschaft daraus für die Stadt hervorgehen möchte. Deshalb erging an S. der ernste Befehl, er solle, da Reime machen zu den Figuren seines Amtes nicht sei, seines Handwerkes und Schuhmachens warten und sich auch enthalten, einige Büchlein oder Reime ausgehen zu lassen. Das Buch selbst wurde in den Exemplaren, die man noch bei dem Drucker fand, beschlagnahmt und zerstört, auf der Frankfurter Messe auf Kosten des Rathes aufgekauft und abgethan. Infolge dieser strengen Maßregeln ist die erste Ausgabe der „Weyssagung“ heute nur noch in zwei Exemplaren vorhanden. Daß aber doch mehrere Nachdrucke erschienen, beweist, welchen Nutzen man sich auch von diesem gedruckten Worte für die Verbreitung der neuen Lehre versprach. Der Nürnberger Meister freilich ließ sich das Schuster bleib bei deinen Leisten wenigstens insoweit gesagt sein, als er Verse mit seinem Namen erst wieder veröffentlichte, nachdem sich der Rath auch öffentlich für Luther erklärt hatte.
Die unfreiwillige Muße füllte S. mit der Beschäftigung im Meistergesange aus und mit der Sammlung seiner Spruchgedichte und der anderen Veröffentlichungen. Nur die eben vom Rathe verbotenen Reime trug er nicht in die Reihe der Bände ein, die nach seinem Wunsche Zeugniß geben sollten, daß er nit müßig gangen sei. Er schrieb anfangs auf lose Blätter, die er erst später in stattliche Foliobände einbinden ließ. Ihre Deckel, Rothbuchenspiegel aus dem Kern geschnitten, werden durch gepreßten Lederrücken und doppelte Schließer zusammengehalten. Für den Anfangsbuchstaben eines Stückes ließ S. Platz; er sollte von einem Rubricator oder Illuministen ausgefüllt werden. Es war die in den Klöstern gepflegte Sitte schön verzierter Initialen und reicher Miniaturen, die man bei Druckwerken im ersten Jahrhundert der Erfindung festhielt. Nirgends freilich in H. Sachsens Manuscripten ist der erste Buchstabe wirklich gemalt worden, der Raum ist bis heute leer geblieben. Daher erklärt sich mancher Fehler. Z. B. hieß in allen früheren Drucken das erste Wort des 30. Fastnachtspieles: Zwischen dem got Apolline vnd dem Römer fabio: „Ach.“ Es darf jedoch der erste Vers keine Anrufung des Apollo sein: „Ach, Apollo, steig ab vom himel“, denn er, der Gott, spricht ja selbst; sondern es muß heißen: „Ich, Apollo, u. s. w.“ Anfangs trug S. seine Dichtungen ohne Rücksicht auf die Zeit ihrer Entstehung ein. Erst von der Mitte des dritten Spruchgedichtbandes, ungefähr von den ersten Monaten des J. 1534 an sind die Sprüche nach der Reihenfolge, wie sie entstanden, aufgeschrieben. Bei den Meistergesangbüchern hatte er es schon vom zweiten an so gehalten, in das er am 24. Juni 1526 [120] den bereits 1523 gedichteten Meistergesang von der Nachtigall eintrug und dann regelmäßig damit fortfuhr, jedesmal, nachdem ihm ein Lied gelungen war.
In der Singschule aber singt S. mit Seelenheiterkeit den Zunftgenossen, die doch gewiß an seinen Schicksalen innigen Antheil nahmen, außer vielen Meistergesängen geistlichen Inhalts von der Blüthe der Stadt und von der Tüchtigkeit des Rathes, der eben ihm gegenüber mit Strenge seines Amtes gewaltet hatte. Sehr häufig dichtete S. wie in diesem Falle zuerst einen Gegenstand in der Meistergesangform und schuf ihn dann in die Spruchform um. Die beiden Lieder: den süßen Traum von Nürnberg und den Aufschluß dazu verarbeitete er 1530 zum Lobspruch der Stadt Nürnberg.
Diese Dichtung läßt im Inneren und Aeußeren am besten Hans Sachsens spätere Thätigkeit und seine ganze Eigenart erkennen. Er war ein getreuer Bürger seiner Vaterstadt; sie war ihm der Inbegriff alles Herrlichen der Welt; ihr Lob zu singen war ihm Herzensbedürfniß. Er beschreibt aber nicht, sondern sagt, was er auf einem Umgange mit seinem kundigen Führer geschaut und welche Auskunft er erhalten hat. So ersetzt er Beschreibung durch Handlung (W. Scherer). Und die epischen Reimpaare übermitteln in klarer, leicht faßlicher Weise der Stadt Ordnung und Wesen dem ganzen Volke. Denn als Flugblatt wurde das Gedicht von dem Markte, von der Messe in die Werkstätten oder nach den einsamen Dörfern gebracht. Der Holzschnitt, ein beliebter Schmuck solcher fliegenden Blätter, der hier das Wappen oder das Bild der Stadt vor Augen führte, fesselte die Aufmerksamkeit immer von neuem. In dieser Weise trug fortan S. oftmals Lehren unter die Menge. Und die Drucker sahen an der großen Nachfrage, wie gern man auf seine Worte hörte. Hunderte solcher Einzeldrucke sind erhalten.
In H. Sachsens häuslichen Verhältnissen traten anfangs der dreißiger Jahre Aenderungen ein. Die Eltern scheinen beide den Ruhm des Sohnes noch erlebt zu haben. Erst im Februar 1531 wird der Vater als verstorben genannt. Seine Hinterlassenschaft setzte S. in den Stand, daß er noch weniger als vorher auf den Erlös aus seiner Hände Arbeit angewiesen war. Er hatte schon 1522 ein neugebautes Haus am weysen thurn gekauft und verkauft es später wieder, ebenso wie ein größeres unter den Hutern (jetzt Kaiserstraße); mehrmals hören wir, daß er auf Grundstücke Hypotheken leiht; 1542 kauft er um 610 gulden baar das Haus in dem Spitalgäßlein (jetzt Hans Sachsen-Gasse). Dahin zog er auch und wohnte dort bis zu seinem Tode. In späteren Jahren hat S. sein Handwerk aufgegeben. 1558 noch sagt er in der Vorrede zum ersten Foliobande, er enthielte die Gedichte, die er neben seiner Handarbeit vollendet habe. In den folgenden Bänden steht nichts mehr davon, und im Sebalder Leichenbuche wird er genannt: gewesener Schumacher. Ob S. Verkehr pflegte mit gelehrten Männern, deren Nürnberg in damaliger Zeit sehr viele beherbergte, ist durch sichere Nachrichten nicht festzustellen; denn kein Brief von ihm oder an ihn ist uns erhalten. Wenn sich erweisen läßt, was wohl zu erhoffen, daß S. zur Bearbeitung seiner Komödie: Der Pluto (lies: Plutus), ein gott aller reichthumb, (7, 65 bis 97) die Uebersetzung des Aristophaneischen Plutus in Versen von dem gelehrten Prediger Thomas Venatorius benutzt hat, so würde diese Thatsache irgend einen näheren Verkehr der beiden Männer zur Voraussetzung haben, trotzdem daß Venatorius, der evangelischer Geistlicher an der Spitalkirche war, freundliche Beziehungen mit Eoban Hessus unterhielt. S. hat nämlich seine Komödie schon am 13. Januar 1531 vollendet, und des Venatorius Plutus-Uebersetzung erschien erst im Laufe des Jahres. Diese wäre also in Druckbogen oder gar in Handschrift dem S. mitgetheilt worden, der sie sich dann von einem im Latein Bewanderten übersetzen ließ. So vermittelte ihm [121] mehrere Jahre später der Schulhalter Lorenz Rappolt das Verständniß der von Georg Macropedius in Latein gestellten Komödie Hecastus.
Zur Befriedigung seiner geistigen Bedürfnisse umgab sich S. mit einer Bibliothek, die 1562 auf mehr als hundert Nummern angewachsen war. Eifrig vertiefte er sich in seine Bücher, und was er las, wurde ihm zum Gedicht. Von griechischen und römischen Schriftstellern, die ihm in Uebersetzungen zu gebote standen, hat er Homer und Titus Livius und Ovid am meisten als Quellen benutzt. Daß ihm ein lateinisches Original durch einen Dolmetsch zum Verständniß gebracht wurde, geschah außer in den eben angeführten Fällen sehr selten. Die eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden, die 1568 in Frankfurt am Mayn herauskam, verdankt aber gewiß derartiger Hülfe ihre Entstehung. Sie ist wenigstens im Anfang getreue Uebersetzung der im gleichen Verlage zu gleicher Zeit erschienenen πανοπλια omnium illiberalium mechanicarum aut sedentiarum artium genera continens von Hartmann Schopper, der sich auf dem Titel Noricus nennt, wahrscheinlich also damals in Nürnberg lebte. Dann bot der alten weysen Exempel puch, das Antonius von Pfore in das Deutsche übertragen hatte, mancherlei Stoff. Ferner die gesta Romanorum, der römer gemain geschicht puch, eine Sammlung von kleinen Erzählungen, Novellen, Anecdoten und Beispielen, die gerade durch die moralischen Auslegungen große Anziehungskraft ausübte. Denn überall in Deutschland liebte man, nicht etwa bloß S. und nicht erst das 16. Jahrh. Belehrung und Nutzanwendung, angehängt an ernste wie an heitere und scherzhafte Erzählungen. Immer wieder griff S. zu der Reihe von Schalksstreichen, die im Pfarrer von Kalenberg Philipp Frankfurter verarbeitet, oder zu den Schwänken, die Johannes Pauli unter dem Titel Schimpf und Ernst gesammelt hatte, oder zu den Abenteuern des Till Eulenspiegel oder zu dem ihm von der Wanderschaft her vertrauten Decameron des Boccaccio, der vom Ulmer Doctor in der ertznei Heinrich Steinhöwel verdeutscht worden war. Eigenthümlich und für kritische Fragen oft von Bedeutung ist, daß S. einem Buche, das ihm Stoff zur Dichtung geboten hatte, längere Zeit hindurch treu blieb. So kam er im Frühling 1563 mehrmals auf Jörg Wickram’s Rollwagenbüchlein zurück, das kurz vorher erschienen war. Und manches flüchtige Blatt, das eine Erzählung mit fesselnder Verkettung der Umstände bot, wurde vom Dichter in neue Form gegossen. Z. B. das 35. Fastnachtspiel vom 20. October 1551: Die späch Buhlerei (Die geschickte Werbung) ist nach einem Gedichte des Fröschel von Laidnitz gedichtet (Die liebhaber auf der probe), das auf irgend eine Weise in Nürnberg verbreitet war. Mancher mündliche Bericht, in froher Runde während der Wanderzeit gehört, gestaltete sich im Laufe der Tage vielleicht durch ein bezügliches Wort oder durch ein ähnliches Ereigniß wieder in Erinnerung gebracht, zu einem scherz- und lehrreichen Schwank. Oder der Dichter entsprach auch häufig der Aufforderung, zu Holzschnitten gereimte Erklärungen zu geben. Die Bibel aber war, wie sie ihm Ausgangspunkt gewesen, fortwährend Kräftigerin seiner dichterischen Thätigkeit; und nicht müde wurde er, sie immer wieder zu versificiren; hat er doch Psalmen dreimal in Meisterliedern behandelt, bevor er sie in Spruchfotm übertrug. Kamen die Tage der hohen Feste heran, die noch mehr zur Einkehr mahnten, dann sang S. Oster- und Weihnachtsgesänge oder eine Figur auf Pfingsten. Er schuf in Wirklichkeit eine Reimbibel.
Dieser Theilnahme für die Religion hielt die für das öffentliche Leben seiner Geburtsstadt und ganz Deutschlands die Wage. Ihr gab er jederzeit lebhaften Ausdruck. Das Treiben der ritterlichen Strauchdiebe, die die Kaufleute auf den Landstraßen niederwarfen und offen Raub und Mord begingen, geißelt er in vielen Gedichten. Und wenn Nürnberg, dessen Friedensliebe S. in seinem [122] Lobspruche gepriesen hatte, den Ansprüchen des Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach gegenüber sein gutes Recht kräftig vertheidigte, dann trat derselbe S. mit schneidenden Worten ihm kräftig zur Seite. Wenn sie auch nicht gedruckt wurden, so wurden sie doch in den Bürgerkreisen vorgelesen und begierig aufgenommen. Das lehrt die Verordnung des Rathes von dem Tage, da der Tod des am Abend vorher gestorbenen Volksmannes bekannt worden war. Man befürchtete Unannehmlichkeiten aus der Veröffentlichung von Schriften gegen den Widersacher der Stadt, obgleich er schon 19 Jahre todt war, und befahl deren Vernichtung. Und noch heute sehen wir, wie der Auftrag des Rathes ausgeführt wurde. Fast alle Blätter, auf denen das Gedicht von der ironisch betitelten Himmelfahrt des Markgrafen Albrecht aufgeschrieben war, sind heraus geschnitten, nur Anfang und Ende ist stehen geblieben. Aber man hatte für gut befunden, darin noch einige Wörter auszuradiren. Glücklicherweise ist das Ganze in Abschriften erhalten.
Anderseits gab S. der Freude Ausdruck, wenn er glückliche Ereignisse für die Heimath zu berichten hatte. Da wird ein Feuerwerk abgebrannt zu Ehren des kaiserlichen Siegs in Afrika, da sieht der Bürger stolz den Kaiser Karl V., dann seinen Nachfolger in die Stadt einreiten. Die Majestät ist ihm der Vertreter des deutschen Reiches. Die Theilnahme für sein großes Vaterland aber zieht sich wie ein rother Faden durch alle Dichtungen Hans Sachsens hindurch bis in sein höchstes Alter, und es ist falsch, wenn Gervinus behauptet, S. habe wohl während des kräftigen Mannesalters seine Gedanken ernst auf große Dinge gerichtet, sei aber später aus schönerer Höhe herabgesunken und habe sich nur noch mit den kleinen Freuden und Leiden der Menschheit beschäftigt. Ebenso wie er die Türkengefahr, die selbst Luther im Vergleich mit dem Papstthume stark unterschätzt hatte, als Anlaß nahm zu wiederholter patriotischer Mahnung gegen die „türkischen Bluthunde“, wie er die Fürsten aufruft zum einmüthigen Widerstande, damit der Sultan nicht das ganze Deutschland einnehme und erbe; so ruft er klagend gerade in Dichtungen aus den Jahren 1562 und 63 – er ist fast 70 alt –: wie glücklich wäre deutsches Land, wenn es Männer hätte, die es von der Tyrannen Unbilligkeit befreiten, wie Philopomenes, der getrew hauptmon, (Nürnb. Folioausg. 5. Bd. S. 318c f.) in Griechenland that; Anchurus wird den deutschen Fürsten als Vorbild der aufopfernden Vaterlandsliebe gepriesen (16, 296); das Totengesicht bei dem Begräbniß der egyptischen Könige wird für die Machthaber, die das Volk knechten, herbei gewünscht (16, 301); noch viele dergleichen Beispiele sagen deutlich, daß S. auch an der Schwelle des Greisenalters recht ernst reden konnte, wenns noth that.
Sonst jedoch zeichnet ihn große Milde aus. Meist kleidet er in ein schelmisch Wort den Tadel über die Thorheiten der Menschen oder malt drastisch ihre schlimmen Folgen aus; dabei ist die unbedingte Sicherheit seiner Weltanschauung staunenswerth: er ist keinen Augenblick darüber in Zweifel, was er für gut, was er für nicht gut halten soll. Und doch ist er, so klar er auch über viele Schwächen urtheilt, in manchem ganz Kind seiner Zeit. Er findet in dem Beschluß zu der Blinden Kampf mit der Sau (17, 343) kein Wort der Verurtheilung des frevelhaften Uebermuthes, daß man die Blinden sich in einem engen Kreise abmühen ließ, ein Thier zu töten. Wie sie sich gegenseitig treffen und verwunden, bereitet ihm wie den Zuschauern nur Scherz. Bei der Schilderung des Kampfes läßt sich der Dichter auch nicht den geringsten Zug entgehen, der seinem Bilde nützen könnte. In dieser Beziehung freilich gehört der Schwank zu den köstlichsten seiner Art. Mitleid, das unsere Zeit allen körperlichen Gebrechen entgegenbringt, kennt das ganze 16. Jahrh. noch nicht.
[123] So rein indeß in den Fabeln und Schwänken die Poesie des S. waltet, so liegt seine größte Bedeutung doch darin, daß er im Laufe des 16. Jahrh., das in allen Richtungen des Culturlebens bahnbrechend wirkte, der erste dramatische Dichter gewesen ist. Durch ihn wurde das Theater aus dem Unflat des 15. Jahrh. erhoben. Auf seiner Wanderschaft, wenn nicht schon früher, hatte er es kennen gelernt; die ihm angeborene Neigung bildete sich um so mehr aus, weil ihm das Theater das geeignetste Mittel schien, um sittlich zu bessern. Gegen die Verunglimpfungen, die Johannes Janssen im sechsten Bande seiner Geschichte des deutschen Volkes (Freiburg i. B. 1888) auf die „zahlreichen Zotenpossen“ des S. häuft, genügt es, auf H. Holland’s Geschichte der altdeutschen Dichtkunst in Baiern (Regensburg 1862) zu verweisen, wo das Schauspiel vor S. genugsam charakterisirt wird. Unseres Dichters Tragödien und Komödien, auch seine geistlichen Spiele sind heute nicht mehr aufführbar, wenn sie auch damals agiret wurden. Von wem das geschah, kann jetzt durch urkundliche Nachrichten nicht mehr belegt werden. Man hielt damals allen Volksscherz nicht der Beachtung werth. Sicher aber warens nicht Berufsschauspieler. S. spielte selbst mit. Er bildete sich wahrscheinlich eine Truppe; denn er bittet beim Rathe um Erlaubniß zu den Aufführungen. Die Spielenden mögen jüngere Meister, Gesellen und Lehrbuben gewesen sein. Derartige Aufführungen veranstaltete man auch in anderen Städten. Gewiß standen die Meistersängerschulen dazu miteinander im Austausch: nicht nur Lieder, sondern auch Dramen wurden in Handschrift verschickt. S. gab seine Tragödie: Der ganz passion nach dem text der 4 evangelisten (11, 256 f.) nach auswärts, und nach dem Manuscripte wurde sie in Amberg gedruckt. So wenigstens erklärt sich die Uebereinstimmung dieses Amberger Druckes mit dem noch erhaltenen Texte von Hans Sachsens Hand, während die Folioausgabe von 1561 ganz erhebliche Abweichungen aufweist. In anderer Art, aber nicht zum Besten des S. verfuhr man mit seiner nach der disceptatio voluptatis cum virtute des Benedict Chelidonius gearbeiteten Comedia von Pallas und Venus (3, 3 f.). Ein „vleißiger ehrliebender Student“ mißhandelte Sachsens Dichtung in grausamer Weise, vielleicht behufs eines Schulactus, und ließ sein Machwerk in Wittenberg 1536 drucken. Wer weiß, ob S. je davon etwas erfahren hat! Er klagt nur darüber, daß hie und da auf Dichtungen anderer sein Name gesetzt würde.
Doch zurück nach Nürnberg. Wohl ists wahr, daß S. mit großen Dramen in den Anfängen der Schauspielkunst stecken geblieben ist, weil eben noch alles zu thun war. Sie tragen durchaus episch-didaktischen Charakter: die Thatsachen, die er in seiner Quelle vorfand, hat er in die Form des Dialoges gebracht. Die Begebenheiten in diesen Stücken entspringen nicht etwa aus der Willenseigenthümlichkeit der handelnden Personen in folgerichtiger Wechselwirkung; von einer inneren Nothwendigkeit ist bei ihnen gar nicht die Rede, rein äußerlich geschehen sie neben- und nacheinander, wie es die zeitliche Reihenfolge an die Hand gibt. Die Einheit, die hier waltet, ist nur die Einheit der Person; zu ihr stehen alle die Ereignisse in Bezug, unter sich aber hängen sie gar nicht zusammen. Beginnt doch die Tragödie von Alexander Magno, dem König Macedonie, sein Geburt, Leben und Endt (13, 477 bis 529) schon vor der Geburt des Helden, führt ihn dann im Kampfe gegen Persien vor und schließt mit seinem Tode. Diese Dramen sind in Verse gebrachte Chroniken; sie sind eigentlich nur Historien gleich den Spruchgedichten, die so von dem Dichter überschrieben wurden. Dazu kommt, daß er bei aller Klarheit doch von seiner Umgebung abhängig ist und zu Zeiten recht engherzig beschränkt sein kann. Was über Nürnberg hinausgeht, verwirft er. Das Heldenthum des hürnen Sewfrid (13, 334 f. und Haller Neudrucke Nr. 29) ist in seinen Augen nichts werth; [124] von den Verdiensten des Drachentöters weiß er nichts zu sagen; der ist ein ungeratener Sohn, der aus der Heimath wegläuft und eine fremde Frau heirathet, ohne seine Eltern zu fragen. Deßhalb geschieht ihm recht, daß er erstochen wird. Heldenthum läßt S. überhaupt nur gelten einerseits in der heil. Schrift, wenn es von Gott befohlen ist, anderseits, wenn es die unmittelbare Vertheidigung der Vaterstadt gilt, an der er vielleicht sich selbst betheiligt hätte. In allen anderen Fällen ist es ihm Ausschreitung. Die bürgerlichen Tugenden allein weiß er zu ehren und zu würdigen. Daß es in Rom oder Athen anders ausgesehen habe, daß in Jerusalem andere Einrichtungen bestanden hätten, als in seinem Nürnberg, kommt ihm nie in den Sinn. In die alten Zeiten überträgt er die Verhältnisse seiner Zeit, wie Albrecht Dürer in dem Marienleben z. B. Idyllen aus Nürnberger Höfen und Wohnstuben zeichnet.
Trotzdem muß man S. großen Antheil an der Entwickelung des Schauspiels zusprechen. Er zog Lebenskreise, die sich vorher darum nicht gekümmert hatten, mit ins Spiel und stellte seinen Mitbürgern im Spiele vor Augen, was rings um sie vorging, wie es war, und sagte ihnen, wie es sein sollte.
In den Fastnachtspielen ist S. unumschränkter Meister. Seine Sicherheit geht aus der genauen Kenntniß aller Einzelheiten hervor. Es ist ein unglaublicher Reichthum von Gestalten und von Einzelzügen, der uns da entgegentritt. Die kurze Zeit (bloß zwei Fastnachtspiele haben mehr als einen Act) gestattete keine Abschweifungen; nirgends findet sich ein gleichgültiger Zug; jeder dient vielmehr dem Ganzen, entweder dem Fortgange der Handlung oder der Entwicklung der Charaktere; gerade geht er aufs Ziel los und bereitet doch alles sorgsam vor. Dabei fließt ihm der Dialog leicht von den Lippen. Denken wir uns endlich ein Publicum, in dem jede dialektische Eigenthümlichkeit sofort verstanden und in ihrer Beziehung aufgefaßt wurde, ein Publicum, das noch nicht durch Ausstattungsstücke verwöhnt war, dann läßt sich die Wirkung wohl begreifen, die die Stücke nicht nur in Nürnberg, sondern auch in anderen, hauptsächlich süddeutschen Städten hervorbrachten; und noch heute haben sie, falls nur einige leise Aenderungen zur Erleichterung des Verständnisses vorgenommen werden, ihren Reiz nicht verloren. Die Scenerie war sehr nüchtern. Mitglieder der Meisterschulen zogen in einzelnen Häusern umher und gaben dort auf der Diele, der großen Hausflur, die Spiele zum besten. In einem Meistergesange in des Römers Gesangweis vom 6. März 1551 nennt S. die Rollen, in denen er bei diesen Gelegenheiten aufgetreten ist. Die Handlung war immer sehr einfach: es kam ihm hauptsächlich auf die Charakteristik an. Den Bauer, den Landsknecht, wie sie sich in der bürgerlichen Vorstellung spiegeln; die Mönche und Dorfpfaffen, die in ihren müssiggängerischen Gedanken auf schalkhafte Streiche verfallen; die verschlagene Kupplerin; die nach fremden Männern ausschauende Frau mit der hülfbaren Nachbarin; die Bewohner von Fünsing, dem süddeutschen Schilda; den Teufel, der fortwährend betrogen wird, – alle diese Figuren führt er leibhaftig vor ohne alle Symbolisirung; da soll der eine nicht etwa Vertreter irgend einer Tugend, der andere eines Lasters sein wie früher. Und mit rührender Naivität verfährt der Dichter. In der Komödie von den ungleichen Kindern Evae (1, 53 f.) hält der Herrgott persönlich Kinderlehre und katechisirt nach Luther’s Katechismus. Der wirklich religiöse S. durfte noch wagen, Gott Vater auf die Bühne zu bringen.
Diese Spiele und auch die anderen Dramen wurden im 16. und noch im 17. Jahrh. an vielen Orten aufgeführt; Nachdrucke und Abschriften einzelner Stücke finden sich (z. B. in Berlin, Einsiedeln, München), die bisweilen zu wirklichen Umarbeitungen wurden, manche auch in katholischem Sinne; viele Volksschauspiele, Weihnachtsspiele, die immer noch in Süddeutschland im Schwange [125] sind, gehen auf S. zurück. Trotz der Arbeiten von K. J. Schröer, Aug. Hartmann, Joh. Bolte ist dies Capitel von dem weitreichenden Einflusse des S. auf die Entwickelung des deutschen Dramas noch nicht erschöpft.
In seiner Familie freilich erlebte der Meister viel Trübsal, alle seine Kinder sah er sterben. Zwei Söhne und fünf Töchter waren ihm geboren worden. Die älteste Tochter Margarethe hatte sich mit dem Messerschmied Hans Pregel verheirathet; vier ihrer Kinder überlebten den Großvater. Auch den, den S. unter allen Zeitgenossen am meisten bewundert und gepriesen hatte, mußte er beweinen. Er sang kurz nach Empfang der Todesnachricht Ein Epitaphium oder klagred ob der leich D. Martini Luthers, noch voll Siegeszuversicht; doch am letzten Tage des J. 1546 macht er seinem gepreßten Herzen in einem scharfen Prosadialoge Luft. Die Ereignisse in Deutschland nach Luther’s Tode ließen Viele gleich dem S. mit Recht trübe in die Zukunft blicken. Seine protestantische Begeisterung jedoch wurde durch die Prüfungen der nächsten Jahre nur noch mehr gefestigt, sein Glaube noch mehr vertieft, wofür wir in seinen Dichtungen herrliche Zeugnisse haben.
Der erste Folioband einer Gesammtausgabe, um die er viel und oft gebeten worden war, erschien 1558. Und so gut war die Aufnahme, daß der Verleger im J. 1560 nicht nur einen zweiten Band herausgeben, sondern auch eine zweite Auflage des ersten Bandes veranstalten konnte. Solche Ermunterung gereichte dem Dichter zu großem Troste; denn im März 1560 war auch seine Frau gestorben. Darauf wurde er Dichtens vnd Schreibens verdrossen, weil auch, wie er sagt, das Alter ihn schwer gefesselt und überladen het. Als er sich indeß von dem harten Schlage wieder erholt hatte, sang er den wunderbarlichen Traum (11, 462 f.), ein Spruchgedicht von tiefster Empfindung, das zugleich Ausgangspunkt neuen Schaffens wurde. Auch noch einen dritten Folioband übergab S. 1561 der Oeffentlichkeit, denn aller guten ding solln drey sein. In demselben Jahre verheirathete er sich zum zweiten Male mit Barbara Harscherin, auf die er am 4. September 1562 das künstlich frauenlob (Nürnb. Folioausg. 5, 2, 330 b), dichtet. Dichter altern nicht. Der Band seiner Gedichte, den er ihr mit eigenhändiger Widmung übergab, ist in der Bibliothek von Donaueschingen zu sehen.
Das Jahr 1562 bringt der Stadt große Bedrängniß durch die Pest. Anstatt zu flüchten, wendet sich S. der Dichtung von neuem zu. Die Früchte davon liegen in einem vierten Foliobande vor, den er selbst noch zusammengestellt hat, der aber bei seinen Lebzeiten nicht mehr erschienen ist. Und auch zu einem fünften fand sich genügender Stoff. Wohl wurde die Hand matter, die Buchstaben standen nicht mehr so fest und sicher nebeneinander wie früher. Man meine jedoch nicht, daß man deswegen ihm nun Fehler zugute zu rechnen habe. Seine Perioden fügt er immer richtig zusammen; die Eigenthümlichkeit, die Sätze durch lange Zwischensätze zu unterbrechen, und dann in der angefangener Satzfügung fortzufahren, behält er bei, und keck bekämpft er die falschen Ceremonien, die Wallfahrten u. ä. (15, 234 u. a.). Sein letztes Meisterlied verfaßte er in der kurzen Amselweise seines getreuen Schülers Adam Puschman (Allg. D. B. XXVI, 732) im 74. Jahre; der letzte Eintrag in den Spruchgedichtbüchern stammt vom 15. Mai 1573 seins alters im 78 jar. Puschman’s Worte in seinem Elogium auf S., sein Lehrer sei zuletzt stumpf geworden, sind ebensowenig anzuzweifeln, wie daß er V. 152 f. mit Stolz sagt, S. habe die meistersängerische Form zum letzten Male in einer seiner Weisen gebraucht.
Am Abende des 19. Januars (nicht am 20., auch nicht in der Nacht vom 19. zum 20.) 1576 ist S. gestorben und wurde am 21. Januar auf dem Johanniskirchhofe begraben. Sein Grab ist nicht zu ermitteln.
[126] 1545 hat den Dichter H. Brosamer gezeichnet. Der Holzschnitt zeigt kräftige, edelgeformte Züge: aus der gewölbten Stirn springt die Nase stark hervor; die Augen, der Mund haben einen milden, etwas schalkhaften Ausdruck. Ein voller Bart, der wie das Haupthaar gelockt ist, rahmt das Antlitz ein. Das Herneysen’sche Bild ist kurz vor des Dichters Tode gemalt und läßt ihn als hinfälligen Greis in etwas vorgeneigter Haltung erscheinen. Haar und Bart sind schlichter geworden und schneeweiß; die gewölbte Stirn mit den eingefallenen Schläfen tritt hier noch deutlicher heraus; im Auge liegt stille, scharfe Beobachtung.
Von den 34 handschriftlichen Bänden, die die geistige Hinterlassenschaft H. Sachsens enthielten, sind 20 auf uns gekommen. Alle 34 befanden sich in Zwickau in Sachsen. Wahrscheinlich hatte sie der dortige Rector Daum (s. A. D. B. IV, 770) von der Familie erworben. Im Anfange des 17. Jahrh. waren wenigstens noch zwei Meistergesangbücher im Besitze des Enkels Jakob Pregel.
Aus der Handschrift wurde der 5. Folioband zusammengestellt. Die Herausgeber schalteten aber so frei mit den Worten des Dichters, daß sie, um nur eines zu erwähnen, durch neues ersetzten, was ihnen veraltet schien. Bei den späteren Auflagen zog man die Handschriften gar nicht, oder doch nur in sehr geringem Maaße zu Rathe. Im J. 1612 f. wurde in Kempten eine neue Quartausgabe veranstaltet, aus der die auf Luther bezüglichen Gedichte wegblieben, wie man sagt, aus Rücksicht auf den Bischof. Der Grund scheint im Hinblick darauf, daß alle Gedichte des S. schon vor dem Erscheinen der Gesammtausgabe auf dem Index standen, nicht ganz stichhaltig.
Die Foliobände in lückenloser Reihenfolge sind jetzt Seltenheiten selbst in den größeren Bibliotheken. Seit dem vorigen Jahrhunderte wurden verschiedene vergebliche Versuche gemacht, sie wieder herauszugeben, vergeblich trotz Goethe’s Lobgedicht auf H. S., das eine vortreffliche Charakteristik des Dichters bietet und ganz in seiner Art einen Holzschnitt beschreibt; der Holzschnitt war aber nie vorhanden. Endlich hat der Litterarische Verein in Stuttgart auf Anregung Adelbert v. Keller’s beschlossen, einen vollständigen Neudruck der Werke des Dichters zu Stande zu bringen. Keller selbst übernahm die Aufgabe. Freilich darf dabei nicht nur die Nürnberger Folioausgabe zu grunde gelegt werden; denn sie kann durchaus nicht als eine gute gelten, auch nicht in den Theilen, die zu Lebzeiten des S. herauskamen. Er theilt das Schicksal fast aller unserer großen Dichter: seine Werke sind in der ersten Gesammtausgabe mit großer Nachlässigkeit dem deutschen Volke dargeboten worden. Gerade Keller’s Anfang legte die Nothwendigkeit einer ganz umfassenden kritischen Arbeit nahe. Durch die Vergleichung der Handschriften, die dem Unterzeichneten vom Rathe der Stadt Zwickau in der hochherzigsten freiesten Weise zum Gebrauche überlassen wurden, und durch Heranziehung anderer kritischer Hülfsmittel, wo jene versagten, klärten sich sehr viele Stellen, und der Dichter wurde von allerlei Wunderlichkeiten im Ausdruck, Stil und in der Wortbildung entlastet, die man ihm bis dahin zurechnen mußte. Auch die Datirung der einzelnen Stücke hat dabei Nutzen gezogen. Denn es ist durchaus nicht gleichgiltig zu wissen, an welchem Tage ein Gedicht von dem Dichter geschaffen wurde. Wohl muß man einräumen, daß man bei S. eigentlich außer wenigen tastenden Versuchen zu Anfang eine dichterische Entwickelung nicht erkennen kann: wie Goethe ist er gleich in den ersten Werken Meister. Nur hat sich S. nicht immer auf der gleichen Höhe gehalten. Aber seine Dichtungen sind manchmal Jahrzehnte weit weg von dem richtigen Tage der Vollendung datirt. Das bekannte, auch in neuerer Zeit oft und mit sehr gutem Erfolge aufgeführte (11.) Fastnachtspiel: „Das Narrenschneiden“ ist nach der Folioausgabe 1557 gedichtet, nach der Reihenfolge aber in dem leider verlorenen dritten Spruchgedichtbuche [127] schon am 8. October 1537. Wie könnte es auch sonst bei Fr. Gutknecht[WS 1] in Nürnberg einzeln erschienen sein, der schon in den vierziger Jahren aufhörte zu drucken? Und der Hederlein (5, 314) ist bestimmt schon 1535, nicht erst 1553 entstanden. Zuletzt kann man, abgesehen davon, daß es für die geschichtliche Wahrheit keine Kleinigkeiten gibt, häufig die Frage nach der Quelle, deren Kenntniß für Hans Sachsens Dichterarbeit von Wichtigkeit ist, nur auf Grund des genauen Datums sicher beantworten.
Die Ausgabe des Litterar. Vereins, die vom 13. Bande an der Unterz. vorbereitet hat, ist jetzt bis zum 17. Bande gediehen. Damit sind die ersten vier Bände der Nürnberger Folioausgabe erneuert. Mit dem 20. Bande wird ihr fünfter und letzter Band beendet sein. Der 21. soll die ungedruckten nichtmeistersängerischen Stücke und diejenigen enthalten, die in der eben genannten Nürnberger Ausgabe keinen Platz gefunden hatten. Mit dem 22. Bande wird die Ausgabe des Litterar. Vereins, wenn Leben und Gesundheit mir verliehen bleiben, hoffentlich vollendet werden. Er soll die ausführlichen Register, hauptsächlich eine zeitlich geordnete Aufzählung sämmtlicher Werke, also auch der Meistergesänge bringen mit allen bibliographischen Angaben, soweit ich sie habe erreichen können. In diesen letzten Bänden wird sich auch Gelegenheit finden, die Ergebnisse der kritischen Arbeit für die ersten, von Keller herausgegebenen Bände zu sammeln, so daß das Werk, das zu Ehren des H. S. unternommen worden ist, auch seiner würdig zu Ende geführt werde.
Sämmtliche Citate ohne weiteren Zusatz beziehen sich auf diese Ausgabe.
- Die erste historisch-kritische, sehr achtungs- und noch heute beachtenswerthe Lebensbeschreibung des Dichters lieferte 1765 M. Salomon Ranisch, erster Professor des Friedrichsgymnasiums zu Altenburg (geb. 1721[1], † am 29. April 1766). Ein eigenthümlicher Zufall war es, daß er sich zu der Arbeit gerade durch das Lied: „Warum betrübst du dich, mein Herz“ hatte begeistern lassen. Dies wurde lange Zeit dem H. S. zugeschrieben und stand in den Gesangbüchern mit seinem Namen. Karl Goedeke aber hat nachgewiesen, daß das Lied nicht von S. verfaßt worden ist. Die Litteratur über S. findet sich in seinem Grundrisse, Band 2 (1886); in dem Register habe ich alle Stellen vollständig aufgezählt. Zur Berichtigung wiederhole ich nur: Franz Schultheiß, Hans Sachs in seinem Verhältnisse zur Reformation. Leipz. Dissert. München 1879. 8. Nachher erschienen und sind von mir benutzt worden: Rudolf Genée, H. S. und Markgraf Albrecht Alcibiades (Nationalzeitung 1885, Nr. 594 vom 29. October). – Johannes Bolte, Ein elsäßisches Adam- und Evaspiel (Birlinger’s Alemannia XVII. 121 f.) – Charles Schweitzer, Étude sur la Vie et les Œuvres de Hans Sachs. Nancy 1887 (ausgegeben 1889), XXI und 476 S. gr. 8. – Waldemar Kawerau, Hans Sachs und die Reformation. Halle 1889. VI und 100 S. 8. – Friedrich Wilhelm Thon, Das Verhältniß des H. S. zu der antiken und humanistischen Komödie. (Dissert.) Halle a. S. 1889. 8. – Edward Schröder, Jacob Schöpper von Dortmund und seine deutsche Synonymik. Marburger Decanatsprogr. 1889, S. 15 f. – Mehrere archivalische Nachrichten verdanke ich Dr. Victor Michels, der im dritten Bande der Vierteljahrschrift f. Litteraturgesch. Urkunden über Aufführungen Hans Sachsischer Stücke veröffentlicht.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 127. Z. 25 v. o. l.: geboren am 17. November 1719 statt 1721. [Bd. 45, S. 671]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Ist hier Jobst Gutknecht gemeint?