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ADB:Weber, Max Maria Freiherr von

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Artikel „Weber, Frhr. Max Maria von“ von Maximilian Jähns in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 349–352, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Weber,_Max_Maria_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 12:04 Uhr UTC)
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Weber: Frhr. Max Maria v. W., ältester Sohn des großen Tondichters K. M. v. W., wurde zu Dresden am 29. August 1822, also drei Vierteljahr nach der ersten Aufführung des „Freischütz“ geboren und erhielt nach diesem den Namen Max. Nach des Vaters frühem Tode leiteten seine Erziehung die herzenswarme Mutter und als Vormund der Zoologe und Afrikareisende Ghrt. Lichtenstein. Frühzeitig beschloß der Knabe, sich dem Eisenbahnwesen zu widmen, eine Berufswahl, welche damals, als es in Deutschland noch fast gar keine Eisenbahnen gab, merkwürdig erscheint, zumal für einen Künstlersohn und jungen [350] Edelmann. W. besuchte das Technische Institut in Dresden, arbeitete zugleich in einer Maschinenfabrik und bezog dann mit 18 Jahren die Universität Berlin, um naturwissenschaftliche und volkswirthschaftliche Vorlesungen zu hören, neue Sprachen zu treiben und als Freiwilliger auf Borsig’s Constructionsbureau zu arbeiten. Zwanzig Jahre alt ging er in die Praxis über, indem er auf der rheinischen und auf sächsischen Bahnen als Maschinentechniker und Locomotivführer wirkte. Dann bereiste er England, wo er als seines Vaters Sohn, glänzende Aufnahme in den Häusern der berühmtesten Ingenieure fand.

Im J. 1845 trat W. als Betriebsleiter der Erzgebirgischen Bahn in den sächsischen Staatsdienst und begann gleichzeitig für Fachzeitschriften zu arbeiten. Daneben erging sich seine künstlerisch gestimmte Seele in Dichtungen („Mein Sommer“, Sonette von Max Marius 1848.) Im J. 1849 ward W. ins Ministerium berufen, vermählte sich mit Fräulein Kath. Kramer aus Köln und wurde 1853 Finanzrath. Während dessen veröffentlichte er: „Das Tantièmesystem“ (Chemnitz 1849); „Ueber die Prinzipien öffentlicher Verkehrsanstalten“ (Leipzig 1849); „Die Technik des Eisenbahnbetriebes in Bezug auf dessen Sicherheit“ (Leipzig 1854) und den Romanzencyclus „Roland’s Gralfahrt“ von Max Marius (Leipzig 1852). Im Frühjahr 1853 unternahm er einen Ausflug nach dem französischen Nordostafrika, den er in einem liebenswürdigen Büchlein beschrieb (Leipzig 1855), nachdem er schon vorher in einer Flugschrift „Algerien und die Auswanderung dorthin“ (Leipzig 1854) auf die vermeintlichen Vortheile einer solchen aufmerksam gemacht hatte.

Die 20 Jahre (1850–1870), welche W. in Dresden lebte, waren reich an Leistungen auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens: Sachsen verdankte ihm werthvolle und eigenartige Einrichtungen; doch lag der Schwerpunkt seiner Wirksamkeit wol in den wissenschaftlichen Arbeiten. Seit 1856 gab er, ein Jahrzehnt lang, das „Portfolio John Cockerills’ heraus, und sehr segensreich wirkten die volkswirthschaftlich-menschenfreundlichen Untersuchungen über „Die Lebensversicherung der Eisenbahnpassagiere in Verbindung mit der Unterstützung der Eisenbahnbeamten“ (Leipzig 1855); „Die Abnutzung des physischen Organismus der Eisenbahnfunctionäre“ und „Die Gefährdungen des Personals beim Maschinen- und Fahrdienste“ (Leipzig 1862). Verwandten Inhalts ist die Erzählung „Bezahlte Löhne und freie Genossen“ (Wirth’s Kalender 1869). Einen großen Wurf that er mit seiner „Schule des Eisenbahnwesens“ (Leipzig 1857), einem katechismusartigen Nachschlagebuche, das oft aufgelegt und übersetzt worden ist. Daran schlossen sich drei andere technische Schriften: „Die rauchfreie Verbrennung der Steinkohle“ (Leipzig 1859); „Das Telegrafen- und Signalwesen der Eisenbahnen“ (Weimar 1867) und „Die Stabilität des Gefüges der Eisenbahngeleise“ (Weimar 1869). Letztere historischen und experimentellen Entwicklungen haben geradezu reformatorisch auf die Einrichtung des Oberbaus und zwar nicht nur in Europa eingewirkt. Sie wurden ins Englische und Italienische übertragen. – Diese Arbeiten verschafften W. einen so ausgebreiteten Ruf, daß ihm aus den verschiedensten Ländern der Welt junge Ingenieure zur Unterweisung zugesandt und Gutachten aller Art von ihm eingeholt wurden.

In vieler Hinsicht waren die beiden Dresdener Jahrzehnte die reichsten und glücklichsten in Weber’s Leben. Zwar sein herrlich veranlagter Bruder Alexander, der Maler geworden war, starb schon vor vollendetem 20. Lebensjahre; aber die edle Mutter blieb ihm bis zum Jahre 1852. Haus und Herd hatte er sich in anmuthiger Weise gestaltet; geliebte Kinder und ein reicher Freundeskreis umgaben ihn. Für jüngere hatte sein Wesen etwas geradezu blendendes; das lag zum Theil im Feuer seiner Sprache und im Glanze seiner Darstellungsweise, zum Theil aber auch in der Kühnheit seiner Meinungen, die sich oft bis zur Verwegenheit steigerte, und in der Rücksichtslosigkeit seines Urtheils über Menschen [351] und Dinge, die jungen Menschen meist sehr zusagte, wenn sie ihnen auch nicht immer gut bekam. Eigenthümlich war Weber’s Verhältniß zu den Manen seines Vaters. Er hegte den leidenschaftlichen Wunsch, sich der Persönlichkeit Karl Maria’s innerlich zu bemächtigen, ähnelte aber eigentlich das Bild des Vaters seinem eigenen an. Dabei zeigte er eine bis zur Befangenheit gehende Scheu, den großen Vater überschätzt zu sehen, und täuschte sich einigermaßen über das Maß seines eigenen musikalischen Verständnisses. Auf so eigenartigen gemüthlichen und geistigen Grundlagen errichtete er nach siebenjährigem, eifrigen Sammeln seinem Vater ein großes litterarisches Denkmal: „Karl Maria v. Weber. Ein Lebensbild“ (Leipzig 1864–66). Es steht vor einem culturgeschichtlichen Hintergrunde von überraschendem Gestaltenreichthum, es ist so geistvoll und lebendig geschrieben und eröffnet zugleich so große Gesichtspunkte, daß es allein genügen würde, um dem Verfasser eine ehrenvolle Stelle in der deutschen Litteratur anzuweisen.

Die Umwandlung der Verwaltung der sächsischen Staatsbahnen im J. 1868 veranlaßte W. aus dem sächsischen Staatsdienst auszutreten. Im J. 1870 folgte er einem Rufe des österreichischen Handelsministers v. Plener nach Wien. Er trat als Rath I. Cl. (k. k. Hofrath) zunächst auf 5 Jahre in den kaiserl. Dienst. Es war gut, daß er sich nicht länger gebunden. Schon in Sachsen hatte ihm sein mehr zur Kritik und zur Auffindung neuer Gesichtspunkte als zu geduldigem Schaffen und Verwalten angelegter ungestümer Geist im Verkehre mit Leuten der nüchternen Praxis und mit denen, die er als „Büreaukraten“ ansah, allerlei Schwierigkeiten bereitet; in Wien stieß er, ohne es zu wollen, bald und oft sehr stark an und hatte die Rückschläge seines Verhaltens schwer zu empfinden. Die einzige größere Verbesserung, welche er durchzusetzen vermochte, war die Einführung einer einheitlichen Signalordnung für Oesterreich-Ungarn. Gelegentlich des bekannten Processes Ofenheim, zu dem W. als Sachverständiger hinzugezogen war, kam es zum Bruch. Er trat wieder aus dem österreichischen Dienste, blieb aber zunächst in Wien wohnen.

Das tiefe Interesse an den großen Ereignissen des Krieges 1870, an denen sein Sohn als sächsischer Officier mithandelnd theilnahm, hatte eine kleine Schrift hervorgerufen, in der W. in anschaulicher und schlagender Weise die deutschen und die französischen Kriegsberichte nebeneinander stellt und die ohne seinen Namen unter dem Titel „Thaten und Phrasen“ erschien (Leipzig 1871). Doch auch eine fachwissenschaftliche Frucht brachte ihm die Betrachtung des Krieges: „Die Schulung der Eisenbahnen für den Krieg im Frieden“ (Weimar 1870). Und nun wendete sich W. einer Aufgabe zu, die fortan im Mittelpunkte seines Gedankenkreises stehen blieb, der Frage der Bahnen zweiter Ordnung, dieser neuen Pfade der Volkswirthschaft. Es erschienen seine „Praxis des Baues und Betriebes der Sekundärbahnen mit normaler und schmaler Spur“ (Weimar 1871; 2. Aufl. 1873) und „Die Sekundärbahnen mit normaler Spur und langsamer Fortbewegung“ (Weimar 1874). Zugleich trat er mit großer Entschiedenheit für den Gedanken ein, den einzelnen Bahnen möglichst ihre Eigenart zu bewahren, ein Gedanke, aus dem heraus er sich zu einem Gegner der Verstaatlichung der Eisenbahnen erklärte. Er vertrat seine Auffassungen mit großer Wärme in „Individualisirung und Entwickelbarkeit der Eisenbahnen“ (Leipzig 1875), in den „Bemerkungen zum vorläufigen Entwurfe eines Reichseisenbahngesetzes“ (Leipzig 1875), in dem Aufsatz über „Nationalität und Eisenbahnpolitik“ (Wien 1876), in der Schrift „Ueber den staatlichen Einfluß auf die Entwicklung der Eisenbahnen niederer Ordnung“ (Leipzig 1878) und in den 1876 und 1877 zu Wien erschienenen „Populären Erörterungen von Eisenbahn-Zeitfragen“, in denen er auch für eine höhere Ausbildung der Techniker eintrat. W. wollte die Verwaltung der Bahnen lediglich in die Hände von Fachmännern gelegt wissen, die [352] aber freilich in wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Bildung auf einer höheren Stufe stehen sollten, als die, mit der man sich bis dahin meist zu begnügen pflegte. Techniker ohne Kenntniß der Volkswirthschaft und Verwaltung bezeichnete er mit einem dem Worte „Musikanten“ nachgebildeten Ausdrucke als bloße „Technikanten“. Weber’s Freunde rühmten ihn als den Eisenbahnphilosophen, und dem entspricht es, daß die Universität Leipzig ihn 1872 zum Ehrendoctor der Philosophie promovirte.

Neben den fachwissenschaftlichen Arbeiten stehen nun aber noch einige andere, in welchen die Eigenart Weber’s ganz besonders scharf und erfreulich hervortritt. Wer hat nicht, bald tief ergriffen, bald herzlich lachend, seine Zeitbilder oder culturgeschichtlichen Novellen gelesen? „Aus der Welt der Arbeit“ (Berlin 1865); „Werke und Tage“ (Weimar 1869); „Schauen und Schaffen“ (Stuttgart 1878); „Vom rollenden Flügelrade“ (Berlin 1882). In ihnen erhebt sich W. zu einer Verklärung der Arbeit und der Technik, insbesondere des Eisenbahnwesens, indem er mit köstlicher Frische die bis dahin kaum erkannte oder absichtlich verkannte Poesie zur Geltung bringt, welche das bunte, schnell pulsirende, von Dampf und Electricität beseelte Leben des modernen Verkehrs erfüllt. Durch diese Schriften hat er eine für unsere Weltauffassung und litterarische Entwicklung überaus wichtige Ader der Dichtung erschlossen, hat „die technische Novelle“ geschaffen. Er hat, wie man wol gesagt hat, die Poesie der Schiene entdeckt.

Im J. 1878 folgte W. einer Aufforderung des preußischen Handelsministers Achenbach nach Berlin, um zunächst als Referent im Ministerium die Leitung eines großen amtlichen Eisenbahnorgans zu übernehmen. Aber an demselben Tage, an welchem er in Berlin eintraf, hielt Fürst Bismarck jene berühmte Rede, die der volkswirthschaftlichen Entwicklung Deutschlands ganz neue Wege wies, die Verstaatlichung der Eisenbahnen einleitete und u. a. auch Achenbach’s Rücktritt zur Folge hatte. W. befand sich in einer üblen Lage; er trat zunächst nicht in die preußische Beamtenschaft ein, sondern wurde mit den großen Untersuchungen betraut, welche das Ministerium über das Verkehrswesen außerdeutscher Länder anzustellen beschlossen hatte. Dem entsprechend unternahm er Reisen nach England, Frankreich, Scandinavien und Nordamerika, deren Ergebnisse er in umfassenden Denkschriften niederlegte. Veröffentlicht wurde davon die über „Die Wasserstraßen Nord-Europas“ (Leipzig 1881).

Die schwierige Lage, in der W. sich befand, drückte sehr auf ihn. Ernst angegriffen und erschöpft kehrte er im Herbste 1880 aus Amerika nach Berlin zurück und trat nun als Geh. Regierungsrath und vortragender Rath förmlich in den Verband des Ministeriums für öffentliche Arbeiten ein. Aber nicht lange sollte er sich der neuen Heimath freuen. Plötzlich trat ein Herzleiden auf, und am 18. April 1881, demselben Tage, an dem er seinen Bericht über die amerikanische Reise vollendet hatte, raffte ein Herzschlag ihn dahin. Er hinterließ einen Sohn, der als Oberstlieutenant a. D. zu Dresden lebt, und eine Tochter, die mit dem Dichter Ernst v. Wildenbruch, Legationsrath in Berlin, vermählt ist.

Berghaus, M. M. Frhr. v. Weber. Ein Lebensbild (Berlin 1881). – M. Jähns, M. M. v. Weber. Biogr. Einleitung zu dem hinterl. Werke Vom rollenden Flügelrade (Berlin 1882).