ADB:Schultz-Schultzenstein, Karl Heinrich
[724] Thätigkeit, vorzugsweise auf botanischem Gebiete und erst sein im 73. Lebensjahre infolge eines Herzschlags ganz plötzlich eingetretener Tod setzte beiden ein Ziel. Abgesehen von Reisen nach den bedeutendsten Ländern Europas war der ruhige Verlauf seines Lebens kaum jemals unterbrochen worden. Den Beinamen Schultzenstein legte er sich auf Grund einer königl. Urkunde vom Jahre 1848 von seinem Gute dieses Namens in der Nähe von Rheinsberg bei zur besseren Unterscheidung von gleichnamigen Gelehrten. Das medicinische Berufsstudium mag S. veranlaßt haben, für seine botanischen Arbeiten vornehmlich das Feld der anatomischen Morphologie und Physiologie zu wählen, dem seine zahlreichen Publicationen ausschließlich angehören. Keine von ihnen hat sich indessen einen bleibenden Werth in der botanischen Litteratur erringen können, vielmehr fanden, abgesehen von manchen schönen Einzelbeobachtungen, seine von unklaren philosophischen Deductionen geleiteten, einer objectiven Naturbeobachtung entbehrenden Ideen bereits die unzweideutigste Abweisung seitens der zeitgenössischen Botaniker. Am zweckmäßigsten lassen sich Schultz’ botanische Arbeiten in drei, wenn auch nicht scharf getrennte Gruppen sondern. Die der ersten Gruppe behandeln die Saftströmungen im Pflanzenreich. Seine dahin gehörige akademische Promotionsschrift erschien 1822 unter dem Titel: „Ueber den Kreislauf des Saftes im Schöllkraut u. s. w.“ Sie erregte bei ihrem Erscheinen ziemliches Aufsehen und selbst der Berliner Botaniker Link spendete in seiner dazu geschriebenen Vorrede der Arbeit großes Lob, das er freilich auf die gesammten Ansichten des Verfassers nicht ausgedehnt wissen wollte. Zwei fernere, in den folgenden Jahren erschienene Schriften behandeln in erweiterter, auch mit morphologischen Gesichtspunkten verflochtener Form, denselben Gegenstand: 1823: „Die Natur der lebendigen Pflanze. Erweiterung und Bereicherung der Entdeckungen des Kreislaufs im Zusammenhange mit dem ganzen Pflanzenleben“, wovon ein zweiter Theil: „Fortpflanzung und Ernährung der Pflanze“ 1828 herauskam und 1824: „Ueber den Kreislauf des Saftes in den Pflanzen. Erläuternde Bemerkungen“. Das größte Interesse beansprucht naturgemäß die 1839 selbständig veröffentlichte Preisschrift Schultz’: „Sur la circulation et sur les vaisseaux lactifères dans les plantes“, eine Arbeit, die der Verfasser für so wichtig hielt, daß er selbst noch ein deutsches Referat derselben im 1. Bande der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1840 veröffentlichte. Ihren Hauptinhalt bildet die Lehre, daß der Milchsaft der Pflanzen ein dem Blute der Thiere analoger Nahrungssaft sei und wie letzteres eine Circulation oder Cyclose im Pflanzenkörper besitze. Diese auf falsch gedeuteten Beobachtungen basirte Lehre wurde alsbald von allen Seiten bekämpft, namentlich aber durch eine werthvolle Arbeit H. v. Mohl’s (Bot. Ztg. 1. Bd. 1843) völlig widerlegt. Diese Widerlegung gab zu einem polemischen Schriftwechsel beider Forscher Veranlassung (Bot. Ztg. 1843, S. 817 u. Flora 1843, S. 705 u. 811), in welchem die blinde Leidenschaftlichkeit der Sprache seitens S. und der Mangel an Sachlichkeit auch seinem sonst sehr objectiv denkenden Gegner eine ungewohnte Schärfe des Ausdrucks aufnöthigte. Ein Sonderabdruck aus den Verhandlungen der Leopoldina 1841 „Die Cyclose des Lebenssaftes in den Pflanzen“, behandelt den nämlichen Gegenstand noch einmal. Außer mit physiologischen Fragen beschäftigte sich S. auch mit einem Neuaufbau der pflanzlichen Morphologie und Entwicklungsgeschichte, was den Inhalt der zweiten Gruppe seiner Schriften bildet. Die leitenden Ideen entwickelte S. zuerst in der 1843 selbständig erschienenen Schrift: „Die Anaphytose oder Verjüngung der Pflanze. Ein Schlüssel zur Erklärung des Wachsens, Blühens und Fruchttragens, mit praktischen Rücksichten auf die Cultur der Pflanzen“. Die Abhandlung bezweckt, die von Casp. Fried. Wolf, Goethe, Rob. Brown begründete, von Schimper, Al. Braun u. a. Forschern weiter ausgebaute Lehre von der Pflanzenmetamorphose [725] umzustoßen und durch eine neue, auf wesentlich verschiedener Grundlage ruhende zu ersetzen. Hiernach wächst die Pflanze durch fortwährende Entwicklung von Theilen, die ihrem Wesen nach gleichartig und nur in der Form verschieden sind, deren Grenzen durch Gliederung angezeigt werden und welche er Pflanzenglieder oder Anaphyta nennt. Das Wachsthum ist nur eine fortdauernde Wiederholung dieser Glieder, eine Anaphytosis. Jedes Glied, von dem andern abgelöst, kann selbständig die Function der ganzen Pflanze ausüben, ist daher ein eigenes Individuum. Der Grund der verschiedenen Formentwicklung liegt nicht in der inneren Natur der Pflanze, sondern ist ein rein äußerlicher, bedingt durch den Einfluß des Lichts und der Feuchtigkeit. Es beruht also die Anaphytose auf einer Verquickung morphologischer und physiologischer Gesichtspunkte. Letztere will S. namentlich zur Erklärung der Blüthenbildung benutzt wissen. Das Wesen der Staubgefäße und Pistille liegt nach ihm nicht in ihrem blattartigen Ursprung, sondern in der Pollen- und Eibildung; wären sie metamorphosirte Vegetationsorgane, so müßten sie auch deren Function besitzen. So irrthümlich wie diese letzte Ansicht, so wenig stichhaltig ist überhaupt das Fundament der ganzen Lehre, die die Architektonik der Pflanze in ein willkürlich erfundenes Schema zwängt. Außerdem läßt die selbstbewußte Sprache auch dieser Schrift eine Mißachtung der Resultate jener Forscher durchblicken, welche man bis dahin als die bedeutendsten Träger wissenschaftlicher botanischer Forschung anzusehen gewohnt war. Die vielen Angriffe, die dem Verfasser der Anaphytosenlehre von allen Seiten wurden, schreckten ihn dennoch nicht ab, seine Ansichten immer von neuem wieder durch den Druck zu veröffentlichen. Solche Fortsetzungen bildeten die 1847 erschienene Abhandlung: „Neues System der Morphologie der Pflanze“ u. s. w. und vom Jahre 1851 „Die Verjüngung im Pflanzenreich. Neue Aufklärung und Beobachtungen.“ Endlich nahm S. in einer dritten Reihe von Publicationen auch Stellung zu den in jener Zeit besonders durch Liebig neu angeregten Fragen der Ernährung und Cultur der Gewächse. In der 1844 erschienenen Schrift: „Die Entdeckung der wahren Pflanzennahrung“ u. s. w. bestreitet S. die allgemein angenommene Thatsache, daß die Pflanze Kohlensäure zersetze und zu ihrer Ernährung verwende. Er behauptet vielmehr auf Grund eines großen Rüstzeugs eigner Experimente, daß zwar sämmtliche grünen Pflanzentheile die Fähigkeit haben, die meisten Säuren zu zersetzen, nicht aber die Kohlensäure, die fast gar nicht zersetzt werde. Er glaubt, daß die Pflanze auf die assimilirbaren Stoffe ähnlich einwirke, wie Magen und Darmkanal der Thiere auf die eingenommene Nahrung. Sauerstoffausathmung im Licht hält er für keinen nothwendigen Vorgang bei der Pflanzenernährung. Schultz’s Versuche wurden durch den berühmten Agriculturchemiker Boussingault nachgeprüft; sie ergaben sich als irrig, wodurch auch den Schlußfolgerungen daraus der Boden entzogen wurde. Eine Reihe von Einzelaufsätzen in der Flora 1847, sowie eine größere selbständige Arbeit vom Jahre 1864: „Ueber Pflanzenernährung, Bodenerschöpfung und Bodenbereicherung“ u. s. w. behandeln mit demselben geringen Erfolge die gleichen Fragen. Eine Aufzählung sämmtlicher Abhandlungen Schultz’s, medicinischen und botanischen Inhalts, die sich zerstreut in der Zeitschrift Flora, der Isis und in den Jahrbüchern für Pharmacie vorfinden, ersieht man aus dem Catalogue of scient. pap. Vol. V, 1871, p. 569–571.
Schultz: Karl Heinrich S., gen. Schultzenstein, Professor der Medicin und botanischer Schriftsteller, geboren zu Altruppin am 8. Juli 1798, † in Berlin am 22. März 1871. Als Sohn eines vermögenden Rathszimmermeisters erhielt S. eine sorgfältige Erziehung, absolvirte das Gymnasium seiner Vaterstadt und trat 1817 in das zur Ausbildung von Militärärzten bestimmte Friedrich Wilhelms-Institut in Berlin ein, promovirte nach vierjährigem Studium, verließ aber bereits 1822 die militärische Laufbahn, um sich der akademischen zuzuwenden, in welcher er, ein Anhänger der damals in hohem Ansehen stehenden naturphilosophischen Schule, außerordentlich schnell befördert wurde. Nachdem S. 1825 außerordentlicher Professor der Medicin geworden, ging er 1830 nach Paris, legte der Akademie daselbst seine Arbeit über den Kreislauf des Saftes in den Pflanzen vor, die das Glück hatte, von jener Körperschaft mit dem großen Preise gekrönt zu werden und erhielt bereits 1833 seine Berufung als ordentlicher Professor. Neben der Ausübung seines akademischen Lehrberufs entfaltete S. in den dreißiger und vierziger Jahren des Jahrhunderts auch eine äußerst fruchtbare schriftstellerische