Allerlei von Reinecke

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Textdaten
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Autor: Karl Brandt
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Titel: Allerlei von Reineke
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 0
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[0_b] Allerlei von Reineke. Ein alter Jagdschriftsteller erzählt, er habe eines Abends auf einer Waldblöße das wunderbare Benehmen eines Fuchses beobachtet, dessen Zweck er sich erst nicht habe erklären können. Der rote Gauner sei einigemal auf einen hohen Wurzelstock gesprungen, habe dann ein schweres Stück Holz in den Rachen genommen und den Sprung so lange wiederholt, bis es ihm regelmäßig gelungen sei, mit dieser Last die Spitze des Wurzelstockes zu erreichen. In der Dämmerung sei nun eine Bache mit Frischlingen vorübergewechselt; der Fuchs habe eins ergriffen und mit mächtigem Sprunge in Sicherheit gebracht. Bei der Uebung mit dem Stück Holz habe er also offenbar nur den Zweck gehabt, sich die nötige Gewandtheit zu seinem räuberischen Vorhaben anzueignen.

Jeder, der diese kleine Geschichte liest, denkt selbstverständlich, daß das eine jener phantasievollen humoristischen Erzählungen sei, welche man mit dem Namen „Jägerlatein“ bezeichnet und denen man aus dem Munde eines Grünrocks so gern lauscht. Allein ein wahrer Kern ist in der Frischlingsgeschichte dennoch, trotzdem ihre Glaubwürdigkeit auf den ersten Blick gerade keine allzu große zu sein scheint. Der Fuchs stellt thatsächlich, und zwar nicht nur in einem Ausnahmefalle, Springübungen an, wenn sie auch nicht so kompliziert sind wie in der Erzählung jenes alten Schriftstellers, des Dietrich Aus dem Winkell. Reineke übt sich nur, wenn ihm ein Sprung nicht gelungen ist, um es das nächste Mal besser zu machen – wenigstens haben weder ich selbst noch glaubwürdige Bekannte von mir anderweitige, einem bestimmten Zwecke dienende Turnübungen an ihm beobachtet.

Einst kam ich im August abends bei beginnender Dämmerung aus dem Deister, jener Bergkette zwischen Weser und Leine. Ich hatte geblattet [1], und Diana war mir hold gewesen; aus dem Schlitz meines Rucksacks guckte ein Kopf mit starkem Gehörn heraus – schwarz wie der Teufel. Ein guter Schuß, ein schwarzer Bock mit kapitalem Gehörn kann einen Jäger wohl in eine gehobene Stimmung bringen – aber trotz alledem fühlte ich den Druck der Riemen des Rucksacks, und die schwüle Gewitterluft preßte mir den Schweiß aus allen Poren. Ich warf an einem Graben den Bock zur Erde, um ihn erst aufzubrechen – 14 Pfund weniger dreiviertel Stunden weit zu tragen, war immerhin eine wesentliche Erleichterung. Mitten in der Arbeit ließ ich zufällig meine Blicke über das Feld schweifen. Auf einer Stoppelbreite, kaum 200 Schritt von mir, lag ein dunkles langes Etwas in der Furche und kroch langsam voran – ein Fuchs, und mein Pirschglas verriet mir auch sofort, daß er es auf einen Hasen abgesehen hatte, der sich unweit in die Stoppeln drückte – etwas anderes konnte der dunkle Strich auf dem hellen Grunde nicht sein.

Es wäre mir ein Leichtes gewesen, den armen Burschen zu retten, ich brauchte ja nur eine Kugel nach dem roten Strauchdieb zu senden – sie hätte ihn, wenn sie auch vorbeiflog, zweifellos verjagt; allein beim Anblick des weidewerkenden Rotrocks, in der Erwartung und Ungewißheit, ob er Erfolg haben und wie er sich beim Fange benehmen würde, pochte mein Herz fast gerade so stark, als wenn ich an einen starken Bock gepirscht wäre, und das ganze Schauspiel war mir natürlich auch wertvoller als das Bewußtsein, Schutzpatron eines Hasen gewesen zu sein. Mit dem Glase konnte ich jede Bewegung des Fuchses verfolgen, wie er Schritt für Schritt vorwärtsschlich, den Kopf, die Nase etwas höher, hinten ganz gedrückt, die Luntenspitze nervös krümmend. Jetzt schien er dicht genug heran zu sein. Einen Augenblick stand er still, als wollte er noch einmal die Entfernung messen, dann flog er in mächtigem Sprunge, mit hochgehobener Lunte die Luft peitschend, vorwärts – zu kurz! Der Hase fuhr blitzschnell aus dem Lager, ein zweiter Sprung – wieder fehl – und der rote Pfuscher richtete sich hoch auf und sah beschämt dem davonhoppelnden Lampe nach. Aber nicht lange gab er sich wehmütigen Gefühlen ob seines Mißerfolges hin. „Das nächste Mal besser machen,“ war die Lehre, die er sich aus seiner Ungeschicklichkeit zog. Er ging zum Hasenlager zurück – dann zur Stelle, von welcher aus er den ersten Sprung gewagt hatte, und im nächsten Augenblick flog er wieder durch die Luft zum Lager hin. Drei-, viermal hintereinander wiederholte er diesen Lehr- und Uebungssprung, bis er die Gewißheit hatte, daß er in der Praxis das nächste Mal von Erfolg gekrönt sein würde.

Ein hiesiger Jagdfreund von mir erzählte mir vor einiger Zeit ein in der Hauptsache mit meiner Beobachtung genau übereinstimmendes Erlebnis, und ein Jagdaufseher berichtet dem in Köthen erscheinenden „St. Hubertus“ (Jahrg. 1894, Nr. 3) ebenfalls von einem Fuchse, welcher nach dem Fehlsprunge ins Hasenlager gewindet (gerochen) und dann den Sprung noch fünfmal wiederholt habe – so daß mit Fug und Recht geschlossen werden kann: der Fuchs übt sich im Springen, um seiner Sache desto sicherer zu sein.

Trotzdem Reineke alsbald den Hasenbraten zu vergessen schien und der Landwirtschaft durch Mäusefang unter die Arme griff, hielt ich einen solch gewitzten Wilderer in meiner Jagd doch für einen zu gefährlichen Nebenbuhler und schlich mich deshalb in einer Hohle etwas näher heran, stellte mich hinter einen Schleedornbusch und versuchte, den Fuchs durch „Mäuseln“, d. h. durch Nachahmung der piepsenden Maus, heranzureizen. Es gelang, und ich schoß ihn auch. Es war ein äußerst starker, fast ausgewachsener Jungfuchs.
Karl Brandt.
  1. „Blatten“ = die Stimme des weiblichen Rehs nachahmen, um den Bock anzulocken.