Am Wachterl

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Titel: Am Wachterl
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 578
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[574]

Am Wachterl. Nach der Natur aufgenommen von Professor Braun in München.

[578] „Am Wachterl“. (Mit Abbildung S. 574 und 575.) Die Straße von Berchtesgaden über Ramsau nach Reichenhall führt hinter Ramsau über einen Sattel, auf welchem das Wirthshaus steht, das unsere Abbildung zeigt. Dieser bis zu einer Höhe von 2805 Fuß über dem Meer aufsteigende Paß verbindet die beiden hohen Nachbarn, den Lattenberg und den Reiter-Steinberg, deren imponirende Felskolosse weit hinauf zur rechten Zeit mit frischem duftigem Wald geschmückt sind. Weil in der Nähe des Sattels der Schwarzbach entspringt, der eiligst die Höhen hinunter in die Saalach stürzt, und über den Sattel mit hydraulischer Kraft die Soole vom Berchtesgadener Salzberg geleitet wird, um von da in die Reichenhaller Sudhäuser zu laufen, so ist wohl für diese Soolleitungen eine Tafel aufgestellt mit der Aufschrift: „Schwarzbach-Wacht“. Das Volk macht in seiner Weise kurzen Proceß, indem es sich an das letzte Wort der Tafel hält und das Wirthshaus schlechtweg „am Wachterl“ nennt. –

Ein solches Wirthshaus auf der Straßenhöhe ist ein Platz, an welchem Niemand ohne Anhalt vorbeikommt und wo der Herrgott Heerschau halten könnte über die unterschiedlichsten Sorten seiner Menschenkinder. „Denn,“ um mit Tell zu reden:

          „Hier geht
Der sorgenvolle Kaufmann und der leicht
Geschürzte Pilger, – der andächt’ge Mönch,
Der düstre Räuber und der heitre Spielmann,
Der Säumer mit dem schwerbeladnen Roß,
Der ferne herkommt von der Menschen Ländern,
Denn jede Straße führt an’s End’ der Welt.
Sie ziehen Alle ihres Weges fort“ –
Doch hier bleibt Jeder eine Weile hängen.

Letztern Vers konnte Tell nicht anfügen, weil er nur in einer Hohlgasse, nicht vor einem Wirthshause stand, als er jene Worte sprach. Unser Bild zeigt uns allerdings etwas andere Gesellschaft, als die düster-gefärbte der Dichtung. Kann auch ein so heiteres, herrliches Land, wie es ab und auf vom Sattel das Auge begrüßt, viel Anderes da herauf senden, als was unser Künstler, der Münchener Professor L. Braun in einer guten Stunde am Wachterl angetroffen und verewigt hat? Wir haben darin keine Composition, wir haben die Abspiegelung der Wirklichkeit vor uns, wie sie jeder „Saison“-Tag auf dem reizenden Plätzchen bietet, denn wer von Berchtesgaden nach Reichenhall geht, kommt nicht aus einem Alpenparadiese heraus, in welchem Ramsau aller Künstler liebster Hockwinkel ist.

Von den Abstechern, die von der Straße ablocken, sind die Wimmbach-Klamm und der Hintersee, der seine großartige Bildergalerie 2510 Fuß über dem Meere aufgestellt hat, die besuchtesten. Von da an, wo man die Straße wieder betritt, steigt sie sanft zum Sattel empor; aber da heißt es: das Umsehen nicht vergessen! Wie schön vor uns die Gegend uns anlacht, so mächtig schaut hinter uns der Watzmann herüber und erwartet die ihm gebührende Beachtung.

Nordwärts geht es steiler vom Sattel zur Tiefe hinunter; auch bekommt dort der Wanderer tiefes Waldesdunkel, eine kühne Brücke und einen rauschenden Wasserfall zur Beigabe, bis er bei Jettenberg ankommt und, nachdem er im Forsthaus sich kräftig gelabt, von da in ganz anders gearteter Landschaft dem nur noch zwei Stunden entfernten Reichenhall zustrebt.

Wer aber ein forschendes Auge und sinniges Gemüth besitzt, der hält es stundenlang am Wachterl aus und blättert in dem Bilderbuch, das der Reisenden-Strom da vor ihm Blatt um Blatt aufschlägt. Denn Post und Wagen, Reitpferd und Schustersrappen sind unaufhörlich in Bewegung, um vom Baume der Menschheit immer frische Blätter und Blüthen da vorbei zu treiben, und wer sich auf der Leute Zungen und Sitten versteht, kann da manchen Schatz aus dem Volksherzen heben, den er daheim niemals gefunden hätte. Gott gesegne es Allen am Wachterl!