Amerikanische Skizzen. Zwei deutsche Mädchen

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Autor: B. Dalei
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Titel: Amerikanische Skizzen. Zwei deutsche Mädchen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 166–168
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[166]
Amerikanische Skizzen.
Von B. Dalei.
Zwei deutsche Mädchen.

Es war im Jahre 1853, als bei der Kunst- und Industrieausstellung im Krystallpalaste zu New-York unter den ausgestellten Stickereiarbeiten des Hauses Wank, Bennett u. Comp. am Broadway ein prachtvoll gestickter Shawl unter den Besuchern, namentlich dem weiblichen Theile des Publicums, ein besonderes Aufsehen erregte. Man erkundigte sich mit Interesse nach der Urheberschaft dieser kunst- und geschmackvollen Arbeit und erfuhr, daß es ein Werk deutscher Frauenhände sei, zum nicht geringen Staunen der Amerikaner, wie mit stolzfreudigem Antheil jener Deutschen, bei denen das Nationalgefühl noch nicht völlig erstorben ist.

Die Verfertigerinnen waren zwei Schwestern, die zwei Jahre [167] später, wie öffentliche Blätter die Nachricht brachten, im September 1855 ihr Leben durch Selbstmord beschlossen und auf dem Gottesacker von Randolf’s Island, einem der Todtenfelder des verzweifelten Elends und der geldlosen Armuth, zur Ruhe bestattet sind. Aus Allem, was über den tragischen Fall Näheres bekannt wurde, geht hervor, daß bittere Noth in Folge plötzlicher Arbeitslosigkeit und verrathene Liebe ihnen das Herz gebrochen, sie zum letzten blutigen Schritte gedrängt hat. Die ersten Anfänge der traurigen Verwickelung fallen mehrere Jahre rückwärts, wohin wir nun die Blicke unserer Leser wenden wollen, damit ihnen die Grundfäden des düsteren Gewebes nicht verborgen bleiben.

Im Jahre 1848 wohnte eine Familie in Berlin, Namens St…, bestehend aus Vater, Mutter, zwei Knaben und drei Töchtern, die beiden ältesten der letzteren Cäcilie und Wanda mit Namen. Die Mutter soll leichtfertigen Charakters und aus diesem Grunde durchaus kein erbauliches Muster für die Sittenstrenge ihrer Töchter gewesen sein. So war Cäcilie die Frucht eines Nebenverhältnisses mit dem polnischen Fürsten Radziwill. Die zweite Tochter, Wanda, war zur Zeit des Aufenthaltes in Berlin ein Mädchenbild von ausgezeichneter Schönheit, in einem Alter von kaum sechzehn Jahren.

Ein gewisser Eduard Grenier, französischer Gesandtschaftssecretair unter Cavaignac, wurde von Wanda’s Reizen dermaßen gefesselt, daß sich ein förmliches Liebesverhältniß zwischen Beiden entspann, das bei der Leichtigkeit, mit der sich Beide sehen und sprechen konnten, bald traurige Folgen hatte. Die Frucht dieses vertrauten Umganges war im September 1849 die Entbindung Wanda’s von einem gesunden Knaben, der in der Taufe den Namen seines Vaters, Eduard, erhielt. –

Später entlud sich in Frankreich das bekannte staatsstreichliche Gewitter vom 2. December, in Folge dessen die ganze französische Republik, wie auch deren diplomatische Corps nach allen Winden auseinander stoben.

Auch Wanda’s Geliebter suchte den Flüchtlingsschutz in der Schweiz, setzte aber das Verhältniß mit dem Mädchen, der Mutter seines Kindes, in fleißigen Correspondenzen auf so entschiedene Weise fort, daß sich Wanda, die mit der ganzen Gluth einer ersten Jugendliebe an dem geliebten Manne hing, gar leicht überreden ließ, ihm in die Schweiz zu folgen, und das um so mehr, weil seine Briefe das wiederholte heiligste Versprechen enthielten, sie sofort durch Heirath zum Rang seiner Gemahlin zu erheben und dem Kinde öffentlich seinen Vater zu geben.

Auf das Wort des Geliebten, wie auf eine Stimme vom Himmel vertrauend und bauend, folgte sie sammt ihrem Kinde der Einladung in die Schweiz. – Kaum war sie aber angekommen, so erhob Eduard aus Grund von mancherlei Rücksichten, die er anders nicht zu beseitigen wüßte, Schwierigkeiten wegen sofortiger Heirath und setzte als letzte Bedingung: er könne diesen Schritt nur dann für sich, wie für Mutter und Kind mit gutem Gewissen und bester Aussicht wagen, wenn sie vom Protestantismus zum Katholicismus übertreten würde.

Auch dieses Opfer brachte das liebende Weib. – Im Drange einer nöthigen Reise auf einige Zeit zur endgültigen Ordnung seiner Familienangelegenheiten, versorgte er Mutter und Kind einstweilig in einem – „Kloster“ in Kolmar.

Nachdem die Arme ein volles Jahr in der qualvollsten Schwebe zwischen Hoffnung und Furcht auf seine Rückkehr vergeblich gewartet, reiste sie endlich, in einem Zustande der Verzweiflung an Gott und Menschen, sammt ihrem Kinde wieder in die deutsche Heimath zurück.

Doch in Berlin mochte sie nicht länger leben, und wie bei so vielen Unglücklichen dieselbe Hoffnung tröstlich erscheint, so stieg auch ihr, in Taggedanken wie in Träumen, das ferne „freie Amerika“ noch als einzige Rettungsinsel in ihrem schiffbrüchigen Leben, eine zauberisch lockende Fata Morgana aus der dunkeln Trümmerwüste empor, und rasch war der Entschluß zum ewigen Verlassen der deutschen Erde gefaßt, um jenseits des Meeres ein Heilkraut für ihr wundes Herz, vielleicht wohl noch ein neues, still bescheidenes Lebensglück zu finden. Nebenbei wirkte auch noch mitbestimmend zum letzten Schritt über’s Meer die Aussicht, dort einen nahen Verwandten, ihren Vetter, Namens Ludwig May, zu treffen, der, soviel sie wußte, in New-York wohnte und sie für die erste Zeit wohl recht gern mit dem nöthigen Schutz und der unentbehrlichen Anleitung unterstützen würde.

So reisten sie denn an einem lieblichen Sommertage ab von Berlin, Wanda, ihr Knabe und die Stiefschwester Cäcilie. Die neue Hoffnungswiege, das Auswandererschiff, wie stark auch mitunter das sanfte Schaukeln in derbes Schütteln und Rütteln überschlug, brachte sie doch Alle glücklich an’s Gestade der neuen Welt und die Weltstadt New-York öffnete ihnen zuerst in ihren zahllosen Straßen ein recht augenscheinliches Beispiel ebenso zahlloser Pfade und Wege zur Verfolgung eines noch unbestimmten Glücks für die vielen Tausende von Einwanderern, die in der günstigen Jahreszeit fast jede Woche hier landen und ihren letzten Glückswürfel versuchen wollen.

Ihren Vetter May hatten sie bald aufgefunden, der sie recht freundlich empfing, durch etwa zwei Monate sie beherbergte, bis er ihnen in Mottstreet eine Wohnung ausgemittelt und, was noch das Erfreulichste, ihnen zugleich eine entsprechende Beschäftigung, feine und gut gezahlte Arbeit im Stickerei-Geschäft von Bennett u. Comp, im Broadway verschafft hatte, und zwar Arbeit auf’s Stück, die einen geschickten und emsigen Arbeiter immer besser lohnt, als Stunden- oder Tagesarbeit.

Es währte nicht lange, so hatten die äußerst fleißigen, mit neuem Lebensmuth beseelten Mädchen 150 Dollars in redlicher Arbeit sich erworben, und nun wollten sie sogleich zur Ausführung eines längst gehegten Lieblingswunsches schreiten, nämlich: 50 Dollars von dem Ersparten ihrem Bruder Ludwig nach Berlin übersenden, damit auch er im Stande wäre, die Reise nach Amerika anzutreten und möglicherweise sich glücklicher zu stellen, als in der Heimath.

Allein der Bruder zeigte keine Lust und wollte sich zu diesem Schritte erst dann entschließen, wenn es möglich gemacht sei, daß nicht nur er allein, sondern die ganze Familie mitreisen könne.

Die augenblickliche Unmöglichkeit, den Wunsch des Bruders in seiner Weise zu erfüllen, drückte ziemlich schwer auf die Gemüther der Schwestern und sie arbeiteten nun noch angestrengter als je, so daß ihre Gesundheit darunter zu leiden anfing. Anscheinend waren sie nicht unzufrieden mit ihrem Loos; sie hatten doch das Glück der gut gezahlten Arbeit, das zeitweise Tausende nicht haben.

Uebrigens lebten sie äußerst ein- und zurückgezogen, und benahmen sich fast bei jeder Veranlassung, wo sie eine nähere Berührung mit Menschen nicht vermeiden konnten, wie verschüchterte Tauben, die sich schon vor dem Schatten des Geiers fürchten und flüchten. – Wanda konnte noch immer, trotz ihres heimlichen Leidens, für eine interessante Schönheit gelten. Ihre sanfte Schwermuth, ihr tiefsinniges Auge gab ihr jenen eigenthümlichen Reiz, der bei wirklich schönen Frauen nicht selten viel anziehender wirkt, als die ewige Lachmiene einer alltäglichen, oberflächlichen Lebenslust.

Was Wanda’s Schwermuth natürlich vermehrte, war die unbesonnene Aeußerung eines jener im „freien Amerika“ so unzähligen Pseudo-Doctoren, die schon an und für sich selber, ohne die übrigen Epidemien, als eine stehende Pest zu betrachten sind. Ein solcher sagte ihr nämlich bei einer gelegentlichen Berathung, daß sie sich gefaßt machen dürfe, kaum noch ein Jahr zu leben.

Ueberdies trat nun auf einmal, und zwar im nächsten Berührungskreise der armen Mädchen, eine der in den amerikanischen Verhältnissen sich so häufig ereignenden und unvorhergesehenen Katastrophen ein, die wie ein Blitz aus dem heitern Himmel schlugen, mancherlei Lebens-, Familien- und Geschäftsverhältnisse unsäglich verwirren, zerstören und verwüsten für kürzere oder längere Zeit, bei nicht wenigen für immer.

Eben diese manchmal so urplötzliche Veränderlichkeit in den Verhältnissen und Schicksalen hier zu Lande macht das Leben in einer und der andern Richtung für die meisten Menschen viel unsicherer, als in der alten Welt, wo überdies für den Einheimischen weit mehr Nothstützen in steter Bereitschaft sich finden, als es hier der Fall ist, namentlich für den „Fremden.“ Deswegen mag auch der Glücklichste, sobald er die Dinge um sich her in ihren nur allzu raschen Wandlungen mit Nachdenken betrachtet, seines augenblicklichen Glückes nimmer so recht froh werden, wie drüben auf dem festeren Boden der alten Heimath.

Die Katastrophe, die wir meinen, hier zunächst in Bezug auf Wanda und ihre Schwester, war der plötzlich ausgebrochene Bankerott der bisherigen Arbeitgeber für unsere armen Landsmänninnen, und in dessen Folge ihre augenblickliche Arbeits- und Verdienstlosigkeit. – Ein neues und günstiges Arbeitsverhältniß, [168] nach dem Zusammenbruch eines alten sich sobald wieder herzustellen, hält eben in der Wirklichkeit eines großen Stadtlebens, wo Hunderttausende sich bewerben, viel schwerer, als man sich in Deutschland gewöhnlich einbildet. Es kann unter Umständen Monate, ja Jahre gehen, bis man wieder festen Sitz hat – wer weiß, auf wie lange! –

Nun kam zur Kränklichkeit die Zeit der Trübsal und Thränen, das Heimweh, ja die bitterste Leibesnoth. Der gutmüthige Vetter zahlte mehrere Male den Miethzins für die Unglücklichen, unterstützte sie nach Kräften und über seine Kräfte, bis er endlich aus Pflichtsorge für die eigene Familie genöthigt war, seine Verwandten ihrem Schicksal zu überlassen.

Als der Zins für die monatliche Hausmiethe wieder verfallen war, und die ehrliche Zahlangst die Armen auf’s Bitterste bedrängte, begab sich Wanda zum Hauseigenthümer, Herrn Black, und entschuldigte sich auf’s Allerdemüthigste damit: sie würden erst andern Tags ihren Arbeitslohn in Empfang nehmen, er möchte sich deswegen gedulden, sie wollten ihn dann redlich bezahlen.

Unterdessen war dem Herrn May folgender Brief von seinen Cousinen zugekommen, der wörtlich also lautete:

          „Werther Herr!
„Da wir die Vereinigten Staaten für immer zu verlassen beabsichtigen, so senden wir Ihnen hiermit Ihr Bildniß zurück. Sie würden uns verpflichten, wenn Sie nach unserer Abreise einige unserer Effecten für uns nach Europa senden wollten. Unsere Absicht mag Ihnen auffallend erscheinen, obwohl nichts natürlicher ist. Wenn Sie uns jene Gefälligkeit erzeigen wollen, so geben Sie meiner Schwester Wanda ein Zeichen durch Oeffnen und Schließen Ihres Fensters. Dieselbe wird Sie um 12 Uhr in Franklinstreet, zwischen Broadway und Churchstreet, erwarten. Wenn Sie nicht da sind, dann leben Sie wohl auf ewig!
Cäcilie.“ 
New-York, 3. September 1855.

Zum Unglück gelangte der Brief nicht rechtzeitig an seine Adresse, daher es Herrn May nicht möglich gewesen war, an dem bezeichneten Orte mit Wanda zusammenzutreffen. Deswegen schrieb Herr May einen Entschuldigungsbrief an seine Cousinen, und weil der Knabe, der den Brief übergeben sollte, die Thüre fest verschlossen fand, so legte er, einen Ausgang der beiden Schwestern vermuthend, den Brief in die Spalte zwischen Thür und Schwelle, damit sie ihn bei der Rückkehr in’s Haus fänden.

Als Herr Black, der Hausbesitzer, ein paar Tage weder die Schwestern noch den Knaben gesehen hatte, überkam ihn eine bängliche Verwunderung, da er sich zugleich eines neulichen Gesprächs mit Wanda erinnerte, die ihm sagte: „Wenn die Arbeitsstockung noch einige Zeit so andauern sollte, dann wüßten sie keine andere Hülfe, als den Knaben zu seinem Vater nach Frankreich zurückzusenden, und ihrem eigenen Leben durch Gift ein Ziel zu setzen.“

Mit schreckhafter Ahnung eilte der Hausherr nun zur Zimmerthür der beiden Schwestern, die er fest verschlossen fand, von welcher aus aber bereits ein böser Geruch sich verbreitete. Mit Hülfe herbeigerufener Nachbarn stieß er die Thüre ein – und unbeschreiblich – zum Erstarren war der Anblick, der den Eindringenden sich darbot!

Wanda lag als Leiche auf dem Bett, aus ihrem Munde floß Blut und Schaum und benetzte ihre reichen und schönen Haare. Ein trübes Blauschwarz bedeckte ihr Antlitz, sowie ihre schön gerundeten Arme, die sich über die Brust gekreuzt hatten. Ihr todtes Knäblein lag an ihrer Seite, mit dem Gesicht gegen die Wand gewendet. Ihre Schwester Cäcilie lag unweit des Bettes der Mutter- und Kindesleiche auf dem bloßen Fußboden ausgestreckt; ein Stuhl war über sie gestürzt, den sie wahrscheinlich im Herabfallen vom gemeinschaftlichen Sterbebett und im Todeskampf mit sich niedergerissen hatte. Auf einem Tische nebenan standen noch Reste von zwei Fläschchen Blausäure.

Das ganze Zimmer verkündete schon in seinem Aeußern die bitterste Armuth – nur ein einziges Bett für drei Personen, eine elende, kümmerliche Lagerstätte – leere Ecken und öde Wände, schon längst durch Nothverkäufe, Pfandverleiher-Hülfe und derlei Tröster kahl gemacht und geplündert! – Wenige alte Bücher (wir bedauern, daß Titel und Inhalt nicht auch bekannt geworden sind) fanden sich im Zimmer, und ein Laib Brod, in dem noch das Messer steckte, zur Hälfte aufgegessen.

Die Gräber auf den Todtenfeldern der Armen und Verunglückten tragen keine Namen, blos Nummern, und wenn sich irgend ein Theilnehmender die betreffende Nummer nicht merkt, so hat er auch die Möglichkeit verloren, die Ruhestätte irgend eines Todten je wieder aufzufinden.