Anna Blume, Dichtungen

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Textdaten
Autor: Kurt Schwitters
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Titel: Anna Blume
Untertitel: Dichtungen
aus: Vorlage:none
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Auflage: 1.–5. Tausend
Entstehungsdatum: 1919
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Paul Steegemann Verlag
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Erscheinungsort: Hannover
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Quelle: Commons
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[1]
KURT SCHWITTERS

ANNA BLUME

DICHTUNGEN


1919

PAUL STEEGEMANN VERLAG HANNOVER


[2]
Die Merzbilder von Kurt Schwitters sind ständig ausgestellt in der Kunstausstellung Der Sturm, Berlin, Potsdamerstraße 134a – und bei Paul Steegemann, Hannover, Marienstraße 33I, Straßenbahnhaltestelle


Alle Rechte vorbehalten
Erstes bis fünftes Tausend
Umschlagzeichnung von Kurt Schwitters

Gedruckt als 39.-40. Band der Sammlung Die Silbergäule bei Edler & Krische Hannover


[3]
DER KÜNSTLER

Die Herren vom stampfenden Leben können es nicht begreifen.

Heute – 1919!

– : da sitzt er vor einer Fliege, die ihre Flügel putzt und faltet die Hände.

Und träumt und träumt.

– – ob es auch nationalliberale Fliegen gibt?

Er hat keine rechte Vorstellung.

Fragt nur, weil der Klang ihn ekelt: eine selbstquälerische Natur.


Die Sonne ist schwarz.

Aus rauchenden Trümmern steigen zerriebene Körper.


Man hat sie mit ihren eigenen Eingeweiden zerschlagen.


Man hat sie durch Hungerdelirien gepeitscht.

Auf den verlangenden Händen tragen sie einen toten Fisch, bangend, er könne das Kreuz brechen.

Taumel im Dunstkreis ekelster Triebe.

In tanzenden Leibern starren tausendmal gemordete Herzen.

[4] Nägel sind in die Gehirne getrieben.

So wühlen die Menschen Geschichte.


Von fern her umweht ihn ihr Odem.

Er tastet.

Flackert wie ein verlegenes Kind.

Willenlos, – quer über das Bild in weißer Schrift Worte, die er an einer Planke las:

Anna Blume hat ein Vogel – –

Es ging nicht anders.


Die Herren vom stampfenden Leben erbeben:

Heute!

Den Rücken gegen den Tag!

Solcher Unfug!

Will er uns uzen?

Wer ist überhaupt Anna Blume?

Verbogenes Hirn!


Er malte das Bildnis der Zeit und wußte es nicht.

Nun kniet er vor einem Gänseblümchen und betet.

Christof Spengemann


[5]
AN ANNA BLUME
Merzgedicht 1

O du, Geliebte meiner siebenundzwanzig Sinne, ich
liebe dir! – Du deiner dich dir, ich dir, du mir.
– Wir?
Das gehört (beiläufig) nicht hierher.
Wer bist du, ungezähltes Frauenzimmer? Du bist
– – bist du? – Die Leute sagen, du wärest, – laß
sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.
Du trägst den Hut auf deinen Füßen und wanderst auf
die Hände, auf den Händen wanderst du.
Hallo, deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt.
Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich dir! – Du
deiner dich dir, ich dir, du mir. – Wir?
Das gehört (beiläufig) in die kalte Glut.
Rote Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?

Preisfrage:
1. Anna Blume hat ein Vogel.
2. Anna Blume ist rot.
3. Welche Farbe hat der Vogel?

Blau ist die Farbe deines gelben Haares.
Rot ist das Girren deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid, du liebes grünes
Tier, ich liebe dir! – Du deiner dich dir, ich dir, du
mir, – Wir?
Das gehört (beiläufig) in die Glutenkiste.
Anna Blume! Anna, a-n-n-a, ich träufle deinen
Namen. Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.
[6] Weißt du es, Anna, weißt du es schon?
Man kann dich auch von hinten lesen, und du, du
Herrlichste von allen, du bist von hinten wie von vorne:
„a-n-n-a“.
Rindertalg träufelt streicheln über meinen Rücken.
Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir!


MOLKENSCHWERE
SILBERBLÄTTERBLÜTE

Gedicht 27

Glant zersieden Zeterzacken
Rieselbäume schiffen grinsen Blumen
Lenzen duftet Fackeln loh
Sprühen Blasen Rindertalg (infolge Papiermangels)
Flinken Beine Schwefel Arme Marc Chagall
Mir
Mir Fontänen
Fließen in sich und ersticken stak
Paare du mir
Blättre klettre sprießen fließen
Paare du mir
Deine Ströme glänzen gieren
Elend schwängert Seegelboote (Puppenküchenein-
richtungskasten)
Ich umnachte mir


[7]
DIE WELT
Gedicht 2

Häuser fallen, Himmel stürzen ein.
Bäume ragen über Bäume.
Himmel grünt rot.
Silberne Fische schwimmen in der Luft.
Sie verbrennen sich nicht.
Sie sind ja so innig.
Im ewigen Silber glänzt ihre Frühe.
Und der Wahn schwillt heran und brüstet sich über
die Himmel.
Millionen silberne Fische zittern über die Weite.
Doch sengen sie nicht ihre silbernen Flügel.
Sanft weht die Luft vom silbernen Flügelschlag.
Brüsten sich Menschen –
Knien Seelen –
Riesengroß wächst der Wahn über die Weite.


AM RANDE MEINES WELKENS BIN
ICH SANFTE NACHT

Gedicht 14

Sägen knien Regen welken Tage
Sanften fromme Tiefe sanfte Hände
Tropfen wunde Nächte nächtelang
Wunden sanfte Riesen wölben Dom.


[8]
ERHABENHEIT
Gedicht 8

Kirchen türmen ein Mensch.
Lastet Sonne Hochgebirge.
Steil durchbrechen.
Glut verrinnt umragen Zacken.
Leiberheiß – seelennah.
Wärme umglutet Gluten!
Klein ich?
Groß!
Arm ich?
Reich!
Wuchtet Riesen Hochgebirge,
Wuchtet Riesen ich!
Kirchen türmen, lastet steil!
Gluten Mensch wuchtet lasten Sonne.
Ich?
Umglute
Steil!


ICH WERDE GEGANGEN
Gedicht 19

Ich taumeltürme
Welkes windes Blatt
Häuser augen Menschen Klippen
Schmiege Taumel Wind
Menschen steinen Häuser Klippen
Taumeltürme blutes Blatt.


[9]
NÄCHTE
Gedicht 7

Innige Nächte
Gluten Qual
Zittert Glut Wonne
Schmerzhaft umeint
Siedend nächtigt Brunst
Peitscht Feuer Blitz
Zuckend Schwüle.
O wenn ich das Fischlein baden könnte!
Zagt ein Innen
Zittert enteint
Giert schwül
Herb
Du –
Duft der Braut
Rosen gleißen im Garten.
Schlank stachelt Fisch in der Peitschluft.
Wunden Knie
Wogen Brandung Wonne
O diese Qual, daß ich nicht fliegen kann!
Wonne umtaucht
Geistert Pfiff.
Ich sehne deine Wogen
Du!
Meine Glut fiebert Tod!
Ich umwoge
[10] Innenjauchzt
Peitscht still Inbrunst
Überquillt schrill.
Kniet Tau auf dem Fischlein
Es schlüpft seine Beinchen.
Weiße Beinchen hat das Fischlein.
Weiße Augen hat der Tod!
Blau leuchtet innig
Fest peitscht innig Nacht.
Ich
Zerwoge
Bleicht müde
Blaut Qual Sonne.


AN JOHANNES MOLZAHN
Gedicht 37

Kreisen Welten Du.
Du kreist Welten.
Du überwindest zwitschern Apyl, den Was-
sern die Maschine.
Welten schleudern Raum.
Du schleuderst Welten Raum.
Welten wenden die neue Maschine Dir.
Dir.
Du, deiner die neue Maschine Raum.
Und Achsen brechen Ewigkeit.
Das Werk, dem wir, uns Erbe, Du.


[11]
GRÜNES KIND
Gedicht 1

Eingekerkerte Luft steilt.
Der Mord überwölbt Blut.
Wenn ich diese Mauern scherben könnte!
Mauer lechzt uns.
O diese Glut der umarmenden Mauer!
Kerker einigt –
Blut kerkert –
Blut steilt –
Riesengroß Blut überwölbt.
Laufen –
Fliehen –
Angst –
Steilt Blut –
Grün.
Schuß –
Wer schießt? –
Blut?
Schwefel –
Füße überstolpern –
Beine überhetzen –
Blut –
Angst –
Jagen –
Fliegen –
Schreien –
[12] Blut grinst gelb – hell – gelb –
Gelbgrün –
Hellgelbgrün –
Schwefelgelbgrün –
Hellschwefelgelbgrün –
Blut grinst hellschwefelgelbgrün.
Wenn ich das grüne Blut waschen könnte!
Blut waschen –
Baden Blut –
Blut baden.
O du wonnig weißes Blut meiner Braut!
Grünes Blut steilt –
Schreit –
Jauchzt? –
Grellt –
Sei stumm gelbgrünes Blut!
Schwefel brennt grün!
Ich –
Laufe –
Schreie –
Ich trage meine Qual auf Händen –
Wie ein Kind –
So, so weine doch nicht!
Kind, liebes, grünes!
Ich bin doch deine Mutter!
Liebes Kind –
Grünes –
Weint Kind?
[13] Schwefelgelbes Kind, wie feuerrot bist Du!
Rot –
Blut –
Schwefelgelb –
Grün –
Steilt Verdammnis –
Jagen –
Schreien –
Foltern –
Wahnsinnig die Jagd!
Das Glück?
Du Glück!
Dich liebe ich!
Du –
Weißes Blut, Du!
Aber da steilt!
Schwefelgelb, grün –
Abscheulich grünes Kind!
Wir laufen,
Auf meinem Arm.
Klammere dich!
Die Mauern klammern!
Wir laufen Mauern –
Mauern klammern –
Sie laßen dich mir –
Du und ich –
Grünes Kind –
Du und ich –
[14] Mauern ragen –
Blut steilt grün.
Mauern klammern –
Gelbliches Verstehen –
Dunkelrotes Brüsten –
Sie wollen dich nehmen! –
Nein!
Geilen nur –
Geben zurück –
Blutrot zurück –
Grünes Kind, wie siehst du blutrot aus!
Draußen fliegen schwarze Hunde.
Mauern ragen –
Mauern klammern –
Ich erwarte –
Grünes Kind!
Seelig dein Blick!
Schwarze Hunde fliegen um die Mauern –
Grünes Kind,
Bist mein!
Schwarze Hunde,
Fliegt uns fort!


[15]
ACHTUNG,
BITTE PRIVATHERRSCHAFTEN!

Gedicht 29

Hier darf nicht gestohlen werden, Einwohner ist Mitglied der Bürgerwehr. Die Machtbildung einer Lage ist Zugreifen, das beweist Noske. Ann empfing heute in Weimar folgendes aus: Von der Nationalversammlung der Stückwerk. Als erste Bildung einer ernsten Lage Waffen vergiftete alles.

Denn der, der die, die da da goldet Glotea. (Auflösung der Familienväter.)


Ach, es geht mir etwas besser, ich bin nur neunmal heute ohnmächtig geworden!


[16]
DIE ZWIEBEL
Merzgedicht 8

Es war ein sehr begebenwürdiger Tag, an dem ich geschlachtet werden sollte. (Fürchte dich nicht, glaube nur!) Der König war bereit, die beiden Sekundanten warteten. Der Schlächter war auf halb sieben Uhr bestellt; es war ein viertel sieben Uhr, und ich selbst ordnete die nötigen Vorbereitungen an. Wir hatten eine geräumige Diele ausgewählt, so daß viele Zuschauer bequem teilnehmen konnten. Telephon war in der Nähe. Der Arzt wohnte im Nachbarhause und hielt sich bereit für den Fall, daß von den Zuschauern jemand ohnmächtig werden sollte. (Andenken an die Konfirmation.) Zwei gewaltige Flaschenzüge hingen unter der Decke, um mich nachher hochzuwinden, falls ich ausgenommen werden sollte. Vier starke Knechte standen für Handreichungen zur Verfügung, ehemalige russische Kriegsgefangene, breite, knochige Gestalten. (Zeitschrift für Haus- und Grundbesitz.) Zwei saubere Mägde waren auch zur Stelle, blitzsaubere Dirnen. Es war mir ein angenehmer Gedanke, daß diese beiden hübschen Mädchen mein Blut quirlen und meine inneren Teile waschen und zubereiten sollten.

Die Diele war sauber gefegt und gewaschen. Zwei lange, weißgescheuerte Tische hatte ich an die eine Seitenwand stellen lassen; darauf standen etliche Schalen, Messer und Gabeln. Ich ließ jetzt gerade ein Waschgeschirr, Wasser und Handtuch bringen, auch [17] etwas Seife (Sunlight.). Anna und Emma, die beiden Mägde, brachten einen Kübel und einen Quirl. Es ist doch ein eigentümliches Gefühl, wenn man in zehn Minuten geschlachtet werden soll. (Die Opfer der Mutterschaft.) Ich war bislang in meinem ganzen Leben noch nicht geschlachtet worden. Dazu muß man reif sein. Ja, überhaupt wenn die Kartoffeln erst raus müssen, und der Hafer ab ist, dann wird’s schlecht. Wir haben überhaupt noch keinen rechten Sommer gehabt. Zehn Minuten können sehr lang erscheinen. (Glaube, Liebe, Hoffnung.) (Enten gänsen auf der Wiese.) Es war alles bis aufs Kleinste vorbereitet.

Da kam auch schon die Prinzessin. Sie hatte ein kurzes weißes Röckchen an, ein wenig kraus gesessen, aber das stand ihr gerade sehr anmutig. Der Kirchturm ist nämlich sehr steil. Lenzesflur, in Freundschaft gewidmet. Hüpft strampeln Königstochter Beinchen zierlich. Ich liebe diese zierlichen strampeln Hüpfekönigstochterbeinche. Schwanz wedelt saure Sahne. Sie stellte sich Tintenglas vor mir und fragte glockenrein weiß Spitzen sauber: „Sollen Sie heute geschlachtet werden?“ Heiß fischen Messer schießen Blut. Ich senkte purpurn Augen und war von ihrem Gruß beglückt. „Wie schön bist du, Alves Bäsenstiel, ein schöner Mann!“ sagte sie rot Lippen Ader kochen Blut, glückliche Reise! keck spitzfaden Nase: „Ich bringe Dir den letzten Gruß der Welt. Nonne sollst Du werden! (Mein Haus sei Deine Welt.) (Leder ohne Kopf.) Walkleder nach Nabelmaß. Sie [18] haben es sicher diese Tage recht eilig, um alles einzurichten auf diesen ernsten Tag. (Friede sei mit dir.) Wie sind Sie so schnell reif geworden, überreif! Wie können Sie freudig auf Ihre Reife blicken! Möge sie Ihnen nur immer Freude bereiten! Wie schön, daß sich das Wetter an Ihrem Schlachttage hält, daß der Schlächter per Rad zu Ihnen fahren kann.“ (Echt Brüsseler Handarbeit.) Gesund zu sein ist Glückes Gunst. „Erlauben Sie, Prinzeßchen, daß ich eben telephoniere. Es ist bereits halb sieben Uhr, und der Schlächter ist noch nicht da.“ „Hallo! Sind Sie der Schlächter selbst? Die Zuschauer werden ungeduldig, warum kommen Sie nicht?“ (Von nun an bis in Ewigkeit!) „Beginnen Sie nur mit den Feierlichkeiten! Soeben habe ich meine Schwester als Wetterhahn auf den Kirchturm gespießt. Der Kirchturm ist nämlich sehr steil, und oben stachelt Fisch in der Peitscheluft. Der Blitzableiter war sehr verrostet und wollte nicht recht durch den Bauch meiner Schwester spießen. Doch blank stachelt Fisch in der Peitschestank. Beginnen Sie nur mit den Formalitäten!“

Ich ließ den König rufen. „Majestät, ich befehle Euch meine schöne Gestalt! Befehlen Eure Majestät über meinen Leichnam!“ (Die sechsgespaltene Millimeterzeile kostet 20 Pfennig.) Der König winkte. (Fortuna Schärfmaschine.) Die beiden Sekundanten in schwarzem Gehrock und schwarzen Handschuhen, Zylinder und schwarzer Binde stellten sich zur Seite des Königs auf. Ein schwarzer Hund flog krächzend vorbei. Der [19] König winkte wieder. Die vier Russen, Anna und Emma machten sich bereit für Handreichungen. Der König winkte wieder. Die Sekundanten näherten sich mir, stellten sich vor und fragten mich nach meinem letzten Wunsche. (Schau auf zum Stern!) Ich bat darum, daß die Prinzessin das große Arbeiterlied singen und mich dann küssen möchte. (Unköpfige Hälse, Vacheleder.) Eine Dame aus der Begleitung des Königs fiel ohnmächtig zu Boden. Man holte den Arzt. Fest peitscht innig. Die Prinzessin sang:

„Arbeiter orgelt
cis–d
dis–es
is–e
du deiner dir dich,“

das ganze große Arbeiterlied. Laternenpfahl orgelt küssen breite Röcke wogen weiße Spitzen Kuß. Schlingen Arme breite Röcke wogen Hals Spitzen warme Röhren glatten schlank Fische Karpfen, Karpfen, Karpfen. (Prière de fermer la porte.) Bitte, bitte Tür zu, Du, Du, Du! Ich liebe Dich ja so sehr! (Die Welt mit ihren Sünden.) Nun schlachtet mich!

Der König winkt wieder, der Schlächter fährt vor. Das Haus ist stumm. Pro patria est, dum ludere videmur, (Blau-rot-gelbe Mädchenkompanie.) (Rauchen verboten, ebenso das Inderhandhalten einer nicht brennenden Zigarre.) Zwei Knechte führen sein Fahrrad ab. (Reichsnotopfer.) Ein Knecht bringt eine Keule, groß [20] Ballon zitronenbleich. (Halte, was du hast!) Der Schlachter hat einen blaugestreiften Kittel wehen Tuch. (Zuckerrübenmädchen.) Oktober neigt Zeremonie Rivalen Sekundanten. – Los! – Ich Igel! – Der Schlächter lehnt zurück, schräg Kopf, die Keule hinten oben. (Die höchste Zier, die schönste Freud ist eine traute Häuslichkeit!) Der Schlächter springt vor (Das ist die Liebe!), schwingt Keule senken senken schwer schwer schwer, innig peitscht senken schwer schwer sehr sehr sehr sehr. –

Mein Schädel brach ein.

Nun mußte ich zusammenbrechen; also brach ich zusammen zusammen zusammen, flach. Aaaaa aaaaaaa aaa aaaaa b.

(Beifall auf allen Bänken.)

Was sollte nun werden? Man band meine Arme und meine Füße an Winden, Winden winden empor. Senken schlingt flach zusammen schief ausgebreitet. (Aufruf an alle Hand- und Kopfarbeiter.) Man stach mich in die Seite. Blut rinste Eimer blau Strahl rot dick Peitsche. Dreht Mägde Quirl zusammen rädern Eisenbahn Maschinen quirlen Emma Anna. (Unschuldsvoll zu heil’gem Bund hast Du heut Dein Herz geweiht!) Der König verlangte zu trinken. Blau sengte Flamme Mord sehr ab sehr ab. Hohl brennt der Magen Flamme Schwefel Blut. Seit der Zeit hat der König keinen Bart mehr. Bleib treu der Pflicht, sei getreu. (Überreicht von der Schriftleitung.) Es hat nämlich alles seine [21] Wissenschaft. (Amplificatores, Rätegenossenschaft für kapitalistischen Aufbau, Berlin.)

Man wollte mich ausnehmen. (Neueste Moccabonbons, Neuheit.) Umsteiger fahren Messer schlitzen zittern Eingeweide. (Friedensware.) Es war ein sehr begebenwürdiges Gartenrestaurant. Ich fühlte tausend Freuden Retter morgen zwanzig. Drei Lustren nur hat das im Glashaus gezüchtete Wesen geblüht. (Brausender Beifall.) Mondkalb glänzt innen sanft zog Eingeweide Fett Schmerz sanft enttäubt. (Alles für die rote Armee.) Sauber, sauber, seid sauber Mädchen, sauber beim Waschen, daß nichts verbrennt. (Gott schütze dich.) (Gott schütze dich.)

Flamme heiß, Flamme heiß! Regenwürmer spielten innen sanft in meinem Bauche, es kitzelt leise. Der König gierte meine Augen. Hol, Königstochter, mir die Augen des Jochanaan! (Heut ziehst du aus dem Vaterhaus!) Runde Kugeln innen glatten Schleim sprangen aus die Augen sanfte Hände voll entgegen. Auf einem Teller, Messer, Gabel servierte man die Augen. (Schwerhörige und ertaubte Krieger erhalten kostenlos Rat und Auskunft.) Glatt schleimte Austern Augen senken Magen schwer. Kinder unter zwölf Jahren werden nur in Aufsicht und unter Begleitung Erwachsener zugelassen, Kinder unter acht Jahren müssen außerdem auf Verlangen an der Hand geführt werden. (Eintrittsgeld 50 Pfennige, mindestens aber eine Mark.)

„Gift!“ schrie der König und wälzte sich am Boden. (Die Welt zu vermehren, steht die Wiege hoch in Ehren.) [22] „Träume süß, ich bin vergiftet.“ (August hat 31 Tage, die Tage nehmen eine Stunde und 56 Minuten ab.) Ja, es ist furchtbar. „Herr, ich baue auf Dich, ich hebe meine Hände!“ Zwei Pilze wuchsen Augen Stiel glatt Knollen Milch empor und bohrten Löcher zwei in Königs Bauch. Stiläugig äugten Augen. Stumm schreckte König Kreide. Die Prinzessin hatte ein fürchterliches Herzklopfen. (Acetylen beseitigt den Geruch körperlicher Absonderungen.) Ihr Vater tat ihr so schrecklich leid. Der Arzt wurde gerufen und bemühte sich um die Löcher im Bauche des Königs. (Veritas vincit, mit Anna Blume in der Hauptrolle.) Der alte König war ohnmächtig geworden. Furcht gipfelt Silbersaiten Stein zu Stein. Die Prinzessin winkte und befahl, daß ich wieder zusammengesetzt werden sollte. (So werden Bettfedern gereinigt, entstäubt, gewaschen, gedämpft und getrocknet.)

Man begann mich wieder zusammenzusetzen. Mit einem sanften Ruck wurden zuerst meine Augen in ihre Höhlen gedrückt. (Fürchte dich nicht, Glaube, Liebe, Hoffnung sind die Sterne.) Dann holte man meine inneren Teile. Es war zum Glück noch nichts gekocht, auch noch nichts zu Wurst zerhackt. (Vaincu, mais non dompté.) Und doch ist man zufrieden, wenn man noch einen schönen Herbst kriegt. Infolge der mir eigenen inneren magnetischen Ströme schossen meine inneren Teile, sobald sie eingesetzt waren, ruckweise zusammen und hafteten fest und richtig aneinander. [23] (Die Kunst des glücklichen Lebens in der Ehe.) Beim Ordnen der Eingeweide waren gewisse Schwierigkeiten zu überwinden, weil sie ein wenig durcheinander geraten waren. (Der heilige Florian ist ins Deutsche Theater übergesiedelt. Allabendlich stürmische Heiterkeitserfolge.) Aber ich merkte, was los war und lenkte meine magnetischen Ströme hin und her, kreuz und quer, eins zwei eins zwei eins zwei eins der Ton zerwühlen Balken im Auge. Ich zog und zerrte magnetisch an den Eingeweiden, bis alle wieder richtig an gewohnter Stelle lagen. Dabei kam mir meine Kenntnis des inneren Menschen sehr zu gute. (Ein Jahr Probedienst, dann feste Anstellung als preußischer Staatsbeamter.) Jawohl! Man hatte meine festen Teile mittlerweile zusammengesetzt, nun fehlte das Blut noch. (Bordens sweet milkchocolate.) Die Mägde hielten die Schale mit Blut unter den Stich in der Seite und quirlten umgekehrt. Der König stöhnte laut. Durch meine magnetischen Ströme hob sich ein dicker Strahl Blut aus der roten Fläche und stieg in meine Wunde in der Seite. (Was jede Frau wissen muß, darf man dem Mädchen nicht sagen.) Meine Adern füllten sich langsam, das Herz war voll, die inneren Teile nahmen Blut auf. Aber das Herz rührte sich noch nicht, ich war noch tot. (Frisch gestrichen.) Der Schlächter berührte die Wunde in meiner Seite mit dem Messer, stach tief hinein und zog das Messer heraus, und – die Wunde war zu. (Hier abtrennen und an obige Adresse [24] senden.) Darum sollte jede Frau wenigstens nach der Eheschließung sich belehren. Ich hatte meine Teile nun wieder zusammen, es waren bloß einige Lücken, da kleine Fetzchen an den Messern haften geblieben waren. Der Wunsch und das Bedürfnis dazu ist wohl vorhanden, aber es fehlt an Gelegenheit. Es fehlte auch ziemlich viel Blut, weil der König es getrunken hatte. (Für die Ideale des Sozialismus.) Seit der Zeit bin ich etwas blutarm. Nimm den Käfig mit nach Hause und kauf dir einen Vogel. Man senkte Winden winden Flaschenzüge hinab. Nun mußte ich mich aufrichten, das fühlte ich, und so richtete ich mich auf; erst sehr schnell, dann immer langsamer werdend, bis ich stand. (Ruppig geworden sind mir Herz und Maul.) Im Reiche der Burgunden wuchs ein Mägdelein; ich bin ja nur ein Weib. Sei eingedenk, o Kind, wohin du ziehst! Werde fromm und gut! Bleib fromm, o Kind, tritt ohne Scheu ins Leben ein! (Wählt sozialistisch!) Die beiden Sekundanten nahmen feierlich neben mir Platz und faßten meine Hände. (Anfertigung von Recepten für alle Krankenkassen.) Die schöne Kinderzeit verrann, der Kampf des Lebens fängt nun an. Ich war sehr gespannt darauf, wie man mich nun zum Leben wiedererwecken wollte. (Ismusordner von Jefim Golycheff.) Das Berühren der Sammlungsgegenstände ist aufs Strengste untersagt. Mir schwindelte. (Strindberg leise unterwühlen Stramm.) Unser guter alter Lehrer pflegte seinen Unterricht gern mit etwas Humor zu würzen, [25] und das war kein Fehler. (Sonnenblick.) Ich glaube an gar nichts. (Posaunenfest.) Richtig geraten! Aufruf in schwerster Zeit an bibelgläubige evangelische Lehrerinnen! (Was der Mann von der Schwangerschaft und Entbindung wissen muß!) Dein Maul ist eine Säge. (Zahnarzt Sonnenschein.) Der Schlächter nahm seine Keule wieder zur Hand (Die Tragödie der Menschwerdung.), stellte sich vor mich (Das Verhalten des Mannes während der Schwangerschaft.) und legte die Keule sanft auf meinen gespaltenen Schädel. (Rudolf Bauer ist doch ein Künstler.) Anna Blume warten lilablaue Rosen schießt Stachel Lücke Lunkebett. (Reif zum Pflücken, innig vereint.) Teilweise Aufklärung verfehlt ihren Zweck. Dann sprang der Schlächter mit einem gewaltigen Ruck zurück. (Der Oberst ist und bleibt ein Gentleman, wenn er auch ein Idiot ist.) Die Frau muß alles wissen. Es gab einen gewaltigen Krach, als die Keule sich von meinem Kopfe löste. Die Gelegenheit hierzu bietet ein nur für Frauen bestimmtes Werk. Inhaltsverzeichnis: 1. Wie man Liebe gewinnt. – 2. Die gezähmte Widerspenstige. – 3. Was Mädchen beim Manne schätzen. – 4. Etwas vom Küssen. – 5. Wie man Eindruck machen kann. – 6. Wenn man einen Korb erhält. – 7. Ist die Ehescheu berechtigt? – 8. Ursachen der Keuschheit. – 9. Ältere Ansichten. – 10. Wie kann man Maß halten? – 11. Ein guter Rat. – 12. Ist Liebe blind? – 13. Wie erkennt man echte Liebe? – 14. Das Vorleben des Mannes. – [26] 15. Das Intimste vom Intimen. – 16. Der neue Glaube. – 17. Der dunkle Stern. Der Schlächter sprang rückwärtsgehend in seine ursprüngliche Ausgangsstellung zurück. (Er soll dein Herr sein.) Die Stütze der Firma aber bleibt hübsch brav. (Jamais embrassé.) Die Stücke meines Schädels flogen wieder zusammen, ich war so ungefähr wieder heil. (Süßer Augenblick.) Puffer machste nich, und Jurken sind dich zu fett. Das Theater ist überhaupt nur da für Menschen, die überhaupt keine Menschen sind. Versand erfolgt gegen Voreinsendung des Betrages, das Buch ist reich illustriert. Es war ein ganz eigentümliches Gefühl, wieder lebendig zu sein. Selterswasser Segel leuchten Duft Maria. Ich fühlte, daß ich ein wenig Pose machen mußte, und so machte ich ein wenig Pose. (Der König starb gerade.) Mit großer Geste ging ich auf die Königstochter zu und reichte ihr stumm die Hand. (Küsse mich!) Die Königstochter fiel vor mir auf ihre hübschen Spitzenknie. (Aus der engeren Heimat.) Der Arzt fletschte inzwischen Eisbeine. Fortsetzung der offenen Stellen in der Beilage. Sie bat mich inständig, nun ihren Vater zu erretten. (Das Glück im Haidehaus.) Ich wußte, daß ich hier nicht gutmütig sein durfte, an der Gutmütigkeit erkennt man den Dummen. (Anna Blume bleibt hart.) (Gefährliches Alter.) „Dein Vater,“ sagte ich, „der König, der König bleibt tot.“ (Schleifleder aus Seehundsfellen.) Der Arzt fiel in Ohnmacht. Ich ließ dem König zwei gelbe Wachskerzen in die Löcher [27] im Bauch stecken und ließ die Kerzen anzünden. (Briefmarken werden in Zahlung genommen.) Als die Flamme durch die Löcher in den Bauch des Königs schlug, explodierte der König. Das Volk aber brachte ein Hoch auf mich aus. (Sozialismus heißt arbeiten.)


DAS VERWESUNGSWESEN

Auch das Herumsteigen unter dem Namen „die“ ist
nicht unbequem.
Die Uhr entgrünt die Falten kleidet Seide.
Trompete steigen Anna Blume Elefant. (Radiumhaltig.)
Die Plätze mit dem Rücken sind die teuren Plätze.
Du.
Den großen Gang kann ich auch dir nicht vorenthalten.
Die du, da du, der den.
N.B. Anna Blume und Arnold Böcklin haben die gleichen Anfangsbuchstaben: A.B.


[28]
HINRICHTUNG
Merzgedicht 9

Ein Mensch verlangte die Hinrichtung Anna Blumes. Hinrichten wuchtet Kreuzigung. Anna Blume kreuzigen hinrichtet Euch. Ring strahlt das Messer wuchten Schartten schwingen Messer. Ring strahlt das Messer Eure Köpfe, ohne Kopf. Ring wogen Leichen ohne Köpfe Taumel, Taumel.

Menschen! Menschen hirnen Menschen. Ihr Menschen mit dem Gehirn eines Menschen. (Aber mein Herr!) Menschen sind weise, Anna Blume hat ein Vogel.

O du, Geliebte meiner siebenundzwanzig Sinne, A-N-N-A, auch von hinten, du, der ich liebe, du deiner dich dir, das darf nicht sein. Gärten schlingen Welten Kuß. Gärten blühen Hände, Wiesen wohnen Zelte, Himmel welkt Faden, Herbst drahtet Zeiten. Du aber, du Herrlichste, grünst Vogel. Du sättigest tönen Messer die Gefilde. Welkt Erde? Wandern Menschen müssen sterben? Der irre Strahl erhaben glänzt dein Leibern. Tod innig hart peitscht innig Tore Wein.

Stirb nur, du weiser Mensch. Du grünest Menschenhirn. Du grünest zittern Menschenhirn. Du stirbst, ich sterbe Mensch, Anna Blume lebt Welten. O du, Geliebte, du grünt Leben welkes Blatt.

Welkt Faden Menschen?

Arme Beinen senken Leiber.

Anna Blume grünt das Welken.


[29]
AN EINE ZEICHNUNG MARC CHAGALLS
Gedicht 28

Spielkarte leiert Fisch, der Kopf im Fenster.
Der Tierkopf giert die Flasche.
Am Hüpfemund.
Mann ohne Kopf.
Hand wedelt saure Messer.
Spielkarte Fisch verschwenden Knödel Flasche.
Und eine Tischschublade.
Blöde.
Und innig rundet Knopf am Tisch.
Fisch drückt den Tisch, der Magen übelt Schwerterstrich.
Ein Säuferstiel augt dumm das klage Tier,
Die Augen lechzen sehr den Duft der Flasche.


PORTRAIT RUDOLF BLÜMNER
Gedicht 30

Der Stimme schwendet Kopf verquer die Beine.
Greizt Arme qualte schlingern Knall um Knall.
Unstrahlend ezen Kriesche quäke Dreiz.
Und Knall um Knall.
Verquer den Knall zerrasen Fetzen Strammscher quill.
Und Knall um Knall.
Und Knall um Knall.
Kreuzt Arme beinen quillt den Stuhl.
Der Stuhl ist eine Schraube, klammerwinden Stramm.
Und Knall um Knall der Stimme köpft.
Die Beine schrauben Arme würgend liß.


[30]
ICH WERDE ERBAUT
Gedicht 18

Kurbel dämmert Kopf Gelächter.
Tief zu Innen zages Land.
Ferne Hütten welken Tau.
Du.
Wiesen bluten Weideschnee.
Wiesen bluten Blut.


ABEND
Gedicht 25

Glut streichelt sanfte Welten Kuß
Pfiff Sonne Faden Sonne (Zeppelin)
Ich Faden Sonne Glimmerglanz
Und Glimmergluten sanftet Welt.


GOLDENE STÄBE
Gedicht 26

Herbsten Zelte,
Herbsten Schwäne Liebe?
Glut zerbröckelt Leichenwein
Faden stoppelt Mückentanz
Unitas zerdomen Schwäne.
Du, Luise!
Blume blütet Abend strömen Stäbe.
Du, Luise!


[31]
DIE MERZBÜHNE

Nur ungern entschloß ich mich, diesen „Artikel“ aus Mangel an Spiritus in den Handel zu bringen. Sobald wieder genügend Spiritus zur Anfertigung des alten guten Feuilletonstils zu haben sein wird, stelle ich den Vertrieb des Merzstils wieder ein, falls er nicht nachverlangt wird. Unzufriedene erhalten ihr Geld zurück. Ich bitte in diesem Falle um Nachricht, warum Sie unzufrieden waren, in wiefern Sie keinen Erfolg bemerkten, wie lange und wie oft Sie den Artikel lasen, und gegen welche Krankheit. Ferner bitte um Rücksendung des angebrauchten Silbergauls als Muster ohne Wert. Der Betrag für ungeknickte Exemplare erfolgt vermutlich Spiritus-Zentrale kitten Weimar umgekehrt.

Mit ausgezeichneter Hochachtung

Alves Bäsenstiel



AN ALLE BÜHNEN DER WELT

Ich fordere die Merzbühne.

Ich fordere die restlose Zusammenfassung aller künstlerischen Kräfte zur Erlangung des Gesamtkunstwerkes.

Ich fordere die prinzipielle Gleichberechtigung aller Materialien, Gleichberechtigung zwischen Vollmenschen, Idiot, pfeifendem Drahtnetz und Gedankenpumpe.

Ich fordere die restlose Erfassung aller Materialien vom Doppelschienenschweißer bis zur Dreiviertelgeige.

Ich fordere die gewissenhafteste Vergewaltigung der [32] Technik bis zur vollständigen Durchführung der verschmelzenden Verschmelzungen.

Ich fordere die abstrakte Verwendung der Kritiker und die Unteilbarkeit aller ihrer Aufsätze über die Veränderlichkeit des Bühnenbildes und die Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnisse überhaupt.

Ich fordere den Bismarckhering.

Man setze riesenhafte Flächen, erfasse sie bis zur gedachten Unendlichkeit, bemäntele sie mit Farbe, verschiebe sie drohend und zerwölbe ihre glatte Schamigkeit. Man zerknicke und turbuliere endliche Teile und krümme löchernde Teile des Nichts unendlich zusammen. Glattende Flächen überkleben. Man drahte Linien Bewegung, wirkliche Bewegung steigt wirkliches Tau eines Drahtgeflechtes. Flammende Linien, schleichende Linien, flächende Linien überquert. Man lasse Linien miteinander kämpfen und sich streicheln in schenkender Zärtlichkeit. Punkte sollen dazwischensternen, sich reigen, und einander verwirklichen zur Linie. Man biege die Linien, knacke und zerknicke Ecken würgend wirbelt um einen Punkt. In Wellen wirbelnden Sturmes rausche vorbei eine Linie, greifbar aus Draht. Man kugele Kugeln wirbelnd Luft berühren sich. Einander durchdringend zereinen Flächen. Kisten kanten empor, gerade und schief und bemalt. In sich Klappcylinder versinken erdrosselt Kisten Kasten. Man setze Linien ziehend zeichnen ein Netz lasurierend. Netze umfassen verengen Qual des Antonius. Man [33] lasse Netze brandenwogen und zerfließen in Linien dichten in Flächen, Netzen die Netze. Man lasse Schleier wehen, weiche Falten fallen, man lasse Watte tropfen und Wasser sprühen. Luft bäume man weich und weiß durch tausendkerzige Bogenlampen. Dann nehme man Räder und Achsen, bäume sie auf und lasse sie singen (Wasserriesenüberständer). Achsen tanzen mitterad rollen Kugeln Faß. Zahnräder wittern Zähne, finden eine Nähmaschine, welche gähnt. Empordrehend oder geduckt, die Nähmaschine köpft sich selbst, die Füße zu oben. Man nehme Zahnarztbohrmaschine, Fleischhackmaschine, Ritzenkratzer von der Straßenbahn, Omnibusse und Automobile, Fahrräder, Tandems und deren Bereifung, auch Kriegsersatzreifen und deformiere sie. Man nehme Lichte und deformiere sie in brutalster Weise. Lokomotiven lasse man gegeneinander fahren, Gardinen und Portieren lasse man Spinnwebfaden mit Fensterrahmen tanzen und zerbreche winselndes Glas. Dampfkessel bringe man zur Explosion zur Erzeugung von Eisenbahnqualm. Man nehme Unterröcke und andere ähnliche Sachen, Schuhe und falsche Haare, auch Schlittschuhe und werfe sie an die richtige Stelle, wohin sie gehören, und zwar immer zur richtigen Zeit. Man nehme meinetwegen auch Fußangeln, Selbstschüsse, Höllenmaschinen, den Blechfisch, in dem man Puddings backt (Kritiker) und den Trichter, natürlich alles in künstlerisch deformiertem Zustande. Schläuche sind sehr zu empfehlen. Man [34] nehme kurz alles, von der Schraube des Imperators bis zum Haarnetz der vornehmen Dame, jedesmal entsprechend den Größenverhältnissen, die das Werk verlangt.

Menschen selbst können auch verwendet werden.

Menschen selbst können auf Kulissen gebunden werden.

Menschen selbst können auch aktiv auftreten, sogar in ihrer alltäglichen Lage, zweibeinig sprechen, sogar in vernünftigen Sätzen.

Nun beginne man die Materialien miteinander zu vermählen. Man verheirate z. B. die Wachstuchdecke mit der Heimstättenaktiengesellschaft, den Lampenputzer bringe man in ein Verhältnis zu der Ehe zwischen Anna Blume und dem Kammerton a. Die Kugel gebe man der Fläche zum Fraß und eine rissige Ecke lasse man vernichten durch 22 tausendkerzige Bogenlampenschein. Man lasse den Menschen auf den Händen gehen und auf seinen Füßen einen Hut tragen, wie Anna Blume. (Katarakte.) Schaum wird gespritzt.

Und nun beginnt die Glut musikalischer Durchtränkung. Orgeln hinter der Bühne singen und sagen: „Fütt Fütt“. Die Nähmaschine rattert voran. Ein Mensch in der einen Kulisse sagt: „Bah“. Ein anderer tritt plötzlich auf und sagt: „Ich bin dumm“. (Nachdruck verboten.) Kniet umgekehrt ein Geistlicher dazwischen und ruft und betet laut: „O Gnade wimmelt zerstaunen Halleluja Junge, Junge vermählt tropfen Wasser.“ Eine Wasserleitung tröpfelt ungehemmt eintönig. Acht. Pauken und [35] Flöten blitzen Tod, und eine Straßenbahnschaffnerspfeife leuchtet hell. Dem Mann auf der einen Kulisse läuft ein Strahl eiskaltes Wasser über den Rücken in einen Topf. Er singt dazu cis d, dis es, das ganze Arbeiterlied. Unter dem Topfe hat man eine Gasflamme angezündet, um das Wasser zu kochen, und eine Melodie von Violinen schimmert rein und mädchenzart. Ein Schleier überbreitet Breiten. Tief dunkelrot kocht die Mitte Glut. Es raschelt leise. Anschwellen lange Seufzer Geigen und verhauchen. Licht dunkelt Bühne, auch die Nähmaschine ist dunkel.

Ich fordere Einheitlichkeit in der Raumgestaltung.

Ich fordere Einheitlichkeit in der Zeitformung.

Ich fordere Einheitlichkeit in der Begattungsfrage, in bezug auf Deformieren, Kopulieren, Überschneiden. Das ist die Merzbühne, wie sie unsere Zeit braucht.

Ich fordere Revision aller Bühnen der Welt auf der Grundlage der Merzidee.

Ich fordere sofortige Beseitigung aller Übelstände.

Vor allen Dingen aber fordere ich die sofortige Errichtung einer internationalen Experimentierbühne zur Ausarbeitung des Merzgesamtkunstwerkes.

Ich fordere in jeder größeren Stadt die Errichtung von Merzbühnen zur einwandfreien Darstellung von Schaustellungen jeder Art. (Kinder zahlen die Hälfte.)


[36]
SELBSTBESTIMMUNGSRECHT DER KÜNSTLER
Nachwort

Himmelwelten Eisenzelte, Bahnhof und Paul Steegemann. Aus diesem Grunde entschloß ich mich zur Herausgabe dieser Sammlung meiner Gedichte, amen.

Was heißt dichten? 2×2=4, das ist noch kein Gedicht. (Die Luftlinie Syrakus, Butterbrot, Zentralheizung.) Es ist sehr schwer, eine Aussage dichterisch zu verwenden. Stramm schlagen tausend, ja sogar Millionen. (Reinigungssalz findet Anwendung bei den verschiedensten Magenbeschwerden.) Stramm schlagen tausend, ja sogar Millionen. Stramm war der große Dichter. Die Verdienste des Sturm um das Bekanntwerden Stramms sind sehr. Die Verdienste Stramms um die Dichtung sind sehr

Abstrakte Dichtung.

Die abstrakte Dichtung wertet Werte gegen Werte. Man kann auch „Worte gegen Worte“ sagen.

Das ergibt keinen Sinn, aber es erzeugt Weltgefühl, und darauf kommt es an. (Der Gemeine muß jedem Offizier Achtung und Gehorsam erweisen.)

Übertragung der Weltanschauung des Künstlers. (Hühneraugenmittel in der Friedensgesellschaft, Kriegsware.) Totalerlebnis grünt Hirn, jedoch auf die Formung kommt es an.

Reim, Rhythmus und Ekstase dürfen nie zur Manier werden. (Bei eintretender Dunkelheit werden [37] dieselben gratis ergänzt, also nur einmalige Ausgabe.)

Das ist die abstrakte Dichtung.

Die Merzdichtung ist abstrakt. Sie verwendet analog der Merzmalerei als gegebene Teile fertige Sätze aus Zeitungen, Plakaten, Katalogen, Gesprächen usw., mit und ohne Abänderungen. (Das ist furchtbar.) Diese Teile brauchen nicht zum Sinn zu passen, denn es gibt keinen Sinn mehr. (Das ist auch furchtbar.) Es gibt auch keinen Elefanten mehr, es gibt nur noch Teile des Gedichtes. (Das ist schrecklich.) Und Ihr? (Zeichnet Kriegsanleihe!) Bestimmt es selbst, was Gedicht, und was Rahmen ist.

Anna Blume verdanke ich viel. Mehr noch verdanke ich dem Sturm. Der Sturm hat meine besten Gedichte zuerst veröffentlicht und meine Merzbilder zuerst in Kollektion gezeigt.

Einen Gruß an Herwarth Walden!

Kurt Schwitters


Der Übergang vom alten plumpen Pincenez zum neuen, eleganten Fingerkneifer für jeden ein Schmuck des Gesichts.