Auf dem Anschuß

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl Brandt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auf dem Anschuß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 132
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[132] Auf dem Anschuß. Es war in der Nacht „eine Neue“ gefallen, ein Ereignis, welches jeder Jäger freudig begrüßt. Frischer Schnee ist für ihn ein interessantes Jagdregister, in das alle Waldgeheimnisse vom Wilde selbst mit leicht von jedem Jägerauge zu entziffernden Fährtenhieroglyphen eingetragen sind. Trotzdem war für mich, als ich mit meinem Freunde beim ersten Morgengrauen durchs Feld dem Walde zuschritt, der frischgefallene Schnee durchaus unerwünscht, weil er uns eine gute Schweißfährte, welcher wir auch ohne Hund leicht so hätten folgen können, drei Zoll tief bedeckt hatte. Aber mein Freund hatte wie immer guten Mut und erklärte, daß seine Blondine, eine rote Schweißhündin hannoverscher Jägerhofrasse, die Schweißfährte fast genau so gut ausarbeiten und uns zum Hirsche bringen würde, als wenn kein neuer Schnee auf den alten gefallen wäre. Die Geschichte war kurz folgende: Wir waren am vorhergehenden Nachmittag gegen die Dämmerung hin an eine Stelle gekommen, wo ein Hirsch ganz frisch aus hohen Fichten in lichten Wald getreten war, und da ich die Wechsel nicht kannte – ich war zum erstenmal auf diesem Revier – hatte mein Freund sich angestellt und ich folgte der Fährte, um „ihm den Hirsch anzugehen“ (zuzutreiben). So geräuschlos als möglich kroch ich unter den durch Schneeanhang heruntergebeugten und durcheinandergewirrten dünnen Buchenstangen hinweg der Fährte in allen ihren Windungen bergunter und bergauf nach. Jetzt kam ich an einen sehr spärlich mit Buschwerk bewachsenen Heidekopf, und sofort wurde mein Auge von einem grauen großen Felssteine angezogen, der unmittelbar hinter dem Rücken der Anhöhe zu liegen schien. Merkwürdig – es regte sich kein Lüftchen, alle Zweige hingen voll Schnee und trotzdem lag auch nicht der leichteste weiße Schimmer auf dem Felsblock. Ich war stehen geblieben und wollte mir gerade mit dem Glase den wunderbaren Stein genauer betrachten – – da bewegte es sich plötzlich vor demselben in die Höhe und frei vor der graukalten Abendluft hob sich Kopf und Geweih des Hirsches ab – kaum 80 Schritt von mir entfernt. Er stand halb spitz mit den Hinterläufen tiefer als vorn, so daß ich, als er den Kopf wieder zum Aesen gesenkt hatte, über den Heiderücken weiter nichts sehen konnte als das Blatt, welches wie ein fast dreieckiger grauer Fels aus der weißen Schneelandschaft sich abhob. Für mich war’s auch genug. Rasch lag der Kolben der Büchsflinte an der Backe und im schneegedämpften Knall flog der Hirsch in hoher Flucht über den Pulverdampf, jagte in wildester Hast der Berglehne entlang und war dann im dichten Gebüsch verschwunden.

Auf dem Anschuß.
Nach einem Gemälde von C. Reichert.

Auf dem Anschuß lagen Schnitthaare, und bei der zweiten Flucht war von beiden Seiten der Schweiß weit neben die Fährte gespritzt und leuchtete auf dem Schnee in der vom Weidmann so sehr geliebten rosigen Farbe. Mein Freund war bald zur Stelle, und da es zu dunkeln anfing und es zu spät zur Nachsuche war, wurde beschlossen, erst heute früh der Schweißfährte zu folgen.

Wir waren auf dem Anschuß. Alles verweht – keine Fährte, kein Schweiß. „Such’ verwundt, Blondine!“

Die Hündin schwärmte am abgedockten Schweißriemen die Stelle ab, wohin der Hirsch gezogen war, und setzte dann die Nase auf den Schnee, sich fest in den Riemen legend. Mein Freund faßte mit der Linken die Hündin in die Halsung, scharrte den Schnee etwas fort – – da lagen die roten gefrorenen Schweißkügelchen und mit: „Hast recht, Blondine – vorhin!“ gab er ihr Riemen und nun ging’s:

„Ueber Felsen und über Herte,
Ueber Dürre und über Gras.
Wohin der Hirz des Nachtes was
Gestrichen und geflohen vor – –“

wie Gottfried von Straßburg in „Tristan und Isolde“ bei ähnlicher Gelegenheit singt – – bis hin zu der Stelle, wo unter einer alten hohlen Eiche, halb in einen jungen Fichtenhorst gedrückt, verendet und steifgefroren, die Kugel mitten auf dem Blatte, der Zehner-Kronenhirsch saß. Karl Brandt.