Aus Robert Blum’s Leben (8)

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Autor: Hans Blum
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Titel: Aus Robert Blum’s Leben. 8. Die Leipziger Augustereignisse 1845. Sturmschwalben. Die Jubelwochen der Revolution 1848.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 604–608
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus Robert Blum’s Leben.
8. Die Leipziger Augustereignisse 1845. Sturmschwalben. Die Jubelwochen der Revolution 1848.

Prinz Johann war der Generalcommandant der Communalgarden (Bürgerwehren) des Königreichs. In dieser Eigenschaft lag ihm ob, die Revüen über die Bürgerwehren abzuhalten, und zu diesem Zwecke traf er am 12. August 1845 Nachmittags in Leipzig ein. Er wurde frostig empfangen. Im „Hôtel de Prusse“ nahm er Wohnung und begab sich sofort zur Musterung nach dem Excercirplatze. Die Communalgarde war umgeben von einer dichten, erregten Menge. Als am Ende der Revüe der Commandant der Bürgerwehr dem Prinzen ein Hoch ausbrachte, bemerkte der Tambourmajor in Folge eines unglücklichen Zufalls das Zeichen zum Einfallen der Musik nicht und diesen Zufall benützte der pöbelhafte Theil der Zuschauer zu lärmendem Pfeifen und Zischen. In der gehobenen Stimmung, welche dieser traurige Erfolg bei dem schlechteren Theile der Massen erzeugte, umdrängte dieser nach der Revüe den Platz vor dem „Hôtel de Prusse“ während des Zapfenstreiches, den hier die Communalgarde dem Prinzen brachte, und blieb hier, unter den Fenstern des Hôtels, wogend und lärmend, als die Musik abzog. Der Prinz hatte sich inzwischen mit den Spitzen der Behörden der Stadt und seines Gefolges im Gartensalon zur Tafel gesetzt. Nur ein verworrenes Getöse drang von außen in diesen abgelegenen Raum.

Inzwischen war es halb zehn Uhr Abends geworden. Die Tausende vor dem Hôtel sangen „Ein’ feste Burg ist unser Gott“, das ehrwürdige Trost- und Schlachtlied der Reformationskämpfer. Lautlose lange Stille folgt dem begeisterten Gesang, der auch im Gartensaal vernommen worden war. Da fliegt mit einem Male ein Stein nach einem der vorderen Fenster des Hôtels - der Gartensaal, in welchem die Herrschaften tafelten, liegt etwa dreißig Meter hinter der breiten Außenfront des Gebäudes. Niemand konnte also hier durch das Bubenstück direct bedroht werden. Wiederum ein Augenblick stiller Ueberraschung, dann wild losbrechender Jubel, dann ein anhaltender Hagel von Steinen auf das Hôtel. Klirrend zerspringen die Scheiben.

Auch das hört man im Gartensaal. Die Unruhe und Bestürzung steigt. Bisher ist seitens der Polizei und der Communalgarde nicht der geringste Versuch gemacht worden, die Menge zu zerstreuen. Der Bürgerwehrhauptmann Dr. med. Heyner eilt nun von der prinzlichen Tafel nach dem Platz und verkündigt hier laut den Massen, daß er die Hauptwache der Communalgarde, vierzig Mann vom Naschmarkt holen werde. Unangefochten läßt ihn die Menge passiren. Aber Dr. Heyner bleibt länger, als man im Gartensaal wünschte oder ihm für seine Wiederkehr Zeit gab. Und da man fürchtete, jeden Augenblick werde das Volk, das in Wahrheit sogar noch einen Halbkreis um das Thor des Hôtels freigelassen, hereinbrechen, so schreitet nun auch der Oberstlieutenant von Süßmilch in ganzer Uniform durch die Massen, um das Militär herbeizuholen. Auch ihm macht man bereitwillig Platz. Fast gleichzeitig treffen dann die Communalgarde vom Naschmarkt mit Dr. Heyner und Süßmilch mit seinen Schützen ein. Letztere räumen, das Gewehr zur Seite, im Nu den breiten Platz vor dem Hôtel. Die Menschenmasse wogt neugierig, jedoch thatlos in den Promenaden oberhalb des Platzes. Unmöglich konnten die Tausende auf dem engen Raum sofort abströmen. Da kracht auf einmal vom Hôtel her Pelotonfeuer. Fürchterlich gellt durch die milde Nacht das Wehgeschrei der Sterbenden, der Verwundeten. Zwölf Menschen liegen in ihrem Blute; sieben sind sofort todt. Es ist halb zwölf Uhr Nachts.

Die Aufregung ist ungeheuer. Die abenteuerlichsten Gerüchte durchdringen die Stadt. Zorn und Schmerz steigt auch im ruhigsten Bürger auf, als er Namen, Stand, Alter und Geschlecht der unglücklichen Opfer festgestellt sieht. Unter den Todten ein Schriftsteller von fünfzig Jahren, ein hoffnungsvoller Jüngling aus gutem Hause, zwei Postbeamte, ein bejahrter Schriftsetzer, ein Markthelfer von Brockhaus, ein – Polizeidiener! Keinem von ihnen fiel irgend eine Betheiligung an den groben Excessen zur Last. Diese Excesse hatten überhaupt allen beunruhigenden Charakter verloren, als die Schüsse befohlen wurden. In gerechter Erregung verlangte man tausendstimmig sofortige strenge Untersuchung gegen die Urheber der blutigen That. Unter diesen wird ungescheut – und auch hier mit vollstem Unrechte – der Name des Prinzen genannt – selbst in der öffentlichen Stadtverordnetensitzung am Nachmittage des 13. August. Der Prinz hat nicht gewußt, daß man die Schützen hatte laden lassen, geschweige [606] denn, daß er den Befehl zum Feuern gegeben hätte. Die Behörden, deren übereinstimmende Rathlosigkeit, Schwäche und Unüberlegtheit die furchtbare Katastrophe in erster Linie verschuldet hatten, verloren nun vollends den Kopf. Der Bürgermeister Groß, ein pedantischer alter Bureaukrat, glaubte die Erregung durch einen seiner vorsündfluthlichen Erlasse bekämpfen zu können, in welchem er von der Einsperrung aller Lehrlinge und Kinder (!) von acht Uhr Abends an, von dem Verbote „aller größeren Gruppen“ und Einsetzung der Polizeistunde auf neun Uhr Abends die Rückkehr paradiesischer Ruhe erhoffte. Die Militärbehörde, erschrocken über ihren leichten blutigen Sieg, überließ die Stadt völlig ihrem Schicksale, indem sie alle Truppen in der Caserne consignirte.

Seit dem Nachmittage des 13. August tagte im Schützenhause zu Tausenden eine erregte Versammlung von Bürgern, Studenten, Einwohnern jeden Standes. Immer leidenschaftlicher wurden die Reden, die Anträge. Was aus der Ruhe und Zukunft der Stadt werden würde, wenn diese durch glühende Reden und leidenschaftliche Beschlüsse erregten Massen sich über die Stadt ergossen, zum Rathhause eilten, um dort das Gebot ihres Willens zu erzwingen, vermochte Niemand vorherzusagen! Seit einst der fliehende Napoleon seinen Myrmidonen den Befehl hinterlassen, daß den Siegern der Völkerschlacht bei ihrem Einzuge in die bezwungene Stadt nur ein Aschenhaufe zu überliefern sei, hatte die Stadt in keiner schwereren Gefahr geschwebt.

Da trat Robert Blum in die wilderregte Versammlung. Er war am 12. und 13. August in Geschäften in Dresden gewesen – als er am Nachmittage des dreizehnten August in Leipzig ankam, erfuhr er schon am Bahnhofe die Schreckenskunde des Geschehenen. Er eilte sofort in das Schützenhaus. Plötzlich beherrschte seine tiefe, klare, wohlbekannte Stimme die zügellosen Massen. „Verlaßt den Boden des Gesetzes nicht!“ waren die ersten, die letzten Worte seiner ergreifenden Rede. „Blickt mit Vertrauen auf die Behörden, die unseren gerechten Beschwerden Abhülfe verschaffen werden!“, das war der Kern dessen, was er sagte. Ebenso schnell als treffend hatte er erkannt, was zu fordern, zu erreichen sei. Er beantragte bei der Versammlung, die über die Ziele ihres Thuns so rathlos war, wie die Behörden, daß eine Deputation der Versammlung sich auf das Rathhaus begebe, gefolgt von den Massen der Versammlung. Vom Rathe solle gefordert werden: Consignation der Schützen, feierliches Begräbniß der Erschossenen ohne Betheiligung von Militär, strenge Untersuchung und Bestrafung der Urheber der blutigen That.

Jubelnd begrüßte und genehmigte die Versammlung diese Vorschläge. Ruhig und lautlos folgten die Tausende dem Führer. Den weiten Marktplatz füllten sie, als Blum an der Spitze der Deputation auf das Rathhaus eilte und ihnen das Gebot zurückließ: „Wartet ruhig, bis wir wiederkommen!“ Nicht einmal der volle Rath ist oben beisammen. Nur der unglückselige Bürgermeister und einige Räthe. Trotzdem wird im Namen des Stadtrathes Alles bewilligt, was vom Schützenhaus gefordert wird. Ja, um das Maß der Erniedrigung und Würdelosigkeit der vollziehenden Behörde der Stadtgemeinde voll zu machen, verkündet nicht der Bürgermeister oder einer der Räthe diese Beschlüsse, sondern Blum tritt, umgeben von der Deputation und allen anwesenden Räthen auf den Balcon des Rathhauses und verkündet im Namen des Rathes die Annahme der gefaßten Beschlüsse. Noch heute trifft man vielfach einen Holzschnitt, welcher Blum inmitten dieser denkwürdigen Scene darstellt. Die Rathhausuhr zeigt auf vier Uhr. Unten jubelt die Menge.

Mit derselben Bereitwilligkeit ging die Polizei- und Regierungsbehörde, selbst der Militärcommandant auf die Forderungen der Deputation ein, deren Sprecher Robert Blum war. Der Militärcommandant ließ sich sogar dazu herbei, die gemeinen Soldaten – also nicht einmal die Officiere – zu rechtfertigen, daß sie auf höheren Befehl geschossen hätten.[1] Kurz, es herrschte eine Anarchie ohne Gleichen. Wohl der Stadt, daß in solcher Stunde ein so maßvoller Mann wie Robert Blum der Sprecher der Wünsche der Bürger, der Rathgeber ihrer Beschlüsse war! Auch am Grabe der Gefallenen sprach er in maßvoller, überzeugender Weise unter dem Beifall Aller.

Aber rasch wandelte sich das Bild. Auf die rührenden Ergebenheitsadressen der Stadt, welche noch am Nachmittag des 13. August Rath und Stadtverordnete beschlossen und vor die Stufen des Thrones entsendet hatten, und in denen auch die loyale und selbstverständliche Forderung einer strengen Untersuchung ausgesprochen war, entsandte die Regierung als Special-Commissar den Geheimen Rath von Langenn, der später nur durch seinen berufenen, heute noch im Gedächtniß der Mitlebenden unvergessenen „Schiedsspruch“, der das mecklenburgische Verfassungsrecht brach, eine noch traurigere Berühmtheit erlangte, als durch die Mission, die er nun in Leipzig vollzog. Er kam in Leipzig an mit der schroffen Erklärung, daß die tiefgebeugte, lediglich Gerechtigkeit heischende Stadt in Allem nur zu geben, nichts zu fordern oder zu erwarten habe. Und er hat dieses Programm treulich durchgeführt. Ein undurchdringliches Geheimniß breitet sich für die große Mehrzahl des Volkes noch heute über das Verhalten, die Namen der Schuldigen. Nur für diejenigen, die allen Quellen der Zeit nachzugehen in der Lage sind, ist der Schleier gelüftet. Sie müssen übereinstimmen in dem Urtheil, daß das Blut der Gefallenen nutzlos vergossen wurde.

Bald folgten „Erörterungen“ gegen Blum und alle andern Bürger, die sich um die Aufrechterhaltung der Ordnung in den erregten Tagen Verdienste erworben hatten. Diese „Erörterungen“ wurden zwar eingestellt, da sie nichts gegen den verhaßten Volksmann ergaben. Aber als Blum im November 1847 zum Stadtrath gewählt wurde, „wünschte“ die Leipziger Kreisdirection mit großer Eile von dem Vereinigten Criminalamt „von demjenigen näher unterrichtet zu sein, was gegen den ... Robert Blum allhier theils in Bezug auf die Ereignisse im August 1845, theils sonst etwa bei dem Vereinigten Criminalamte allhier vorgekommen ist, und es erhält daher Letzteres andurch Veranlassung die darüber ergangenen Acten baldmöglichst anher einzureichen.“ Selbstverständlich wurde im weiteren Verlaufe Blum als Stadtrath nicht bestätigt.

Um so treuer stand die Bürgerschaft seit den bewegten Augusttagen zu ihrem Sprecher. Zu seinem Geburtstage 1845 schon ward ihm eine von Tausenden von Unterschriften bedeckte Adresse überreicht, in welcher ihm der allgemeine Dank ausgesprochen wurde. Eine große Anzahl gleichartiger Adressen traf bei Blum auch aus den entlegensten Theilen Deutschlands ein. Unter diesen nenne ich blos die mir vorliegenden aus Mannheim, Heidelberg und Schwetzingen, weil sie die Original-Unterschriften aller badischen Berühmtheiten der damaligen Zeit tragen. Wir finden hier in traulichem Verein die Männer, die sich später so bitter befehdeten: Karl Mathy, C. Th. Welcker, Dr. Paulus, Itzstein, Hecker, Struve, von Soiron, Bassermann, den alten Winter, Hergenhahn, Thilo und Andere. – Die Stadt Leipzig aber wählte Blum am Ausgang des Jahres 1845 zum Stadtverordneten.

Die Augustereignisse hatten den tiefen Zwiespalt, der zwischen der damaligen Regierungsmethode und den gerechtesten Wünschen des Volkes bestand, zum ersten Male Tausenden offenbart, ihn als unheilbar erscheinen lassen. Mit Neujahr 1846 wurden auch die „Vaterlandsblätter“, das einflußreichste Organ der liberalen Partei in Sachsen, Robert Blum’s insbesondere, unterdrückt. Rasch entschlossen ersetzte Blum das unterdrückte Blatt durch die „Constiutionelle Staatsbürgerzeitung“ unter Rüder’s Redaction. Daneben setzte er im Taschenbuch „Vorwärts“, in einem jedesmal zu Weihnachten ausgegebenen „Weihnachtsbaum“ und vor Allem auch in dem von Ernst Keil begründeten „Leuchtthurm“, welcher nach einander die Portraits aller Volksmänner in trefflichen Abbildungen brachte, seine geschickte und unermüdliche Einwirkung auf die Massen fort. Denselben Zweck beabsichtigte und erreichte mit ungewöhnlichem Erfolg der von Blum gegründete Leipziger Redeübungsverein. Ein furchtbares wirthschaftliches Unglück, die Mißernte von 1846, steigerte die allgemeine Unzufriedenheit in’s Ungeheure und streute die Saat aus, welche Sturm ernten läßt. Mit gleichem Ungeschick unternahmen Regierungen und Volksmänner die Heilung der schweren Krankheit. Roscher’s epochemachende Schrift über Korntheuerung und Kornpolitik verhallte in der allgemeinen Erregung.

Immer unhaltbarer wurde für Blum bei einer so aufreibenden unermüdlichen politischen Thätigkeit seine Stellung beim Leipziger [607] Theater. Der Gedanke, daß er bezahlt werde, ohne seiner Pflicht gegen Director Schmidt vollkommen genügen zu können, war ihm unerträglich. Aber auch das Wagniß, die einzig sichere ökonomische Basis aufzugeben, war kein kleines. Die schweren Sorgen, die Blum mit dem Kaufe seines Hauses auf sich geladen, hatte Freund Joseph, der gefeierte Landtagsabgeordnete, durch ein bedeutendes Darlehen beseitigt. Mit der Kündigung seiner Secretärstelle entzog Blum den Seinen das einzige feste Jahreseinkommen, das er besaß, und wies sie allein auf die Erträgnisse seiner Feder an. Lange schwankte er. Endlich litt er die Qual der Abhängigkeit, des Pflichtenstreites nicht länger. Am 11. Mai 1847 kündigte er dem Theaterdirector Schmidt und wurde Buchhändler. Er associirte sich mit seinem treuen Freunde und Kampfgenossen, dem Verleger der „Const. Staatsbürgerzeitung“, Robert Friese. Die Hauptwerke des Verlags von „Robert Blum und Comp.“ gedachte Blum selbst zu schreiben. Zur geschäftlichen Grundlage dieses Verlags wurde das „Volksthümliche Handbuch der Staatswissenschaften“ bestimmt, welches für 1848 angekündigt war. Aber dieser Plan sollte, wie alle anderen Lebenspläne des Unternehmers, jäh zerrissen werden. Denn kaum hatte Blum seines Glückes Schiff auf diese neue Bahn getrieben, als der große Völkersturm hereinbrach, der in der Rechnung der Zeiten das Jahr 1848 heißt.

Vielleicht Keinem unter allen Denen, die das „tolle Jahr“ seit langer Zeit schon heraufkommen sahen, verhieß es eine reichere Ernte mühsam ausgestreuter Saat, als Robert Blum. Und wohl Keiner unter Allen hat seine Hoffnungen schmerzlicher vernichtet gesehen, als er: denn er mußte ihr Scheitern mit dem Leben bezahlen. In seiner Natur, seinem Charakter schienen sich alle Vorbedingungen zu vereinigen, um das Ringen der Nation, wie es damals zum Ausdrucke kam, zum Siege zu führen. Es galt, eine gemeinsame Verfassung für Deutschland auf möglichst freisinniger Grundlage zu schaffen. Robert Blum hatte sich seit seinem öffentlichen Auftreten immer gleich gut deutsch und gleich maßvoll erwiesen. Von ihm durfte daher in erster Linie eine richtige, befriedigende Lösung der großen Aufgabe erwartet werden. Und dennoch hat auch er seinen Antheil an der Schuld, die auf jeder Partei des Frankfurter Parlamentes ruht, die aber verhängnißvoll und verderblich wurde für unsere Nation nur durch die mindestens gleich wiegende Schuld der damaligen deutschen Regierungen.

Das Ideal Blum’s war unstreitig die Republik. Daß eine solche in Deutschland, „mindestens vorläufig“, nicht durchführbar sei, hat auch er in classischen Aussprüchen kund gegeben. Als vor seiner Abreise zum Vorparlament eine zahlreiche Deputation aus dem sächsischen Gebirge ihm zur Pflicht machte, binnen längstens vierzehn Tagen von Frankfurt die deutsche Republik mitzubringen, richtete er die verblüffende Frage an die Versammlung: ob die Herren an allen Orten, von denen sie herkämen, schon Feuerspritzen hätten? Als die Frage von einem großen Theile der Deputirten verneint wurde, erwiderte Blum – nach Mittheilung eines Ohrenzeugen – lakonisch: „Sagen Sie Ihren Auftraggebern, ehe nicht jedes Dorf in Deutschland seine Feuerspritze habe, könne ich ihnen die deutsche Republik nicht besorgen.“ – Eine ähnliche Aeußerung that er bei seiner Ankunft in Frankfurt vor der Eröffnung des Vorparlaments. Er und die anderen sächsischen Delegirten zum Vorparlamente, darunter Professor Wuttke, der mir den Vorfall erzählt hat, wurden bei ihrer Ankunft in eine große Frankfurter Volksversammlung geladen. Wild wogten hier die Anträge und Reden durch einander. Daß Deutschland Republik werden müsse, schien Allen ausgemacht. Da trat Robert Blum, den Meisten unbekannt, auf und sprach das Wort: „Eine Republik könnte Deutschland schon werden – aber es fehlen uns die Republikaner.“ Gleichwohl ging nachher sein Streben im Vorparlament, Fünfzigerausschuß und Parlament unleugbar dahin, die Staatsform, die er für die ideale hielt, die Republik, in Deutschland auch praktisch zu verwirklichen. Er glaubte und hoffte jetzt, daß dies auf gesetzlichem Wege möglich sei – alle ungesetzlichen bewaffneten republikanischen Schilderhebungen verurtheilte er auf das Schärfste.

Mit den socalistischen und communistischen Elementen, die auch damals bereits in Deutschland und sogar in Leipzig sich regten, hatte Blum schon vor Ausbruch der Revolution sich gründlich auseinandergesetzt. Er hatte im Winter 1847 bis 1848 im Saale der Leipziger Buchhändlerbörse einen Vortrag über Socialismus und Communismus gehalten, den er später, wesentlich gekürzt, in seinem „Staatslexicon für das Volk“ zum Abdruck brachte. Ueber den Communismus gelangt Blum, nachdem er alle einzelnen Theorien und Apostel desselben vorgeführt und bekämpft hat, zu folgendem Schlußurtheil: „Die Communisten bauen mehr Systeme auf, als daß sie sich an die Zustände und ihre Bedürfnisse anschließen. Jedes System weicht vom andern ab, und doch behauptet jedes, das allein richtige zu sein, wie die römische Kirche von dem ihrigen. Wir haben bereits unter ‚Eigenthum‘ ausgesprochen, daß wir den Communismus für naturwidrig und unmöglich halten.“ Der heutige deutsche Socialismus ist der nackte vaterlandslose Communismus; wer daran zweifelt, mag die Offenbarungen der Führer und die Parteicongreßbeschlüsse von Eisenach, Gotha und Gent nachlesen.[2] Der Leser erkennt daher sofort, mit wie wenig Berechtigung diese Partei nun schon seit Jahren den guten Namen Robert Blum’s als den eines Gesinnungsgenossen und Mitverschworenen, das heißt als eines vaterlandslosen Theilbruders im Munde führt.

Mit den radical-revolutionären Stürmern dagegen hatte Blum auch schon in Leipzig, unmittelbar nach dem Ausbruch der Februarrevolution abgerechnet, indem er alle Reformen, einschließlich der Abdankung der verhaßten Minister, auf gesetzlichem Wege erzwang und die „Massendeputationen“ nach Dresden auf welche sich die Straßendemokratie capricirt hatte, auf das Entschiedenste bekämpfte und mißbilligte. Im Vorparlament zu Frankfurt hatte er die Abweisung revolutionärer Versuche in noch energischerer Weise zu üben. Wirkungsvoller als jeder Andere hat er hier gegen die exaltirten Anträge Gustav von Struve’s auf Abschaffung, Auflösung und Aufhebung alles Bestehenden gekämpft. Robert Blum, der zu einem der Vicepräsidenten der Versammlung gewählt wurde, hat mit seiner unerschütterlichen Ruhe, Besonnenheit und Stimmenkraft thatsächlich die – stellenweise sehr erregte – Versammlung geleitet, da diese Leitung die Kräfte des ehrwürdigen Präsidenten Mittermaier bei weitem überstieg. Blum war es, der namentlich am ersten Verhandlungstage, als Struve und Hecker mit ihrer Magna charta in die Versammlung polterten – während von der Bockenheimer Gasse her die Gassenhelden gegen das Vorparlament in Anmarsch waren und nur vor der bewaffneten freiwilligen Bürgerwehr Frankfurts Kehrt machten – verhinderte, daß diese Versammlung, auf welche ganz Deutschland die größten Hoffnungen setzte, schon am ersten Tage in tiefster gegenseitiger Verbitterung ihrer Mitglieder aus einander stürmte. Er hat dann wieder inmitten des Tobens der äußersten Linken und der Gallerien, als dieselben Radicalen am 2. April in Masse den Saal verließen, weil sie es nicht ertragen konnten, in der Minderheit zu bleiben, die stattliche Zahl seiner näheren Freunde zum Ausharren bewogen und dadurch abermals die Würde des Vorparlaments gerettet und die endliche Durchführung der Aufgabe desselben ermöglicht. Während seine Reden in der Versammlung selbst die mißleiteten Freunde zart schonen, spricht er in den Briefen an seine Frau mit rücksichtsloser Offenheit und in den allerstärksten Ausdrücken der Entrüstung über die erregten Sturmscenen im Vorparlament und über den unglücklichen bewaffneten Aufstand Hecker’s und Struve’s im badener Oberlande. Hecker hat sich bekanntlich inzwischen in bemerkenswerther Weise mit den heutigen deutschen Zuständen in der Hauptsache einverstanden erklärt. Wenn man bedenkt, wie viel „weiter links“ er damals stand, als Robert Blum, wird wohl der Schluß gerechtfertigt erscheinen, daß auch Robert Blum heute, wenn ihm das Glück beschieden gewesen wäre, die Wiederaufrichtung des deutschen Reiches zu schauen, nicht zu den Reichsfeinden zählen würde.

In den Fünfzigerausschuß, den das Vorparlament zur Vorbereitung der Parlamentswahlen und zur Durchführung aller sonstigen Beschlüsse des Vorparlaments einsetzte, wurde Blum mit der drittgrößten Majorität gewählt. Nach den mühseligsten Wochen kamen einige Tage der Zerstreuung. Der Fünfzigerausschuß sandte ihn als Commissar nach Köln, seiner Heimath. Es war ein unbeschreiblich großer Augenblick für ihn, als der [608] reichgeschmückte Dampfer, auf dem er stand, unter dem Jubel Tausender an der alten Rheinstadt anlegte, in der er die ganze Kümmerniß seiner Jugend verlebt hatte. „Meine Schwester habe ich gestern nur eine Viertelstunde, heute nebst der Mutter eine Stunde gesehen; sie sind Alle wohl und lassen Euch herzlichst grüßen,“ schreibt er an seine Frau. „Meine alte Mutter ist fast wahnsinnig geworden vor Freude, daß ihrem Sohn ein Fackelzug gebracht wurde; wie würde sie sich freuen, wenn Du mit den Kindern nach Köln kämst! Indessen es kann nicht sein. Beruhigen wir uns! Wir müssen der Zeit Opfer bringen.“ Die große versammelte Menge redete er mit den trauten Worten an: „Hier hat meine Wiege gestanden.“ Es war das letzte Mal, daß er seine Vaterstadt sah. Sieben Monate später waren die Kirchen derselben schwarz verhangen, und Ferdinand Freiligrath sang:

„So redet Köln! Und Orgelsturm entquillt dem Kirchenchore;
Es stehn die Säulen des Altars umhüllt mit Trauerflore;
Die Kerzen werfen matten Schein; die Weihrauchwolken ziehen,
Und tausend Augen werden naß bei Neukomm’s Melodien.
So ehrt die treue Vaterstadt des Tonnenbinders Knaben –
Ihn, den die Schergen der Gewalt zu Wien gemordet haben!
Ihn, der sich seinen Lebensweg, den steilen und den rauhen,
Auf bis zu Frankfurts Parlament mit starker Hand gehauen!“

Hans Blum.
  1. Karl Biedermann. „Unsere Gegenwart und Zukunft“, I. Band. Leipzig, Gust. Mayer, 1846. „Sächsische Zustände“ S. 340.
  2. Sehr interessant und faßlich zusammengestellt in: Franz Mehring, „Die deutsche Socialdemokratie“. Bremen, Schünemann. 2. Aufl. 1878.