BLKÖ:Kainerstorfer, Johann Mathias

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Kainz, Marianne
Band: 10 (1863), ab Seite: 355. (Quelle)
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Kainerstorfer, Johann Mathias (Tondichter, geb. zu Kirchdorf im Traunkreise 2. Februar 1778, gest. zu [356] Linz 23. Mai 1837).[WS 1] Eine jener unglücklichen menschlichen Naturen, die in ihrem Streben das Ideal der Kunst zu erreichen, dem Dämon des Wahnsinns verfallen, und in der gräßlichen Ironie des Geschickes mit ihrem Drange nach oben tief unter die Menschlichkeit herabsinken. Johann Mathias war der Sohn eines Krämers in Kirchdorf, dem die Mittel fehlten, seinem strebenden Sohne eine seinen Talenten angemessene Erziehung zu geben. Die Elemente der Musik erlernte er bei dem Organisten in Kirchdorf, Herrn Mathe, außerdem bildete er sich selbst und trieb neben der Musik mit allem Eifer mathematische Studien. Schon im Alter von 16 Jahren verstand er es, ein Concert zu instrumentiren und 18 Jahre alt, schrieb er eine Oper „Adelsucht und Eitelkeit“ für eine wandernde Schauspielertruppe, erhielt aber weder ein Honorar noch seine Partitur wieder. Indessen verlor sein Vater sein kleines Vermögen und K. war auf sich selbst angewiesen. Er ging nun nach Linz, hörte dort den pädagogischen Lehrcurs und erhielt nach dessen Vollendung eine Schulgehilfenstelle in Lambach, welche ärmliche Stelle in jenen unruhevollen, durch Kriegsereignisse vertheuerten Zeiten ihn nur kümmerlich ernährte. Endlich wurde der Prälat von St. Florian auf ihn aufmerksam und ernannte ihn mittelst Decret zum Organisten im Stifte, welche Stelle K. am 17. Juni 1796 antrat. Auf diesem Posten, der ihm die Sorge für die nöthigsten Lebensbedürfnisse ersparte, in diesem Stifte, in welchem die Pflege der Kunst und Wissenschaft traditionell ist, benützte K. die Muße zur Ausbildung in der Musik, verlegte sich aber vornehmlich auf die Akustik, weil er bei diesem Studium auch seine mathematischen Kenntnisse anwenden konnte. Als Organist brachte er es zur Meisterschaft und erntete das Lob eines Michael Haydn und Beethoven, als Ersterer am 14. Juni 1798 in St. Florian selbst die Orgel spielte und Letzterer im Jahre 1816 Linz besuchte. Als im Jahre 1806 der berühmte Abbé Vogler im Stifte St. Florian sich befand und sein merkwürdiges Tonstück „Das Donnerwetter“ spielte, lehnte K. an einer Säule starr und sprachlos, deren Tönen horchend; seine Gehirnnerven waren auf das Höchste gespannt. Nach beendetem Spiele warf Vogler die Bemerkung hin: „Ein Tonkünstler. der die höchste Zinne des Ruhmestempels erklimmen will, dürfe nur von Brot und Wein leben“. Das verhängnißvolle Wort war gesprochen. Am nächsten Morgen, in aller Frühe, als noch Alles schlief, hörte man die große Orgel spielen, es war als ob ein überirdisches Wesen die Tasten schlüge. Man erkannte bald Vogler’s „Donnerwetter“. Vogler selbst sprang erschreckt aus dem Bette und rief außer sich: „Entweder ist es mein Geist oder der Teufel“. Die Chorherren eilten in die Kirche und fanden Kainerstorfer nackt auf der Orgel, Brot und Wein auf dem Notenpulte. Dieß war der erste Anfall des Wahnsinns. Wohl kam K. wieder zu sich, vertiefte sich aber immer mehr in’s Studium des Contrapunctes und der Akustik, lehnte jede Nahrung ab und trank, um sich aufzuregen, den besten Wein und stärksten Kaffee. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten, er verfiel in tobenden Wahnsinn und mußte nach Linz in’s Spital der barmherzigen Brüder gebracht werden. Eine sorgfältige Behandlung und Pflege gaben ihm die Gesundheit wieder, und er kehrte in das Stift nach St. Florian zurück. Dort blieb er nun ein paar Jahre, setzte seine Studien fleißig aber mit mehr [357] Mäßigung fort, und folgte zu seinem Unglücke 1809 einer Aufforderung des Domcapellmeisters Franz Glöggl nach Linz, da ihm dieser die Domorganistenstelle zugesagt hatte. Wie es geschah, daß er diesen Posten nicht erhielt, ist nicht bekannt. K. blieb aber nun in Linz und besuchte an Sonn- und Feiertagen das Stift St. Florian, bitter bereuend, es verlassen zu haben. In Linz erhielt er sich von Musiklectionen und die wenige Zeit, die ihm das anstrengende Unterrichtertheilen übrig ließ. widmete er seinen Studien und richtete vornehmlich auf die Lehre vom Pendel seine Aufmerksamkeit. Tag und Nacht arbeitete er, gerieth in seine frühere Aufregung und, um sich wach zu erhalten, nahm er zu Reizmitteln, endlich zu starken Getränken die Zuflucht. Darüber vernachlässigte er seine Lectionen, verlor sie und gerieth in das tiefste Elend. Ein neuer Anfall von Wahnsinn stellte sich ein und K. wurde am 21. Mai 1829 in’s Irrenhaus gebracht. Dort kam er wohl wieder zur Ruhe, aber nicht wieder zum vollen Gebrauche seiner Vernunft. Im Irrenhause, das er sein Gefängniß nannte, brachte er 8 Jahre zu, beschäftigte sich mit Logarithmenberechnungen und beschrieb ganze Stöße Papier mit Zahlen; nebenbei las er den Gottsched und des Thomas a Kempis Buch von der Nachfolge Christi. Endlich starb er in Folge des Scorbuts im Alter von 50 Jahren. Von seinen Compositionen befinden sich 3 Messen im Stifte St. Florian, darunter eine in B, welche er schon 1799 zum Namensfeste seines Prälaten componirt hatte und worin er sich als tüchtiger Contrapunctist bewährt. Im Drucke erschienen sind: „Choral bei pfarrlichen Prozessionen“ (Linz, bei Hafner); – „Generalbass-Vorbereitung“ (bei Haslinger). Im Manuscripte befinden sich „Habitüde im Ausweichen“; – eine „Clavierschule“ und viele schätzbare Beitrage zum Generalbaß, Contrapunct und zur Akustik, Aufsätze über Unterricht und das Mälzel’sche Metronom. Gleich in der ersten Zeit seiner Anstellung in St. Florian construirte er selbst ein Instrument, ähnlich dem von Nik. Ramarino verfertigten Clavicymbal, auf welchem wie auf einem guten Clavier gespielt werden konnte; ferner ein Monocord, mehrere auf akustische Berechnungen abzweckende Instrumente. Was damit geschehen, ist nicht bekannt.

Wiener allgemeine Musik-Zeitung, herausg. und redigirt von August Schmidt (Wien, 4°.) Jahrg. 1841, Nr. 55.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Zu dieser Person gibt es Band 26, S. 395, unter Keinersdorffer, Johann Mathias einen weiteren Artikel.