BLKÖ:Polit, auch Polith, M.

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Politzer, Adam
Band: 23 (1872), ab Seite: 66. (Quelle)
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Polit, auch Polith, M. (serbischer Agitator, geb. in Oesterreichisch-Serbien). Zeitgenoß. Er erscheint gewöhnlich als Dr. Polit und war früher Secretär des Fürsten von Montenegro, Danilo. Schon im Jahre 1861 lenkte er die Aufmerksamkeit der politischen Welt auf sich, als er im „Serbski Dnevnik“, [67] das Verhältniß der in Oesterreich lebenden Serben zum österreichischen Reichsrathe präcisirte. Noch mehr Staunen, ja Befremden erregte aber seine anläßlich der großen slavischen Pilgerfahrt nach Moskau, welcher er sich mit Palacký und Consorten auch angeschlossen hatte, bei dem Festmale des kais. russischen Unterrichtsministers, Grafen Tolstoi, am 23. Mai 1867 in St. Petersburg gehaltene Tischrede. Das Verhältniß der Serben zum Reichsrathe stellt Dr. Polit in folgender Weise dar: „Im Falle, daß der ungarische Landtag die königlichen Propositionen hinsichtlich der Ansprüche der Serben, wie sie der serbische Congreß formulirt hat, nicht im vollen Umfange gewähren sollte, so wäre es dennoch nicht rathsam, die Competenz des Reichsrathes in serbischen Angelegenheiten anzuerkennen. Durch eine solche Anerkennung würden sich die Serben zugleich für das Februarpatent aussprechen und dadurch gewissermaßen auf die ungarische Verfassung Verzicht thun. Das Februarpatent biete aber wenig Garantien. Ein Grundgesetz ohne verantwortliches Ministerium und mit so vielen anderen Gebrechen könne nach Principien des modernen Staatsrechtes keine Verfassung, sondern höchstens ein Analogon der Verfassung genannt werden. Die Verfassung Ungarns sei im vollen Umfange eine liberale Verfassung und die Serben dürften in der Wahl nicht zweifelhaft sein. Die Comitats- und Municipalverfassung Ungarns mit ihren Congregationen, die sich in vielen Stücken der Souveränität der schweizerischen Cantone nähert, sei für den serbischen Charakter viel angemessener und enthalte viel mehr Garantien für die serbische Nationalität, als die bureaukratische Administration im übrigen Oesterreich, aus dessen Fesseln sich dieses selbst bei einer liberalen Verfassung schwer befreien wird. Die Serben müßten den eingeschlagenen Weg einer Verständigung mit Ungarn verfolgen, sonst könnten sie leicht auf Abwege, wie im Jahre 1848, gerathen, wo sie Zustände herbeizuführen halfen, die sie nicht nur nicht wünschten, sondern nicht einmal ahnen konnten.“ – Seine Rede zu St. Petersburg, die der „Invalide“ für die aufrichtigste des Abends erklärte, ist nach dem „Gołos“ folgende: „Meine Herren und theuren Brüder! Als sich im serbischen Lande die Nachricht von der Moskauer Ausstellung verbreitete, als man erfuhr, daß die russischen Brüder ihre slavischen Brüder zu einem freundschaftlichen Besuche eingeladen, da schlug jedem Serben das Herz freudig und Jeder hegte den brennenden Wunsch, diejenigen zu umarmen, die immer unsere leiblichen Brüder, unsere theuren Verwandten gewesen waren. Ja, meine Herren, bei uns Serben lebt im Herzen die Liebe zu den russischen Brüdern von der Geburt an. Von der Wiege an sprechen unsere Mütter ihren Kindern von unseren orthodoxen Brüdern, vom heiligen Rußland! In jenen schwarzen Tagen, wo wir für uns selbst zu verzweifeln gedachten, trösteten wir uns mit dem Gedanken, daß wir nicht zu Grunde gehen werden, so lange das große Rußland lebt. Wir Serben haben immer Sympathie für Rußland gehegt, selbst zu der Zeit, als es noch nicht die große slavische Macht war. Gott sei Dank! Unsere Reise nach Rußland, unser Aufenthalt in dessen Hauptstadt beweisen, daß es sich mit Recht eine panslavistische Macht nennt. Dieses Ereigniß hat eine colossale Bedeutung und wird unermeßliche Folgen haben. Die Hauptaufgabe Rußlands ist, nicht nur in Asien, [68] sondern an seiner Schwelle im europäischen Osten, die Befreiung des europäischen Ostens – das ist diese große Aufgabe! Man muß endlich der Herrschaft einer Nationalität über die andere ein Ende machen, gleichviel, ob diese Herrschaft sich eine türkische, magyarische oder österreichisch-deutsche nenne. Die Schlacht bei Sadova hat das Schicksal des europäischen Ostens entschieden. Die germanische Welt hat sich von der slavischen getrennt. Die Frage über das Schicksal des Slaventhums können wir jetzt allein, wir Slaven, entscheiden, und in diesem Falle fällt die erste Rolle Rußland zu. Ja, meine Herren, Rußland ist jetzt nicht nur eine russische, sondern eine slavische, eine panslavistische Macht. Es besitzt nicht nur die materielle, sondern auch die moralische Kraft. Das slavische Rußland bedroht nicht die Civilisation. es geht ihr entgegen, es bereitet in Europa die Verbrüderung der slavischen Familie vor. Der erste Schritt zu dieser großen That ist die Lösung der orientalischen Frage. Diese Frage betrifft die Ehre der russischen Nation und die große Macht des russischen Staates. Wir östlichen Slaven, wir östlichen orthodoxen Christen, wir Serben hoffen, daß Rußland nicht die Katastrophe auf dem Kossower Felde vergessen und bald seine große Aufgabe lösen werde. Demnach bringe ich mit Ihrer Erlaubniß den Toast aus: Auf die Lösung der slavischen Frage!“ Die „Neue freie Presse“ berichtet, daß nach dieser Rede des Dr. Polit „die Versammlung in rasendem Jubel sich erhob, die Tische wurden entfernt und – wir citiren wörtlich – der Doctor erlebte die höchste Ehre nach russischer Anschauung, er ward geprellt, und zwar ohne Leintuch, was noch viel empfindlicher ist. Dreimal schleuderte man ihn gegen die Decke und fing ihn wieder auf, dazu tanzten die Repräsentanten der slavischen Welt Prisiadka, den russischen Cancan; die Diener brachten in großen Gläsern russischen Punsch (Zjonka) und die bläulichen Flämmchen beleuchteten das würdige Schlußtableau des Festmals“. Wie dem immer sei, gewiß sind obiges publicistische Exposé, sowie die darauffolgende Tischrede Emanationen eines bekannten Parteiführers seines Volksstammes, der nebenbei noch die Eigenschaft eines österreichischen Staatsbürgers besitzt und beide Schriftstücke nur zu deutliche Belege dafür, wessen Oesterreich sich zu versehen hat, wenn es die Aufrechthaltung seiner Machtstellung auf diese immer wieder ausposaunte sogenannte „angestammte“ Treue (!) uncivilisirter Horden, die von gewissenlosen und selbstsüchtigen Parteigängern aufgehetzt werden, zu stützen glaubt. Außerdem hat Dr. P. folgende politische Libelle veröffentlicht: „Die Nationalität und ihre staatsrechtliche Begründung“ (Wien 1862, Leo, gr. 8°.); – „Die orientalische Frage und ihre organische Lösung“ (ebd. 1862).

Fremden-Blatt, Von Gust. Heine (Wien, 4°.) 1861, Nr. 137. – Neue freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1867, Nr. 989.