BLKÖ:Stadion-Warthausen, Walter Wilderich Graf

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 37 (1878), ab Seite: 45. (Quelle)
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Stadion-Warthausen, Walter Wilderich Graf (Humanist, Maltheser-Ordens-Comthur, geb. am 22. November 1799, gest. zu Meidelberg in Oesterreichisch-Schlesien am 12. Februar 1870). Von der fridericanischen Linie. Ist der zweitälteste Sohn des k. k. Staats-Conferenz- und Finanzministers Johann Philipp Grafen von Stadion-Warthausen aus dessen Ehe mit Maria Anna, Tochter des Grafen Georg Joseph von Stadion-Thannhausen. Walter trat sehr jung, 1816, als Cadet in das k. k. 4. Feldjäger-Bataillon, ward bald in diesem Lieutenant, und machte 1821 den [46] kurzen Feldzug in Neapel mit. Im Jahre 1822 Oberlieutenant bei Hieronymus Colloredo-Infanterie Nr. 33, 1824 Capitan-Lieutenant, und kurz darauf Hauptmann im 30. Infanterie-Regiment Graf Nugent, 1833 in gleicher Eigenschaft zum Szluiner 4. Gränzregimente übersetzt, quittirte er mit Beibehalt seines Hauptmanns-Charakters 1835. In den Malteserorden am 15. August 1824 aufgenommen, legte er schon wenige Monate darauf zu Prag am 4. Februar 1825 die feierlichen Ordens-Gelübde ab, wurde aber erst zwölf Jahre später, am 1. Mai 1837, Comthur dieses Ordens zu Meidelberg in Oesterreichisch-Schlesien, welche Commende er bis zu seinem Ableben nahe an 33 Jahre behielt. Zur Zeit des ersten Ausbruches der Cholera 1831, stand Walter Stadion zu Lemberg in Garnison. Es ist bekannt, daß jene furchtbare Krankheit bei ihrem ersten Auftreten im östlichen Europa, namentlich in Polen, Ungarn und Schlesien am meisten wüthete. Die bisher unbekannten Erscheinungen derselben – der rasche Wechsel vom Leben auf Tod – die noch damals geringen medicinischen Erfahrungen über dieses Uebel, machten den schrecklichen Gast noch unheimlicher und grausiger! – so daß selbst die tapfersten und muthigsten Herzen vor einer Gefahr zitterten, der sie nicht Kraft und Muth, sondern nur Geduld und blinde Schicksalsergebung entgegensetzen konnten. Auch Galiziens Hauptstadt blieb nicht verschont. Walter Stadion sollte eben einen erhaltenen längern Urlaub zu seiner Familie antreten, der ihn gänzlich aus dem Bereiche der Gefahr entfernt hätte. Aber in diesem Augenblicke allgemeinen Schreckens verzichtete Walter freiwillig auf seine Urlaubsreise und meldete sich, den alten Satzungen seines Ordens gemäß, zur Krankenpflege in die mit Cholerakranken überfüllten Militär-Spitäler. Unerschrocken thätig – denn er trug selbst oft Kranke auf den Rücken, wusch sie, reichte ihnen Arzneien – wirkte dieses erhebende Beispiel auf alle seine Umgebungen. und fand diese, in jener Zeit doppelt lobenswerthe, aufopfernde Hingebung Stadion’s, in allen Schichten der Bevölkerung die allgemeine, gerechte, bewundernde Anerkennung. Aber auch seine Nächstenliebe und sein Wohlthätigkeitssinn waren unbegränzt. Im Besitze einer ziemlich einträglichen Ordens-Commende, gönnte sich Stadion oft kaum das Nothwendigste, ja er darbte oft sogar – um seinen Nächsten zu unterstützen; Alles, was er besaß, gab er den Armen, und so geschah es sogar einige Male, daß er factisch sein letztes Hemd einem Hülflosen geschenkt, und er zeitweise an dem oft Unentbehrlichsten Mangel litt. Graf Thürheim als Augenzeuge berichtet, daß er eines Tages den Grafen von armen und krüppelhaften Menschen förmlich belagert fand, worauf der Graf alle seine Läden und Taschen leerte, um Keinen ohne eine Gabe zu entlassen. So geschah es denn öfter, daß er seine Einkünfte am Tage des Empfanges schon wieder vertheilt hatte. Als der Krieg gegen die Franco-Sarden 1859 jenseits der Alpen zum lange genährten Ausbruche kam, saß Walter Stadion, damals bereits 60 Jahre alt, auf seinem Ordenshause zu Meidelberg. Da zog er den jahrelang entbehrten Soldatenrock wieder an, und eilte mit jugendlicher Hast herbei, um sich zum Sanitätsdienste zu melden. Er wurde nun, dem Militär-Charakter, den er bekleidete, gemäß, als Hauptmann und Commandant einer [47] Sanitäts-Compagnie angestellt, und begab sich ungesäumt auf den Kriegsschauplatz. In den heißen Schlachttagen von Magenta und Solferino, mitten im stärksten Kugelregen, in der brennenden Glut der italienischen Sonne suchte der 60jährige Samariter die Verwundeten auf, trug selbe, wie 28 Jahre früher die Cholerakranken in Polen, auf seinem Rücken auf die Verbandplätze, leitete mit Umsicht und Energie seine Sanitäts-Compagnie, sprach den Sterbenden Trost zu, und die Erfüllung manches letzten Wunsches, und suchte, wo er nur immer konnte, die schweren Leiden theils durch Trostesworte. theils durch Heilmittel zu lindern. Noch gefahrvoller und ebenso unerschrocken war Walter’s Thätigkeit in den mit Blessirten und Typhuskranken gefüllten Feldspitälern. Seine Majestät der Kaiser sprach dem Hauptmann Walter Grafen Stadion die Allerhöchste Anerkennung, öffentlich im großen Armee-Befehle aus, und verlieh demselben den Orden der eisernen Krone III. Classe mit Kriegsdecoration. Selbst nach eingetretenem Frieden zog sich Walter, erst als sich die Feldspitäler leerten und endlich aufgehoben wurden, nach Meidelberg zurück, wo er noch elf Jahre, den dortigen Armen eine Stütze, verlebte. Wenige Stunden vor seinem Tode, dessen Herannahen er fühlte, kleidete sich Walter in sein volles Ordensgewand – ganz wie die alten Ordensstatuten einst vorschrieben – und erwartete so kampfgerüstet den Tod, dem er furchtlos in allen Gestalten so oft ins Auge geblickt, und der nun an dem 71jährigen Greis selbst sein Recht geltend machte. Einem Schreiben des Grafen Andreas von Thürheim, der 15 Jahre lang sein Ordensbruder gewesen, entnehme ich folgende Charakteristik dieses Menschenfreundes. „Im gewöhnlichen Leben besaß er“, schreibt Graf Thürheim, „manche Eigenthümlichkeit, er war eine hohe hagere Gestalt, stets im schwarzen Beinkleid, hatte die langen grauen Haare nach rückwärts gestrichen, und war mit einem altmodischen, langen, schwarzen, bis zu den Knien zugeknöpften Rock bekleidet. Das Malteserkreuz trug er unter dem Rocke auf seiner langen, schwarzen Weste aufgenäht, und den runden Hut fast jederzeit nicht auf dem Kopfe, sondern in der Hand. Dieß Alles und seine seltene Humanität, jene von gemeinen Alltagsseelen nicht begriffene Aufopferung für seinen geringsten Nebenmenschen, gab oft Anlaß zu einem Achselzucken, einem mitleidigen Belächeln, ja selbst zu den von gewissen Lippen zum Ehrentitel werdenden Namen „ein Narr!“ Doch dieß kam nur von jenen oberflächlichen Weltmenschen, deren Seele nie von der Ahnung eines Höhern durchdrungen war. Walter Stadion war ein echter geistlicher Ritter aus der ersten Zeit, der Ruhmes- und Blüthezeit seines Ordens! Die christliche Dame Charitas war seine einzige Liebe, ihr weihte er sein Ritterschwert, sein Trachten und Sinnen, seine Thätigkeit, sein Leben! Er war ein Priester der Nächstenliebe, und wie hoch stand er über den unduldsamen Fanatiker im Talar! Sein weißes Kreuz an der Brust trug er nicht als Ordensschmuck, als bloße Zier – er beugte sich unter dem Kreuze, und trug es oft in der Brust und auf dem Rücken! – Er erfaßte die schweren Pflichten seines Ordens in ihrer ursprünglichen ernsten Bedeutung! – Unerschrocken muthig – ehrenhaft als Soldat und Edelmann – nächstenliebend, aufopfernd, christlich, als geistlicher [48] Ritter! Brav, mitunter humoristisch als Mensch – so war Walter Stadion!

Schwarzenberg (Friedrich Fürst), Postdiluvianische Fidibus-Schnitzel, zweites Fascikel. Als Manuscript für Freunde, 1862, S. 23 bis 26. – Thürheim (Andreas Graf), Licht- und Schattenbilder aus dem Soldatenleben und der Gesellschaft. Tagebuch-Fragmente und Rückblicke eines ehemaligen Militärs (Prag 1876, H. Dominicus, 8°.) S. 309 u. f. – Rangsliste und Personalstatus des souveränen Johanniter-Ordens für 1866. – Prager Zeitung 1864, Nr. 231, Beilage im Feuilleton: „Drei Ritter“. – Vaterland (Wiener polit. Parteiblatt). 1864, Nr. 224.